Derrida hat die Natur nie zum Thema gemacht, weil sie für ihn immer schon nur Sexualität war, die bekanntermassen auf dem Land gleichwie in der Stadt ihr Wesen treibt. Das Auslassen der äusseren Natur macht es einer Theorie aber unmöglich, zur Gesellschaft füglich Stellung zu nehmen und in ihr anzukommen.
Trotzdem hat mich der Buchtitel Recht auf Einsicht immer gefesselt, nicht zuletzt deswegen, weil er das Mühselige in der Domäne der Disziplinen ins Angenehme wendet, und er kommt mir auch in Situationen in den Sinn, wo nicht von Philosophie die Rede ist. Obwohl ich niemals vorhatte, Vögeln auch nach dem Winter Futter anzubieten, zwingt mich eine Meisenfamilie, für sie wenigstens abends ein paar Pinienkerne aufs Fenstersims zu legen. Ich möchte den Zwang, mit dem die Vögel das erreichen, nicht in aller Breite schildern – aber es sind mitunter einige Schisse, die von Oberflächen in der Küche, die sommers offene Fensterflügel darbietet, weggewischt werden müssen; es braucht nicht mehr viel, und sie würden aus der Hand fressen. Beim Nachsinnen darüber ist mir aufgefallen, dass es doch viele Menschen auf dem Land geben muss, HirtInnen zuvorderst wie auch Gewöhnliche, die an Stellen & Plätzen wiederkehren, wo es die grossen wilden Tiere tun. Was muss es für ein tief wirkendes Erlebnis sein, wenn ein Tier nach langen zögerlichen Wiederholungen des nur beinahe Beieinanderseins sich endlich dazu „entschliesst“, bei dieser Person in ungeahnter Nähe eine gewisse Zeitlang still zu sitzen? Keine Vermittlung geschieht, kein Austausch und kein Sprechen. Und dennoch ist es für den Menschen, dem das geschieht, die höchste Einsichtnahme in die Natur, die uns möglich scheint, das Weiteste, das wir existentiell zu denken vermögen. Nicht im geringsten entsteht daraus Erkenntnis oder Wissen, und dennoch wird ein Erlebnis erfahren, das uns ein Recht auf Einsicht kenntlich macht.
Die lange Zeit der Frühpubertät ritt ich auf einem Tiger durch die wilden Wälder, zusammen mit der schönsten Kindfrau Indiens. Die einzige Variation bestand in der Frage, ob sie auf einem eigenen Tiger reitet, ob die Tiere wechselweise als Männchen und Weibchen uns tragen und was passiert, wenn sie Junge haben. Der Antrieb jener unendlichen Geschichten bestand einzig in der Unmöglichkeit, mich entschliessen zu können, was als erstes geregelt sein müsse, die Beziehung zur Natur – zum Tier – oder zum Menschen, zum Mädchen. Obwohl die Phantasie nur spielt und keine Rechte erteilt, tönt sie an, wo sie zu suchen wären. Von den aufscheinenden Plätzen wäre die Sexualität nur ein Teil.