Archiv für den Monat September, 2016

ur-Geräusch

Freitag, 23. September 2016

Soben direkt live auf WDR 3 aus der Beethovenhalle Köln das WDR Sinfonieorchester Köln, Leitung: Marek Janowski.

Hugues Dufourt, Ur-Geräusch, Uraufführung.

Ganz nach meinem Geschmack.

Geschreddertes Vortragsmanuskript

Donnerstag, 22. September 2016

Ich schreibe meinen Vortrag über Musik & Philosophie zügig zuende, und weil noch genügend Zeit ist, klebe ich die einzelnen Abschnitte auf handtellergrosse Kartonscheibchen. Dann geht es durch die Gänge der weitläufigen Universität, wo ich den vorgesehenen Raum betrete, bestuhlt ohne eigentliches Vorne und Hinten wie ein Bierzelt. Darin schon viele Studis, ich setze mich ohne langes Suchen irgendwohin, wo es gerade Platz hat, mittendrin, packe meine Sachen aus und merke, dass es eng werden könnte, da immer mehr in unmittelbarer Nähe Platz nehmen, J. B. links, die offenbar immer schöner wird und nicht gewusst hat, dass ich heute vortrage, rechts ein Unbekannter, der eine Art Mechano Kinderspielzeug ausbreitet und vorhat, während der Stunde damit zu spielen. Es wird stetig enger, was meinen Vortragsunterlagen nicht entgeht: je mehr ich von ihnen auspacke, desto kleiner werden sie selbst wie im gleichen Zug auch die bereits ausgebreiteten. Sie werden nicht nur kleiner, sondern auch zerschnitten; diese einzelnen länglichen Schnipsel ringeln und verkleben sich. Ich habe nun vor mir ein Gebilde liegen wie ein Wollknäuel und versuche mit wachsender Verzweiflung, die verklebten Schnipsel auseinander zu drehen und auseinander zu ziehen, ebenso die verklebten Partien voneinander abzuziehen. Am linken Rand des Raumes (gemäss meiner Sitzrichtung) entnimmt Georg Jánoska eine Platte aus ihrer Hülle und startet sie auf dem Plattenteller, John Coltrane. Merde, jetzt auch noch der abgestandene Kampf gegen den Jazz… Ich weiss, wer ihm den Mist gebracht hat. (So funktioniert das Schlechte in der Welt: man drückt den Ahnungslosen etwas Simples in die Hand, das erwiesenermassen mit der Sache nichts zu tun hat, nicht via Medien, sondern im massiven Strukturzusammenhang der Kulturindustrie. In den Ahnungslosen bilden sich starke Affekte, die in der Zeit sedimentieren und die Wahrnehmungskanäle oder -organe erodieren; werden solche Subjekte aufs Reale hin angesprochen, ist kein Raum mehr für es da, sondern alles immer schon materiell verstellt.) Bevor ich es nur noch mit einzelnen Buchstaben zu tun habe, gehe ich zum gut gelaunten Professor und zeige ihm mein Malheur, wenigstens die Resten des Ganzen. Er missversteht, was er sieht, und findet es lustig, einen Vortrag auf so winzigen Schnipsel geschrieben zu haben, was doch gar nicht stimmt. – Leider bin ich schon an dieser Stelle aufgewacht, weil es einfach keinen Sinn macht, Coltranes Geguugge mit Philosophie in Verbindung zu bringen, schon gar nicht improvisierend.

Musik unter der Burka

Freitag, 16. September 2016

Gestern Abend direkt live auf Deutschlandradio Kultur aus der Philharmonie Berlin Leila Josefowicz, Violine, Berliner Philharmoniker, Leitung: John Adams.

John Adams, „Harmonielehre“ für Orchester.

John Adams, „Scheherazade“ – Zweite Dramatische Sinfonie für Violine und Orchester.

In dieser Musik wird nicht ein Gebilde entfaltet, das es in einem Bezug zu allen anderen Werken der Gegenwart und der Geschichte der Musik zu entziffern gelte; sondern einer spricht in dreister Unvermitteltheit zum Publikum, der weiss, dass er vom Geist der künstlerischen Allmacht durchströmt ist und sein Gesicht – seine Wahrhaftigkeit – unter der Burka nicht zu zeigen braucht. Ich fühle mich in niederträchtiger Weise bedrängt, wie sich die vielen Einzelnen in denjenigen fernen Gesellschaften fühlen müssen, wo sich die US-Amerikaner aufdrängten, um ihre eigenen fadenscheinigen Interessen durchzusetzen. John Adams wehrt sich gegen das Gesellschaftliche in der Musik und polemisiert gegen die fortschrittliche, aber bei kaum einem anderen Komponisten ist das Gesellschaftliche so offensichtlich … und so ätzend.

Nach Turangalila und Tutuguri: Trurliade

Montag, 12. September 2016

Gestern Abend direkt live auf Deutschlandradio Kultur Robyn Schulkowsky, Schlagzeug, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Leitung: Jakub Hruša.

Olga Neuwirth, „Trurliade-Zone Zero“ für Schlagzeug und Orchester (Deutsche Erstaufführung). – Auch dieses lang erwartete Schlagzeug-Orchesterstück von Neuwirth vermag es nicht, die Erinnerung an einen Soloabend von Pierre Favre vor über vierzig Jahren zu übertrumpfen: es scheint, als müssten alle KomponistInnen der Zeit am Schlagzeug scheitern. Im Detail ist das halbstündige Werk recht interessant. Aber man wundert sich darüber, dass ein so riesiger Aufwand im Kleinen in der grossen Dauer, der grossen Form, letzlich im Nichts verpufft. Ob es am Hörer liegt, der den Zusammenhang nicht sieht? Gut möglich, dass diese Konzertform ein direktes Liveerlebnis in situ verlangt, also das visuelle verfolgen der Anstrengung sowohl der Solistin wie der Orchestermusiker gegen die Anforderungen und Herausforderungen der Komposition.

Vorher auf WDR 3 ein gut gemachtes Hörspiel mit Originalaufnahmen, also ein Feature zu Ezra Pound: „Unseres Herzens Gordischer Knoten – Diskretionen von Mary de Rachewiltz, der Tochter Ezra Pounds, Hörspiel von Klaudia Ruschkowski.“ Pound lebte mit der Geigerin Olga Rudge zusammen; das Kind Maria gaben sie einer Amme nach Gais im Tiroler Pustertal mit, ohne den Kontakt abzubrechen. Maria heiratete Boris de Rachwiltz, mit dem sie 1955 in den eindrücklichen Schlossbau Brunnenburg in der Nähe von Meran einzog, wo Pound die letzten, intellektuell leergefegten Cantos schrieb. Die Sendung? Ein gutes Werk über einen unrettbaren hochstapelnden Dichter.

Tiefensoziologie

Mittwoch, 7. September 2016

Soeben in der Berner Tageszeitung Bund ein Interview mit treffsicheren Bemerkungen, Fragen: Alexandra Kedves, Antworten: Feridun Zaimoglu.

http://www.derbund.ch/kultur/theater/ich-sehe-blutige-kaempfe-auf-uns-zukommen/story/21752470

„Die Burka-Frage: Das ist doch vor allem ein Instrument im Überbietungswettbewerb von rechts. Die Manipulation und Volksverdummung feiert bei uns fröhliche Urständ. Gern schimpft ­­man über exotische Schurkenstaaten oder Fremde. Oder stilisiert das Minarett zum Zeichen der Militanz einer Religion wie in der Schweiz – da bin ich ­fassungslos. Ich glaube: Die wahre Gefahr heute ist der ungehemmte Finanzkapitalismus. Man schaue auf die konservativen Nebelredner, sie beherrschen das Handwerk der Lüge perfekt und lenken von der eigenen Schäbigkeit ab. Die Wahrheit von der sich öffnenden Schere, vom fest zementierten oben und unten wird verbrämt. Grosse Gesellschaftsschichten erodieren und werden angesteckt von einer tödlichen Melancholie. Und das Drücken von Empörungstriggern, das Auslösen lumpenvaterländischer Gefühle funktioniert wie Valium fürs Volk; dieses sucht Trost in der Wahl von AfD oder Front national.“

Es lohnt sich, das ganze Interview zu lesen.

Lachenmann, Gander, Ferneyhough

Dienstag, 6. September 2016

Soeben live auf WDR 3 vom 13. August 2016 aus dem hr-Sendesaal, Frankfurt, Internationale Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, Christian Dierstein, Schlagzeug; Klavier-Duo Sugawara/Hemmi; hr-Sinfonieorchester, Leitung: Lucas Vis.

Helmut Lachenmann, Air. Musik für großes Orchester und Schlagzeug-Solo (1969). – Ein noch ungebändigter, ungestümer Lachenmann, sehr anregend.

Bernhard Gander, bloodbeat für Orchester, Uraufführung. – Ziemlich blutarm & lahm, zum einen Ohr rein, zum andern rasch wieder raus.

Brian Ferneyhough, Firecycle Beta, Sinfonischer Torso für 2 Klaviere und Orchester. – Ein gebändigter, publikumsnaher Ferneyhough, bunt zum Anschauen, abgemildert zum Träumen.

Turangalîla & Tutuguri

Sonntag, 4. September 2016

Soeben live auf Bayern 4 vom 28. August 2016 am Baltic Sea Festival das Swedish Radio Symphony Orchestra, Leitung: Esa-Pekka Salonen, Solistin: Yuja Wang, Klavier.

Olivier Messiaen, Turangalîla-Symphonie. – Nach ein paar Jahren Hörpause heute mit Lust wieder gehört, wenn gegen Schluss hin das Ganze auch in einer amerikanischen gershwinischen Aufgeblasenheit zu verpuffen droht (zum ersten Mal bemerkt eine Radiomoderatorin, dieses Werk sei eines der leichteren von Messiaen). Es ist wohl immer noch besser als Wolfgang Rihms Tutuguri gestern auf Deutschlandradio (direkt live aus Berlin mit Graham Forbes Valentine, Sprecher, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Leitung Daniel Harding): ich hörte in die Übertragung hinein, ohne zu wissen, was gespielt wird, etwa 20 Minuten nach Beginn, und gab nach 40 Minuten auf, weil ich die Musik nicht wiedererkannte – sträflicherweise – und meinte, von diesem Komponisten mit Bestimmtheit noch nie ein Werk gehört zu haben, passagenweise ein schamloser Klau von Phrasen aus Varèses Stücken (wenn ab und zu auch nicht ohne Reiz), und das Ganze unter Umgehung der Bildung eines neuen Zusammenhangs (was allerdings nur dann zu beurteilen ist, wenn man überhaupt dem Stück von Anfang bis Schluss zuhört…), nicht zuletzt stärker im Sog der Tonalität als Messiaen in dem der – immerhin eigenen – Modalität.