Archiv für den Monat September, 2010

Bilderklau Der Bund

Dienstag, 28. September 2010

Während sich die Stadt Bern nicht scheut, von einem IV-Rentner mit Ergänzungsleistungen vorzeitig umgewandeltes Pensionskassengeld, das vom zeitlichen Lebenshorizont her gar nie erreicht werden kann, als Schuldentilgungsmaterial einzufordern, sind sich die grossen kommerziellen Medien weiterhin nicht zu fein, von der Website desselben Abgestraften Bilder zu klauen. Das Graffenried-Imperium muss auf tönernen Füssen stehen, wenn seine Kollborateure gezwungen sind, bei denjenigen Anleihen zu machen, die am meisten von der Gesellschaft bestohlen worden sind. Das untere Bild gegenüber St-Martin des Berner Bunds von gestern stammt von hier: http://www.ueliraz.ch/Wallis/Dichtkunst.htm

Intelligenz und Widernatur in der Kulturindustrie

Sonntag, 26. September 2010

Dem verblödeten Menschen mangelt es nicht am Vermögen, intelligent zu denken und zu handeln; was er verabscheut, ist das, was dem Spiel entgegenzustehen droht, die Ernsthaftigkeit. Die Unterhaltungsprodukte dürfen in allen ihren Momenten die Grenzen der Komplexität ausreizen, solange sie als Ganze nicht in Ernsthaftigkeit umkippen. Erst wo der Verdacht im Raume steht, ein Gebilde wäre insgeheim nicht als Spiel gedacht, sondern ernst, bricht es aus dem verdummten Menschen heraus und er denunziert das Komplexe – die schwierige Musik – als widernatürlich. Das Naturverständnis opfert sich in der Kulturindustrie gänzlich an die Künstlichkeit; die Berufung aufs Natürliche – „Menschliche“ – ist losgelöst von jeder Natur.

Urbanner, Sora, Stroppa, Baltakas

Samstag, 25. September 2010

Ich habe zwar seit fast zwanzig Jahren einen Kabelantennenanschluss für den Radioempfang, aber die Firma Cablecom schafft es erst seit einem halben Jahr, die immer schon versprochenen Sender Bayern 4, SWR 2, Espace 2 und France Music auch in der Hauptstadt der Schweiz in technisch akzeptabler Weise auszustrahlen. Was für eine Befreiung endlich aus der Verantwortungslosigkeit von DRS 2! Auch ich habe nun Einblick in das, was im Bereich der ernsthaften Kunstmusik aktuell komponiert und aufgeführt wird. Gestern ein umwerfendes Konzert auf Bayern 4 direkt aus München, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Lucas Vis mit vier grandiosen Stücken: Erich Urbanner „Begegnungen“, Tom Sora „Triaden“, Marco Stroppa „Ritratti senza volto“, Vykintas Baltakas „Scoria“. Drei Werke waren Uraufführungen, Stroppas „Ritratti senza volto“ eine deutsche Erstaufführung. Ich kenne jeden versteinerten Kuhfladen in den Walliser Krächen – aber die Namen der offenbar längst arrivierten Komponisten von so grossartiger Musik sind mir gestern alle zum ersten Mal begegnet. Ich lebe in einem vornehmen Land, wo der gesellschaftliche Status der KomponistInnen dem ontologischen der Alpentörtchen gleichkommt.

Tafelmusik zum Tischrücken

Freitag, 24. September 2010

Gestern auf DRS 2 das Konzert unter Boulez mit dem Lucerne Festival Academy Orchestra in Luzern vom 1. September 2010: Strawinskys unproblematische Bläsersymphonie, sein leicht verkitschter Chant du Rossignol (die Oper, immer schon kitschanfällig, auf DVD gesehen, dünkte mich interessanter), am Schluss Schönbergs Pierrot lunaire, enorm energiegeladen sowohl durch die Präzision der Gesamtaufführung wie durch die Vitalität, Geschmeidigkeit und, nicht zuletzt, die Schönheit der Stimme von Olivia Stahn. Dazwischen vom hundertzweijährigen Carter die Lieder What Are Years (2010 an drei Festivals von verschiedenen Bands ur- und zweitaufgeführt, in Aldeburgh, Tanglewood und eben Luzern). Ich folgte dem zwölfminütigen Werk äusserst berührt, wie halbwegs aus einer anderen Welt, als ob einige Parameter im Leerlauf mitliefen, weil gewisse Schaltzentralen der musikalischen Produktion ihre Aktivität nun doch schon eingestellt hätten – geringfügige, aber vom Alter desto entschiedener nicht pardonnisierbare. Man müsste in einem Verein für Tischrücken Einsitz nehmen, um die Signale aus der anderen Welt empfangen und deuten zu können.

Hemdriss

Donnerstag, 23. September 2010

Vor kurzem, an Hendrix‘ Todestag, ein altes Hemd weggeworfen. Ich traute meinen Augen nicht, gegenüber dem Badzimmerspiegel, wie der überstehende Wadenbeinknochen zur Schulter herausschaute, weil just an dieser Stelle drei bis vier Zentimeter im Durchmesser der Stoff gerissen war, immer schon in Spannung durchs Rucksacktragen auf dem unbeschädigten Schlüsselbeinknochen. Wie wäre ich in einem leeren Zugwagen gereist, bei übervollen Zügen, wenn das unterwegs passiert gewesen wäre, in der Hitze der letzten Zeit, wo nichts überm Hemd zu tragen war und ich nie die Gelegenheit gehabt hätte, in einem Spiegel das Malheur zu erkennen?! – Kein Wanderer braucht es mir übelzunehmen, wenn ich mich ausser Grussweite wegbewege.

Rechthaberei

Donnerstag, 23. September 2010

Ich hatte gestern zwei Wandrerinnen weggescheucht, die mir auf einem abseitigen Weglein nachgekommen waren, weil sie fälschlicherweise glaubten, auch ich würde zum Albrunpass gehen wollen. Ich sagte ihnen, von oberhalb des steilen Hanges gäbe es kaum einen Weg in die Richtung, die sie zu gehen wünschten. Dem war dann zwar so, und doch scheint mir ihr Drängen im Nachhinein vernünftiger und richtig: wären sie mir wortlos den ganzen Weg gefolgt, hätten sie, herumblickend auf dem Gandhorn, vom Binntal mehr gesehen als auf der Tagesroute Richtung Albrun. Hätten sie bloss nicht gefragt!

Figures, Doubles, Prismes

Freitag, 10. September 2010

Gestern am Radio live vom 5. September 2010 aus Luzern Pierre Boulez mit dem Lucerne Festival Academy Orchestra: Figures, Doubles, Prismes (1957/1963/1968). Helle Begeisterung bei mir gegenüber dieser Aufführung (wie auch gegenüber der nachfolgend gespielten Sechsten Symphonie Gustav Mahlers). Heute Morgen schaute ich bei meinen eigenen Einschätzungen von musikalischen Werken des 20. Jahrhunderts nach http://www.ueliraz.ch/neuemusik/werkkritik-1.htm und stellte fest, dass ich dieses Werk vor vier bis fünf Jahren offenbar nicht besonders hoch einschätzte, insbesondere fällt auf, dass verschiedene Passagen nicht einfach als unterschiedliche begriffen wurden, sondern in ihrer Qualität voneinander abgesetzt. Ich habe also die alte Aufnahme nochmals durchgehört, auch diese von Boulez dirigiert, im März 1985 mit dem BBC Symphony Orchestra. Mit Ausnahme der Streicherpassage im letzten Teil dünkt sie mich in der Tat „schlechter“ (kein Wort, das man bei Boulez gerne gebraucht…), weil die leisen Momente weniger artikuliert, also matter erscheinen und die quasi schreitenden Staccatoteile abgedämpft, ja abgebremst. Mich dünkt eindeutig, dass ich in der alten Aufnahme in diesem Stück eine Zusammenfassung des frühen Boulez hörte, wohingegen die neue Aufnahme von Luzern dieses bis ins Unwirkliche ziselierte Stück als Vorwegnahme von Répons zeigt.

Ex machina

Sonntag, 5. September 2010

Auf drei Wanderungen konnte ich im Wallis kürzlich spezielle Stallbauten fotografieren, deren Dachkonstruktionen kein Holz enthalten, auf zwei, eventuell drei Alpen im Val des Bagnes, dann im Oberwallis auf einer im Steinutal (siehe Photos 21., 22. und 29. August 2010). Was es mit ihnen auf sich hat, ist völlig unklar, die Googlesuche bis jetzt ergebnislos. Heute ein Telefonanruf eines Coucousins aus dem Graubünden, der sich nach etwas Verwandtschaftlichem erkundigte. Im weiteren Gespräch erwähne ich die Walliser Ställe und frage, ob er solche im Bündnerland kenne. Ja friili! Er kenne sie als Trulli (Einzahl Trullo) von Alberobello in Apulien, und zwei gibt es auch auf Sassal Masone beim Berninapass, mit obligatem Grappa. Sofort suchte ich danach, und nebst Bildern von Steinbauten an den genannten Orten gibt es auch einen Wikipädiaartikel unter Trullo. Allerdings bleibt eine Besonderheit bestehen: die Trulli sind runde Spitzbauten, die Walliserställe haben zwar eine gewölbte Decke, die indes einen langen Tunnel formt, dessen Wände senkrecht sind und im rechten Winkel zueinander stehen. Die eindeutige Lösung ist, was mich freut, noch nicht gefunden.