Archiv für den Monat Mai, 2016

Sauber einst & heute

Dienstag, 24. Mai 2016

Gestern Abend vor dem Konzert ein Hörspiel auf WDR 2: Ulrike Edschmid, Das Verschwinden des Philip S. (2013 Roman, 2015 Hörspiel).

Philip Werner Sauber studierte in Berlin Fernsehfilmregie und wurde zum Mitglied der Bewegung 2. Juni; er stammte aus der reichen Zürcher Familie Sauber. Pikanterweise liess ich mich zwei Tage vor dem Hörspielkonsum an einer Party der eigenen Familie über die andere Seite der Familie Sauber ins Bild setzen, die einen Formel-1 Rennstall aufbaute und managte, der in den letzten Wochen ins finanzielle Schlingern geraten ist. Sowohl das Fernsehschauen wie das Autofahren sind mir immer fremd geblieben. Aber wie einer aus der Familie Ende der sechziger Jahre in Deutschland Film studierte, arbeitet einer heute im sogenannten Sauberteam. In der eigentümlich weit umfassenden Konstellation spüre ich im Hörspiel Kräfte des Realen, die mir nicht recht „familiär“ werden wollen. Man ist zuweilen gleichzeitig sowohl näher & ferner mit der Realität verbunden als man denkt. – Dass man den Willen zur Gewalt in den sechziger und siebziger Jahren heute verstehen würde und zu erklären vermöchte, darf immer noch nicht behauptet werden.

Holliger, Momi, Ferrari, Nunes: Nachtmusik

Montag, 23. Mai 2016

Soeben live auf France Musique concert enregistré le 17 mars 2016 au Théâtre d’Orléans, avec l’Ensemble Cairn: Cédric Jullion, flûte, Ayumi Mori, clarinette, Caroline Cren, piano, Julia Robert, alto, Ingrid Schoenlaub, violoncelle, Cyril Ciabaud, cor anglais, Guillaume Cottet-Dumoulin, trombone, Sébastien Naves, son, Guillaume Bourgogne, direction

Heinz Holliger, Drei Nachtstücke pour piano.

Marco Momi, Iconica IV pour flûte, clarinette, piano préparé, violon, alto, violoncelle.

Luc Ferrari, Ainsi continue la nuit dans ma tête multiple pour bande sonore.

Emmanuel Nunes, Nachtmusik 1 pour clarinette, cor anglais, trombone, alto, violoncelle et électronique en temps réel.

Zugabe: Alexandre Tissier, Sibir – Terre qui sommeille pour piano, flûte, clarinette, violon, alto, violoncelle.

Ein gelungenes Konzert, das in ungewöhnlicher Weise vier Stücke präsentiert, die komplett unterschiedlichen, ja widersprechenden Ästhetiken angehören: der seriellen Musik (Holliger), der konzertanten mit Live-Elektronik (Momi), der anekdotischen oder konkreten Umweltmusik (Ferrari) und dem schlagzeuglosen Kammerbruitismus (Nunes) – und in der unangekündigten Zugabe nochmals der seriellen oder postseriellen (Tissier). Die Stücke erscheinen in diesem Zusammenhang so stark individualisiert, dass es unmöglich wird, eines davon zu privilegieren. Man ist während eineinhalb Stunden in vier (bzw. fünf) verschiedenen Konzertsälen gesessen.

Lindberg, Sibelius

Freitag, 20. Mai 2016

Soeben direkt live auf France Musique l’Orchestre Philharmonique de Radio France, Simone Lamsma, violon, Jukka-Pekka Saraste, direction.

Magnus Lindberg (1958), Aura (In memoriam Witold Lutoslawski), pour grand orchestre (1994).

Magnus Lindberg, Concerto pour violon n° 1 (2006).

Jean Sibelius (1865-1957), Symphonie n° 4 en la mineur, opus 63 (1910-1911).

Wird man nur einmal im Jahr mit Black Sabbath, Keith Emerson & Co. konfrontiert, ist solche Musik okay. Ähnlich geht es auch mit Magnus Lindberg. Heute empfinde ich diese Werke als flotte Unterhaltung, ganz ohne Verirrungsrisiko in subtilen Verläufen. Nichts ärgert an ihr.

Gestern schon die Vierte von Sibelius in einem zweitklassigen Konzert aus Berlin mit einem faden Reger (Vier Böcklin-Tondichtungen) und einem faulen Mussorgsky (Vier Gesänge der Frau Tod). Das Interessante an diesem speziellen finnischen Werk ist weniger die berühmte Kargheit als mit welchen Worten die RadiomoderatorInnen es einem schönreden wollen; es stammt von einem Scheintoten (Sibelius war allerdings ein armer Sack: vor über hundert Jahren mit Schwertern an der Gurgel geopst – ich hätte als Komponist darauf hin nur noch leere Blätter abgegeben). – Das Pariser Orchester hat ihm heute, dank dem Schuss Lindberg vor der Pause, ein wenig Leben eingehaucht. Fast will es mir gefallen.

Betsy Jolas, Iliade l’amour

Montag, 16. Mai 2016

Soben live auf France Musique concert enregistré à la salle d’art lyrique du Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse de Paris, le 12 mars 2016. Orchestre du Conservatoire de Paris, Élèves du Département des disciplines vocales du Conservatoire de Paris, Etudiants du secteur Scénographie de l’ENSAD, David Reiland, direction. Julien Clément, baryton, Marianne Croux, soprano, Anaïs Bertrand, mezzo-soprano, Igor Bouin, baryton, Guihem Worms, baryton, Eva Zaïcik, mezzo-soprano, Fabien Hyon, ténor, Marina Ruiz, soprano, Yi Li, soprano, Lucie Louvrier, mezzo-soprano, Adèle Charvet, mezzo-soprano, Aliénor Feix, alto, Hedvig Haugerud, alto, Blaise Rantoanina, ténor, Jean-François Marras, ténor.

Iliade l’amour de Betsy Jolas.

Das Fünfundneunzigminutenstück wird in einem Schliemann-Gymnasium seine Würdigung erfahren, konzertant und nicht ohne Kürzungen aufgeführt vom ordentlichen Musiklehrer mit dem Schulorchester, zusammen mit einer zusätzlichen professionellen Sopranistin.

Horatiu Radulescu, Streichquartett Nr. 4

Donnerstag, 12. Mai 2016

Soeben live auf WDR 3 Konzert vom 3. oder 4. Mai 2016 am Acht Brücken Festival in Köln mit dem Asasello Quartett.

Horatiu Radulescu, infinite to be cannot be infinite, infinite anti-be could be infinite, Streichquartett Nr. 4, op. 33.

Eine starke Musik, bei deren Hören ich zum ersten Mal das Gefühl habe, dass gegenüber der Liveaufführung unter den Kopfhörern etwas von ihrer Stärke verloren geht. Um das spielende Quartett herum werden in acht Lautsprechern, die es selbst und das Publikum umgeben, acht vorher aufgenommene Quartettpartien wiedergegeben, in mikrotonal unterschiedlichen Stimmungen. Wenn ich die Erläuterungen richtig verstanden habe, musste das Asasello Quartett insgesamt also neun Streichquartettpartituren einstudieren, um dieses eine Stück vor Publikum spielen zu können – Wagners Ring scheint dagegen wie ein Willisauer Ringli herumzuliegen. Der Eindruck dieser neun Streichquartette ist auch dann gewaltig, wenn man die einzelnen Klangereignisse nicht so identifizieren kann, wie sie im Werk intendiert sind, also sowohl in sich selbst etwas verschwommen sind wie auch leicht wolkig im Raum erscheinen. (Man muss sich wohl wie traditionell nur ein einziges komplettes Streichquartett vorstellen mit acht Zusätzen in Fragmenten, die heutzutage gewöhnlicherweise mit Liveelektronik hergestellt werden.)

Obwohl dieser Komponist eine eigenwillige Ästhetik zu vertreten scheint, gibt es keine Texte von ihm, weder in den Bibliotheken noch als Buchware. Man sollte sich speditiver um das musikalische und diskursive Werk von Horatiu Radulescu kümmern.

Amériques

Sonntag, 8. Mai 2016

Soeben direkt live auf SWR 2 70 Jahre SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, Leitung François-Xavier Roth.

Edgard Varèse, Amériques. – Eine grossartige Interpretation, die hörbar macht, dass in Amériques vor Stockhausens Gruppen drei Orchester momentweise in verschiedene Richtungen ziehen.