Archiv für den Monat April, 2010

Waka / Jawaka

Montag, 19. April 2010

Auf DRS 2 Diskothek im Zwei gehört, eine Sendung, die sich seit gewisser Zeit auf dem absteigenden Ast bewegt. Nach einer halben Stunde lauschte ich auf CD begierig Zappas Waka /Jawaka, einer Platte, die ich sehr oft und immer sehr gerne zu mir genommen hatte. Dabei überlegte ich mir, wieso Zappa eine besondere Stellung einnimmt, obwohl seine Musik doch auf der ganzen Ebene zur Kulturindustrie gehört und ihr von sich aus nicht aussen vor steht – seine Stücke sind als Werke nicht so gebaut, dass man sie anders hören müsste als die von Björk oder von sonstwem aus dem Radio. Wenn auch Waka / Jawaka in den Bläserstimmen dagegen sprechen mag, ist es doch so, dass gewöhnlicherweise in Zappas Aufnahmen die Instrumentalisten so tönen, als ob sie um einiges mehr geübt hätten als die MusikerInnen auf Studioaufnahmen oder Livemitschnitten anderer KünstlerInnen der effektiven Kulturindustrie. Es dünkt mich im Moment, dass es äusserst weniges ist, und etwas gar Wackeliges, was die grosse Kunst von der der Kulturindustrie zu trennen imstande ist.

Eyjafjalla

Montag, 19. April 2010

Eine Serie von Träumen in überfüllten Zügen, in denen immer etwas von der Funktionsweise eines Rasierapparates entweder jemandem klargemacht oder in einem Video als Werbung oder Gebrauchsanweisung gezeigt werden soll. Immer geht etwas schief, und immer wird jemand beschuldigt, irgendetwas nicht begriffen zu haben. Ich bin einmal auf der Seite der Beschuldiger, einmal selbst der Beschuldigte. Das Ganze verläuft surreal wie Alice in Wonderland, ohne dass ich weder das Buch noch eine Filmfassung von ihm je gesehen hätte. Beim Aufwachen stelle ich mir vor, wie ich nach Island wandere, ungebeten bei Björk ins Haus trete und ihr die vergessene Kochplatte abdrehe. – Eine Sekunde nach dem Aufwachen, also immer noch halbwegs im Traum selbst, überlege ich mir, wovor man sich mehr zu fürchten hätte, vor der lotterigen, aus dem Lot geratenen Logik, in die die Psyche nach dem Ableben stürzt, wenigstens allem Anschein nach die meinige, oder vor derjenigen, in die die Menschheit schon heute zu stürzen droht.

http://picasaweb.google.com/102175391233488315229

http://languagelog.ldc.upenn.edu/nll/?p=2257

Oliver Nassen

Donnerstag, 15. April 2010

Gestern hatte ich auf DRS 2 ein gutes Interview von Thomas Meyer mit dem Dirigenten und Komponisten Oliver Nassen gehört, der mir noch unbekannt war. Dummerweise notierte ich den Namen nicht, so dass ich nach der Sendung am Internet nicht weitersuchen konnte. Typisch DRS 2 gibt es zu dieser Sendung, die offenbar von der Redaktion als eine Zumutung a priori fürs Publikum eingeschätzt wird, keine Notiz im Online-Programm, wo sich der Name herauslesen liesse. Ich wusste noch, dass er in Zürich vor kurzer Zeit Strawinsky dirigiert hatte, also los heute Nachmittag mit Googeln nach „Strawinsky Zürich“, aber nichts erscheint, das einen britischen Dirigenten mit „N“, wie mir im Gedächtnis zu haften bleiben schien, enthielte. Aber oha, es gibt einen Link im Programm, dank dem man die Sendung nochmals hören kann. Okay, wird gemacht, Hörer auf- und unter Strom gesetzt. Okay, noch ein Bisschen vom Hörspiel zuvor, macht ja nichts. Eine Minute vom schon gehörten Hörspiel, zwei Minuten vom schon gehörten Hörspiel, drei Minuten vom schon gehörten Scheiss, vier Minuten vom verdammt wie lange geht das noch!!!??? Endlich die Ansage: „Hören Sie eine Sendung über Oliver Nassen.“ Danke!!! Nun also wieder googeln: Oliver Nassen… Nix die Laus! Alle britischen Komponistenlisten habe ich zuvor schon durchgeschaut, geboren 1950, Beginn des Namens mit N und jetzt eben der vollständige Name gar: Nassen, Oliver Nassen. Leider speichert der Browserverlauf nicht die exakten Googleanfragen, so dass ich jetzt nicht sagen kann, mit welchen Suchwörtern ich schliesslich fündig wurde. Immerhin kann ich andeuten, auf welche dunkle Weise. Bei all den Variationen, die ich aufgrund der erinnerten Stichwörter des Interviews durchführte, blieb ein Name stetig präsent, und heisst dieser mit Vornamen nicht auch Oliver?! Ja klar, er ist gefunden, und es gibt sogar ein paar Videos mit den Kinderopern, die zwar nicht mehr ganz so interessant ausschauen wie sie gestern getönt hatten, aber immerhin, ich werde ihn und seine Musik ernsthaft weiter verfolgen: Oliver Knussen.

Teleherrschaft

Dienstag, 13. April 2010

Nach dem Zerhauen der regulierenden Taue der sogenannten sozialen Marktwirtschaft in den 1980er Jahren kommt es zu Veränderungen, von denen die einen der Tendenz nach global stattfinden und die anderen so in die Herrschaftsverhältnisse eingreifen, dass in ihnen die Unterdrücker dazustehen scheinen ganz ohne Unterdrückte. Einige Grossbanken nutzen die neuen Vorgaben dazu, alle Hindernisse der Moral über Bord zu werfen, um das reine Geldhecken zum Leitbild zu machen: die absolute Spekulation realisiert sich dann, wenn die Restmomente des Realen von ihr ausgeblendet werden. Die Kräfte, die sich daraufhin einstellen, sind immens. Die real wirtschaftenden Menschen erfahren sie wie der gewöhnliche Mensch in Afrika die ihn niederhaltende Macht seit dem Kolonialismus, mit einem Sitz immer schon ganz anderswo. Sie herrscht abgetrennt von den Instanzen der Verwaltung, die als demokratische zum Leben der Gesellschaft nach wie vor fruchtbare Beziehungen pflegt. Doch gegen die Herrschaft, die sie dem Wort nach repräsentiert, wirkt sie nur noch als Bollwerk, als ein Zweckbau, der sie absichert, indem er sie unsichtbar zu halten scheint. Dass man an Afrika nicht mehr denkt und Afrika vergessen hat, ist der eigentliche Sündenfall Euroamerikas, und es gibt keinen Zweifel daran, dass viele aus diesem Grund, der ihnen nicht ins Bewusstsein rückt, an einem schlechten Gewissen leiden. Fürs gesellschaftliche Bewusstsein ebenso gravierend ist aber die Ausblendung der historischen Tatsache, dass das Machtverhältnis in den nördlichen Ländern zu demselben geworden ist, das dort seit jenem Zeitpunkt herrscht, als seine Geschichte von aussen geschrieben wurde und nicht aufhört, von da aus der Fremde in Gang gehalten zu werden. Nicht im geringsten liegt die Lösung an einem bestimmten Ort im Parteienspektrum begraben, auf den die anderen negativ sich auszurichten hätten. Alle Parteien, die behaupten, in der Tagespolitik als Akteure mitzuwirken, müssen gleichermassen signalisieren, diese Umstände verändern zu wollen. Gut möglich, dass das Vertragswerk nicht in den einzelnen Staaten, sondern in einer globalen Instanz zu leisten ist, von wo sie es für sich selbst mit lokalen Anpassungen beziehen werden.

www.unctad.org

Alte japanische Biwa-Musik

Freitag, 9. April 2010

„Sie ist etwas umständlich“, sagt Silvain Guignard über die alte japanische Musik, der in Zürich wie ich in Bern vor dreissig Jahren musikwissenschaftliche Seminare bei Akio Mayeda besuchte, dann aber ganz nach Japan zog, um diese Musik bis ins Letzte zu studieren. Auf DRS2 jetzt ein Konzert gespielt 2009 in Basel, das den Bogen über 1000 Jahre Biwa-Tradition spannt: vom Mittelalter bis heute. Nächsten Freitag um 21 Uhr gibt es den zweiten Teil.

Der erste Teil der Sendung (nur ein paar Wochen lang): http://www.drs2.ch/www/de/drs2/sendungen/top/musik-der-welt/2704.sh10126282.html

Der Ausschnitt aus einem Film auf Youtube: http://www.youtube.com/watch?v=Lu7aciWi448

Sinneswahrnehmung im Traum

Donnerstag, 8. April 2010

Ich höre, auf dem Bett liegend, stark erkältet und etwas fiebrig, laut unter Kopfhörern den Concentus Musicus Wien unter Nikolaus Harnoncourt mit Beethovens Christus am Ölberge op. 85, Konzert vom 21. März 2010 im KKL Luzern, jetzt gesendet auf DRS2. Dann, dieselbe Musik weiterhörend, lese ich Zeitung, blättere ein paar Seiten um. Das geht eine gewisse Zeit, bis ich mir sage, wie blöd ich bin, Beethoven zu hören und Zeitung zu lesen. Ich lege sie zur Seite. Ich höre weiter dem Beethovenkonzert zu wie vorhin, ohne Unterbruch und ohne Bruchstelle, sehe durchs Fenster und realisiere, dass es stockdunkel geworden ist. Im Zimmer gibt es nirgends eine Zeitung.

Darbellay, Requiem

Donnerstag, 1. April 2010

Jean-Luc Darbellay: Requiem für Soli, Chor und Orchester

Barbara Locher, Sopran, Liliane Zürcher, Alt, Rolf Romei, Tenor, Michel Brodard, Bass, Junge Philharmonie Zentralschweiz, Leitung: Emilio Pomàrico
Konzert des Lucerne Festival zu Ostern vom 26. März 2010 in der Jesuitenkirche Luzern, Radio DRS2, 1. April 2010, 20.00 Uhr (Scribble’s Disco 3 hat immer Winterzeitangaben)

Glücklich zu schätzen, wem dieses wundersam schöne Werk nachgesungen wird, und wer es hören durfte.

Zeitliche Horizontverengung

Donnerstag, 1. April 2010

Die chronische Beschleunigung des Informationsflusses in der Kulturindustrie hat unter anderem zur Folge, dass die jeweils nachkommende Generation unter der Schwierigkeit leidet, historisch-gesellschaftliche Phänomene und Komplexe nur noch als Gegebenheiten betrachten zu können, denen eine Zeit der Entstehung in grossem Masse abgeht. Das wäre weniger einem subjektiven Desinteresse als vielmehr der Art und Weise zuzuschreiben, wie man sich in der Flut der Medieninformationen zu orientieren hat: permanent das abwehrend, was sowohl thematisch wie zeitlich ungeordnet als Zusatz oder via eines weiterführenden Links auch noch aufgenommen werden könnte. Die Abwehrhaltung, die vorausgesetzt wird, wenn überhaupt mit einer gewissen Konzentration gelesen werden soll, hat den unerwünschten Effekt, zu Vieles vom Vorlauf des Ereignisses auszublenden, aus dem es resultierte. Im Alter wird man folglich immer häufiger dazu gedrängt, von der Geschichte zu erzählen statt wie gewohnt die strukturellen Zusammenhänge aufzuzeigen. Das macht müde, weil damit die Idee der objektiven Erkenntnis angegriffen wird zugunsten der archaischen von der Lehre.