Archiv für den Monat Juli, 2017

Messiaen, La Transfiguration (2)

Samstag, 22. Juli 2017

Soeben direkt live auf Bayern 4 aus der Felsenreitschule Salzburg Konzert des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, Leitung: Kent Nagano, Chor des Bayerischen Rundfunks, Solist: Pierre-Laurent Aimard, Klavier.

Olivier Messiaen, La Transfiguration de Notre-Seigneur Jésus-Christ.

Gleiche Aufführung wie am 24. Juni, ganz leicht weniger ergreifend. Auch Religionsfremde könnten sich auf den intendierten Gehalt einstellen, wenn das Latein nicht so penetrant die Szene beherrschen würde: heute schien es mir, als frässe die alte Militärsprache ständig an der Musik. Wenn ein paar Männer für sich auf Latein rezitieren, fühle ich mich in die Kindheit versetzt, neben die Kaserne, und beobachte die Truppen, aufgeteilt, wie sie den Unteroffizieren Gehör schenken müssen. Ich kenne das nur als das Falsche der Gesellschaft, keineswegs als Terrain, auf dem Verklärung zu phantasieren wäre.

Die Widerspenstige

Samstag, 22. Juli 2017

Zur besseren Lesbarkeit von Ställe, einem der Kerne der Website, der nur ausspricht, wie zu lesen sei, was die Bilder zeigen, werden in der Zusatzabteilung 9 („Die im 20. Jahrhundert bewirtschafteten Alpen in den gegenwärtigen Bezirken“), die erst fertiggestellt wird, wenn das Gehen wirklich nicht mehr geht, alle Walliser Kuhalpen so gezeigt, dass ihre Einzelbauten erkennbar sind. Man muss sie in ihrer riesigen Totalität versammeln, wenn man zeigen will, dass sie keine Totalität bilden, kein System, sondern in diversen irreduziblen Eigentümlichkeiten dastehen, deren Verwirklichung und Gelingen jedes Jahr aufs Neue vom Willen der Geteilen und der Unwägbarkeit der Natur gleichermassen abhängig sind.

Heute ist im Berner Bund ein Artikel erschienen, den ich zwar nicht lesen darf, weil er nur AbonenntInnen zugänglich ist und ich zu arm bin, um ein Abo zu finanzieren (leid tun mir nur die Journis, deren Arbeiten immer mehr ungelesen verpuffen). Doch schon im Inhaltsverzeichnis wird verraten, dass von einer Alp die Rede ist, die hoch über dem Saaser Tal liegt – und die man auf meiner Website gar nicht finden kann… Die Alp heisst Sänntum und ist schwierig zu fotografieren, wenn man nicht direkt bei ihr vorbeigeht. Ich zeige ein Bild, auf der sie so gut es eben geht noch erkennbar ist, leider nicht in einer Teleaufnahme (auch vom Augstbordhorn herunter hatte ich im Grossformat nur Gspon ohne diese Alp fotografiert):


Auf dem Höhenweg Grächen-Saas Fee, 12. 10. 2010: Gspon, Mitte rechts Sänntum

Zu meiner Verteidigung: Lange Zeit benutzte ich nur 50’000er Karten, weil ich fast nur solche hatte. 25’000er vom Grossvater, die Römerkarten, hatte er regelmässig auf durchlöcherte Reste reduziert, weil er die anderen Teile zu den Plänen für die neuen Ställe klebte. Der Name Sänntum der fraglichen Alp erscheint zu den vorher schon namenlos eingezeichneten Hütten erst 1973 und nur auf der 25’00er Karte. Trotzdem, man sollte beim Fotografieren die Augen offen halten, ohne Frage – und die Archive ohne Murren füllen.

ur I und III gratulieren ur II

Samstag, 15. Juli 2017

Herzliche Gratulation zur Ankunft in der Pubertät, im vollendeten fünfzehnten Lebensjahr! Mit den besten Dankesgrüssen an Ralph Hertel und Uli Seidl mit den Teams 2002 in der Insel und anschliessend in Montana!

Beim Aussteigen aus einem Personenwagen kommen körperliche Bewegungen und Verrenkungen zum Einsatz, die mir offenbar nicht geläufig sind. Vor zwei Monaten registrierte ich bei einem solchen seltenen Ausstieg, wie es in der linken Schulter knackste, als ob sich eine Schraube gelockert hätte. Ich merkte, wie sich der N. Medianus verspannte – wie er es schon 2002 tat, etwas schwächer im Vergleich zum Radialis. Die Folge im jetzigen Fall war, dass zwei Wochen lang kein Reissverschluss, nach oben gezogen, geschlossen werden konnte. Braves Massieren wirkte aber Wunder, und seither ist im linken Arm, wenn er im Schlafen nicht falsch zu liegen kommt, fast immer alles wieder okay.

Schwieriger als der Schultergürtel, der im Alltag auf eine eindeutige, parierbare Weise eingeschränkt ist, zeigt sich der Beckengürtel, der tiefere Schwerpunkt des Gerüsts. Er ist die alte Glut im tief purpurnen und ebenso alten Vorwurf, der in Wirklichkeit nur ein Geständnis war, als blosses living wreck umherzugeistern. Auf den Tag verteilt sind es fast zwei Stunden, die einem Training angehören, das nichts mit Gymnastik oder Sport zu tun hat, aber um so mehr den Shows abgeschaut wird, wie sie die Mädchen von Jasmin beim Warmlaufen zeigen; es soll dazu dienen, den Zerfall des empfundenen Wracks aufzuhalten.

Die verschiedenen körperlichen Makel korrespondieren mit einer Schicht neuer Alpträume, die tel quel hinzunehmen ist und von sich aus keinen besonderen persönlichen Skandal darstellt.

Mehr zur Qual wird der allgemeine, sich im normalen Alltagsleben stetig ausbreitende Communication Breakdown, der einen zwar ständig zu Äusserungen zwingt, die ihrerseits aber nirgendwo dann ankommen, weil sie kaum je mit neuem Gehalt quittiert würden – als wäre man ein blosses Objekt des Zappens. Ist’s ihre Leseschwäche, ihr Gedächtnisschwund, ihr aggressives Desinteresse an der Existenz des anderen, das sie so paranoisch wirken lässt? Das Ärgernis entwächst weniger dem Leben der Personen, sondern demonstriert ihre Abhängigkeit vom Schlechten im Ganzen. Der Herausforderung kann man zunehmend nicht mehr gerecht werden, den Beweis an den Tag zu legen, dass der eigene Realitätssinn nicht abserbelt: dass man weiterhin erschütterbar bleibt und widersteht.

Gurtenfestival 2017

Mittwoch, 12. Juli 2017

Das Gurtenfestival hat begonnen. Der Berner Bund zeigt die ersten Bilder:

So geht das mit der Zeitgenössischen Schlagermusik.

Berio, Chemins V und VI

Montag, 10. Juli 2017

Soben live auf WDR 3 Konzert vom 24. Juni 2017 aus dem WDR Funkhaus Köln. Martin Griebl, Trompete, Pablo Márquez, Gitarre, WDR Sinfonieorchester Köln, Jean-Michaël Lavoie, Leitung.

Luciano Berio, Chemins V (su Sequenza XI) für Gitarre und Kammerorchester.

Luciano Berio, kol od (Chemins VI) für Trompete und Kammerorchester.

Zwei feurige Meisterwerke wie Blumen am Rand des Bergweges.

Nichtprofanbauten und ihre Zusätze in der Landschaft

Freitag, 7. Juli 2017

Die Aufzeichnung rechtfertigt den Gegenstand. Auch bei einem rein bildgebenden Aufzeichnungsverfahren sind sowohl der Anstoss wie das Deutungsziel begrifflich motiviert: man fotografiert einen Gegenstand oder einen Ausschnitt in der Landschaft, weil etwas Bestimmtes zu sehen ist und weil es auf eine bestimmte Weise gesehen werden soll. Der einzelne, im konkreten Bild bestimmende Begriff ist aber kein eindeutiges Einzelnes, sondern bildet einen Zusammenhang, dessen Teile in dem Masse wahr oder falsch sind, wie sie vom individuellen Meinen und Glauben und der gesellschaftlichen Ideologie abhängen.

Eisten-Stellinu (Saastal)

Wenn es der Menschheit gelingt, das globale Strohfeuer der religiösen Unvernunft zu bewältigen, werden die materiellen und immateriellen Gebilde der Religionen ausserhalb des Glaubens und des theologischen Gezänks deutbar sein. Sobald die nötigen Bedingungen explizit gemacht werden, sind sie es auch heute schon (wie sie es im übrigen vor der unverhofften Explosion des Religiösen schon einmal waren). Sie hören auf, Zeugnis abzulegen und werden zu gewöhnlichen Zeichen, die wie alles andere im Wirklichen wahrzunehmen sind, zuweilen mit grossem Interesse, zuweilen mit nur kleinem.

Die dörflichen Kirchenbauten beherbergen eine Stätte des Opferns, also einen Platz des Opfers als Gegenstand, und sie sind selbst eines, genaugleich wie die Kapellen und die Bild- und Opferstöcke. Die Wege, die diese Bauten miteinander verbinden, ruhen für denjenigen, der sie als Einzelner täglich geht, auf dem Urbild, dass die Gemeinschaft als Ganzes, in der Form der Prozession, auf ihnen steht und ständig wacht. Die Wege sind wie die Bauten Zeugnis einer gelebten Einheitlichkeit und zugleich Drohung einer Autorität, die sich darüber hinaus weder zu zeigen noch zu rechtfertigen braucht.

Das bewusste, strategische Opfer weiss, dass es nichts erreicht und aus anderer Einsicht getan wird als der, etwas im Anspruch der Verbindlichkeit erreichen zu wollen. Es ist kein Symbol im Opfer, und es selbst ist an keines gebunden, auf das es sich beziehen und das sich benennen liesse. Weil sie eine Beiläufigkeit und einen Zusatz der Verstandestätigkeit darstellt, bezeugt die allgemeine Opfertat nichts – im Gegensatz zum Glauben ist sie keine Konkurrenz zur Verstandestätigkeit. Sie ist dieselbe, die weiss, dass sie ihrem eigenen Argwohn untersteht.

Die Opfertat folgt zwei Tendenzen. Ihr Tun begnügt sich nicht mit dem Gefühl desjenigen, der die Tat ausführt und der Welt im Ganzen, in der sie geschieht. Sie umgarnt anderes, das in dem empirischen Verhältnis nicht aufgeht, weder in ihm wirklich ist noch einen einzigen, unwidersprochenen Namen hätte. Kein Tun gibt ihm so viel Realität wie das Opfer, obwohl es auch ausserhalb desselben ist. Zugleich ist diese Realität im Opfer indes wertlos. Das allgemeine Opfer bringt einen Gegenstand zum Scheinen, der keinen weiteren Wert haben darf als den, zu erscheinen und für die anderen im Ganzen dazustehen.

Weil er das Allgemeine übersieht und das Opfer konkretistisch und speziell deutet, sieht der religiöse Verstand die Bauten in der Landschaft nicht als Zeichen, sondern als Zeugnis – als gebe es nur diese Art des Opferns. Aber das allgemeine Andere im Opfer ist nicht das ganz Andere der Religionen; das Göttliche ist blosser Zusatz und dem Opfer nicht wesentlich. Zudem kann die religiöse Deutung der Fotoobjekte als Zeugnisse des Glaubens nicht sagen, ob dieser Glaube aus freien Stücken praktiziert wurde oder im Rahmen von Einschüchterungen und der Androhung von diesseitigen und jenseitigen Strafen durch diejenigen Instanzen, die den Glauben repräsentieren.

Das Opfer ist kein Opfer, sondern alter Teil der Verstandestätigkeit. Als sein allgemeines Resultat gibt es das Besondere, dass das Opferzeichen ein Vermögen darstellt, den Positivismus, den der Verstand inszeniert, zurückzudrängen. Das selbstgepflückte Blümchen in der Vase korrespondiert mehr mit dem Opfer als der Pomp in der Kathedrale, denn das Opfer ist nichts anderes als die geschenkte Zeit zur Wahrnehmung und Würdigung des Unscheinbaren, dessen, was ohne Glanz erscheint und da ist, um das, was als das Ganze erscheint und doch im Tod sein Ziel hat, erträglich zu stimmen.

Dem Positivismus kann dann nichts mehr entgegengestellt werden, wenn die Bereitschaft zur Opfertat nur noch darin besteht, sich zu schminken, bevor man sich in die Disco aufmacht, den Hort der Regression und des kalkulierten Glücks, um die vorzivilisatorische Befriedigung der Primärbedürfnisse so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Doch der allgemeine Positivismus ist kein Spielzeug. In ihm müssen sich die Waffen messen, weil sich in ihm alles darin realisiert, wofür es geschaffen wurde.