Boulez in Südamerika
Montag, 30. Januar 2017Gestern Abend um 18.30 Uhr Robert Worbys Sendung „Rumble in the Jungle“ auf BBC 3 über die fetten Spuren der drei Reisen Anfang der 50er Jahre von Boulez mit der Schauspieltruppe Renaud-Barrault in Südamerika (letzte Reise 1956). Dass Boulez die ethnomusikologischen Funde in den Pariser Museen studiert hatte, war bekannt. Neu erscheint, dass er in den 40er Jahren ernsthaft vorhatte, Musikethnologe zu werden. Im Besonderen machen die gesendeten Aufnahmebeispiele klar, dass die rhythmische Anlage und die isolierten, solistischen Schlagzeugpassagen des Marteau sans Maître ohne das Studium des musikalisch rumpelnden Candomblé in Brasilien selbst undenkbar sind: man spielte eine Zeitlang Candomblémusik und blendete dann in eine Schlagzeugpassage des Marteau hinein – ein äusserst beeindruckendes Schauspiel. Das Aufsaugen des Fremden im Marteau und das avantgardistische, soll heissen voreilige Festlegen des reinen Seriellen im Livre 1a von den Structures geschehen im selben Zeitraum, 1952-1956. – Betont man im Marteau sans Maître weniger den Charakter der Katzenmusik (Ligeti) und also die feingliedrigen Höhenschichten als vielmehr das Rumpeln in den unteren Rinnen, Gräben und Tiefen, hat man plötzlich ein neues Stück vor sich, das endlich sein Geheimnis zu lüften bereit scheint.
Zusatz 1: Vielleicht liessen sich die neu enthüllten Wundersamkeiten auch mit der Frage umkehren, ob Boulez im Engagement für Wagners Ring nicht auch eine Antwort aufs Riesenwerk der Mythologica von Lévi-Strauss geben wollte, die musikalisch im ersten Band bekanntlich in einer Invektive gegen Boulez gipfeln und ihn als orientierungslos Umhertreibenden auf den Weltmeeren beschreiben. Die Realisierung des Rings mit dem kleinen Finger anstelle der diskursiven Argumentation gegen eine anmassende Behauptung? Im Übrigen wurde nie klar, wieso man den genialen Lévi-Strauss mit Ignoranz bestrafte und dem Schwafler Barthes so viel Vorzug gab. Jean Ziegler donnerte mehrmals in den 70er Jahren, man sähe an den Assistenten des Strukturalisten – ich weiss bis heute nicht, wen er namentlich im Auge hatte – wohin der Ästhetizismus der Ethnologie führe, aber man verzweifelte unmittelbar und tiefer am Irrationalismus und an der zunehmenden Bigoterie seines eigenen.
Zusatz 2: Metzger polemisierte ohne Rückhalt oder Scham gegen den grossen Bumm im Pli selon Pli als einer narzisstischen Extravaganz, auf die Boulez in Demut zu verzichten gehabt hätte. Besser scheint mir heute die Deutung der ethnomusikalischen Besonderheiten im Marteau und im Pli, zu denen der grosse Bumm gehört, als Notbremsen und systematische, bewusst eingesetzte Widerstände gegen die innere Bedrohung, mit der Serie durchzustarten. Boulez bewegte sich Anfang der 50er Jahre auf beiden Beinen vorwärts, auf dem fafnerschen der seriellen Idee und dem fasoltschen der ethnomusikologischen Erfahrungen.
Zusatz 3: Das Verhältnis zu Bartók ist weniger eines der Wertschätzung seiner Komponiertechnik als eines in Solidarität mit einem, der sowohl die Praxis der Musikethnologie wie ihre geraubten Gehalte als Werkmomente zu schätzen wusste.