Schostakowitsch, Leningrader
Freitag, 11. November 2016Gestern Abend direkt live auf France Musique L’Orchestre National de France, Neeme Järvi direction.
Dmitri Schostakowitsch, Siebte Symphonie (Leningrader).
Ich schätze Schostakowitsch nicht als erstklassigen Komponisten, da seine Erfindungsgabe nur wenig ausgeprägt ist, die Einzelstimmen ohne Phantasie und ihr Zusammenspiel sei es in der Harmonie oder im Kontrapunkt ohne Raffinesse gesetzt sind. Wenn die Komposition ihr Material in die Enge treibt, ist die Lösung kaum je bewundernswert, und man folgt ihr ohne Staunen: in den kleinen Formen, die jedes Stück Beethovens oder Schönbergs zum Meisterwerk machen, steckt keine Glut. – Die Leningrader Symphonie, Nummer 7, steht (mit Babi Jar, Nummer 13) einzigartig im Gesamtwerk von Schostakowitsch und hat eine besondere Qualität. Sie offenbart sich gegen den Schluss hin, wo Partikel aus dem langen Geschossschrecken der ersten Hälfte wie Nebelbänke in der toten Landschaft treiben und wie eben nur in grosser Kunst mit dem Signal der geschichtsphilosophischen Not ins Langzeitgedächtnis hinabgleiten, dass das nicht mehr geschehen darf.
Es scheint mir klar, dass sich die grosse Kunst dieser Musik erst nach vielen Jahren hat zeigen können – in den siebziger Jahren erschien mir auch dieses Stück des Komponisten, dessen Symphonien alle der Reihe nach im Radio gesendet wurden, bloss plump, ohne tiefer gelegene Schicht von Rätseleffekten. Erst die Distanz treibt die hoffnungslose Dringlichkeit in die Welt der Erscheinung.
Stellt man die Stösse der Leningrader Symphonie neben die Kindertrompete der Geschichte des Soldaten, zeigt sich die erbärmliche Seite des Igor Strawinsky, in der ihm der Faschismus nur Anlass ist, sich witzig über die Pünktlichkeit seiner Züge zu freuen.