Archiv für den Monat Januar, 2018

Wildnis hier, jetzt, einstmals, dort

Mittwoch, 31. Januar 2018

Gestern missliebigen Philosophen auf Facebook entdeckt, mit abstossendem Selfie. Jetzt von 1 bis 3.30 Uhr schlaflos, dann Traum: ich stosse auf den erwähnten Philosophen und ziehe mit ihm und einem Mädchen in ein Haus in den Bergen, komfortabler als eine Hütte. Schon beim Eintreten fallen die wilden Tiere im nahen Wald auf. Nach mehrstündiger Zeit stellen wir fest, dass es von oben tropft: die obere Etage ist unter Wasser gesetzt worden, ihr Boden weicht sich auf und droht dem Wasserdruck nachzugeben. Schnell raus! Doch alle Fenster und Türen sind verriegelt und von aussen verbarrikadiert. Wie Morton Feldman (siehe letzten Post) reisse ich stark aufgeweichte Stücke aus dem Türrahmen. Das gelingt, und es entsteht ein Loch. Doch als es sich grösser machen lässt, indem die anderen beiden auch mithelfen, nähern sich die wilden Tiere; die weiten Kreise der Löwen und Schäferhunde werden immer enger. Aufwachen, als ein Löwe nach mir schnappt.

Zusatz: ein paar Tage vorher auf Facebook die mehrjährige Timeline (Chronik) eines Typen angeschaut, der wegen seines technischen Berufs in den Bergen hohes Ansehen genossen hatte (sein gesellschaftliches Ansehen heute – und in der Ferne – ist mir unbekannt): eine unendliche Masse an geteilten Bildern und Videos im Namen des Tieres, zumal des vom Menschen geschädigten, durchbrochen von einem unaufhörlichen Strom des Geiferns gegen linke Positionen, nicht zuletzt geschmückt mit Fotos eines überdimensionierten Hausinnerns gänzlich frei von Bildern der Kunst und Zeugnissen der Musik und der Literatur.

Rebecca Saunders und Morton Feldman

Dienstag, 30. Januar 2018

Soeben live auf Bayern 4 Konzert vom 19. Januar 2018 mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Leitung Ilan Volkov, Carolin Widmann, Violine, Laura Aikin, Sopran.

Rebecca Saunders: Still (Beckett), 2011. – Ein Feurwerk auf einer brennenden Leiter.

Morton Feldman, Neither (Beckett, als Libretto für Feldman), 1977. – Feldman entreisst Stück für Stück von der Fassade der Avantgarde und wirft dieselben zu Boden. Trotzdem ist seine Musik auch heute noch aktuell und spannend, weil er nie zurückblickt und übers Tonale blinzelt. Vielleicht ist er nur der grosse Sancho Panza neben dem kleinen Don Cage, aber er ist jedenfalls dabei: zu unserer Freude.

Morbus Ollier: globale Häufigkeit

Dienstag, 30. Januar 2018

Die Operations- und Rehabilitationstechniken von Chondromen und Chondrosarkomen in einzelnen Körperteilen haben in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht. Sowohl die Erkenntnisse über die Ursachen und die weltweite Verbreitung der Krankheit Morbus Ollier, Ollier-Maffucci-Syndrom, Multiple Enchondromatose, Dyschondroplasie oder Olliers Disease (auch Ollier’s und Ollier Disease) sind gering. Seit kurzer Zeit gibt es globale Google Maps für eine grosse Zahl sogenannter Seltener Krankheiten (Orphan Diseases), in die sowohl die betroffenen Patienten selbst wie auch ihre Ärzte den Standort eintragen können, weltweit.

Die Karte für die Multiple Enchondromatose ist hier zu finden:
https://www.diseasemaps.org/ollier-disease/

Die Karte ist öffentlich, so dass weltweit jedermensch Einsicht nehmen kann. Kontakte zu denjenigen, die sich bereits eingetragen haben, sind erst dann möglich, wenn man sich selbst – beziehungsweise die betroffene angehörige Person oder die eigenen Patienten – eingetragen hat.

Momentan gibt es nur noch auf Facebook eine Gruppe, die auf Morbus Ollier ausgerichtet ist (ich benötigte fast 10 Jahre, um sie zu finden, weil sie nicht alle gängigen Namen der Krankheit auf der Titelseite aufführt und die Facebook-Suchmaschine nicht über die Such-Toleranz wie Google verfügt). Die Gruppe ist geschlossen und gibt ausser der Memberliste keine Informationen preis. Gehört man aber einmal als Mitglied zu ihr, findet man eine Umfrage der John Hopkins University, an der man unbedingt sich beteiligen sollte, da sie ein detailliertes Bild von den einzelnen Betroffenen aufzeichnet, dessen globale statistische Darstellung möglicherweise einmal mehr zu sagen erlaubt als dass man es mit einer Laune der Natur zu tun hat.

Olliers Disease Appreciation Society (nur für Facebookmitglieder zugänglich): https://www.facebook.com/groups/140590582575/

Der Link zur wissenschaftlichen Untersuchung findet sich im Eintrag vom 6. Januar 2018 (nur für Gruppenmitglieder zugänglich): https://www.facebook.com/groups/140590582575/permalink/10157 073241287576/


(e-Mail-Adressen auf Anfrage)

ur I und ur II gratulieren ur III

Donnerstag, 11. Januar 2018

Viel Glück zum fünften Geburtstag, mit den besten Dankeswünschen an die Teams von Matthias Zumstein und Charles Dumont am Inselspital Bern 2013! – Die Schulter ist in gutem Zustand, das Becken morsch & mürrisch, immerhin nur zuweilen ernsthaft hinderlich.

Hommage à Elliott Carter

Mittwoch, 10. Januar 2018

Soeben direkt live auf France Musique l’Ensemble intercontemporain dans l’amphithéâtre de la Cité de la Musique, à la Philharmonie 2 de Paris.

Elliot Carter, Huit Etudes et une Fantaisie, pour flûte, hautbois, clarinette et basson // Retracing II, pour cor // Figment V, pour marimba // Retracing, pour basson // Scrivo in vento, pour flûte // Steep Steps, pour clarinette basse // Esprit rude/Esprit doux II, pour flûte, clarinette et marimba // HBHH, pour hautbois (= Happy Birthday Heinz Holliger) // Nine by Five, pour quintette à vent.

Leicht lahmend, dieses Konzert, ohne rechte Zündung, so professionell wie die Vortragsübung in einer Dorfschule. Ausnahme das Flötenstück Scrivo in vento, gespielt von Sophie Cherrier, ein Aufhorcher mit spitzen Tönen.

Surreale Entführung

Mittwoch, 10. Januar 2018

Surrealbrutaler Traum kurz nach dem Einschlafen, zwischen 22.30 und 23 Uhr: ich sehe, wie ein 20jähriges Mädchen von einer 40jährigen Frau an einem dünnen Faden entführt wird, auf dem staubigen Bahnhofsgelände eines Dorfes auf dem Land. Ich umarme das Mädchen und will die Entführung verhindern. Die Frau zieht am Faden und entfernt sich dabei. Der Faden ist elastisch, aber das Mädchen hängt an ihm, und ich kann es nur mit Mühe zurückhalten. Die Frau ist etwa 40 Meter entfernt, wo es mir gelingt, den Faden wie ein Lasso in Schwingung zu versetzen. Sie wird nun selbst vom Faden gefangen genommen. Sie steht nahe beim Gleis, das Perron ist deutlich höher als das Gleis. Sie dreht sich wegen des Fadenzugs und kommt ins Schwanken. Sie fällt in dem Moment aufs Gleis, da eine Dampflok aus dem 19. Jahrhundert in den Bahnhof einfährt. Die Lok hat vorne wie ein Backofen eine Öffnung, in die die Frau hineinfällt. Man sieht, wie ihre materiellen Überbleibsel mit dem Dampf zusammen aus dem Kamin hinausgetrieben werden. Wir sind gleichermassen erleichtert & entsetzt, ich habe immer noch den rechten Arm ums Mädchen. Da erscheint ein Kapuzenmann und nähert sich. Wir drehen ab, doch es hilft nichts. Er steht vor uns und zeigt uns sein groteskes, nahezu ausgelöschtes Antlitz. Er greift an, ich erwache. – Nachdenken darüber, ob ein solch brutaler Traum aufgeschrieben werden dürfe. Verneinung, Einschlafen. (Jetzt, ein paar Stunden später, könnte ich zu jeder Traumpassage anzeigen, welche Banalität in den letzten zwei Tagen geschehen waren und hier neu erscheinen; das Max- & Moritzbild als Entenfutter sah ich gestern nicht weit vom Haus entfernt, wo ein Arbeiter die Überreste eines Sturmopfers mit einer grossen Maschine häkselte und mir eben dieses literarische Bild in den Sinn kam. Der Traum ist harmlos.)

Kurz vor Aufwachen um 3 Uhr zweiter Traum: sehr schlechter Sitarunterricht irgendwo auf dem Land, wohin ich das Instrument schleppen muss. Das Traumbewusstsein ignoriert die gegenwärtige anatomische Beschaffenheit – das passiert nur noch ausnahmsweise.

Saunders, Adámek, Bertrand

Dienstag, 9. Januar 2018

Soeben live auf Bayern 4 vom 15. Dezember 2017 in München das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Leitung Peter Rundel. Solisten: Carl Rosman, Richard Haynes, Klarinette; Isabelle Faust, Violine; Andreas Grau, Götz Schumacher, Klavier.

Rebecca Saunders: „Aether“ (Deutsche Erstaufführung). – Subtile, farbige, erruptive und ständig sonstwie überraschende musikalische Führung zweier Bassklarinetten. Beeindruckend!

Ondřej Adámek: „Follow me“ (Uraufführung). – Nie im Leben fühl ich mich so griesgrämig, wie wenn ich Adámeks Kunst ausgesetzt bin. Does humour belong in music? Nooo!!! Einer von uns ist eindeutig zu viel in dieser Geschichte der Musik.

Christophe Bertrand: „Vertigo“ (Deutsche Erstaufführung). – Virtuose Klangtönefälle mit der Tendenz zum Leerlauf.

Arnulf Hermann, Der Mieter

Sonntag, 7. Januar 2018

Soeben live auf WDR 3 vom 12. November 2017 aus der Oper Frankfurt Der Mieter von Arnulf Hermann mit dem Philharmonia Chor Wien, Frankfurter Opern- und Museumsorchester, Musikalische Leitung: Kazushi Ono.

Betrachtet man nur die Musik, ist das Werk über weite Strecken brav & einfach, und die Mikrotonalität, die nur koloristisch eingesetzt wird, versüsst das Ganze. Berücksichtigt man via Youtube die Inszenierung, wird bald klar, wieso diese Oper einfährt und die Musik als dringlich erfahren wird. (Üble, realistische Erinnerungen an die Biderstrasse am Rand von Bern Ende der 1990er Jahren werden geweckt.) – Der Schluss wirkt ausserplanmässig, kammermusikalisch wär’s okay, in einem so grossen Werk wie eine Zumutung; man hätt’s dann doch gern abgemildert serviert bekommen.

Zusatz 14. 1. 2018: Soeben auf SWR 2 nach einer Woche dieselbe Aufführung noch einmal. Das Ganze ist ein Musical, mit Bersteinischen Zigizagihoihoi- und Gershwinischen Gefühlsdusselpassagen. Auch mit Vorwissen steht der Schluss unangenehm in der Luft. Das zweite Mal Hören hat das Stück schlechter gemacht.

Kurtag und Sciarrino

Mittwoch, 3. Januar 2018

Soeben live auf France Musique Concert du 19 octobre 2017 à la Cité de la Musique dans le cadre du festival d’Automne à Paris, l’Ensemble Intercontemporain dirigé par Matthias Pintscher.

György Kurtag (né en 1926), … quasi una fantasia… pour piano et groupes d’instruments op. 27 n° 1. – Nachdem der Musik in absteigenden Reihen alles entnommen wurde, wird sie in Modulen neu aufgebaut, dann das Gewonnene mit tonalen Rhythmusgebilden bekräftigt. Die Tonreihen des Anfangs wiederholen sich nun neu vermittelt in Variationen, nicht mehr ins Leere gehend, wenn auch gleichwie in die Stille (ich erwartete einen anderen Schluss).

Salvatore Sciarrino (né en 1947), Gesualdo senza parole, pour ensemble. – Wer gerne kostbare Zeichnungen im Hosensack zerknittert und sie erst daraufhin zu würdigen versteht, ist bei dieser Musik gut bedient. Könnte sein, dass ich das Stück schon einmal gehört habe, es aber zu peinlich fand, um in der Disco zu erwähnen. Es ist nicht besser geworden.

Salvatore Sciarrino (né en 1947), Il sogno di Stradella. – Einer von heute komponiert die Musik eines von früher, die er sich für die Zukunft erträumte. Eher ein lahmes Kinderspiel als ein Experiment: man fantasiert punkig einen Regelbruch, ohne weitere Lust, zu neuen Verbindlichkeiten vorzustossen. Man könnte auch Harry Partch hören, wo sich auch nichts Weitergehendes entwickelt, weder in den Stücken selbst noch in der ästhetischen Idee.

Salvatore Sciarrino (né en 1947), Omaggio a Burri, pour trois instruments. – Leise Musik ist okay. Aber sie müsste nicht zusätzlich leer, mit Lücken verstopft und langweilig sein. Ein müder Konzertabend in Paris.

György Kurtag (né en 1926). – Messages de feu Demoiselle R. V. Troussova, opus 17, pour soprano et ensemble de chambre, Natalia Zagorinskaya, soprano. – Das rettende alte Stück des Abends, immer wieder ein Genuss!