Davis, Wohl, Eötvös

Soeben direkt live auf SWR 2 von den Donaueschinger Musiktagen 2016 das Calder Quartet, die geniale Sopranistin Audrey Luna und Personal aus dem IRCAM (nur sehr zurückhaltend in der Musik von Eötvös).

Nathan Davis, Echeia für Streichquartett und Elektronik (UA). – Die Idee wäre interessant, die in der römischen Antike bei Theaterbauten praktizierte Stimmverstärkung durch architektonische Zusätze heute durch besondere elektronische „Verstärkung“ zu realisieren. In dem Stück von Davis wird der elektronische Zusatz aber zum Zentralen und also zu einem blöden, letztlich unmusikalischen Spielzeug.

Daniel Wohl, radiance für Streichquartett und Elektronik (UA). – Ja, da glänzt Amerika in einer Lawine elektronischer Flageoletts wie eine Überdosis Schlagrahm auf dem Tisch. Ich ziehe dieser Musik diejenige von Steve Vai vor; auch sie ist fragwürdig, aber der Typ ist mit ihr auf eine Weise sozialpädagogisch aktiv, die Applaus verdient (und bei Zappa war er ja wirklich eine Bombe).

Peter Eötvös, The SIRENS CYCLE für Streichquartett, Koloratursopran und Elektronik. – Waren die ersten beiden Stücke der Amerikaner zusammen kaum eine halbe Stunde lang, dauert Sirens Cycle ca. 45 Minuten. Der Hauptteil der Zeit gehört dem ersten Teil mit einer halben Stunde. Er wiederholt Berios geniale Vertonung der Sirenenpassage im Ulysses von „Bronze by gold heard the hoofirons…“ mit einzelnen Auslassungen bis zum Absatzende „Done. Begin!“ (Berio endete bei Liszt’s rhapsodies in der Mitte, benutzte aber durchgehend alle Worte.) Leider habe ich keine Anspielungen auf Omaggio a Joyce ausmachen können, als ob Eötvös sich zu einer Auseinandersetzung nicht getraute. Und in der Tat scheint es mir eindeutig, dass seine Musik hinter die von Berio zurückfällt! Sie hat etwas Biederes, im schlechten Sinne Scheues. Omaggio a Joyce von 1958 hörte ich sicher dreissig Male, dem Sirens Cycle werde ich kaum je wieder begegnen. Der zweite Teil zitiert das Sirenenkapitel aus Homers Original, allerdings nur kurz. Das Altgriechische nervt, als ob Eötvös Bildungshuberei nötig hätte (hat er indes überhaupt nicht). Eine deutsche oder englische Übersetzung wäre okay, einfach als Stütze fürs Publikum (der Satz müsste dann wohl länger sein). Musikalisch bietet der Mittelteil nichts Erwähnenswertes, ausser eben dem Umstand, dass einem der Klang des Altgriechischen in einer Welt, die fürs heutige Griechenland zittert, unangebracht vorkommt. Der dritte Teil referiert die Variante von Kafka, die einen schon während des Hörens zum Nachdenken über Kunst und ihre verfehlte Rezeption bringt. Referieren ist hier natürlich ein monströses Wort, denn der Gesang ist es, der das Stück trägt: auch wenn die Streichquartettkomposition lahmt, folgt man der Stimme mit offenem Kiefer und starren Blickes. Wer ist da der Zuhörer? Uli isses.

Samstag, 15. Oktober 2016 um 3:50 pm Themenbereich: Musik                 RSS 2.0 Both comments and pings are currently closed.

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