Archiv für den Monat Juli, 2009

ur I gratuliert ur II

Freitag, 17. Juli 2009

Viel Glück zum siebten Geburtstag, und immer wieder die grössten Dankeswünsche an Ralph Hertel und sein Team mit Uli Seidl am Inselspital Bern 2002.

Schwieriges Einschlafen

Donnerstag, 16. Juli 2009

Vor sieben Jahren mulmigste Gefühlszustände beim Zubettegehen.

Handschlag mit den ganz Anderen

Mittwoch, 15. Juli 2009

(Traum vorgestern abends um 22 Uhr kurz nach dem Einschlafen, den ich bis gestern Abend nicht aufschreiben und bis heute um 4 Uhr der Scribble’s Disco nicht hinzufügen wollte, weil mich dünkt, er zeige ein erstes Anzeichen von Schizophrenie. Da sich gestern aber eine medizinische Besonderheit zum Guten wendete, soll er als weiteres gewöhnliches Beispiel für die Konfusion der Traumtätigkeit dastehen, ohne jede Bedeutung: als ich gestern um 15 Uhr in Les Haudères das Sonnenkäppi vom Kopf nahm und die Frisur zurechtmachen wollte, den zweiwöchigen Zehnmilimeterschnitt, erspürte ich Mitte links auf der Schädeldecke eine daumenspitzgrosse Beule, an einem Ort, den ich seit 2003 ab und zu als Zentrum einer gewissen Oberflächenspannung empfinde. Beim Einschlafen war sie noch da, ebenso beim ersten Erwachen um 1 Uhr. Da sie um 4 Uhr indes zu 90% abgeflaut erscheint, deute ich sie als unbedeutende Störung, entstanden durch den Druck des Käppis, das wegen des Windes straffer gebunden war als gewöhnlich.)

In einem Raum etwa zehn Meter von mir entfernt sehe ich durch die offene Tür, wie ein Mensch einem anderen droht und eigentlich schon daran ist, ihn zu schlagen oder gar zu erschlagen. Ich nehme etwas wie einen Stein in die rechte Hand und ziehe sie rückwärts über die Schulter, um gleichfalls dem Drohenden zu drohen, im Bewusstsein, dass ich den Stein mangels Kraft gar nicht werfen werden kann. Die zwei Personen, etwa gleich alte wie ich oder geringfügig älter, verziehen sich noch weiter in den Hintergrund. Vor der offenen Türe sind nun mehrere andere Personen, eindeutig keine Europäer, eher Asiaten, wenn auch selbst dieses nicht eindeutig. Sie haben den Vorfall und insbesondere meinen Eingriff beobachtet, und es entsteht nun so etwas wie ein Verhör, wenn zunächst auch völlig ohne offiziellen Charakter. Man spricht eher freundlich mit mir, macht mir aber doch klar, dass mein Eingriff völlig inakzeptabel sei. Es könne doch einer aus Distanz gar nicht beurteilen, ob da jemand einen anderen bedroht hat oder umgekehrt ihm gerade Gutes hat tun wollen – das nota bene ich nun eben verhindert hätte. Wenn ich meinen Fehler einsehen würde, lasse das Ganze sich aber verzeihen und quasi ungeschehen machen. Es würde niemand mir grollen oder weiterhin Konsequenzen fordern. Der Sprechende erschien mir immer weniger als Mensch denn regelrecht als Ausserirdischer, wie wenn er zwar in einer Menschengestalt stecken würde, das Äussere aber doch mit Kandinskys oder Marcs Ölfarbe hätte übermalt werden müssen, um halbwegs menschlich zu erscheinen. Mit einem Handschlag wird der Friedensschluss besiegelt. Ich merke, wie mit einer Nadel etwas aus seiner Hand in meine einfliesst, merke wie ich zu sterben beginne und immer mehr wie in einer Waschmaschine gedreht und gewendet werde. Ich akzeptiere die Tötung, fühle mich aber erschlagen beim Gedanken, dass ich durch diesen speziellen Tod unwiderruflich in ein neues Leben hinein geboren werde, aufwachend als willenlose Maschine unter dem Diktat jener Ausserirdischen.

Recht auf Einsicht – in die Natur

Dienstag, 7. Juli 2009

Derrida hat die Natur nie zum Thema gemacht, weil sie für ihn immer schon nur Sexualität war, die bekanntermassen auf dem Land gleichwie in der Stadt ihr Wesen treibt. Das Auslassen der äusseren Natur macht es einer Theorie aber unmöglich, zur Gesellschaft füglich Stellung zu nehmen und in ihr anzukommen.

Trotzdem hat mich der Buchtitel Recht auf Einsicht immer gefesselt, nicht zuletzt deswegen, weil er das Mühselige in der Domäne der Disziplinen ins Angenehme wendet, und er kommt mir auch in Situationen in den Sinn, wo nicht von Philosophie die Rede ist. Obwohl ich niemals vorhatte, Vögeln auch nach dem Winter Futter anzubieten, zwingt mich eine Meisenfamilie, für sie wenigstens abends ein paar Pinienkerne aufs Fenstersims zu legen. Ich möchte den Zwang, mit dem die Vögel das erreichen, nicht in aller Breite schildern – aber es sind mitunter einige Schisse, die von Oberflächen in der Küche, die sommers offene Fensterflügel darbietet, weggewischt werden müssen; es braucht nicht mehr viel, und sie würden aus der Hand fressen. Beim Nachsinnen darüber ist mir aufgefallen, dass es doch viele Menschen auf dem Land geben muss, HirtInnen zuvorderst wie auch Gewöhnliche, die an Stellen & Plätzen wiederkehren, wo es die grossen wilden Tiere tun. Was muss es für ein tief wirkendes Erlebnis sein, wenn ein Tier nach langen zögerlichen Wiederholungen des nur beinahe Beieinanderseins sich endlich dazu „entschliesst“, bei dieser Person in ungeahnter Nähe eine gewisse Zeitlang still zu sitzen? Keine Vermittlung geschieht, kein Austausch und kein Sprechen. Und dennoch ist es für den Menschen, dem das geschieht, die höchste Einsichtnahme in die Natur, die uns möglich scheint, das Weiteste, das wir existentiell zu denken vermögen. Nicht im geringsten entsteht daraus Erkenntnis oder Wissen, und dennoch wird ein Erlebnis erfahren, das uns ein Recht auf Einsicht kenntlich macht.

Die lange Zeit der Frühpubertät ritt ich auf einem Tiger durch die wilden Wälder, zusammen mit der schönsten Kindfrau Indiens. Die einzige Variation bestand in der Frage, ob sie auf einem eigenen Tiger reitet, ob die Tiere wechselweise als Männchen und Weibchen uns tragen und was passiert, wenn sie Junge haben. Der Antrieb jener unendlichen Geschichten bestand einzig in der Unmöglichkeit, mich entschliessen zu können, was als erstes geregelt sein müsse, die Beziehung zur Natur – zum Tier – oder zum Menschen, zum Mädchen. Obwohl die Phantasie nur spielt und keine Rechte erteilt, tönt sie an, wo sie zu suchen wären. Von den aufscheinenden Plätzen wäre die Sexualität nur ein Teil.

Leerlauftraum

Montag, 6. Juli 2009

Sehr langer Traum am Ende einer Wanderung, ohne Fotoapparat, aber mit Rennen: es passieren zwar die üblichen Ereignisse, aus denen Alpträume oder sonstwie bedeutungsschwangere Traumverläufe entstehen können – hier geschieht nichts Dramatisches, als ob das Traumgehirn völlig passiv geworden wäre. Ich komme einen Berg herunter und gerate in einen grossen Tannenwald, durchsetzt mit hohen Laubbäumen, wo man nicht das Mittelwallis, sondern die Waadt, Fribourg oder das Chablais erwarten möchte. Der Weg ist breit aber nass und glitschig; einmal sind Stimmen zu hören, von Personen, die auf Nebenwegen bleiben, ungesehen. Dann ein Ereignis, aus dem sich gewöhnlicherweise eine dramatische Wende ergibt: ein grosser Bus fährt durch den Wald herauf, dem auszuweichen schwierig scheint. Er passiert mich aber dann doch so, dass nichts geschieht. Weiter unten kommen ein paar Leute entgegen, die gerade einem Auto entstiegen waren, gerade wie solche, die unweit aufs Land hinaus fahren, um spazieren zu gehen. Obwohl es Sommer ist, wird es sofort Nacht, so dass ich geringfügig in der Orientierung Unsicherheit verspüre und die Leute nach dem Weg frage – eher so, dass es sich um einen freundlich erweiterten Gruss handelt als um eine ernsthafte Frage. Es ist ein typisches Walliser Rentnerpaar, das möglicherweise eine Kurve weiter zwei schwarze Kühlein auf einer Lichtung besuchen geht. Sie murmeln noch etwas von Hunden, und ich sehe mich schon auf der offenen, waldfreien Talebene der heutzutage eher seltenen staubigen Strasse entlang rennen (was ich schon lange nicht mehr kann), in zunehmend schwarzer Nacht, zunächst mit einem kleinen Hund, der um die Beine stiebt, dann zusätzlich mit einem grossen Wolfshund. Ich empfinde keine Angst und beobachte beim Rennen, wie die beiden Hunde sich aufführen, als ob sie (zu) mir gehörten: die Blicke sind nur kurz auf mich gerichtet, als ob sie mir spielerisch demonstrieren wollten, wie unabhängig sie von mir sein könnten, wenn sie nur wollten. Im Moment, da die Nacht undurchdringlich wird, erscheint im Hallogenscheinwerferlicht ein Spielplatz, als ob es eindeutig wäre, dass ich im Osten von Sitten angekommen wäre, von Nax herunter Bramois ohne Wahrnehmung hinter mir lassend, in Vissigen (?), einem Hochhausquartier, in dem ich noch nie war, nördlich des Spitals. Es herrscht eine Stimmung, wie ich sie als Kind liebte, da man im Hochsommer bis weit in die Nacht draussen bleibt. In dieser beleuchteten Sport- oder Freizeitanlage haben alle Kinder eine Stelle von der Grösse eines Quadratmeters, in der sie ihr eigenes Zeichen, am vergleichbarsten mit einem verzerrten chinesischen, zeigen dürfen. Daraus entsteht ein System von Beziehungen. Ich bin nun schon im Anfangsprozess des Aufwachens, in dem ich mich einerseits frage, ob es wohl auch solche gibt, die es nicht schaffen, ihr Zeichen so nah an dem ihrer heimlich Geliebten anzubringen wie sie es möchten und wie sie im Leben später dastehen würden, für sich selbst und für die Meute, andererseits, ob man wohl auf der alten Karte ablesen könnte, dass man an dieser Stelle, die nur eine einzige Strasse aufweist, sehen könnte, dass man nach links gehen müsste, um nach Sitten und zum Bahnhof zu gelangen.

„Erweckungstraum“

Samstag, 4. Juli 2009

Völlig atypischer langer und ruhiger Traum, der so stark mit grossen Bedeutungen dräut, dass ich nach dem Aufwachen nur zögerlich und widerwillig über ihn nachdachte, ohne mich dazu durchringen zu können, ihn aufzuschreiben. Glücklicherweise artikuliert er keine, so dass ich nach einem zweiten Erwachen, das n. b. wiederum auf einen Traum erfolgte, und der Abschattierung zweier Namen, ihn doch noch festhalten will – nicht wegen des Inhalts, sondern wegen der formalen Besonderheit.

Ich gehe in eine der Kneipen, wie ich sie früher besuchte, eine kleine, in der die Gäste zwar ausschauen wie früher, aber keineswegs besoffen scheinen oder in einem der Zustände kurz davor, sondern recht eigentlich inaktiv wie beim Eintreffen an einem Versammlungsort, wo eine geplante Diskussion erst noch zu beginnen hat. Meine Intention war aber nur, in irgendeiner Kneipe etwas zu trinken, nicht der Besuch einer Veranstaltung. Weil mir die ungefähr zehn Personen, die an drei Tischen vor sich hin dämmern, langweilig vorkommen, weiss ich spontan nicht, wo und bei wem ich mich hinsetzen soll. Ich setze mich irgendwo an den Rand eines Tisches, und eine Bedienung kommt in der Weise, als wäre das Restaurant erst gerade daran, zu öffnen. Was ich bekomme und was die anderen konsumieren, kann ich nicht sagen. Eine Sauferei ist jedenfalls nicht im Gange und erfolgt auch nicht. Es erscheint FZF mit einer grossen Zeitung unter den Armen in vielen, noch ungeöffnet wirkenden Bünden. Bald einmal diskutiert er monologisch, auf eine Weise, die er von seinem Mentor JA erbte und die er vor langer Zeit praktizierte, als er entscheidende politische Vorgänge, die fast die ganze Welt abschreckten, als missionarischer Aussenposten verständlich zu machen versuchte. Der Diskussionsstil besteht darin, sich innerhalb einer Gruppe abwechslungsweise auf eine einzelne Person zu fixieren, um in ihr den Eindruck zu erwecken, in voller Mündigkeit angesprochen zu werden, um dann aber, wenn der Adressierte zu einer Widerrede ansetzen will, die eigene Rede bruchlos an einen anderen zu richten. Er ist alles andere als ein Eiferer, nur äusserst geschickt darin, den Schein zu erzeugen, als ob er den Gesprächspartner dazu ermuntern möchte, mit ihm – und also auch gegen ihn – Argumente in Szene zu setzen und füglich zu diskutieren. Die konkretistische Haltung gegenüber den Adressaten überdeckt den Zusammenhang des Gesagten, so dass permanent neue Widersprüche und Ungereimtheiten aneinandergefügt werden können.

Ich frage FZF, ob ich die Zeitung zum Lesen haben dürfe, hier und ohne sie von diesem Ort wegnehmen zu wollen. Dass ich ihn dadurch in seinem Tun kränke, scheint kein Problem zu sein. Er fixiert mich nur kurz, um abzuschätzen, ob ich dessen würdig sei. Ich durchblättere die Zeitung mehr als dass ich sie lese, so wie man nur die Bünde als einzelne auf ihrer ersten Seite durchmustert, ohne sie schon öffnen zu wollen, und merke bald, je mehr ich mich von den Ereignissen in der Kneipe abkapsle, dass sie ein ganzes theoretisches Programm enthält. Was ich in dieser Oberflächlichkeit sehe, geht keineswegs mehr in die Richtung des weltpolitischen Ereignisses vor vielen Jahren; die Theorie erscheint frisch, begrifflich ausgearbeitet und nicht ohne aktuelle Relevanz, ohne dass ich sagen könnte, dass sie mir gerechtfertigt und vernünftig erschiene.

Beim ersten Aufwachen nach dem Traum wird mir mulmig, weil mich sofort dünkt, so geschehe es wohl, wenn einer in einem Traum erweckt würde und nun sehe, wie seine nächsten und dringlichsten Aufgaben ausschauen würden. Ersetzt man die Person FZF durch eine, die einem persönlich oder gefühlsmässig näher steht und gibt man dem Text, der im Zeitungspaket enthalten ist, auch nur rudimentäre Inhalte, ist schnell einmal eine Disposition geschaffen, die es einem Einzelnen nur zu leicht macht, sich in ein Gedankengebäude hineinzuleben, das er ganz aus dem Traum erlebt für sich verständlich machen zu können glaubt. Aus einem gedanklichen Nichts, das auf einem winzigen Kräftespiel von Affekten aufsitzt, lässt sich scheinbar ohne Widerhaken ein Wahnsystem auftürmen, wie es das politische Leben in allen Gesellschaften verseucht.