Archiv für den Monat Februar, 2016

Festival Présences 2016 „Oggi l’Italia“ 9 et 10 fév. 2016

Montag, 29. Februar 2016

Soeben live auf France Musique deux concerts du 9 et du 10 février 2016 à Paris par l’Ensemble Multilatéral, direction de Léo Warynski et par l’Ensemble 2e2m, Pierre Roullier, direction.

Francesco Filidei (né en 1973), Finito ogni gesto (2008). – Eine oft stille und rhythmusfreie Poesie mit zunehmender Komplexität. Allerdings fehlen weder die Esoterik (Rätschen) noch das Plakative (Pistolenschüsse).

Marco Momi (né en 1978), Almost Requiem pour soprano et ensemble (2013). – Eruptive Musterereignisse wie auf einem Rösslispiel mit starken mikrotonalen Einschlüssen. Die Sopranistin wird mit Anweisungen zum falschen Singen gequält.

Stefano Bulfon (né en 1975), Fogli d’Iride pour flûte solo et ensemble. – Klingt nach copy ’n‘ paste mit hektischen Motiven. Da eine harmonische Konzeption fehlt, hat die Kohärenz keine Richtung; in der Musik ohne Zeit schwimmen die Motive davon. Der Aufregung mangelt es an Spannung.

Edith Canat de Chizy (née en 1950), Visio pour six voix, ensemble instrumental et électronique. – Ekstatisch-harmonische Esoterik. Aufgewärmte Hildegard.

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Clara Iannotta (née en 1983), Troglodyte Angels Clank By pour ensemble amplifié. – Virtuos hergestellte Beklemmung, eine Höhlenbewohnermusik, die nicht meinem entdeckerischen Lebensgefühl entspricht.

Francesco Filidei (né en 1973), Canzone pour harmonica et ensemble. – Rudimentäre Kunst, mit seinen üblichen Fastnachtsrätschen.

Aureliano Cattaneo (né en 1974), Trazos pour soprano et ensemble, Petra Hoffmann, soprano. – Bestes Stück der zwei Konzerte: intelligent komponierte Farbigkeit, in der die verschiedenen Instrumente aufeinander hören.

Francesca Verunelli (née en 1979), Déshabillage impossible pour ensemble. – …und wieder einmal die Form des Kehrreims… trotzdem hübsch.

Homayoun Sakhi, Rubab

Sonntag, 28. Februar 2016

Soeben live auf France Musique vom 13. Februar in Paris: Homayoun Sakhi, Rubab.

Bemerkenswertes, grandioses Konzert afghanischer Musik, das ihre Zwischenstellung zwischen dem nordischen Raga und dem persichen Maqam auf beeindruckende Weise auf die Bühne brachte. Wann hat man schon einen vierzigminütigen Alap in einem afghanischen Kontert gehört?! Und mit dieser Spannung und Intensität! Ebenso war das vierte Stück, der Raga Pilu, wie aus dem Osten sehr farbig und wankelmütig, nicht so dürr, wie man es in Afghanistan erwarten würde. Die anderen vier waren brave Stücke wie aus Persien: Paschtunische Liedli.

Friedrich Cerha 90

Donnerstag, 18. Februar 2016

Gestern Abend auf Ö1 Langegger Nachtmusiken 1 und 3 von Friedrich Cerha und dann auf SRF2 eine Sendung über den Jubilar mit Müsterlis (das Senden von Musikwerken hat der schwerfällige Schweizer „Sender“ bekanntlich seit langem schon eingestellt, aber die Statements des alten Komponisten wirkten um so frischer und sehr anregend).

Ständig daran gedacht, wie die momentan gefeierten Italiener in Paris davon profitieren könnten, wenn sie bei diesem scheinbar Alten noch ein paar Stunden in die Schule gingen. Im langen Musikerleben mit politisch wachem Geist hat er sowohl komplexe Werkzyklen und -gruppen geschaffen wie auch in vereinzelten spielerischen Stiladaptionen gezeigt, dass man im Einsatz von Witz und Ironie keineswegs die kompositorische Vebindlichkeit, also das künstlerische Können auf der Höhe der Zeit, über den Haufen werfen muss.

Stroppa, Francesconi, Filidei, Lanzza

Montag, 15. Februar 2016

Soeben live auf France Musique concert enregistré le samedi 6 février au studio 104 de la Maison de la Radio dans le cadre du festival Présences 2016. Christophe Desjardins, alto, Les Cris de Paris, Geoffroy Jourdain, direction, Manuele Poletti, réalisation information musicale IRCAM.

Marco Stroppa, Perché non riusciamo a vederla. // Luca Francesconi -Let me bleed. // Francesco Filidei, Dormo molto amore (CM de la version pour choeur de chambre). // Mauro Lanzza, Ludus de Morte Regis.

Fröhliche schöne Unterhaltungsmusik, von jedem Dorfchor darzubieten, ausser dem letzten Stück, das infantil ist und grosse Elektronik benötigt, und dem ersten, das eine virtuose Viola verlangt.

David Lagos: Made in Jerez

Sonntag, 14. Februar 2016

Soeben live auf France Musique Concert de David Lagos: Made in Jerez, enregistré le 20 janvier 2016 au Festival Flamenco de Nîmes.

Avec David Lagos, Melchora Ortega et El Londro (chant), Mercedes Ruiz et Diego de la Margara (danse), Santiago Lara et Alfredo Lagos (guitare), Pedro Navarro (palmas et percussion).

Umwerfend!

Cresta, Fedele, Rivas

Samstag, 13. Februar 2016

Gestern Abend direkt live auf France Musique Nicolas Vaude, récitant, Mario Caroli, flûte, Orchestre Philharmonique de Radio France, Pascal Rophé, direction (édition italienne du festival Présences 2016).

Gianvincenzo Cresta (1968), Hinneni – Alle madri rifugiate* (CRF – CM). – Ohne den Rezitator wäre es ein sehr ansprechendes Stück. Cresta sollte nicht immer so Angst haben vor der Abstraktion. Brecht war.

Ivan Fedele (1953), Ruah (CF). – Ein Flötenkonzert mit aktuellen Mitteln, in einer zuweilen retardierenden Ästhetik.

Sebastian Rivas (1975), Esodo Infinito (la scomparsa delle lucciole) (CM – CRF). – Es tut gut, wenn das Politische wieder in der Musik stärker spürbar wird. Das Stück bezieht sich gleichermassen auf La mer von Debussy wie auf das Mittelmehr heute, das für viele zum Grab wird. Aber auf welche Weise „tut es gut“? Man könnte heulen in der Konfrontation mit der schönen Stärke, dem schönen Schein dieser Musik. The present day composer refuses to die.

Ivan Fedele, Lexikon II (CM – CRF / Orchestre Philharmonique de Séoul). – Wie im Flötenkonzert kann man auch hier unverhofft mit gewöhnlichen Kadenzen konfrontiert werden. Stösst man sich nicht an den eingestreuten, hier ausnahmsweise nicht dominanten Traditionalismen, ist das Stück wie das von Rivas äusserst packend. Mit Abstand die beste Musik von Fedele, die ich bis jetzt zu hören bekam. Incipit musica.

Lachenmann, Kyburz, Murail, Francesconi

Mittwoch, 10. Februar 2016

Soeben live auf WDR 3 GrauSchumacher Piano Duo, WDR Sinfonieorchester Köln, Leitung Peter Rundel, Aufnahme vom Festival „Musica“, Strasbourg, 3. Oktober 2015

Helmut Lachenmann, Tableau für Orchester. – Noch nicht ganz auf der Höhe wie die späteren Werke Lachenmanns, etwas löchrig.

Hanspeter Kyburz, ptyx für 2 Klaviere, Uraufführung. – Eine zurückhaltende Poesie mit schönen Farben, mit solchen des Wohlstands.

Tristan Murail, Reflections/Reflets für Orchester. – Gefährlich nah an der Kitschzone.

Luca Francesconi, Macchine in Echo, Concerto für 2 Klaviere und Orchester, französische Erstaufführung. – Im langen Anfang umwerfend, dann abflachend.

Dann noch die Lyrische Suite von Berg mit dem Artemis Quartett – das beste Stück des Abends.

Cattaneo, Francesconi, Movio, Romitelli, Grisey

Montag, 8. Februar 2016

Soeben direkt live auf France Musique Konzert im Studio 105 mit dem Ensemble MDI aus Milano.

Aureliano Cattaneo, Insieme. – Eine spannende, farbige und lebendige Musik, mit etwas Ängstlichkeit beim Schliessen. Der Schluss selbst ist okay, man erwartet ihn aber früher.

Luca Francesconi, Charlie Chan for viola. – Trotz der Winzigkeit an Berios Folk Songs erinnernd.

Simone Movio, Logos II. – Schön auskomponierte Dreckigkeit in einem leicht vornehmen, sonntäglichen Ton. Eine vorlachenmannsche Musik.

Luca Francesconi, Animus II. – Ein bescheidenes, improvisiert wirkendes Bratschensolo vor Science Fiction Klängen aus einer alten Fernsehserie. Cheapness.

Fausto Romitelli, Domeniche alla periferia dell’Impero (Hommage à Gérard Grisey). – Zwei repetitive, prozesslose Zustandsstücke, als Interludien reizvoll.

Gérard Grisey, Vortex Temporum I, II, III. – Zuerst etwas müd und wie schnell gealtet, dann aber immer faszinierender, weil doch einigermassen gut komponiert.

Entengeschnatter

Samstag, 6. Februar 2016

Gestern Abend live auf France Musique l’Orchestre philharmonique de Radio France et Mikko Franck, en direct de l’Auditorium de la Maison de la radio mit Werken von Fausto Romitelli, Thierry Pécou, Luca Francesconi et Henri Dutilleux.

Nach dem Romitelli und während des Stücks von Pécou wurde klar, dass ich über dieses Konzert keine Notiz schreiben werde. Ich ertrug das zwanzigminütige, überaus nervöse „Pausengespräch“, freute mich an der Musik von Francesconi im Werk „Bread, Water and Salt“ und schlief dann ein. Hier verfiel ich in einen langen Traum, in dem ich mich übers radikal tonale Komponieren von Dutilleux wunderte, der gemäss Programm auf den Francesconi folgen sollte – im Traum war ich am selben Ort, also auf dem Sofa, mit derselben Musik auf den Kopfhörern. Als ich mich über die Musik wunderte, kam zuerst eine einzelne Ente zu mir ans Sofa, dann auch mehrere weitere. Zumindest die erste, ziemlich grosse, in der Grösse einer Gans, zupfte an meinen Kleidungsstücken, kam sogar hoch aufs Sofa, zupfte weiter, so nahe, dass ich ihren weichen, angenehmen und mädchenhaften Körper spürte, wurde aber aufdringlicher und biss regelrecht in den rechten Oberarm. Da auch andere Enten nun auf mir waren und sie allesamt an mir zupften, fand ich es an der Zeit, aufzuwachen. Obwohl kein Alkohol im Spiel war, torkelte ich über den Bachtiar zum Tisch. Was für ein Erstaunen, dieselbe tonale Musik auch im wachen Zustand zu hören! Aber es war nicht Dutilleux, sondern Debussys La mer, und es folgte alsogleich die Radioabsage. Zum Teufel, die Aufregung gegenüber Dutilleux beruhte auf einem Missverständnis! Sofort befragte ich mich über die Abneigung gegenüber diesem Komponisten: wer ihn mit Debussy verwechselt, hat kein Recht, ihn abzulehnen. Da es sich bei La mer um eines der zwei „pièces diffusées entre les oeuvres du concert, pendant les déplacements de l’orchestre“ handelte, wurde das Stück von Dutilleux erst jetzt ausgestrahlt. Siehe da! Ich empfand diese Musik auch im selbstkritischen Zustand als lärmig – und insbesondere als ohne Konzept, das man während des Hörens aufdröseln könnte. Dieser negative Blick auf die Ästhetik hat auch dann Bestand, wenn man die kompositorische Versiertheit im Kleinen, also das kompositorische Handwerk, anerkennt. Dutilleux ist ähnlich wie Richard Strauss begabt in Hülle und Fülle und scheitert wie dieser an der Unterlassungssünde, die Ästhetik im Hinblick auf Gesellschaft und Geschichte für das eigene Schaffen zu deuten und auszuformulieren. Beide ignorieren die Umwelt, in die sie zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Räumen hineingeboren waren.

Und doch war die gestrige Aggression gegen Dutilleux nicht allein aus seiner Musik erwachsen, sondern ein Effekt der Pausengestaltung der Radioredaktion von France Musique. Man hat hier immer noch nicht kapiert, dass der Kult des Persönlichen, wie er parallel zum Neoliberalismus sich entfaltete, an seriösen Plätzen längst zu Grabe getragen worden ist. Hört man direkte Livekonzerte auf einem deutschen Sender, werden in der Pause Gespräche übertragen, die in der Probenarbeit vorher aufgenommen worden waren und im Detail also noch korrigiert werden konnten. Nicht so in Paris. Hier wird die Pause von einer äusserst gespannten Nervosität beherrscht, die alle Teilnehmenden zu Trotteln verkümmern lässt und dem Publikum regelmässig einen zwanzigminütigen Frust verpasst. Denn die geforderte Spontaneität im Gespräch heisst nichts anderes als Verleugnung jeder intellektuellen Vorbereitung und Perspektive wie die Betonung des Persönlichen Verleugnung jedes Abstrahierungsvermögens; beides zusammen läuft auf einen dummen Konkretismus hinaus, der zwischen dem empirisch Einzelnen und dem gesellschaftlich Diskutierbaren nicht mehr unterscheidet. So gingen denn die Statements von Luca Francesconi im eigenen Entengeschnatter unter, weil er es im Lampenfieber wohl einfach nicht ertragen konnte, vor der Aufführung seines grossen Werkes, das eben erst nach der Pause auf dem Programm stand, Vernünftiges zur Sprache bringen zu müssen (wem wäre das zu verargen?). Die Charakterisierung der eigenen Musik mündete in kompletter Sinnlosigkeit, zu der er sich in einem normalen, vernünftigen Gedankenaustausch wohl kaum hinreissen lässt. Es muss klar sein heutzutage, dass man es mit zwei Begriffen der seriellen Musik zu tun hat, der reinen Technik, die nicht einmal ein Jahr lang die historische Diskussion beherrschte, und der Idee der seriellen Musik. So ist es langweilig, wenn das einer wie Francesconi ignoriert und freimütig daherplappert, er müsse in seinem Komponieren wie jeder heute sich gegen die Vorherrschaft der seriellen Musik stellen. Er muss es nämlich deswegen genauso sehr wie jeder andere komponierende Mensch, weil die serielle Musik einer Epoche angehört, von der es noch nicht entschieden ist, ob sie füglich schon an ihr Ende gekommen ist. Dass man als progressiver Künstler gegen sie anschreibt und sich selbst schon im Neuen wähnt, ist trivial (und setzt einen wohltuend von Dutilleux ab). Zu benennen in einem Gespräch wäre das Neue aber begrifflich, wenn man sich auf es berufen will. Gelungen ist dies aber bis heute in der Musik noch niemandem. Boulez bleibt.