Flötenmusik mit Titanstäben
Montag, 4. Januar 2010Riesenlanger Traum mit vielen aneinandergereihten Episoden, wo einiges trotz spontaner Notierung nicht mehr korrekt erinnert werden kann. Vor 25 Jahren an der Uni oder an einer sonstigen Veranstaltung werden feminismusnahe Fragen diskutiert, fast eine Massenveranstaltung mit Reihumbeiträgen. Sie sind alle ziemlich interessant und werden wohlwollend aufgenommen. Ich merke, dass dann, wenn ich an der Reihe bin und zu reden beginnen muss, alles gesagt sein wird, und in der Tat, ich sage, dass ich in Wirklichkeit nichts weiteres hinzufügend mehr sagen kann. Aber meine Befürchtung, ausgebuht zu werden, bestätigt sich nicht; es erwächst ein allgemeines Gemurmel, weil es in der Tat klar ist, dass das Entscheidende gesagt wurde, und man sucht nach weiteren Aktivitäten. Irgendetwas wechselt in der ganzen Szenerie, und alle arbeiten handwerklich, auf einem grossen Bauernhof, auch ich selbst. Etwas Unausgesprochenes hindert mich, die Arbeit auszuführen wie die anderen. Man hat etwas zu tun mit sehr langen Stäben wie auf Baustellen, die mir zuerst wie Hölzer, im späteren Verlauf wie aus Titan vorkommen, immer länger, immer dünner, immer mehr federnd, bis fünf Meter lang. Zuerst müssen sie einfach von einem Platz zu einem anderen umgeschichtet werden, dann, wo es klar ist, dass ich keine Kraft habe, trage ich die Stücke, einzeln und dann ein paar zusammen, über einen weiten Parcours schlussendlich auch über hohe Ruinenmauern an ihren Bestimmungsort. Mit jeder Runde komme ich mehr in Schwung, und man bemerkt das auch, so dass die anderen immer mehr zuzuschauen beginnen, statt wie vorher an der alten Stelle die Arbeit auszuführen. Es ist ein bisschen, als ob ich in einer riesigen Sporthalle wäre und angefeuert würde (am Mittag langweilige Sendung über eine Romanbiografie Zatopeks aus Frankreich gehört). In der letzten Runde bin ich bei titanischen Kräften, habe sehr viele und sehr lange, federnde Titanstäbe auf der rechten Schulter und spurte in der Tat wie Zatopek meine Runde, die am Ende auf dem sehr grossen Gehöft nach einer Rechtskurve einen Hang hinauf führt, dann durch ausgebrannte Mauern, wie ich sie in Niederbottigen auf dem Winterspaziergang auch wieder tags zuvor gesehen hatte. Dabei pfeife ich durch den Mund eine Art Flötenmusik, die immer lauter wird, völlig hemmungslos und extrovertiert, sehr virtuos – und vielstimmig, wie Jeremy Steig, dachte ich beim Aufwachen, den ich seit fast dreissig Jahren leider nicht mehr zu hören bekommen hatte. Mitten im schwierigen Besteigen der verkohlten Balken mit den langen Stäben auf den Schultern von meinem eigenen übermütigen Höllenlärm aufgewacht.