Archiv für den Monat Juni, 2015

Walliser Betoncots

Dienstag, 30. Juni 2015

Soeben in der Bümplizer Migros eine Packung Walliser Aprikosen gekauft. Weiss der Teufel, warum die im Kunstlicht des Ladens aprikosenfarben erschienen – hier zuhause sind sie so grün wie der Rasen in Wimbledon. Wozu dieser Verkaufsunsinn? Ein paar Tage länger an den Bäumen, und wir hätten Früchte als wie aus dem Paradies gewonnen. Diese Teile aber haben eine Härte, als ob ihre Herstellung, gänzlich ausserhalb des Naturverlaufs, für den Bau von Betonmauern bestimmt gewesen wäre.

Diotima: Gervasoni, Glerup, Fedele, Bartók

Montag, 29. Juni 2015

Soeben live auf France Musique concert enregistré aux Bouffes du Nord le 15 juin 2015 dans le cadre du Festival ManiFeste. Alain Billard, clarinette, Quatuor Diotima: Yun Peng Zhao, violon, Constance Ronzatti, violon, Franck Chevalier, alto, Pierre Morlet, violoncelle, Thomas Goepfer, réalisation informatique musicale Ircam.

Stefano Gervasoni (né en 1962), Clamour, troisième quatuor à cordes. – Musik wie ein stehengelassenes Weihnachtsbäumchen im Sommer. Ein dürres Gebilde mit unpassenden Accessoires: zu trivial und altertümlich die kleinen Formmomente.

Rune Glerup (né en 1981), Clarinet Quintet (Sill leaning toward this Machine) pour clarinette et quatuor à cordes (commande Ircam-Centre Pompidou, création). – Vom ersten Ton an packend, sowohl im Rhythmus, in der Harmonik und in der Gestaltung. Trotz der ständigen Anspielung an diverses Altes sehr sicher gesetzt (mit Ausnahme der letzten paar Takte) und mit den Augen vorwärts gerichtet.

Ivan Fedele (né en 1953), Quatuor n° 2 « Pentalogon Quartet » (1987-1989, rév. 2009). – Kleine Charakterstücke mit einer gewissen poetischen Kraft.

Béla Bartók (1881-1945), Quatuor à cordes n° 5 en si bémol majeur BB 110 SZ 102 – I. Allegro, II. Adagio molto, III. Scherzo : Alla bulgarese, IV. Andante, V. Finale : Allegro vivace (1934). – Glerups Quartett ist besser, aber der letzte Bartóksatz ist immer noch umwerfend, bis in die letzten Takte.

Die Alp hier heute

Freitag, 26. Juni 2015

Soeben auf srf2 von Alexander Grass: Melkstand vollgeschissen, Hütte kalt – und der Senn ist glücklich.

Eine Sendung so faszinierend wie eine Oper von Boulez zu hören gewesen wäre. Bravo bravissimo! Ma merde: wie sind wir Dummköpfe hilflos gegenüber der harten Realität, erscheint sie uns doch nur noch als schön oder nicht schön. (Ein gutes Spässchen beiseit: dass die Nomaden vor tausend Jahren auch auf der Suche von Quarzen gewesen sein wollten…) Aber die Sendung selbst war unbeschadet. Selten habe ich so viel über ein Gebiet gelernt, in einer Stunde, das ich seit fast dreissig Jahren im Augenschein habe.

Ausmisten

Donnerstag, 18. Juni 2015

In diesem Traum wechseln die Grössenverhältnisse laufend: ich stehe vor einem meiner hohen Büchergestelle, draussen in der Landschaft, und schaue zu, wie Arbeiter hinter einem der oberen Tablare in einem buchgrossen Schacht tätig sind, sei es mit Strom- oder Glasfaserleitungen. Allmählich wird klar, dass etwas Schwarzes herausgeschaufelt wird, und es fällt in die Bücher der unteren Tablare hinein. Ich brülle. Ein Arbeiter zeigt sich oben auf dem Tablar, ein anderer direkt neben mir. Ich solle mich beruhigen, meinen Büchern würde bestimmt nichts passieren. Ich hole die Kamera, um den Schaden zu dokumentieren. Natürlich fotografiere ich mit schlechten Einstellungen, es ist viel zu dunkel. Ich merke, dass die Dokumentation missraten wird, dieweil Leute der Strasse die Szene begaffen und immer mehr Mist über die Bücher fällt. Die Fotos bleiben unbrauchbar, mürrisches Aufwachen.

In Wirklichkeit versuche ich seit Tagen, bei einer Wohnungsauflösung Bücher in Gestellen und Schränken so zu durchforsten, damit entweder einige von ihnen selbst oder ihr beigelegter Zusatz in Form von Briefen oder sonstigen persönlichen Dokumenten vor dem endgültigen Entsorgungstod gerettet werden können. Gleichzeitig schleppte ich gestern die ganze Anlage von Swisscom-TV mit Router, Funkkästen, der eigentlichen Box und einem ganzen Kabel- und Steckerpark aus der Zentralschweiz in ein Berner Swisscomshop. Der Traum hat gar nichts vorgegaukelt, sondern erscheint als nüchterne Buchhaltung.

Zusatz 19. Juni 2015. Heute zuhause nach Qualen den einarmigen Behindertenrucksack gewogen: 8.5 kg Fotobücher…

Philippe Hurel, Tour à tour

Montag, 8. Juni 2015

Soeben live auf France Musique concert enregistré à l’Auditorium de la Maison de la Radio le 5 juin 2015, dans le cadre du Festival ManiFeste. Orchestre Philharmonique de Radio France, Carlo Laurenzi, réalisation informatique musicale Ircam, Jean Deroyer, direction.

Philippe Hurel (né en 1955), Tour à tour – I. L’Envol, pour orchestre II. La rose des vents, pour orchestre et électronique III. Les rémanences, pour orchestre.

L’Envol erscheint in einer Art Momentform, die dem Komponisten so viele Verschnaufpausen ermöglicht wie nötig – nichts gibt es, das sich verbindlich durch die ganze Flugbahn verfolgen liesse. Einige Momente sind hübsch, andere zu banal. Der Komponist hat einen unkontrollierten Hang zum nordamerikanischen Festsound der Feldmusik; er sollte sie gewissenhaft studieren, vielleicht in Bayern, um auf solche Weise von ihr wegzukommen, dass auch das Moment der Überraschung eine Chance bekommt.

La rose des vents besteht aus verschmierten Lentoklängen. Peinlich der Propellereffekt, einmal abwärts, geklaut bei der ersten Platte von Emerson, Lake & Palmer, dann auch aufwärts, das Ganze verdoppelt und verdreifacht. Die Paukenschläge ins pinkfloydsche Grunzen hinein finde ich gelungen, sie erscheinen nochmals im dritten Teil (der vor diesem zweiten geschrieben war). Der Komponist scheint im IRCAM weniger mit einem Informatiker als mit einem Archivar zusammengearbeitet zu haben.

Les Rémanences favorisiert wieder die lose, unverbindliche Momentform, mal hitzig bewegt, mal langfädig, mal, wohl als Vermittlung gedacht, langweilig dazwischen. Musik als Kunst des Übergangs wird verleugnet, weil es an Selbstvertrauen und Selbständigkeit fehlt. Paris wirkt zuweilen wie eine musikalische Wüste.

Hèctor Parra und Händl Klaus: Wilde

Sonntag, 7. Juni 2015

Soeben live auf SWR 2 vom 22. Mai 2015 im Rokokotheater Schwetzingen das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter Peter Rundel mit Ekkehard Abele, Marisol Montalvo, Mireille Lebel, Lini Gong, Vincent Lièvre-Picard, Bernhard Landauer.

Hèctor Parra und Händl Klaus: Wilde (Uraufführung).

Ein Arzt will von einem Einsatz bei den Ärzten ohne Grenzen im Zug nachhause fahren, gerät in einen Unfall, von da in ein Haus mit fünf Geschwistern, zwei männlichen, drei weiblichen. Seine Versehrtheit zeigt sich im ständigen Verlangen nach Wasser. Die Abläufe werden beim Zuhören nicht klar, aber eindeutig geholfen wird ihm nicht, oder hilft er nicht den andern. Die Schwestern erscheinen zuweilen wie Rheintöchter. Die Musik klebt quasi kongenialisch am dichten, kaum zu durchschauenden Text, dem man mit Spannung folgt.

Meisendavid gegen Ichgoliath

Sonntag, 7. Juni 2015

Da die jungen Staren das Futter nun selbständig aufpicken, ist die Saison der Vogelfotografie am Ende angelangt; die Installationen sind vom Sims in den Keller gezügelt, und die Vogelscheisse ist durch den gestrigen starken Gewitterregen mit Hagel schon fast vollständig weggeputzt. In einem Dosendeckel wurde seit ein paar Tagen den Meisen auf der Innenseite des Fensterboards der Rest der Cashews und Pinien angeboten, bis auch dieser heute Früh weggefressen war. Ich stehe bei offenem Fenster ganz im Innern des Zimmers, wo eine Meise auf dem vierzigjährigen 2 x 3m Bachtiar bis in die letzten Winkel abgespaltene Körnerteile sucht. Dreimal nähert sich der weibliche Fünfzentimeterwicht im Zickzack dem Einsfünfundsiebzighohen. Beim vierten Mal überwindet er seine Skrupel, nimmt Anlauf und pickt in den grossen Zeh – und schaut weiter angriffslustig in die Höhe, bis er sich endlich aus dem Staub macht. Nein, es wird nichts Weiteres zu fressen geben in diesem noblen Etablissement.

Pascal Dusapin, Disputatio

Samstag, 6. Juni 2015

Soeben direkt live auf Deutschlandradio Kultur RIAS Kammerchor und Münchener Kammerorchester, Leitung Alexander Liebreich.

Pascal Dusapin, Disputatio mit einem Text von Alcuin aus dem 9. Jh., Uraufführung.

Keine schwergewichte und keine wichtige, aber auch keine üble Musik; vielleicht etwas zu gleichförmig.

Zusatz: Das Stück verdient wahrscheinlich einen besseren Kommentar. Es wurde aber in einer Umgebung gesendet, die ihm nur schaden konnte. Vor der Konzertübertragung brachte Deutschlandradio Kultur, in Bern als Internetradio mit eingeschränkten Höhen und Bässen empfangen, eine Stunde lang Musik von Josef Matthias Hauer, dem falschen Zwölftonprätendenten. Das ist eine Pseudomusik, in der man nur schwerlich einen ästhetisch-künstlerischen Anspruch ausmachen kann. Im Konzert wurde dem 40 minütigen Stück von Dusapin ein kleines von Brahms vorangestellt, Geistliches Lied op. 30, das hübsch ist wie vieles von Brahms, einem die Ohren aber kaum auf Neues einzustimmen vermag. Schlimmer dagegen war das Nachfolgewerk, das Requiem op. 9 von einem gewissen Maurice Duruflé aus dem 20. Jahrhundert, das ausserhalb streng katholisch reglementierter Klostersäle ganz einfach nichts zu suchen hat. Merde, was für eine dicke, unmögliche Luft! Ja eben, dieses dumpfe Umfeld wirkt in der Weise auf das uraufgeführte Werk ein, dass man sich zu meinen genötigt sieht, der Komponist, der die Disputatio eigens für dieses Konzert geschrieben hat, fühle sich darinnen vielleicht gar nicht so unwohl.

Jordi Savall: Ibn Battutan (1. Teil)

Mittwoch, 3. Juni 2015

Soeben live auf France Musique concert du 20 novembre 2014 à l’Emirates Palace Auditorium d’Abu Dhabi:

Jordi Savall et l’ensemble Hespèrion XXI, „Ibn Battuta, voyageur de l’Islam“ – Du Maroc à l’Afghanistan (1300-1336).

Umwerfend, dieser Farbenreichtum in einem einzigen Konzert!