Archiv für den Monat Januar, 2010

Makros von wilden Vögeln im Kunstlicht

Samstag, 30. Januar 2010

Im Januar 2010 wurden viele Male Aufnahmen von Vögeln am Fenstersims gemacht, immer mit der Olympus E-620 samt Makroobjektiv 50 mm aus einer Distanz kleiner als 70 cm, jedesmal aber mit anderen Einstellungen beziehungsweise unterschiedlichen Hilfslichtern: http://www.ueliraz.ch/2010/index.htm Es war beabsichtigt, irgendeinmal festlegen zu können, welche Anordnungen und Einstellungen zu optimalen Bildern führen und welche man vergessen müsse. Das Resultat entspricht der Absicht ganz und gar nicht: Jedes Licht und jede Einstellung ergeben in Einzelfällen gute Bilder wie sie gleichfalls auch eine Menge schlechter zur Folge haben. Nimmt man nur die spontan besten einer Aufnahmesession, braucht es, solange jedenfalls die Bilder am Bildschirm verglichen werden, viel Gefühlsarbeit, um das eine gute vom anderen, das an einem anderen Tag gemacht wurde, nachvollziehbar zu differenzieren. Möglicherweise würden Ausdrucke auf Papier mit viel zusätzlichem Aufwand doch noch entscheidbar machen, dass eine der gewählten Einstellungen besser ist als die anderen. Aber sowohl der eingebaute Blitz der Kamera wie der externe im TTL und im FPP-Modus, der auch kleinste Verschlusszeiten wie 1/4000s zulässt, sind auf so kurze Distanzen einsetzbar; nur die Theaterleuchte mit 400 W scheint mir suboptimal, weil sie zwar, anders als die Blitze, Serienbilder ermöglicht, wider Erwarten aber viel zu wenig Licht abgibt, um mit kurzen Verschlusszeiten und grossen Blendenwerten zu fotografieren. – Im übrigen ist das Objektiv bis in die äusseren Winkel so gut, dass man irgendwo in den Bildern Ausschnitte machen kann, ohne dass uninformierte Betrachter an der Idee hängenblieben, es würde sich bei ihnen um Ausschnitte handeln: alle Makros vom Januar 2010 sind Ausschnitte.

Bald ist Februar und Tag für Tag die Sonne morgens besser dafür positioniert, dass aufs Sims ein paar Strahlen fallen, und sei es anfangs nur für wenige Minuten. Ohne Blitz und Theaterlicht, aber mit dem der Natur, werden die Versuche realistischer, von Erlenzeisigen Makros zu machen wie auch von den andern Arten, die sporadisch vorbeischauten, entweder den Kunstlichtern, den aggressiven Zeisigen oder dem fetten Klicken der Kamera aber auch nicht in Ansätzen Vertrauen entgegenbringen wollten: Distelfinken, Kernbeissern, Blau- und Kohlmeisen, Bergfinken.

Bartgeier auf der Gemmi

Mittwoch, 27. Januar 2010

Ich betreue die Website des Fotografen Emil Rechsteiner im Leukerbad. Heute sind ihm Aufnahmen von einem Vögelchen gelungen, das gewöhnlich Sterbliche schon zu einem Jauchzer bewegt, wenn sie es 1000 Meter hoch in den Lüften zu sehen bekommen. Es ist der von Adorno lebenslang in Ehren gehaltene Lämmergeier, der unerbittlich über seine Texte zu wachen verstand. (Die äusserst konzentrierte Arbeit der Schlusskorrektur der Texte nannten Adorno und seine Frau „Lämmergeiern“.)

http://www.rhone.ch/heimatkunst/rechsteiner/fotos-11.htm

(Die Wasseramsel zu Beginn der Seite ist im übrigen auch nicht ohne Leichtigkeit zu fotografieren.)

Existentielle Schuld

Samstag, 23. Januar 2010

Nicht selten erwachsen ungute Gefühle in Momenten, wo nach der Zeit gefragt wird, was denn einer Schlechtes getan oder geredet hätte, dass er heute wie schuldig dastünde. Vielem von solchem Unmut brauchte nicht begegnet zu werden, wenn man frühzeitig sich mit der Einsicht auseinandersetzte, dass wohl nur in seltenen Fällen die Schuld darin besteht, überhaupt etwas Falsches geredet zu haben, indes die grösste Schuld eines Lebens oft darin nachzuzeichnen wäre, nicht geredet zu haben – nicht geredet, weil nicht und auf nichts gehört. Im Ausweichen gegenüber dem Reden verleugnet ein Lebender nicht nur die eigene Existenz, sondern auch die der anderen. Das empfinden diese, später, als seine Schuld. Man muss hören und reden, noch ganz ausserhalb und vor aller Moral, wenn man ihr nicht widersprechen will.

Soziologie der Vogelfotografie

Dienstag, 12. Januar 2010

Bergfink (Kundschafter) mit Systemblitz durchs ungereinigte Fensterglas

Da mir im Winter der Aufenthalt im Feld nicht möglich ist (mit Ausnahmen), knapp dreissig Meter vor dem Fenster aber ein grosser Ahorn steht, der sich bei einigen Vogelarten als Rückzugsplatz für die nervöse Fresserei grosser Beliebtheit erfreut, gebe ich mir alle erdenkliche Mühe, das Fotografieren der Vögel am Fenster stetig zu verbessern. Dieses Jahr sollen die Tiere auf den Bildern nicht mitten im Futter sitzen, sondern auf einem Zweig oder Stecken aufgenommen werden, und zwar aus nächster Nähe mit dem Makroobjektiv. Durchs Fensterglas konnten erste Testaufnahmen realisiert werden; der Systemblitz produziert auch in der momentanen nebligen Düsternis gute Resultate. Wenn es wärmer wird und morgens für eine Stunde die Sonne den Platz beleuchtet, soll wie letztes Jahr bei offenem Fenster fotografiert werden. Da der Apparat und ich selbst nun nicht mehr über einen Meter weit von den Tieren entfernt platziert sind, sondern höchstens noch dreissig bis vierzig Zentimeter weit weg, ist eine Tarnung unerlässlich (bei geschlossenem Fenster kann man die Nase an die Scheibe drücken, und auf der anderen Seite tut dasselbe mit dem Schnabel ein Erlenzeisig). Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Tarnung zu realisieren, und die Zeit drängt nicht. Beim Phantasieren leistete ich mir den Luxus, auch an ein Tarnzelt zu denken, das im Zimmer direkt am Fenster aufgestellt würde. Teufel, in was für schauderhafte Gefilde einer gelangt, der nach Tarnzelt oder Tarnnetz googelt! Man möchte die ganze existierende Soziologie als Kinderkram beiseiteschieben, die einem ein Leben lang die ungeschönte gesellschaftliche Realität so erfolgreich vorenthalten hat. Man will es nicht glauben, auf was für Seiten man landet, die schamlos in der Öffentlichkeit eine Sache propagieren, von der der Bürger denkt, nur Kriminelle würden ihr frönen, an abseitigen Orten, zu denen man nie gelangen würde, wenn man der teuflischen Sache durch Regression nicht schon verfallen wäre. Das europäische Volk ist nicht einfach durch die Medienmasse verblödet und geilt sich nicht einfach an seinen Maurerblochers, Haiders, Berlusconis, Le Pens und Konsorten auf – es will ganz sec und ohne alle Zutat Krieg. „Panzer und Uniformen“ ist nicht weiter ein sprachlicher Ausdruck, der eine ideologische Malaise bezeichnet, die alle moderne Gesellschaften wider Erwarten vergiftet, sondern zentraler Bestandteil der Wirklichkeit, nach der sich das Volk als Meute ausrichtet. Meine Vogeltarnung wird wie die Szenerie eines Kasperlitheaters ausschauen – in was ich mittels Google getreten war, habe ich traumatisch alles wieder vergessen.

Flötenmusik mit Titanstäben

Montag, 4. Januar 2010

Riesenlanger Traum mit vielen aneinandergereihten Episoden, wo einiges trotz spontaner Notierung nicht mehr korrekt erinnert werden kann. Vor 25 Jahren an der Uni oder an einer sonstigen Veranstaltung werden feminismusnahe Fragen diskutiert, fast eine Massenveranstaltung mit Reihumbeiträgen. Sie sind alle ziemlich interessant und werden wohlwollend aufgenommen. Ich merke, dass dann, wenn ich an der Reihe bin und zu reden beginnen muss, alles gesagt sein wird, und in der Tat, ich sage, dass ich in Wirklichkeit nichts weiteres hinzufügend mehr sagen kann. Aber meine Befürchtung, ausgebuht zu werden, bestätigt sich nicht; es erwächst ein allgemeines Gemurmel, weil es in der Tat klar ist, dass das Entscheidende gesagt wurde, und man sucht nach weiteren Aktivitäten. Irgendetwas wechselt in der ganzen Szenerie, und alle arbeiten handwerklich, auf einem grossen Bauernhof, auch ich selbst. Etwas Unausgesprochenes hindert mich, die Arbeit auszuführen wie die anderen. Man hat etwas zu tun mit sehr langen Stäben wie auf Baustellen, die mir zuerst wie Hölzer, im späteren Verlauf wie aus Titan vorkommen, immer länger, immer dünner, immer mehr federnd, bis fünf Meter lang. Zuerst müssen sie einfach von einem Platz zu einem anderen umgeschichtet werden, dann, wo es klar ist, dass ich keine Kraft habe, trage ich die Stücke, einzeln und dann ein paar zusammen, über einen weiten Parcours schlussendlich auch über hohe Ruinenmauern an ihren Bestimmungsort. Mit jeder Runde komme ich mehr in Schwung, und man bemerkt das auch, so dass die anderen immer mehr zuzuschauen beginnen, statt wie vorher an der alten Stelle die Arbeit auszuführen. Es ist ein bisschen, als ob ich in einer riesigen Sporthalle wäre und angefeuert würde (am Mittag langweilige Sendung über eine Romanbiografie Zatopeks aus Frankreich gehört). In der letzten Runde bin ich bei titanischen Kräften, habe sehr viele und sehr lange, federnde Titanstäbe auf der rechten Schulter und spurte in der Tat wie Zatopek meine Runde, die am Ende auf dem sehr grossen Gehöft nach einer Rechtskurve einen Hang hinauf führt, dann durch ausgebrannte Mauern, wie ich sie in Niederbottigen auf dem Winterspaziergang auch wieder tags zuvor gesehen hatte. Dabei pfeife ich durch den Mund eine Art Flötenmusik, die immer lauter wird, völlig hemmungslos und extrovertiert, sehr virtuos – und vielstimmig, wie Jeremy Steig, dachte ich beim Aufwachen, den ich seit fast dreissig Jahren leider nicht mehr zu hören bekommen hatte. Mitten im schwierigen Besteigen der verkohlten Balken mit den langen Stäben auf den Schultern von meinem eigenen übermütigen Höllenlärm aufgewacht.