Archiv für den Monat März, 2009

60 Minuten für WWF

Samstag, 28. März 2009

Dialektik des kulturindustriellen Schlechten

Freitag, 27. März 2009

Sind die Gebilde, mit denen man sich auseinandersetzt, nicht lose Einheiten, die ab einem gewissen Mass an Unterqualifiziertheit tel quel von sich geschoben werden können, sondern in unendliche Serien festgebunden, die als Ganzes zu begreifen wären, macht sich einer schnell lächerlich und wird zum blossen Stänkerer, wenn er in ihnen das Schlechte und Falsche bei jedem Erscheinen von neuem dingfest macht.

Um vom Mist in der anstehenden Zeit kulturindustrieller Analysen schweigen zu können, muss er bezüglich a) den Websites und Blogs und b) der verfolgten Radiostation DRS 2 (mit einem Wechsel bei akuter Blödheit zu Swiss Classics) nach den Gewissensfragen von möglichen persönlichen Verletzungen erst mal in seinen Teilen auf einen Haufen geworfen werden. Solche Teile wären a) im Internet die Favorisierung der Themen und Stile aus der Werbe-, Religions-, Militär- und Fernsehwelt, Scraps, Stamps und andere Bastelidiotien, Frischgeborenenvisagen und Tellergerichte, Inszenierung der eigenen Person und Infantilisierung der AdressatInnen, b) im Radio Wiederholungen von Ankündigungen, Wiederholung von Nachrichten bis zu einer solchen Verstimmung, die dann ein Hören der Hauptnachrichten nicht mehr zu ertragen vermag und so Uninformiertheit nach sich zieht, Pointengier in Nachrichten, die einen nicht zum Lachen bringen sondern zu denken geben sollen, Wiederholung von Betonungsfehlern, die offenbar so eingeübt werden mussten, Aufzählung von Sendethemen in einer auf eine Pointe abzielenden Serie, die inhaltlich durch nichts Verbindendes motiviert ist und deshalb die Intention der Liste, einen Überblick zu verschaffen, ins Leere laufen lässt, Rätselspiel und Überraschungen in einer Sendung, in der man sich während 45 Minuten konzentriert mit dem Weltgeschehen auseinandersetzen will, Schnutenbildung und Pflege von persönlichen Ticks bei männlichen Ansagern, die zuweilen in misslungener Abwehr auf den Knien ihrer Grossmutter phantasiert werden, Verbannung aller ernster Musik vor Händel und nach Dvořák, allmähliche Ersetzung der Kunstmusik durch Gershwin und Bernstein, Jazz, Marschmusik und Schlager. Die Kategorien des Schlechten in der Kulturindustrie setzen ein unterschiedliches, aber nie geringes Mass an Professionalität voraus und beruhen keineswegs in persönlichen oder technischen Unzulänglichkeiten, über die man hinwegsehen würde. Mit der alten Erfahrung der Fribourger wird ein Zaun um den Misthaufen gezogen, damit keiner in Versuchung gerät, bei der Durchführung der philosophischen Kritik davon zu schnausen.

Es ist wie in der grossen Politik im Zuge der transkontinentalen Wertvernichtung durch die Spekulanten. Da immer irgendwo ein sachliches Moment als unzugänglich erscheint oder wie die schon in Gang gekommene Massenarbeitslosigkeit sich noch weiter zu intensivieren droht, steht einer schnell in der Ecke der Schwätzer, der die Entscheide der Tagespolitik kritisiert. Sie geschehen seit einem halben Jahr wie unter dem Schutz eines geheiligten Tabus, und wer in diesen objektiven Verhältnissen zuständig wäre, die sozialdemokratischen Parteien, agitiert auf irrationalen Nebenschauplätzen wie der partiellen Verteidigung des Bankgeheimnisses, wo die Kategorien der Macht, der Bevölkerung, der Ökonomie und der Verwaltung so durcheinander gewirbelt werden, dass durch Vereinnahmung der Eindruck erweckt wird, auch der verachtete, aus der Gesellschaft ausgeschiedene Rentner zeige gleich allen Verführten Empörung darüber, dass mit dem Bankgeheimnis Momente seiner geistigen Substanz aus dem Weg geräumt würden. Was seit dreissig Jahren zu tun wäre, wird auch fürderhin auf die lange und ideologisch vernebelte Bank geschoben, Handelsregeln auszuformulieren verknüpft mit einem komplexen Subventionensystem auch mit Ländern in Afrika, die einem gewöhnlichen Bürger einer europäischen Gesellschaft nicht weiterhin das Gefühl vermittelten, bei jedem getauschten Franken würden den Ländern aus dem Süden 100 Rappen als supplementäre Beute aus den Taschen gezogen.

Die Verhältnisse müssen besser werden, wenn sie die Würde der Kritik wieder durchgängig erfahren sollen. Die Thematisierung der Kulturindustrie wird folglich das, was offensichtlich schlecht ist in ihr und auf irgendeine Weise immer einem Effekt der Regression geschuldet ist, nicht an die grosse Glocke hängen. Die eigentümliche Art der Kulturindustrie, die historisch vorliegenden herausragenden Gebilde so zuzurichten, dass sie nicht mehr kritisch mit einer substantiellen, die Unterhaltung überschreitenden Gier auf weitere wahrgenommen werden, ist schauerlich genug; die weitere Herausstellung der trivialen Missstände, die den Konsum gewisser Medien für eine ernsthafte Person unerträglich machen, würde sie nur unnötig künstlich skandalisieren. Als Zusatz sind sie allerdings in jedem schlechten Moment mit angesprochen. Uns so hat man der Kulturindustrie in einer gewissen Positivität gegenüberzutreten, die wie gegenüber einem Gott ein Hadern zwar erlaubt, dessen Negativität sich wie im theologischen Zusammenhang aber in einem leeren Umsichnegieren erschöpft. Ihre Momente sind die stärksten der gesellschaftlichen Realität und weitaus ernster zu nehmen als die der Ökonomie, weil sie direkten Zugriff auf die Massen ausüben, die empirisch zwar die Ökonomie beherrschen könnten, als Meute der Kulturindustrie aber, gezogen von den Kräften der Regression immer schon, dunkleren Pfaden folgen.

Eisbergabbruch

Samstag, 21. März 2009

Ich bin in diesem Traum um 00.45 Uhr nicht wirklich Handelnder und auch kein Verfolgter, und alle Personen sind gänzlich unbekannte Touristen, die ein fremdländisches Deutsch sprechen, ähnlich wie Holländisch, aber nicht unverständlich. Es gibt viel Schnee, und es ist frühlingshaft sonnig. Eine Gruppe von TouristInnen befindet sich links oberhalb von mir, eventuell in einem Felsen, eventuell auf der Terrasse eines Ferienhauses. Der Berg ist links, das Tal rechts, steil abfallend und weit. Ich höre sie untereinander sprechen, Unaufgeregtes. Hin und wieder rufen sie zu einer oder mehreren Personen, die ich ebenfalls nur höre und die sich links unterhalb von mir bewegen und von denen einer der Vater von mindestens einer der oben situierten Personen ist, alle älter als ich. Dass die untere Gruppe oder diese einzelne Person daran ist, etwas zu riskieren, ist klar; um was es aber geht, weiss ich nicht. Ob ich selbst gehe oder am Ort stehe, vielleicht innehalte, weil mir etwas nicht zu stimmen scheint, weiss ich auch nicht. Mein Weg ginge zwischen beiden Gruppen hindurch, ohne dass ich eine von beiden jemals zu sehen bräuchte. Plötzlich gibt es von unten links ein grosses Getöse, das Risiko hat sich schlecht ausbezahlt und die Katastrophe eingefunden. Der Alte und seine Gruppe werden in einem Schnee-, Eis- und Wasserfluss mitgerissen. Ich höre, wie die obere Gruppe sich sofort losmacht. Da sie bei mir vorbeikommen wird, sehe ich mich genötigt, als erster den Untergehenden zu Hilfe zu eilen, auch wenn es klar ist, dass ich keine Kräfte zum Helfen einsetzen kann. Jedenfalls wende ich mich schräg gegen unten links, wohin eine schneebedeckte Strasse führt und sehe nun die grossen, aufgewühlten Massen, wie sie nach rechts ziehen, so heftig, dass Material auch zu mir herauffliesst. Ich höre die Rufe der Unteren, ohne sie zu sehen, schnell ertönen sie abgewürgt. Alle Hilfe wird zu spät kommen, und ich habe niemanden gesehen, niemanden erkannt und mit oder zu niemandem gesprochen.

Schlingensief

Donnerstag, 19. März 2009

Die Hörspiele auf DRS 2 sind gewöhnlicherweise so schlecht, dass es keine Lust macht, über ihren Mangel an Qualität zu schimpfen. Gestern eine Ausnahme, Christoph Schlingensief, Lager ohne Grenzen, 1999. Das Stück ist sehr laut, besser: schrill, mit quälenden rhetorischen und musikalischen Versatzstücken aus der Fernsehwelt, mit politisch unkorrekten Seitenhieben ins Persönliche, gegen Joschka Fischer und Peter Handke, und mit unsüffisanten, hyperbolischen Parodien. Die mehrschichtigen Intentionen sind, und das macht die Qualität des Stückes aus, durchgängig erfassbar, und ihr Ziel erschüttert, nach wie vor: nach der Beruhigung der Lage in Exjugoslawien und nach der historischen Erfahrung von so viel Parodie in den Künsten, dass man normalerweise erwartet, sie würde mehr am parodierten Gehalt festkleben als diesen kritisieren. Nimmt man noch das Hörspiel vom letzten Mittwoch dazu, Paul Plamper, Ruhe 1, in dem die gesellschaftlich heterogene Kundschaft eines Restaurants Tisch für Tisch einen Gewaltausbruch beobachtet und bis auf die Knochen realistisch kommentiert (alle Menschen, die man kennt, haben in diesem Stück ihren peinlichen und jämmerlichen Auftritt), hat man zwei Stücke, die als Kunstwerke erstaunen und einen packen – und einen die Frage stellen lassen, wieso Radio DRS 2 die restlichen 50 Sendestunden des Jahres mit Unsinn füllt statt für Musik, die gute, verborgene und noch nicht gehörte, freigibt.

Und in der Tat wurde ebenfalls gestern die eine Stunde zur Zeitgenössischen Kunstmusik gesendet, die den musikalischen Blödsinn übers Jahr rechtfertigt, das Portrait über eine Komponistin, die offenbar im weit entfernten Konzertleben schon arriviert ist, von der und über die ich aber noch nie etwas gehört habe: Alexandra Filonenko. (Die Kunstmusik wird auf DRS 2 so verantwortungslos betreut, dass sich zehn Stunden nach der Sendung nicht mehr feststellen lässt, wer das gute Portrait gestaltete.) Fortzusetzen!

Kuh-e Bonvin

Samstag, 14. März 2009

Nach sechseinhalbstündigem Schlaf langer Traum, in dem viel argumentiert und Überzeugungsarbeit gegen mich geleistet wird, von dessem Gesprochenen ich aber fast alles vergessen habe. Ich sitze in Sitten und spreche mit einer jungen Regisseurin, die zur Hälfte Ursi N. ähnelt, zur anderen M., sprachlich aber nichts Walliserisches an sich hat. Ich soll in einem Film mit P., die mir im wirklichen Leben nicht mehr begegnen soll, auf den Mont Bonvin gehen. Es gäbe so viele Berge im Wallis, und es muss ausgerechnet einer sein, auf dem ich noch nicht gewesen bin – auf den zu gehen ich mir allerdings für 2009 halbwegs vorgenommen hatte. Ich willige unter komplizierten Bedingungen ein, die ich nicht mehr weiss. Die Szene soll sofort gedreht werden, oder wenigstens eine Probe davon. Dazu müssen wir nach Sierre gehen (was mir jetzt unlogisch vorkommt, da ich auch von Sion her direkt mit dem Bus nach Montana Vermala fahren könnte). Die Regisseurin fährt mit dem Auto, das für P. so lebensentscheidend ist, für mich wird ein Sonderzug mit nur einem Wagen bereitgestellt, wie in der Fernsehoper im Zürcher Bahnhof La Traviata, die ich im Internet zur Hälfte verfolgt hatte. Nachdem ich pressierend im Eisenbahnwagen eingestiegen war, fährt der Zug sofort ab, und ich schicke ein SMS mit der Meldung an die Regisseurin, dass die Abfahrt geklappt hätte und ich sie in Siders erwarten würde. Dort sitze ich im halboffenen Buffet und überlege, wie man sich das wohl vorstelle, wie ich mit P. auf den Kuh-e Bonvin wandern würde. Der Film ist über sie, nicht über mich, und sie ist entschieden ein zu fauler Sack, um so weit auf eigenen Füssen zu latschen. Warum sind Filme oft gegen die Wirklichkeit gezielt, ohne im mindesten eine Kritik zu entfalten? Was für ein Leerlauf! Ich erwärme mich am Gedanken, ein Double von P. kennen zu lernen, da erscheint mit schwatzhaft aufgeworfenen Armen die Regisseurin um die Ecke, mit der alleine ich wegen ihrer Schönheit und ihrer unangreifbaren Vitalität gerne das Ganze durchziehen würde, und ich erhalte Instruktionen fürs Weitermachen. Keine Ahnung, was mich in diesem Moment aufweckt, aber sechseinhalb Stunden Schlaf durchgehend sind auch nicht schlecht – und die Erinnerung daran, auf den Bonvin zu gehen, nicht weniger. – Erst nach der handschriftlichen Aufzeichnung beim Frühtee wird klar, dass N., also klein p., sich zurzeit im Genfer UNO-Gebäude mit Berner Uni-KollegInnen verlustiert, auf deren Website ich gerade heute einen Virus eingefangen hatte, der sich allerdings sofort löschen liess; in zwei Wochen will sie im Zürcher Fernsehmilieu vortanzen. Ein bisschen von gutem Wein tät ihr besser, wie mir Erschütterbaren, der nicht aufhört zu widerstehen, scheinen will.