Archiv für den Monat Oktober, 2016

Carter, Bedrossian, Haas

Sonntag, 16. Oktober 2016

Soeben direkt live auf SWR 2 das SWR Symphonieorchester, Personal aus dem IRCAM, Mike Svoboda (Posaune), Leitung Alejo Pérez: Schlusskonzert der Donaueschinger Musiktage 2016.

Elliott Carter, „A Symphony of Three Orchestras“. – Eh man sich’s versieht, ist er da, Sankt Peter: in der Widmung des Stücks an Pierre Boulez. Kaum dass man es selber merkt, setzt man sich gerade auf den Stuhl und folgt dem Stück in bewegungsloser Konzentration.

Franck Bedrossian, Twist für Orchester und Elektronik (UA). – „Das Stück springt einen an“, sagt der Moderator. Ich war also gewarnt … und trotzdem fast vom Stuhl gefallen. Pufff, ein doppelter Kinnhaken der Start! Wie die Mothers of Invention in ihren frühen Tagen. Wäre Gail Zappa noch da, sie klagte aus Gründen eines Plagiatsverdachts. Frank aber hätte seine Freude an Franck gehabt: endlich ein gelehriger Schüler und erst noch aus Frankreich. (Sorry für die Kalauerei.)

Georg Friedrich Haas, Konzert für Posaune und Orchester (UA). – Was bei Ablinger heute Mittag die Schlager waren, ist bei Haas abends der Strauss, von der Alpensymphonie am Anfang des Stücks bis zum Zarathustra am Schluss. Ich bin sicher, dass der Witzbold Sir Robert Scruton an dieser Ästhetik seine Freude fände (aber dieser philosophische Musikkomiker scheint um die Musik selbst einen grossen Bogen zu machen).

Maria de Alvear

Sonntag, 16. Oktober 2016

Soeben auf SWR 2 eine 90-minütige Sendung über die spanisch-deutsche Komponistin Maria de Alvear.

Eine Komponistin, die in diesem Jahr in Donaueschingen nicht vertreten ist, der aber einige aus dem Jahrgang 2016 kaum das Wasser reichen können.

Hoban, Ablinger, Alessandrini, Smolka

Sonntag, 16. Oktober 2016

Soeben direkt live auf SWR 2 das ensemble recherche plus Beate Anton, Gunnhildur Einarsdóttir, Gabriela Mossyrsch und Julia Weissbarth (alle vier: Harfe).

Wieland Hoban, Uròabrunnr, für 4 Harfen und Ensemble (UA). – Drei Nornen brünzeln zu viert an die Donauesche. Kindergartenkinder würden davoneilen, im vermeintlich „gut informierten Avantgarde-Publikum“ (Roger Scruton) wird ganz ohne Beimischung von Buhrufen applaudiert.

Peter Ablinger, Die schönsten Schlager der 60er- und 70er-Jahre für Ensemble (UA). – In sechs Teilen sollen sechs Schlager auf der Giftmülldeponie entsorgt werden. Das ist ein interessanter Gag, der einen zum aktiven Hören ermuntert. Losgelöst von der Rätselfrage wird diese Musik aber nicht überleben. Das spricht indes nicht gegen das Stück als Kunstwerk – ich würde es in nächster Zukunft gerne nochmals hören. Dass ich beim Zuhören aber ungefragt auch Schlagermusik aufnehmen muss, verletzt meine ästhetische Befindlichkeit.

Patricia Alessandrini, Leçons de ténèbres für Ensemble und Elektronik (UA). – Die drei Nornen haben sich auf wundersame Weise vermehrt und wimmern um die Wette. Das aufwendige Kompositions- und Aufführungsverfahren ist vielversprechend. Der Gehalt der Vorlage kommt aber mit den Problemen der heutigen Zeit in die Quere. Lasst den Kirchenglauben ruhen. Fürs nächste Stück möchte ich als Thema vorschlagen: It’s so fucking great to be alive.

Martin Smolka: a yell with misprints – two movements für Ensemble (UA). – Back in the kindergarten. Immerhin war am Schluss ein Buhruf zu vernehmen: gratuliere!!!

Die frivolen Leute tun gut daran, sich darüber klar zu werden, dass der Geist von Saint Pierre nur wenige Flügelschläge von Baden Baden her machen muss, um sie heimzusuchen.

Davis, Wohl, Eötvös

Samstag, 15. Oktober 2016

Soeben direkt live auf SWR 2 von den Donaueschinger Musiktagen 2016 das Calder Quartet, die geniale Sopranistin Audrey Luna und Personal aus dem IRCAM (nur sehr zurückhaltend in der Musik von Eötvös).

Nathan Davis, Echeia für Streichquartett und Elektronik (UA). – Die Idee wäre interessant, die in der römischen Antike bei Theaterbauten praktizierte Stimmverstärkung durch architektonische Zusätze heute durch besondere elektronische „Verstärkung“ zu realisieren. In dem Stück von Davis wird der elektronische Zusatz aber zum Zentralen und also zu einem blöden, letztlich unmusikalischen Spielzeug.

Daniel Wohl, radiance für Streichquartett und Elektronik (UA). – Ja, da glänzt Amerika in einer Lawine elektronischer Flageoletts wie eine Überdosis Schlagrahm auf dem Tisch. Ich ziehe dieser Musik diejenige von Steve Vai vor; auch sie ist fragwürdig, aber der Typ ist mit ihr auf eine Weise sozialpädagogisch aktiv, die Applaus verdient (und bei Zappa war er ja wirklich eine Bombe).

Peter Eötvös, The SIRENS CYCLE für Streichquartett, Koloratursopran und Elektronik. – Waren die ersten beiden Stücke der Amerikaner zusammen kaum eine halbe Stunde lang, dauert Sirens Cycle ca. 45 Minuten. Der Hauptteil der Zeit gehört dem ersten Teil mit einer halben Stunde. Er wiederholt Berios geniale Vertonung der Sirenenpassage im Ulysses von „Bronze by gold heard the hoofirons…“ mit einzelnen Auslassungen bis zum Absatzende „Done. Begin!“ (Berio endete bei Liszt’s rhapsodies in der Mitte, benutzte aber durchgehend alle Worte.) Leider habe ich keine Anspielungen auf Omaggio a Joyce ausmachen können, als ob Eötvös sich zu einer Auseinandersetzung nicht getraute. Und in der Tat scheint es mir eindeutig, dass seine Musik hinter die von Berio zurückfällt! Sie hat etwas Biederes, im schlechten Sinne Scheues. Omaggio a Joyce von 1958 hörte ich sicher dreissig Male, dem Sirens Cycle werde ich kaum je wieder begegnen. Der zweite Teil zitiert das Sirenenkapitel aus Homers Original, allerdings nur kurz. Das Altgriechische nervt, als ob Eötvös Bildungshuberei nötig hätte (hat er indes überhaupt nicht). Eine deutsche oder englische Übersetzung wäre okay, einfach als Stütze fürs Publikum (der Satz müsste dann wohl länger sein). Musikalisch bietet der Mittelteil nichts Erwähnenswertes, ausser eben dem Umstand, dass einem der Klang des Altgriechischen in einer Welt, die fürs heutige Griechenland zittert, unangebracht vorkommt. Der dritte Teil referiert die Variante von Kafka, die einen schon während des Hörens zum Nachdenken über Kunst und ihre verfehlte Rezeption bringt. Referieren ist hier natürlich ein monströses Wort, denn der Gesang ist es, der das Stück trägt: auch wenn die Streichquartettkomposition lahmt, folgt man der Stimme mit offenem Kiefer und starren Blickes. Wer ist da der Zuhörer? Uli isses.

Morthenson, Dillon, Jaggi, Schedl

Samstag, 15. Oktober 2016

Gestern Abend direkt live auf SWR 2 Eröffnungskonzert der Donaueschinger Musiktage 2016, mit dem Arditti Quartet, dem SWR Experimentalstudio, Moritz Eggert als Schreistimme und dem SWR Symphonieorchester mit dem Dirigenten Pierre-André Valade.

Jan W. Morthenson, Omega für Orchester (UA). – Leicht alt aussehend gleich am Anfang.

James Dillon, The Gates für Streichquartett und Orchester (UA). – Eines dieser englischen Stücke, wo man ständig an Alice denkt.

Martin Jaggi, Caral für Orchester (UA). – Ein Teilstück aus einem grösseren Zyklus. Die Spur des Komponisten führt in zeitlich wie örtlich weit entfernte Gegenden, deren Sedimente der aktuellen Musik amalgamiert werden. Neben die Momente von grosser Spannung, Dichte und Farbigkeit gesellen sich zuweilen auch solche des Kitsches. Die ästhetische Richtung ist interessant, die Lösungen in wenigen Teilen fragwürdig.

Klaus Schedl, Blutrausch für Stimme, Orchester und Elektronik (UA). – Gegenaufklärung, wie sie Deutschland liebt, eine Art Salonrammstein im Stimmungsgeraune von Sloterdijk. Da Schedl im Fach Komposition versagt, setzt er Kniffe der Schlagerwelt ein, um tiefe Gefühle auszulösen. Immerhin konnte sich nach dem Scheiss eine Buhstimme Gehör verschaffen.

Aktuelle Kunst in Basel

Sonntag, 9. Oktober 2016

Gestern Abend Besuch der Vernissage von Balz Raz in der Galerie Hammer an der Hammerstrasse 86 in Basel. Von auswärts kommend nimmt man den Bus 30 Richtung Badischer Bahnhof (nach dem Ausgang Bahnhof SBB schräg links auf der anderen Strassenseite) bis Haltestelle Hammerstrasse. Man geniesst im berühmten Chläybaasel Klein Istanbul und bemerkt auf der Höhe des Claraparks eine frisch herausgeputzte helle Galerie. Auf zwei Stockwerken gibt es 35 Werke zu bewundern und zu kaufen, im Preis von 300 bis 6000 Franken.

Die Bilder und Objekte von Balz Raz sind entschieden besser und wirkungsvoller im Original aufgehängt und aufgestellt als auf den Fotografien.