Archiv für den Monat November, 2006

Le Bistro c’est moi

Dienstag, 28. November 2006

Nach dem erfolgreichen Eingriff letzten Freitag viele Alpträume, auch bekannte chtonische, die wegen des gegebenen Anlasses und ihrer Zügellosigkeit nicht in sinnvoller Weise reproduzierbar sind. Heute Morgen Ungesittetes gesitteter: Ich gehe in ein Restaurant und bestelle einen Zweier Roten (im realen Leben gehe ich seit 15 Jahren nicht mehr in eine Kneippe und trinke zuhause exakt oder eingeladen ungefähr eine Flasche pro Woche); am nächsten Tag wird in derselben Kneippe morgens ein Zweier Dôle bestellt. Der Wirt persönlich serviert, ein Umstand, der sich später klärt. Ich trinke ruhig, keineswegs als Alkoholiker oder als einer, der vorhat, sich zu betrinken. Ich möchte Zigaretten aus dem Automaten kaufen und gehe durch das Restaurant, dreimal so gross wie das Berner Pyrie. Erst jetzt sehe ich das Besondere, die komplette Zerstörung des Mobiliars, allenthalben kleine Haufen, in denen es glimmt. Eine starke Party wird ihr Ende im destruktiven Überborden gefunden haben – oder eben doch kein Ende, da man die Kneippe ja einfach hätte schliessen können. Das scheint der alte Barkeeper, der nur selten an den Tischen servierte, in meinen Augen gelesen zu haben, und er zuckt mit den Schultern, über einen der Glimmhaufen gebeugt. Jetzt wird klar, dass der Wirt (im Realen aus der Zwillingsstammkneipe) eben noch eine Flasche vor dem Chaos hat in Sicherheit bringen können und daraus wie wenn nichts gewesen wäre hat einschenken wollen. Noch offensichtlicher ist, dass die Schenke und ihr vorübergehendes Chaos ich selbst bin.

Geographiespiel in der Presse

Mittwoch, 22. November 2006

In der gestrigen Meldung des Abschusses eines Wolfes im Walliser Chablais hat mich einmal mehr irritiert, mit welcher Nonchalance Ortsbezeichnungen als Momente der Information eingesetzt werden, auch wenn kaum eine Handvoll LeserInnen diese Namen kennen dürften und ihrer Gegend richtig zuordnen könnten. Arcojeux im Chablais? Nie gehört, nie gelesen, nie gesehen. Also los, auf die Suche nach Arcojeux! Erst nach einer schwitzigen Stunde wurde es aufgestöbert, weil ein einziger in diesen oder in den älteren Wolfsmeldungen noch die Zusatzinformation mit der Alp Conche geliefert hatte. www.swissgeo.ch zeigte dann auf der 25’000er Karte die Mulde Arcojeux hinter dem Corbeau, zwischen den Grenzdörfern Morgins (CH) und Châtel (F). Die Presse aber schreibt von einem Ort, zuweilen gar von einer Region wie das Chablais eine wäre. Und der Blick geht einmal mehr seinen Konkurrenten einen Hakenschlag voraus: seine Meldung scheint ein Sonderkorrespondent direkt aus Arcojeux zu kabeln, als käme sie aus Beirut, Bagdad oder Bern.


Blickmeldung aus Arcojeux

(Erst später wird klar, dass auch andere Blätter die Meldung auf diese Weise einleiten.)

Da mir der Corbeau nicht fremd ist und ich selbst schon einmal fast dort oben gepicknickt hätte (auf der geerbten Römerkarte des Grossvaters steht übrigens nichts von Arcojeux), ob angstlos oder nicht neben einem gigotschmatzenden Wolf bleibt unbeantwortet, wurde brav noch das Archiv durchforstet. Zwei Funde gibt es, ein Panorama von der Pointe de Bellevue und ein Bild übers ganze Chablais von La Truche über Morgins – tatsächlich mit Arcojeux in der Mitte! Es zeigt, was offenbar im Namen steckt, nichts als Gestrüpp… Ich habe die zwei Bilder da versammelt, wo ich gerade an der Wanderarbeit war, mitten hinein in ein ganz anderes Thema, ganz ohne Wolferschiesser, in das des Anfangs des Wallis als grosser gemeisselter musikalischer Komposition.

Wasserträger

Sonntag, 19. November 2006

Der libertäre Charakter des Internets bricht erstaunlich schnell auseinander, wo unreife Gesellen sich breit machen und ihre regressiven Wünsche der Allgemeinheit aufzudrängen versuchen. Solange sie sich nur der Kanäle und infrastrukturellen Momente allein bedienen, kann ihnen wie im Realen ausserhalb des Netzes begegnet werden, durch Gebilde, die sich von ihnen absetzen. Verwenden sie ungefragt oder erschlichen substantielle Materialien, liefe ein Zuwarten schnell in braunes Gewässer aus, in das man sich geworfen sähe und das herbeizuschaffen man selbst mitgeholfen hätte. So geschah es, dass ein direkter jpg-Link auf die ueliraz.ch-Site im Blog eines reaktionären Fribourger Journalisten (einige sehen ihn als Walliser), dessen Name Berühmtheit hat nicht seinetwegen sondern als Zwillingspass des Pas des Chèvres, beanstandet werden musste, drei Tage zuvor einer im Blog eines ichfixierten Ignoranten, der auf intimem Fuss mit der Welt des Vatikans zu leben scheint. In solchen Fällen geht es nicht mehr um Netiquette, Anstand oder gute Sitte, sondern unverhofft um Rechtsverhältnisse, die einen in der Öffentlichkeit ausgerechnet da zu Hause erscheinen lassen, wogegen jeder Satz und jedes Bild Einspruch erheben wollen.

Zwei zähe Zitadellen (3)

Freitag, 10. November 2006

Noch ein Nest entdeckt, oder vielmehr eine Kluft geöffnet zum Schluss, denn in der Tat verlocht erscheint es, und Grossvater hat immer von da einen Goldklumpen aufbewahrt: Ruden zuunterst in der Gondoschlucht, also Gondo, auch Zwischbergen hinter allen sieben Bergen. – Aber vererbt hatte jener nur, mir, das Sehen der Dinge („Schau, ein Berg!“), nicht ihre Wertschätzung („Da könnte man einen Lift montieren, in Aproz das vom Vieh verschmähte Wasser fassen und dann dick verkaufen…“).
Nervig gestern Abend war nicht die Tatsache, dass doch nicht alles im Wallis gesehen worden wäre, sondern die Frage, ob dem Ereignis als Herausforderung begegnet werden solle oder mit Schulterzucken, das dem Unperfekten Beifall zollt. Man darf immer auch so interpretieren, dass nicht die Strafe des Nachsitzens heute vollzogen worden wäre, sondern der puren Gelegenheit gefolgt wurde, Gondo kurzfristig zu besuchen als wäre nichts Weiteres und kein weiterer Zwang dabei. – Die Schwitznässe in den Kleidern nach einer Stunde Rennen bergauf, wo das Zwischberger Zentrum nur knapp nicht erreicht wurde, bergab, wo der Bus glücklicherweise knapp nicht verfehlt wurde, deutet auf anderes; das ganze Jahr war sie nie so triefend.
Wenn der Vergleich erlaubt wäre, erschiene Trient am anderen Ende der Walliser Welt gegenüber Gondo wie ein sonnenwarmes Hochplateau. In Trient sah ich neben dem Busschauffeur und einer Bewohnerin, die nach Hause ging, niemanden, gleich wie in Bourg St-Pierre am selben Tag, in Gondo selbst wie auch im steilen Hang nach Zwischbergen war ein Kommen und Gehen wie auf Zürichs Bahnhofstrasse. Wer die Leute fragt, „Wohin des Weg’s?“ bekommt ohne Ausnahme dieselbe Antwort: „Von Gondo nach Ruden.“ „Von Zwischbergen nach Gondo.“ „Von Ruden nach Zwischbergen.“ Für Gwundrige: sie reden reines flottfliessendes Walliserdeutsch.

Zwei zähe Zitadellen (2)

Samstag, 4. November 2006

Die beiden Nester heute ausgehoben, spielend und ohne schwere Widerstände. In Bourg St-Pierre heulten zwei Wölfe aus den Wäldern übers ganze Tal, so dass keine Eingeborenen sich auf der Gasse zu zeigen wagten (es stand mir allerdings nur die fahrplanenge Zeit von 12 bis 12.20 Uhr zur Verfügung). Im höllenfinsteren Trient, das eineinhalb Monde vor der längsten Nacht schon um 14.30 Uhr keine Sonnenstrahlen mehr geniessen darf, jaulte eine Riesenmeute wilder Jagdhunde durchs Schluchtental, so dass die Automotoren der Gelangweilten von Genève kaum mehr genussreich zu hören waren. Kein Licht, keine Sicht und keine Stille nie – kein Wunder, hat Tri-eng am längsten widerstehen können.


Trientotaurus Octoduro Super

Weit diesseits wieder des Berges, schon fast auf dem sicheren Boden Martignys, spielte es seinen letzten Trumpf de Trient: le triomphe du taureau! Ein schwerer schwarzer Riesenteufelsbulle … ich rannte durchs Land, durch alle Rebenlabyrinthe, über gefrorene Flüsse und Eismeere, ja in Bern noch blieben die Kleider kalt und nass, bäh, wie der unheimlich fiepsig brüllte und Rauch und Schwefel von sich stiess. Zwei Puppies hatte der Stier zu hüten, und tat, als käme der harmlose und ahnungslose Wanderarbeiter als ihr Metzger. Noch im letzten Nest sind sie alles – Walliser!

Mighty Ilii OP

Samstag, 4. November 2006

Abends nach dem Duschen zum ersten Mal geschaut, ob man von der Zerstörung des Knochens von aussen überhaupt etwas sieht (nein, nichts zu sehen) – und prompt jetzt die Operation geträumt (nicht die kleine im November, nein), wenigstens die Vorbereitung bis knapp zur Narkose, detailliert und undurchschaubar, alles mit einer Art Patina der Science Fiction überzogen, Technik der Zukunft. Wie auch immer: der Traum zeigt, dass die Zeit zu nutzen ist. Der Zeit Sein geben, Ariadne, nicht ihr es entreissen.