Archiv für den Monat Januar, 2017

Glass 80

Dienstag, 31. Januar 2017

Soeben direkt live auf BBC 3 at the Barbican Katia & Marielle Labèque (piano), BBC Symphony Chorus, BBC Symphony Orchestra, Marin Alsop (conductor).

Philip Glass: Itaipu.

Bei aller Hochachtung gegenüber Katia und Marielle Labèque: diese Musik könnte schlechter nicht sein (sie spielen den Graus nicht zum ersten Mal). Vielleicht ist es eine Art türkischer Confiseriemusik aus der Domäne 185.85.239.156, die wie Trump und seine Ermächtiger wie Glass nichts anderes vorhat als Destruktion.

Zusatz: Auch Schweizers Radio SRF 2 Kultur Kultur machte heute Morgen eine Art Geburtstagsfeier. Allerdings stolperte man schon über die Aussprache des Namens des missratenen Geburtstagskindes.

Boulez in Südamerika

Montag, 30. Januar 2017

Gestern Abend um 18.30 Uhr Robert Worbys Sendung „Rumble in the Jungle“ auf BBC 3 über die fetten Spuren der drei Reisen Anfang der 50er Jahre von Boulez mit der Schauspieltruppe Renaud-Barrault in Südamerika (letzte Reise 1956). Dass Boulez die ethnomusikologischen Funde in den Pariser Museen studiert hatte, war bekannt. Neu erscheint, dass er in den 40er Jahren ernsthaft vorhatte, Musikethnologe zu werden. Im Besonderen machen die gesendeten Aufnahmebeispiele klar, dass die rhythmische Anlage und die isolierten, solistischen Schlagzeugpassagen des Marteau sans Maître ohne das Studium des musikalisch rumpelnden Candomblé in Brasilien selbst undenkbar sind: man spielte eine Zeitlang Candomblémusik und blendete dann in eine Schlagzeugpassage des Marteau hinein – ein äusserst beeindruckendes Schauspiel. Das Aufsaugen des Fremden im Marteau und das avantgardistische, soll heissen voreilige Festlegen des reinen Seriellen im Livre 1a von den Structures geschehen im selben Zeitraum, 1952-1956. – Betont man im Marteau sans Maître weniger den Charakter der Katzenmusik (Ligeti) und also die feingliedrigen Höhenschichten als vielmehr das Rumpeln in den unteren Rinnen, Gräben und Tiefen, hat man plötzlich ein neues Stück vor sich, das endlich sein Geheimnis zu lüften bereit scheint.

Zusatz 1: Vielleicht liessen sich die neu enthüllten Wundersamkeiten auch mit der Frage umkehren, ob Boulez im Engagement für Wagners Ring nicht auch eine Antwort aufs Riesenwerk der Mythologica von Lévi-Strauss geben wollte, die musikalisch im ersten Band bekanntlich in einer Invektive gegen Boulez gipfeln und ihn als orientierungslos Umhertreibenden auf den Weltmeeren beschreiben. Die Realisierung des Rings mit dem kleinen Finger anstelle der diskursiven Argumentation gegen eine anmassende Behauptung? Im Übrigen wurde nie klar, wieso man den genialen Lévi-Strauss mit Ignoranz bestrafte und dem Schwafler Barthes so viel Vorzug gab. Jean Ziegler donnerte mehrmals in den 70er Jahren, man sähe an den Assistenten des Strukturalisten – ich weiss bis heute nicht, wen er namentlich im Auge hatte – wohin der Ästhetizismus der Ethnologie führe, aber man verzweifelte unmittelbar und tiefer am Irrationalismus und an der zunehmenden Bigoterie seines eigenen.

Zusatz 2: Metzger polemisierte ohne Rückhalt oder Scham gegen den grossen Bumm im Pli selon Pli als einer narzisstischen Extravaganz, auf die Boulez in Demut zu verzichten gehabt hätte. Besser scheint mir heute die Deutung der ethnomusikalischen Besonderheiten im Marteau und im Pli, zu denen der grosse Bumm gehört, als Notbremsen und systematische, bewusst eingesetzte Widerstände gegen die innere Bedrohung, mit der Serie durchzustarten. Boulez bewegte sich Anfang der 50er Jahre auf beiden Beinen vorwärts, auf dem fafnerschen der seriellen Idee und dem fasoltschen der ethnomusikologischen Erfahrungen.

Zusatz 3: Das Verhältnis zu Bartók ist weniger eines der Wertschätzung seiner Komponiertechnik als eines in Solidarität mit einem, der sowohl die Praxis der Musikethnologie wie ihre geraubten Gehalte als Werkmomente zu schätzen wusste.

Birtwistle’s The Last Supper

Samstag, 28. Januar 2017

Soeben direkt live auf BBC 3 aus Glasgow BBC Singers, BBC Scottish Symphony Orchestra with Martyn Brabbins (conductor), Roderick Williams, Daniel Norman, Susan Bickley and soloists.

Sir Harrison Birtwistle, The Last Supper (2000).

Die Musik ist eher leicht und gefällig im guten Sinn, der Gehalt der Texte zu schwer lastend. Man muss das Ganze als Farbenspiel betrachten, wie ein neuer – und besserer – Skrjabin. Am besten sind die Chöre und das streicherlose, nur vom Akkordeon unterstützte Orchester, mal wie in Lüften nah und fern umherbrausend, mal hin und her wogend. Man müsste der Musik – den Mündern – den Text austreiben. Ganz am Schluss singt der Ghost eine Zappatonfolge aus 200 Motels (dann eine Männerstimme und der Güggel). Birtwistle könnte der erste Komponist sein, der ein ernsthaftes Stück fürs Schwyzerörgeli zgrechtem zu schreiben versteht.

Schostakowitsch, 4. Symphonie

Freitag, 20. Januar 2017

Soeben live auf Ö1, Konzert vom 19. Januar 2017 in Wien mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Dirigent Cornelius Meister.

Dmitri Schostakowitsch: Symphonie Nr. 4 c-Moll op. 43.

Eine bessere Musik, als man auch schon mal gemeint hat.

Huelgas in Eton um 1500

Dienstag, 17. Januar 2017

Soeben live auf France Musique L’ensemble Huelgas chante le Livre de choeur d’Eton, concert donné le 06 octobre 2016 au Temple de Pentemont à Paris.

Wer wilde, ausbrechende alte Musik sucht, findet sie um 1500, in allen europäischen Himmelsrichtungen leicht unterschiedlich. Hier ein fantastisches Konzert englischer Musik, gesungen von BelgierInnen. Es gibt im Chorbuch von Eton Komponisten, die herausragen wie Boulez und Stockhausen in der Musik um 2000. Was macht das Besondere aus? – Man will zuhören, und dann immer weiter zuhören.

Christian Muthspiel, Cellokonzert

Sonntag, 15. Januar 2017

Soeben live auf Ö1 vom 30. Juni 2016 im Theaterhaus in Stuttgart: Stuttgarter Kammerorchester, Leitung Christian Muthspiel, Gautier Capuçon Violoncello.

Christian Muthspiel: „A Serious Game“ Konzert für Violoncello und Kammerorchester (UA).

Lauwarme Luft um Bach herum gesetzt, ziemlich überflüssig.

Yann Robin, Cellokonzert

Samstag, 14. Januar 2017

Soeben live auf France Musique concert donné le 13 octobre 2016 à l’Auditorium du Nouveau Siècle à Lille. Avec l’Orchestre National de Lille dirigé par Peter Rundel et le violoncelliste Eric-Maria Couturier.

Yann Robin, Concerto pour violoncelle et orchestre (UA).

Man braucht eine Weile, um sich hineinzuhören, weil das Stück anfänglich zwar laut, nichtsdestotrotz konservativ, ja tonal komponiert daher kommt, nicht weit entfernt vom simplen Noise Jazz. Später entfalten sich aber so viele Anreicherungen, und zwar gleichzeitig im Soloinstrument wie im pointiert akzentuierten Orchester, dass sich ein schönes, andauerndes Feuerwerk ergibt. Die singenden und die gepressten Flageolettetöne wirken peu à peu weniger als jazzige Fassade, die nichts zu enthüllen vermöchte, denn als durchdachtes virtuoses Material.

Zusatz anderntags: Da die Kompositionsweise der Dialektik von der Horizontalen und Vertikalen aus dem Weg geht, wirkt die Musik eigentümlich unverbindlich – es bleibt nicht viel im Gedächtnis haften.

ur I und ur II gratulieren ur III

Mittwoch, 11. Januar 2017

Eine der schönsten Wiederholungen: Viel Glück zum vierten Geburtstag, mit den besten Dankeswünschen an die Teams von Matthias
Zumstein und Charles Dumont am Inselspital Bern 2013!