Archiv für den Monat Juni, 2010

Totsein nach Mahlers Neunter

Mittwoch, 16. Juni 2010

Gestern Diskothek im Zwei Mahlers Neunte, heute nach angestrengter Zusammenstellung der Alpen im Bezirk Entremont um acht Uhr plötzlich das Verlangen, diese Symphonie ganz zu hören. Ich habe sie mit Abbado, Live 1988. Da die Diskussion vorgestern äusserst ergiebig und aufschlussreich verlief, geschah das Zuhören heute entsprechend intensiv, im Anschluss daran ständiges Nachfragen, wie weit man im rein existenziellen Rahmen verharren dürfe. Lösung: mit dem Alter verliert sich das Bedürfnis, Kunstwerke gegeneinander auszuspielen. Ob man es nun darf oder nicht – dieses Werk ergreift einen tief, und man soll gegen den Genuss des Erlebens nicht anrempeln. Gleich danach zufrieden, aber äusserst müde Schlafen gegangen, mit viermal hintereinander demselben Alptraum, sehr kompliziert. Ich bin am Bildschirm, navigiere auf meiner Website, auf den Alpen im Val des Bagnes. Man muss irgendein Bild verschieben, dann irgendwo hin klicken. Dann bin ich – viermal geschieht dasselbe, nach kurzem Aufwachen – in einer Art Disko, dunkel, mehrstöckig, vielräumig (ich war nie an solchen Orten, kenne nur Bilder aus der Unterhosenpresse). Ich mache etwas Ähnliches wie die Anderen, nur zum Teil bin ich auch mit Bekannten zusammen, an einem Tisch oder nicht. Im Verlauf wird klar, dass alle schon gestorben sind und sich in einer Art Warteschlaufe befinden. Ich finde es grauenhaft und wehre mich mit aller Kraft gegen diese Tatsächlichkeit, wonach ich aufwache, sehr bald aber wieder eindämmere und dasselbe nochmals erlebe. Nach drei, vier oder fünf Malen frage ich mich, ob das alles in einem einzigen Traum geschehen sei oder tatsächlich in so vielen einzelnen, schlafe aber richtig für zwei Stunden ein, traumlos.

Zu aufmerksam, um richtig zu belichten

Samstag, 5. Juni 2010

Heute ist mir beim Mattmark Staudamm, wo ich nach der Hinfahrt als einziger Passagier in der ersten Kutsche der Saison die drei fotografisch verlorenen Alpen Schwarzbergalp, Distelalp und Eienalp wiedereinsammelte, einer dieser gefürchteten Fehler passiert, die dadurch entstehen, dass ohne Unterlass ihre Eventualität abgewehrt wird, indem man sich ständig fragt, ob man alles richtig tut – und dann da, wo man meint, eine Reihenfolge genau so durchführen zu müssen, wie man sie sich die ganze Zeit im Kopf zurechtlegt, die umgekehrte gewählt haben wird, den ganzen Tag lang, jedesmal in gleicher Weise mit zusammengebissenen Zähnen bewusst. Die E-620 hat die Besonderheit, dass man bei der festbleibenden Einstellung der Belichtung für die Panoramafotografie zuerst die Schärfe festlegen muss (durch Autofokus und Drücken der Fn-Taste, die in den manuellen Fokus wechselt) und erst dann die Belichtungszeit mit der AE-Taste für die folgenden Bilder speichert (Blende ist sowieso vorgewählt, weil die verschiedenen Brennweiten je bestimmte Abblendungen verlangen); macht man es umgekehrt, wird nach dem Drücken der Fn-Taste zur Arretierung des Fokus die Belichtungsspeicherung rückgängig gemacht. Heute kam es nie zu einer Belichtungsspeicherung, weil ich meinte, nur bei dieser Kamera müsse man diese AE-Speicherung zuerst durchführen, dann den Fokus fixieren. Autostitch ist aber ein so freundliches Panoramaprogramm, dass es bei solcherart idiotisch präsentiertem Panoramamaterial eine Funktion wählen lässt, die auch solche problematischen Belichtungsübergänge konsumierbar macht. Als Folge sind die Panoramas etwas heller als sonst und haben an einigen Stellen im Himmel – aber eben nicht an sehr vielen – unschöne Übergänge. Ich werde mich nächstes Mal etwas weniger rigide kontrollieren.

Glatzen

Mittwoch, 2. Juni 2010

Das erste Kapitel im Abschnitt Alpen wäre nach zwei Tagen äusserst angespannter Arbeit vorläufig fertig (am Samstag müssen noch drei verloren gegangene eingesammelt werden): das Resultat ist betrüblich. Eine so langweilige Zusammenstellung von Bildern habe ich noch selten gesehen, als wären in einem Musikstück ausnahmslos die Pausen zur Diskussion gestellt worden. Kein Stück Grossvieh ist zu sehen, nichts, was eine Spannung erzeugen könnte. Es ist, als ob sich Einsiedler mit Glatzen an einem Kongress versammeln hätten. Wenn das so weiter geht, durchs ganze kapuzinische Wallis hindurch…

http://www.ueliraz.ch/analyse-2010/alpen/visp.htm

Das Wallis als Konditorei

Dienstag, 1. Juni 2010

Heute fälle ich den Entscheid, welcher Bezirk des Wallis als erster dafür ins Auge gefasst wird, alle Alpwirtschaften in ihm darzustellen. Obwohl ich nie daran gedacht hatte, sie eigens thematisch im ganzen zu sammeln, sind sie im Fotoarchiv doch grösstenteils schon vorhanden, wenigstens dann, wenn man sie eindeutig von den Mayens trennt. Diese äusseren Schwierigkeiten sind nicht von Bedeutung, weil es mir scheint, dass immer noch genügend Zeit zur Verfügung steht, diejenigen, die sich bis jetzt meinen Apparaturen haben entziehen können, doch noch einzufangen. Von mindestens zwei Alpen hege ich die Absicht, sie in ihren Verstecken ruhen zu lassen, um dem Wahn der Vollständigkeit einen Tritt versetzen zu können: Pontimia und L’Au de Mex. Die erste will ich schon seit drei Jahren besuchen, wird aber mit dem Seehorn einen würdigen Ersatz gefunden haben, und die zweite hat einen Zugang, dessen Steilheit der von Eril zusehr ähnelt, als dass ich dem Weg vertrauen möchte. Mehr als diese empirischen Mängel beschäftigt mich die phänomenologische Tschifra, eine sehr lange Zeit auf Bilder fixiert zu sein, deren wesentlicher Gehalt – die Qualität der Kräuter – durch Alpentörtchen bestimmt wird. Ein Bild kommt um so mehr in Frage, gezeigt zu werden, je mehr von ihrer Wesenskraft auf ihm zu sehen ist. Das vernebelt ein bisschen die Vorstellung, mit viel Lust an dieser Arbeit lange dran zu bleiben, was sich eleganter noch englisch zu verstehen geben lässt: What a mist! – – – Okay: Visp ist’s!