Archiv für den Monat November, 2016

Steffen Schleiermacher, Klavier

Mittwoch, 30. November 2016

Gestern Abend live auf Deutschlandradio Kultur vom 25. November 2016 in der Hamburger Kunsthalle, Makart-Saal:

Steffen Schleiermacher, Klavier und Erläuterungen

Karlheinz Stockhausen, Klavierstück V // Paul Dessau, Drei Intermezzi für Klavier // Morton Feldman, „Intermission V“ für Klavier // John Cage, Music for Piano 53-68 // Sylvano Bussotti, Five Piano Pieces for David Tudor // Morton Feldman, „Intermission VI“ für Klavier, Bernd Alois Zimmermann, „Konfigurationen“. Acht Stücke für Klavier // Leopold Spinner, Fantasy op. 9 für Klavier // Olivier Messiaen, „La Chouette hulotte“ (aus „Catalogue d’oiseaux“) für Klavier // sowie elektronische Musik von Jean Dubuffet, Pierre Schaeffer, Pierre Henry und György Ligeti.

Eine mutige Konzertveranstaltung über eine wichtige und spannende Zeit der Musik- und der Kunstgeschichte, die 1950er Jahre. Da ich diesen Radiosender als Internetradio höre, ist der Sound etwas schräg; trotzdem sind die beeindruckenden pianistischen Interpretationen so unterschiedlicher Ästhetiken auf einem Haufen ein Hochgenuss.

Zum ersten Mal hörte ich etwas von Leopold Spinner und vom Einfluss Pierre Schaeffers auf Messiaen (der aber in letzter Zeit offenbar von allen Seiten her aufgearbeitet wird). Erstaunlich, dass Messiaens Musik dieses Impulses bedurfte… Das elektronische Stück von Ligeti war mir vorher möglicherweise entgangen – mich dünkt, es gebe noch ein anderes, das weniger nach Varèse sondern eher nach Nono tönt.

Hans Zender, „Stephen Climax“

Montag, 28. November 2016

Gestern Abend live auf SWR 2 aus den 1990er Jahren irgendwo: Chor und Kinderchor des Théâtre Royal de la Monnaie, Orchester des Théâtre Royal de la Monnaie, Leitung Sylvain Cambreling.

Hans Zender, Stephen Climax, Oper in 3 Akten.

Letzte Woche hatte ich mir gewünscht, diese Oper hören zu können – und schon realisiert sich der Wunsch… Man hört durch den Ulysses, in dem die Dubliner Nelsonsäule prominent erscheint, die ereignisarme Geschichte des berühmtesten Säulenheiligen Simeon (in der Rezeption von Hugo Ball: im gleichen Zeitraum geschrieben wie der Ulysses von Joyce). Die Verpfropfung von zwei Geschichten funktioniert auch ohne Bühnensicht unter Kopfhörern gut. Allerdings überschreitet die musikalische und dramaturgische Ästhetik den Rahmen von Bergs Wozzeck kaum wirklich – ich erwartete in dieser Hinsicht einen kompositorischen Ein- oder Ausbruch, quasi einen Einspruch. Das grosse und grossartige Werk bleibt in gewisser Weise brav & sittsam.

Alberto Posadas

Mittwoch, 16. November 2016

Soeben live auf France Musique du 27 septembre 2016 à Strasbourg: l’Ensemble Linea de Strasbourg, Jean Philippe Wurtz Direction.

Alberto Posadas, La lumière du noir (2010), Anamorfosis (2006), Oscuro abismo de llanto y de ternura (2005).

Eine schöne, aber in nichts verklärende Musik. Sie versteht es in kritischer Intention, alle Schwierigkeiten in den Kompositionen so zu meistern, dass nie jemals Tonalität aufscheinen muss. Eine grossartige Musik, die man partienweise mit Sciarrino vergleichen könnte.

Salvatore Sciarrino, Superflumina

Montag, 14. November 2016

Gestern Abend live auf SWR 2 vom 11. Juni 2016 im Nationaltheater Mannheim:

Salvatore Sciarrino, Superflumina, Opera in un atto, Libretto vom Komponisten. La donna (Die Frau): Anna Radziejewska, Un giovane/Voce lontana (Ein junger Mann/Ferne Stimme): Matthew Shaw, Un passante/Un poliziotto (Ein Passant/Ein Polizist): Nikola Diskic, Altoparlanti degli annunzi (Durchsagestimmen): Francesco Damiani, Orchester, Chor, Bewegungschor des Nationaltheater Mannheim, Leitung Roland Kluttig.

Eine wundersam packende neue Musik, die ein grosses junges Publikum finden könnte, mit einer nicht nachlassenden Spannung über die ganzen 100 Minuten hinweg. Man denkt an Zwei aus alten Zeiten: Cathy Berberian und Demetrio Stratos.

Schostakowitsch, Leningrader

Freitag, 11. November 2016

Gestern Abend direkt live auf France Musique L’Orchestre National de France, Neeme Järvi direction.

Dmitri Schostakowitsch, Siebte Symphonie (Leningrader).

Ich schätze Schostakowitsch nicht als erstklassigen Komponisten, da seine Erfindungsgabe nur wenig ausgeprägt ist, die Einzelstimmen ohne Phantasie und ihr Zusammenspiel sei es in der Harmonie oder im Kontrapunkt ohne Raffinesse gesetzt sind. Wenn die Komposition ihr Material in die Enge treibt, ist die Lösung kaum je bewundernswert, und man folgt ihr ohne Staunen: in den kleinen Formen, die jedes Stück Beethovens oder Schönbergs zum Meisterwerk machen, steckt keine Glut. – Die Leningrader Symphonie, Nummer 7, steht (mit Babi Jar, Nummer 13) einzigartig im Gesamtwerk von Schostakowitsch und hat eine besondere Qualität. Sie offenbart sich gegen den Schluss hin, wo Partikel aus dem langen Geschossschrecken der ersten Hälfte wie Nebelbänke in der toten Landschaft treiben und wie eben nur in grosser Kunst mit dem Signal der geschichtsphilosophischen Not ins Langzeitgedächtnis hinabgleiten, dass das nicht mehr geschehen darf.

Es scheint mir klar, dass sich die grosse Kunst dieser Musik erst nach vielen Jahren hat zeigen können – in den siebziger Jahren erschien mir auch dieses Stück des Komponisten, dessen Symphonien alle der Reihe nach im Radio gesendet wurden, bloss plump, ohne tiefer gelegene Schicht von Rätseleffekten. Erst die Distanz treibt die hoffnungslose Dringlichkeit in die Welt der Erscheinung.

Stellt man die Stösse der Leningrader Symphonie neben die Kindertrompete der Geschichte des Soldaten, zeigt sich die erbärmliche Seite des Igor Strawinsky, in der ihm der Faschismus nur Anlass ist, sich witzig über die Pünktlichkeit seiner Züge zu freuen.

Berio, Berg, Poppe, Manoury

Donnerstag, 3. November 2016

Soeben live auf WDR 3 Aufnahme aus der Kölner Philharmonie und aus der Philharmonie Essen 2016 mit Sarah Wegener, Sopran, Lutz Koppetsch, Altsaxofon, WDR Sinfonieorchester, Köln, Leitung Brad Lubman.

Luciano Berio, Récit (Chemins VII) für Altsaxofon und Orchester. – Unerreichbar.

Alban Berg, 5 Lieder nach Ansichtskartentexten von Peter Altenberg, op. 4 für Sopran und Orchester. – Grosse Klassik.

Enno Poppe, Torf für Orchester, Kompositionsauftrag der Philharmonie Essen und des WDR, Uraufführung. – Windig und leer, geschlurft.

Philippe Manoury, Sound and Fury für Orchester, Kompositionsauftrag des WDR, Uraufführung (Neuversion). – Wuchtig und lebendig.