Archiv für den Monat Mai, 2015

Lulu

Dienstag, 26. Mai 2015

Gestern Abend auf Bayern 4 direkt live aus dem Münchner Nationaltheater Alban Bergs Lulu mit Marlis Petersen, Daniela Sindram, Bo Skovhus, Pavlo Hunka, Matthias Klink, Bayerisches Staatsorchester, Leitung: Kirill Petrenko.

Eine wohltuend vermittelnde musikalische Interpretation ohne leichtfertige Schrillheit, die doch immer nur so tun musste, als würde die Welt sei es durchs Kapital oder die Regressivität der Einzelnen in der Gesellschaft an die Wand gefahren. Die Oper von gestern, als Aufführung in München am 25. Mai 2015 der Bergoper aus den 1930er Jahren, steht noch im Glauben, dass das Kräftespiel zwischen Ökonomie, Gesellschaft und Natur in den kommenden Zeiten Bestand haben wird.

Sizilianisches Erbe

Samstag, 23. Mai 2015

Dieweil die Eltern die Emmener Alphütte beleben, klauben wir alternden Kinder die Fundsachen für uns aus ihrem Mobiliar. Während Jahren bewunderte ich die zwei Stücke, die schon in Grossmutters Siderser Wohnung die Phantasien reizten. Von ihr selbst stammen sie her, aus ihren ersten Monaten in Palermo. Ich beäugte die Wunschlisten der anderen Erben genau auf diese Stücke hin; da sie nirgends notiert standen, packte ich sie heute je einzeln dreimal in Gefrierbeutel, zweimal in Stofftaschen und viele Male in weiche Kissen, mitten in den Rucksack. Keine Partie der Wunderdinger hat Schaden genommen…

Zusatz 19. Juni 2015, erste Beute aus uralten Fotobänden:

Grossmutter mit ihren Eltern und der älteren Schwester Anita, der späteren Apothekerin in Leuk und im Leukerbad.

Grossmutter mit Urgrossmutter und Grosstante.

Grossmutter vornehm behütet. Von da kommt also die Noblesse her, die ich als Feriengast herausspürte, wenn sie in schlechter Stimmung über den Stallbauer meckerte. Als Trachtenweib rettete sie die Kultur des Wallis, dieweil ihr Mann nur den Walliser Kulturboden am Leben zu erhalten trachtete – was ihm für wie kurze Zeit auch immer gelungen war.

Grossmutter als Postkartensujet von Evolène.

Die sizilianische Walliserin in der Mitte.

Postkarte von Sion auf der Route de Savièse – mit der Tracht von Evolène (Grossmutter links).

Grossmutter, zwei von ihr gewünschte Töchter, ihre zwei wirklichen Töchter Ruth und Vreneli: sie waren sauer, weil sie für die grossen Herren feinen Fendant haben einschenken müssen.

Zusatz 28. Juni 2015: erst jetzt sehe ich, dass die zwei Töchter gar keine Evolèner, sondern Savièser Hüte aufgesetzt haben.

Avanciertes Mittelalter

Dienstag, 12. Mai 2015

Soeben live auf SWR 2 Konzert vom 7. Mai in St. Joseph, Speyer. Huelgas Ensemble: Music in apocalyptic times 1000-1400.

1. Alleluia. Judicabunt sancti nationes. Two-voice organum, the first step to polyphony. Anonymus, ca. 1000

2. Kyrie Cuthberte. Three voice troped mass-part in honour of Saint Cuthbertus. England, anonymus, ca. 1280

3. Hypocritae Pseudo Pontificis. Three part motet, a critic on the clerus, anonymus, France ca. 1300

4. Viderunt omnes. Organum quadruplum for Eastern. Magister Perotinus, Paris ca. 1200

5. O Maria Maris stella / O Maria Dei Cella / O Maria Virgo / In veritate. Four-voice motet, with three different texts, anonymus, France, thirteenth century

6. Kyrie & Gloria from the “Messe de Nostre Dame”, four voices, Guillaume De Machaut ca. 1300-1377

7. Puisque la mort. Lamento on the dead of Eleanore d’Aragon (1382), Matteo da Perugia, ca. 1360-ca. 1426

8. Credo in unum Deum, isorhythmic mass-part for four voices, anonymus, Cyprus (the Court of Lusignan), ca. 1380

9. Science na nul anemi. Ballad for four voices, Matteo de Sancte Johanne, second half fourteenth century.

Jedes Stück lässt die Kinnlade offen stehen… Grandios!

Sonnenfinsternis in der Oper

Montag, 11. Mai 2015

Soeben live auf France Musique Opéra enregistré au Théâtre des Champs-Elysées (Paris) le 7 mars 2015: Solaris.

Dai Fujikura (né en 1977), Solaris, Opéra en quatre actes (2015), livret de Saburo Teshigawara, d’après le roman de Stanislas Lem (création mondiale). Sarah Tynan, soprano (Hari), Leigh Melrose, baryton (Kris Kelvin), Tom Randle, ténor (Snaut), Callum Thorpe, baryton-basse (Gibarian), Marcus Farnsworth, baryton (Kelvin, hors scène), Gilbert Nouno, réalisation, informatique musicale Ircam, Ensemble Intercontemporain, Erik Nielsen, direction.

Was soll man mit einer Uraufführung machen, deren Teile man im knapp 90 minütigen Verlauf immer nur als schon bekannte erfährt? Ein radikal überflüssiges, ärgerliches Stück Musik. Ebenso jämmerlich das Pariser Publikum, das am Abend der Uraufführung keinen einzigen Buuhrufer aufzubieten vermochte; wie viel Einerlei in der Musik, so viel auch in der folgsamen Meute.

Zusatz: Abstrahiert man von der Musik, kann man die Gelegenheit nutzen, sich an Lems Solaris vor dreissig bis vierzig Jahren zu erinnern, sei es mit oder ohne den dazwischen geschaffenen Adaptionen in der Film- und Hörspielindustrie. Damals war Solaris nur eine von vielen Varianten, pantheistische Erzählmomente in den Weltraum zu exterritorialisieren, beileibe nicht die beeindruckendste. Angesichts der Fragen von Big Data steht die Geschichte heute aber ganz anders da, und sie dünkt mich nun eine der vorzüglichsten dieses Autors, weil die konkrete Phantasie darin mitnichten mehr als ein bloss unterhaltendes Spielfeld abgetrennt von aller Theorie erscheint. – Aus dieser Perspektive ist es umso schlimmer, wenn der avancierte diskursive Gehalt in einen erdrückenden Pelz voller musikalischer Motten gepackt wird.