Wer selten über Musik schreibt, macht es dann, wenn sie selbst oder ein Moment in ihr besonders gut und eben erwähnenswert erscheint. Schreibt man eine Zeitlang möglichst regelmässig, entstehen auch bei guter Musik Schreibdilemmata, deren allgemeinste Form darin besteht, das Schreiben zu unterlassen und die Musik zu ignorieren oder mindestens über einen Moment des Erlebten auch dann negativ zu schreiben, wenn man es gar nicht will, die Redlichkeit es aber verlangt und sodann die ganze Musik in ein schiefes Licht gerät, völlig unbeabsichtigt, aber durch keine Versicherungen mehr korrigierbar. Die Korrektur müsste gesellschaftlich geschehen, indem andere über dasselbe Ereignis schreiben und in ihrer eigenen Redlichkeit – das würde das erste Schreiben vom Dilemma befreien, und es würde die objektiv realisierte Musik aus dem unverdienten Ghettoleben herausführen. Trotz Computer und Internet in jedem Haus und trotz Gratismöglichkeiten für Blogs geschieht das immer noch nicht.
1) Gestern Abend auf France Musique, Concert donné le 6 novembre 2010 à Besançon: Michaël Jarrell, a) Eco III pour voix et harpe, b) Aus Bebung pour clarinette et violoncelle, c) Assonance VII pour percussions mit dem Ensemble Accroche-Note: Françoise Kubler, Soprano – Armand Angster, Clarinette – Christophe Beau, Violoncelle – Philippe Cornus, Percussions – musicienne invitée : Hélène Breschand, Harpe.
Die Ästhetik dieser Musik zielt darauf, dem Molaren und Identischen einen Dreh zu versetzen und die Ränder ausfransen zu lassen, nicht ohne im Innern die Linien feingliedrig zu entfalten, in vielartig gefalteten Netzen, ganz nah der Idee der Rhizome. In der Aufführung wird sie unterstützt durch die Praxis der Improvisation, in der quasi ein Prä- und diverse Interludien die komponierten Stücke umgarnen. In der Feinheit solcherart aufgedröselter Struktur ist es mitunter schwierig zu entscheiden, ob man einer improvisierten oder komponierten Passage folgt. Das Verständnis moderner Musik, dass man in ihr hofft, auf das Neue hofft, wird dadurch unterlaufen, dass sie jede Richtungsangabe verweigert ausser derjenigen aufs Individuum in der Improvisation, das dann auch, und das erscheint mir immer mehr als das Negative der Improvisation überhaupt, aufdringlich wirken kann.
Nach diesem Konzert erfolgte auf France Musique ein überlanger Ausschnitt aus einer CD mit drei Klarinetten, der in einer Jazzabteilung gut aufgehoben wäre, mich hier aber wegen musikalischer Dürftigkeit zur Verzweiflung und hinein in eine immer grössere Müdigkeit trieb, so dass fürs zweite Konzert die Aufnahmefähigkeit Schaden genommen hat und ich es in der Mitte abbrechen musste, unverzeihlicherweise:
2) Fritz Hauser, percussions, Concert donné le 2 octobre 2010 à Radio France
Vor fünfunddreissig Jahren öffnete Pierre Favre in Solokonzerten auch in Luzern nicht wenigen die Ohren – sein Schlagzeug war nicht die Küche eines Trommlers, sondern das vielfältige und farbige Orchester eines modernen Komponisten. Die Vorstellung, dass Musikinstrumente neutrale Werkzeuge mit eingeschränkten, bestimmten Funktionen seien, hat er einem tüchtig ausgetrieben. Das ist auch bei Fritz Hauser so. Allerdings geht er über die Erfahrungen Favres hinaus, indem er durch Anheftung an andere Bereiche wie Hörspiel, Architektur und Video, die eine thematische Gebundenheit aufweisen, der Musik Schranken auferlegt: die Erweiterung der Idee des musikalischen Instruments muss sich auch dann bewähren, wenn eine konkrete Auswahl, die sich an etwas Aussermusikalischem ausrichtet, nicht überschritten werden darf. Trotzdem bleibt die Improvisation dominant. Und wiederum ist sie es, die Schwierigkeiten macht: trotz äusserster Musikalität und Intensität erscheint die Musik wie eine Tapete, ein Ambiente, in dem man auch anderes machen kann als nur zuhören.
Darauf ein peinlich langer Traum, mit sehr vielen Personen, die alle sprechen und mir Tipps geben wollen, auch wenn ich die Leute nicht kenne. Ich bin zuhause (1), in einem unbestimmten Alter, mit einem Kinderwagen, so alt und hässlich, wie ich vor über fünfzig Jahren in einem kutschiert worden war. Ich muss unbedingt in die Stadt (2) und dort etwas holen gehen für das, was im Kinderwagen ist. Ich wohne nicht zuhause, sondern östlich davon in der Nähe (3) oder weiter weg (4), wohin ich nachher mit dem Bus fahren will (dorthin gibt es keine Busse). Das Problem besteht darin, dass Samstag ist, da die Busse seltener fahren, die Geschäfte aber früher schliessen. Nun geht ein grosses Keifen in der Meute los, wie das zu bewerkstelligen wäre, weil zusätzlich nicht klar ist, wo ich das Produkt kaufen muss. Sehr lange Zeit dreht sich alles um dieses Produkt – bis meinem leerlaufenden Traumhirn doch noch klar wird, dass es sich um etwas Einfaches handelt, das in jedem Geschäft gekauft werden kann, und keineswegs ausschliesslich in der Stadt. – Rot ist in den Bildern der Bereich des letzten Traumes vom 21. Januar.
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