„Erweckungstraum“
Völlig atypischer langer und ruhiger Traum, der so stark mit grossen Bedeutungen dräut, dass ich nach dem Aufwachen nur zögerlich und widerwillig über ihn nachdachte, ohne mich dazu durchringen zu können, ihn aufzuschreiben. Glücklicherweise artikuliert er keine, so dass ich nach einem zweiten Erwachen, das n. b. wiederum auf einen Traum erfolgte, und der Abschattierung zweier Namen, ihn doch noch festhalten will – nicht wegen des Inhalts, sondern wegen der formalen Besonderheit.
Ich gehe in eine der Kneipen, wie ich sie früher besuchte, eine kleine, in der die Gäste zwar ausschauen wie früher, aber keineswegs besoffen scheinen oder in einem der Zustände kurz davor, sondern recht eigentlich inaktiv wie beim Eintreffen an einem Versammlungsort, wo eine geplante Diskussion erst noch zu beginnen hat. Meine Intention war aber nur, in irgendeiner Kneipe etwas zu trinken, nicht der Besuch einer Veranstaltung. Weil mir die ungefähr zehn Personen, die an drei Tischen vor sich hin dämmern, langweilig vorkommen, weiss ich spontan nicht, wo und bei wem ich mich hinsetzen soll. Ich setze mich irgendwo an den Rand eines Tisches, und eine Bedienung kommt in der Weise, als wäre das Restaurant erst gerade daran, zu öffnen. Was ich bekomme und was die anderen konsumieren, kann ich nicht sagen. Eine Sauferei ist jedenfalls nicht im Gange und erfolgt auch nicht. Es erscheint FZF mit einer grossen Zeitung unter den Armen in vielen, noch ungeöffnet wirkenden Bünden. Bald einmal diskutiert er monologisch, auf eine Weise, die er von seinem Mentor JA erbte und die er vor langer Zeit praktizierte, als er entscheidende politische Vorgänge, die fast die ganze Welt abschreckten, als missionarischer Aussenposten verständlich zu machen versuchte. Der Diskussionsstil besteht darin, sich innerhalb einer Gruppe abwechslungsweise auf eine einzelne Person zu fixieren, um in ihr den Eindruck zu erwecken, in voller Mündigkeit angesprochen zu werden, um dann aber, wenn der Adressierte zu einer Widerrede ansetzen will, die eigene Rede bruchlos an einen anderen zu richten. Er ist alles andere als ein Eiferer, nur äusserst geschickt darin, den Schein zu erzeugen, als ob er den Gesprächspartner dazu ermuntern möchte, mit ihm – und also auch gegen ihn – Argumente in Szene zu setzen und füglich zu diskutieren. Die konkretistische Haltung gegenüber den Adressaten überdeckt den Zusammenhang des Gesagten, so dass permanent neue Widersprüche und Ungereimtheiten aneinandergefügt werden können.
Ich frage FZF, ob ich die Zeitung zum Lesen haben dürfe, hier und ohne sie von diesem Ort wegnehmen zu wollen. Dass ich ihn dadurch in seinem Tun kränke, scheint kein Problem zu sein. Er fixiert mich nur kurz, um abzuschätzen, ob ich dessen würdig sei. Ich durchblättere die Zeitung mehr als dass ich sie lese, so wie man nur die Bünde als einzelne auf ihrer ersten Seite durchmustert, ohne sie schon öffnen zu wollen, und merke bald, je mehr ich mich von den Ereignissen in der Kneipe abkapsle, dass sie ein ganzes theoretisches Programm enthält. Was ich in dieser Oberflächlichkeit sehe, geht keineswegs mehr in die Richtung des weltpolitischen Ereignisses vor vielen Jahren; die Theorie erscheint frisch, begrifflich ausgearbeitet und nicht ohne aktuelle Relevanz, ohne dass ich sagen könnte, dass sie mir gerechtfertigt und vernünftig erschiene.
Beim ersten Aufwachen nach dem Traum wird mir mulmig, weil mich sofort dünkt, so geschehe es wohl, wenn einer in einem Traum erweckt würde und nun sehe, wie seine nächsten und dringlichsten Aufgaben ausschauen würden. Ersetzt man die Person FZF durch eine, die einem persönlich oder gefühlsmässig näher steht und gibt man dem Text, der im Zeitungspaket enthalten ist, auch nur rudimentäre Inhalte, ist schnell einmal eine Disposition geschaffen, die es einem Einzelnen nur zu leicht macht, sich in ein Gedankengebäude hineinzuleben, das er ganz aus dem Traum erlebt für sich verständlich machen zu können glaubt. Aus einem gedanklichen Nichts, das auf einem winzigen Kräftespiel von Affekten aufsitzt, lässt sich scheinbar ohne Widerhaken ein Wahnsystem auftürmen, wie es das politische Leben in allen Gesellschaften verseucht.
Samstag, 4. Juli 2009 um 5:39 am Themenbereich: Traum RSS 2.0 Both comments and pings are currently closed.