Wenn sich die Medienlandschaft ändert, springt einem das Schlechte in die Augen – das Gute muss man länger suchen. Die Radiostationen in ganz Europa (und also auf der ganzen Welt) haben bezüglich der neuen Kunstmusik einen verbrecherischen Charakter angenommen, die wenigen Konzerte geschehen zu weit entfernt oder sind, wie in Luzern, viel zu teuer oder durch Gebrechlichkeiten des morschen Publikums sonstwie unzugänglich. Die CDs waren immer schon zu teuer, und ob von offiziellen Firmen überhaupt noch neue produziert werden, weiss ich längst nicht mehr (der zuständige Ententeich im Schweizer Radio gibt darüber keine verbindliche Auskunft). In den Richtungen Radio, Konzertveranstaltungen und CD-Vertrieb zu hoffen, treibt uns Maniacs nur weiter die Tränen in die Augen.
Seit dem installierten Zugang zum Internet Februar 2000 wundere ich mich darüber, in welchen primitiven technischen und technologischen Standards die Komponisten und Komponistinnen hier wahrgenommen werden müssen, diejenige Gruppe der Gattung Mensch, die mich am meisten interessiert und die als erste die elektronischen Mittel halluzinierte (Varèse) und die Prototypen dann als erste in künstlerischen Zusammenhängen einsetzte (Varèse, Cage, Stockhausen). Mit dem Computer kam die 4X in Paris, die das Träumen nochmals aufkochte – aber nach 1984 zerfiel die musikalische Entwicklung in Wüstungen, und ausser Répons von Boulez machte sich nur Düsternis & Nichts in den Weiten des musikalischen Raumes breit. Weder hat man von Werken gehört, die die neuen Mittel nachhaltig einsetzen, noch von Ästhetiken, die aus dem Umgang mit ihnen entstanden wären. Am schlimmsten dünkt mich, wie die Schöpfer sich präsentieren: als hätte ihnen nämlich die Entwicklung der ersehnten neuen Mittel die Sprache verschlagen und sie in einen Neoalphabetismus zurückkatapultiert. Sucht man den Namen eines Komponisten oder einer Komponistin, findet man entweder gar keine Website, eine dürftige oder eine kommerziell vorfabrizierte in php oder flash, deren Werbedesign man einmal goutiert und dann kein zweites Mal mehr besuchen will. Es ist, als ob die Technologie des Internets den zeitgenössischen MusikerInnen ein Gräuel wäre, über den sie weiter keine Gedanken verlieren möchten.
Dabei entgeht ihnen das Ganze einer möglichen guten Existenz in der Kunstmusik. Der Webspace einer eigenen Website mit 14 GB kostet heute bei hostorama.ch 4 Franken im Monat, die Registrierung des Namens bei Switch zusätzlich 27 Franken im Jahr. Editors zur Erstellung der Seiten gibt es diverse, die keine Probleme machen, solange man den Standard-Code Html nicht überschreitet. Kostenlos ist auch ein FTP-Programm wie FileZilla. Speichert man die eigene aufgenommene Musik im mp3-Format, benötigt man knapp 170 MB für eine CD von 60 Minuten. Für weniger als hundert Franken im Jahr kann ein Mensch, der kein fauler Sack in der neuen Musik sein will, weit über 70 CDs im Internet deponieren, Texte dazu schreiben, Bilder von Partituren und anderem beifügen.
Ich weiss nicht, wo das Problem liegt, ob die jungen KünstlerInnen über die Verhältnisse nicht orientiert sind oder ob sie einer Vornehmheit frönen, die es ihnen verunmöglicht, ausserhalb der offiziellen Kanäle ihre Werke öffentlich zugänglich zu machen, aus Angst, im voraus als Dilettant abgestempelt zu werden. Ich bin überzeugt, dass der ganzen gesellschaftlichen Lage der neuen Musik ein Tritt versetzt wird, wenn die einzelnen Stücke überhaupt wieder zugänglich werden und von einzelnen, so verschroben sie sein mögen, mit grimmigen Ohren diskutiert werden. Natürlich wird auch so das meiste in der allgegenwärtigen Ignoranz verpuffen – wenn aber erst einmal einzelne Werke an verstreuten Orten in noch so unbedarften Stilformaten ein Echo erleben, dünkt es mich nicht im geringsten ausgeschlossen, dass die ernste Kunstmusik wieder in neuerschaffenen Subkulturen an Terrain zurückgewinnen wird.