Archiv für den Monat Dezember, 2011

Silvesterspruch

Samstag, 31. Dezember 2011

Was ferfaat

Was ferfaat uf dä Dornu fam Ferdruss
z Lachä anzhechä
wen z Härtz än Brunnä Tränä êscht?
Besser ês t Waret z tzeichu
wen di scho schtêpft,
ferlêcht ênnerlich,
in der teif, fremd Witti,
cha de z Kwêssä
uf rêwig Zattärä
mascht chu schwêmmä.
Khei Fret, khei Ferdruss
schlään de kschprêtzändi da dra
un öw z Tzit
perchun de niwi Wärt.

Ditschember 2006

Pomatter Walliserdeutsch hinter den sieben Bergen des Binntals, Schriftdeutsch und Italienisch in: Anna Maria Bacher, Kfarwät Schpurä – Farbige Spuren – Tracce colorate, Zürich 2011

Was ist besser und verfängt, den Dornen des Verdrusses ein falsches Lachen anzuheften oder die Wahrheit zu zeigen? Möglicherweise sticht sie noch zusätzlich und weiter, aber gerade da macht sie das Gewissen frei und lässt es wieder ( = mascht) fliessen als wie auf einem ruhigen Floss. An keiner Freude und keinem Leid zerschellt die in die Redlichkeit eingelassene Wahrheit, und auch die Zeit bekommt einen neuen Wert.

Khatia: Franz, Fritz, Igor

Freitag, 30. Dezember 2011

Soeben live auf Ö1 Konzert vom 12. Dezember im Brahms-Saal des Wiener Musikvereins im Rahmen von „Rising Stars“.

Khatia Buniatishvili, Klavier.

Franz Liszt: a) Sonate h-Moll; b) Mephisto-Walzer Nr. 1 („Der Tanz in der Dorfschenke“)

Frédéric Chopin: a) Scherzo h-Moll, op. 20; b) Scherzo b-Moll, op. 31; c) Scherzo cis-Moll, op. 39

Igor Strawinsky: Trois Mouvements de Petrouchka

Zugaben: F. Liszt: Liebestraum Nr. 3 As-Dur, F. Chopin: Prélude e-Moll, op. 28 Nr.4

Immer wieder erstaunlich, wie Klavierwerke persönlich gefärbt erscheinen können, wenn sie gut gespielt werden.

Kapuzenmann

Freitag, 30. Dezember 2011

Eine jubilierende Menge in einer riesigen Bahnhofshalle, insbesondere einer mit einer Kapuze wurde gross verehrt. Nur ich wusste, was es mit ihm auf sich hatte. Er stand mit wenigen anderen in einer Gruppe direkt vor mir, er allein immer abgewandt. Ich sprach ständig auf ihn ein, damit er sich umwende und die dumme Masse zu merken begänne, was es mit ihm auf sich habe. Er drehte sich nur immer noch drohender halb an mich, damit ich Ruhe gäbe. Ich setzte wegen der Dringlichkeit und Wichtigkeit alles auf eine Karte, ging mitten in diese Gruppe und schrie ihn an. Nun musste er sich vollends umdrehen, um auf mich einschlagen zu können. Ich spurtete zurück zur grölenden Masse, der Sensemann hinter mir herstolpernd, unter der Kapuze nicht der Totenschädel, sondern eine flache, grell weiss leuchtende Platte, nur zweidimensional, die Augen zwei nicht angezündete elektrische Birnen, verglast wie bei den Autos. Ich triumphierte, zurück in der davonstiebenden Meute.

Mahavishnu Orchestra Montreux 1974

Dienstag, 27. Dezember 2011

Soeben gehört auf zwei CDs das Konzert des Mahavishnu Orchestras in Montreux 1974. Ich bin ein Fan von John McLaughlin mit dicker Haut, ein Kämpfer mit geschlossenem Visier für diesen Gitarrero gegen alle Windmühlen, auch gegen Zappa. Aber ein heutiger Fan hält die Hände weg von diesen Aufnahmen: einfach schief gelaufen, an jenem 7. Juli. Trotz des Witzchens mit Spoonful ist auch Sanctuary, eine Passagaglia, die ich immer im Kopf habe, weil sie einen auch dann körperlich in Schwung versetzt, wenn man meint, lustvoll-depressiv über sie nachzusinnen, das letzte Stück hier, ohne Zucker. (In diesen Jahren war es, wo einer sagte, er hätte nach einem Konzert des Mahavishnu Orchestras seine Gitarre an die Wand gehängt – es war eines in Zürich (ich selbst hatte nie ein McLaughlin-Konzert live erlebt)). (Ich befand mich damals in einem akuten Konflikt zweier Seelen in der Brust, über die Frage, welche Platte bzw. Kassette besser sei, Inner Mounting Flame oder Birds of Fire, und hatte alles Lesbare – aber zugänglich war mir in Wirklichkeit nur die LNN – gierig zu Gemüte geführt. Kaum vorstellbar, dass der Montreux-Korrespondent der Luzerner Neusten Nachrichten schlecht über den 7. Juli 1974 geschrieben hat. Sicher hatte er vom eingequetschten Streichquartett geschwärmt, zumindest die Idee davon bewundert. Zum Kotzen, die Kulturindustrie: einige Gebilde in ihr sind bewundernswert, folgt man aber ihrem erweiterten Spurenzusammenhang, tritt man von einer Scheisse in die andere.) Ich höre beim Schreiben Inner Mounting Flame und werde allmählich wieder zahm und ein braver Mahavishnu Fan wie in alten Zeiten.

Nikel (2) und Court-Cicuit

Montag, 26. Dezember 2011

Soeben auf France Musique Concert donné le 15 novembre 2011 au Théâtre Garonne de Toulouse en co-production avec le Théâtre de l’Archipel, le Musée d’Art et d’Histoire du Judaïsme et l’Ensemble Court-circuit.

Ensemble Nikel: Reto Staub, Piano, Yaron Deutsch, Guitare électrique, Vincent Daoud, Saxophone, Tom de Cock, Percussion. Musiciens de l’Ensemble Court-circuit, Julien Leroy, Direction. Sébastien Naves, Réalisation en informatique musicale, Emmanuel Martin, Régie plateau et son.

Festival Novelum – Localized corrosion: Un programme musclé, nerveux et rythmique proposé par les ensembles Court-Circuit (Paris) et Nikel (Tel Aviv). Vor kurzem erst spielte die Gruppe Nikel in Bern Stücke von Chaya Czernowin, hier am 8. Dezember hochgelobt. Heute in diesem Programm:

Marco Momi (1978), Ludica II, Ensemble Nikel.- Gut gespielte, aber in nur geringer Notwendigkeit komponierte Musik. Musikantenmusik wie ein aktualisierter, gleichwohl tonaler Hindemith.

Fausto Romitelli (1963-2004), Trash TV Trance, Ensemble Nikel. – Eine schön laute und uninteressante Unstruktur mit einem Grundton wie verankert in einem riesigen Betonklotz.

Philippe Hurel (1955), Localized corrosion, Ensemble Nikel. – Eine Weihnachtsmusik in kurzen Hosen, katholisch konservativ. Zappa’s dead, his socks in hell are going to smell again.

Fausto Romitelli (1963-2004), Professor bad trip, Volets 1 et 2, Ensemble Nikel und Ensemble Court-Circuit. – Endlich ein gutes Stück, farbig auskomponiert, mit einer grossen Spannung im Verlauf und unerwarteten Wendungen im Detail. Ich könnte noch lange weiter zuhören. Wegen der Vorenthaltung der zwei letzten Teile des Professors bad trip ist das Programm des Konzerts eher châtré statt „musclé“.

Merkhammer

Montag, 26. Dezember 2011

Der Merkhammer ist eine Installation bei den Walliser Wasserleiten, die so lange einen Holzhammer an einem Wasserrad auf ein Holzbrett aufschlagen lässt, als Wasser fliesst. Ist dieser lebensspendende Wasserfluss wegen eines Schadens unterbrochen, hört er auf, in die Gegend hinaus zu klopfen, und der Wasserhüter merkt, dass er nun einen Schaden zu beheben hat, einen kleinen allein, einen grösseren mit der Geteilschaft im Ganzen, also den Nutzniessern des Wässerwassers. Einen ökomusealen Merkhammer in Betrieb habe ich beim Bisse du Trient als Animation fotografiert http://www.ueliraz.ch/2010/trientgletscher.htm, einen anderen bei der Bärgeri gefilmt http://www.ueliraz.ch/2011/nesseltal.htm.

Am Indermühleweg, wo ich über zwei Jahre lang als Gratisabwart waltete, haben wir jetzt eine lustige Abwartsgruppe, von der die Treppenhauswischer das warme Wasser jeweils im Heizungsraum direkt aus dem Heizungssystem entnehmen, mit der Folge, dass man ab und zu einen Monteur kommen lassen muss, der das Heizungssystem wieder mit frischem Wasser auffüllt (eine Arbeit, die der Abwart früher selbst auszuführen hatte). Statt die Treppenhauswischer darüber aufzuklären, aus welchem Hahnen sie das Wasser in ihren Kübel fliesssen lassen sollten, hat man den Fachmann der Heizung kommen lassen, von Brevag. Am 23. Dezember hat er ein Teilchen der Heizung ausgewechselt. Geht man vor den verschlossenen Heizungsraum, bestaunt man den Sound wie aus dem zweiten Akt von Wagners Siegfried, als ob Mime nun am Indermühleweg die Schwerttrümmer zusammneschlossern wollte, pausenlos & unaufhörlich. Ist man in der Wohnung, belegt der Merkhammerklang nicht nur den akustischen Wahrnehmungssinn, sondern peu à peu das ganze System der kostbaren Nervenreize. Ich habe eine Laune wie einer, der soeben gemerkt hat, Teil eines Versuchsprogrammes zu sein, das die mentale Belastbarkeit testet – und einen Merkhammer in den Händen hält.

Papierkorbmusik

Sonntag, 25. Dezember 2011

Weihnachtsprogramme im Radio kenne ich seit jeher nur als miserablen Kitsch, als frivole Untermalung eines Gesellschaftsereignisses, dem ich nie etwas Erfreuliches abzugewinnen vermochte. Espace 2 macht heute eine lobenswerte Ausnahme. Und doch ist die Wirkung komisch: mir kommt die Programmzusammenstellung vor, als würde man aufs Jahresende hin den Papierkorb der neuen Musik leeren wollen.

Balade sonore au fil des sons venus du froid (die aufgelisteten Stücke wurden nicht in dieser Reihenfolge und ohne Ansage gesendet, jeweils also in der Unmöglichkeit, den Unsinn während des Hörens den KomponistInnen zuzuordnen): Åke Parmerud, Les objets obscurs. Musique électro-acoustique, pour voix et ensemble de chambre. – Fennesz, Fennesz, Perfume for winter. – Olga Neuwirth, Vampyrotheone, 2 solistes et 3 formations d’ensemble. – Franziska Baumann Where all the frozen things went, pour voix et électronique. – Franziska Baumann Blizzards, pour voix et électronique, Blizzards. – Vinko Globokar Cri des Alpes, pour cor des alpes. – David Lang The little match girl passion = La passion de la petite fille aux allumettes, pour ensemble de voix et percussions. – Natasha Barrett Microclimates III: Glacial loop. – Kaija Saariaho Du cristal, pour orchestre. – Kiko C. Esseiva Voyage en brise-glace. – Beat Furrer Face de la chaleur, pour flûte, clarinette, piano et orchestre. – Björk , Leila Storm. – Kaija Saariaho Mirrors, pour flûte et violoncelle. – Mika Vainïo In a frosted lake. – Georges Aperghis Avis de tempête. Opéra. – Charlotte Hug , Rhône

Geld, auch keines

Freitag, 23. Dezember 2011

Da gibt es einen Artikel, dessen Gehalte man ruhig zur Kenntnis nehmen darf, wenn man übers Wirtschaften heute sprechen will (vier Seiten, von Thomasz Konicz):

http://www.heise.de/tp/artikel/36/36123/1.html

Chamayou: Liszts Pèlerinage

Donnerstag, 22. Dezember 2011

Soeben auf France Musique Concert donné le 28 novembre 2011 au Théâtre des Champs-Elysées: Franz Liszt, Les Années de Pèlerinage.

Bertrand Chamayou, Piano. (Der Pianist von gestern mit dem zweiten Klavierkonzert Bartóks.)

Vielleicht war ich bis anhin ein Liszt Ignorant – ab jetzt wäre ich es nicht mehr.

Boulez: Schönberg und Bartók

Mittwoch, 21. Dezember 2011

Soeben direkt live de la Salle Pleyel: Bertrand Chamayou, Piano, Orchestre de Paris, Pierre Boulez, Direction.

Arnold Schönberg, La Nuit transfigurée Op.4 (1899).

Béla Bartók, Concerto N°2 Sz.112 BB.117 (1937,1938).

Béla Bartók, Concerto pour orchestre (1943).

So lebendig interpretiert wie heute hier, wird man versucht, Bartók wieder ernster zu nehmen als auch schon. Das ganze Konzert sollte auf CD erscheinen, trotz der rauchgesättigten Huster.

Geklaut auf Arte Live Web während der Verklärten Nacht.

Gegen das Eismeer gedacht

Mittwoch, 21. Dezember 2011

Gestern machte ich keinen Schritt vors Haus, da es ständig schneite und immer noch mehr Schnee im Indermühleweg anhäufte. Das Risiko war zu gross, trotz Anschaffung teuerster Schuhe mit Sohlen wie Seracs und Gletscherspalten, die Kantenschärfe wie die von Metzgermessern (die letzten, zweimal besohlten Schuhe waren nach einem halben Jahr so flach wie ein Eishockeyfeld). In der Frühe stand ich auf wie gewöhnlich, ziemlich happy, da das brave Wetterchen den Schnee zum Verschwinden gebracht hatte: keiner mehr auf den Ästen des grossen Baums, keiner mehr auf den Dächern. Was ich nach dem Aufstehen machte, wüsste ich nur allzu gerne. Tatsache ist, dass ich später nochmals erwachte, und ein Blick aus dem Bett durchs Fenster in die Nacht machte klar, dass die Schnee- und Eisverhältnisse dieselben geblieben sind seit 22 Uhr gestern Abend.

Pascal Dusapin, La Melancholia

Montag, 19. Dezember 2011

Soeben auf France Musique Concert enregistré le 12 novembre à la Cité de la Musique, dans le cadre du Festival d’Automne à Paris.

Igor Stravinsky (1882-1971), Requiem Canticles (1965-1966), Ensemble Vocal de la Radio de Stuttgart, Nicholas Kok, chef de chœur, Orchestre symphonique de la Radio de Baden-Baden et Freiburg, Jonathan Stockhammer, direction.

John Cage (1912-1992), Seventy-Four (1992), Orchestre symphonique de la Radio de Baden-Baden et Freiburg.

Pascal Dusapin (né en 1955), La Melancholia (1991), opératorio, I. Unius de quatuor, II. Il quarto loco, III. Saturnus, (livret en latin, allemand, italien et anglais de Pascal Dusapin sur des textes en langues originales de Galien, Trithème, Hildegarde Von Bingen, Leonardi Dati, Plotin, Everhard Von Wampen, Shakespeare, Homère, Saint Ambroise, Michele Scot, Chaucer, Hésiode ainsi que des auteurs anonymes), Ensemble Vocal de la Radio de Stuttgart, Nicholas Kok, chef de chœur, Orchestre symphonique de la Radio de Baden-Baden et Freiburg, Jonathan Stockhammer, direction, Ramona Nadaff, Gilles Grand et Louis Dusapin, voix parlées et enregistrées.

Stravinskys und Cages Stücke sind zwar o.k., interessieren hier aber nicht über die Bemerkung hinaus, dass die Tuba in 74 vielleicht etwas zu simpel in Betrieb gehalten wurde. Bei Dusapins Melancholia sollte man sich nicht durch die Zitate irritieren lassen, die im Operatorium auffällig vielschichtig nebeneinandergestellt erscheinen, denn sie sind alle aus einem einzigen Buch herausgelesen worden und sollen kaum eine Vielbelesenheit vorspiegeln. Um so mehr kann man sich auf die Musik konzentrieren, die einen auch im Frühwerk des Komponisten zuweilen überrascht, durch Dichte, Vielgestaltigkeit und einen leichten Zug, der schon Späteres vorwegnimmt. Von einer sicheren Meisterhand ist La Melancholia indes entschieden noch nicht geschrieben worden, weil die kleinen Formen zu einfach formuliert worden waren und ein Nachsinnen ins Gesamte des Stückes nur selten auslösen. Eine eigene musikalische Sprache ist eben erst daran, sich anzukünden.

Pierre Boulez: Das Klavierwerk

Donnerstag, 15. Dezember 2011

Soeben live auf Bayern 4 Aufnahme vom 14. Dezember 2011 im Münchner Prinzregententheater: Tamara Stefanovich und Pierre-Laurent Aimard, Klavier.

Pierre Boulez:

Douze Notations für Klavier [1945] (Pierre-Laurent Aimard)

Première Sonate für Klavier [1946] (Pierre-Laurent Aimard)

Deuxième Sonate für Klavier [1946/48] (Tamara Stefanovich)

Troisième Sonate für Klavier [1955-57], Formant 3: Constellation/Miroir, Formant 2: Trope (Pierre-Laurent Aimard)

Incises für Klavier [1993/94] (Tamara Stefanovich)

Une page d’Éphéméride für Klavier [2005] (Pierre-Laurent Aimard)

Structures pour deux pianos, Deuxième livre [1956/61] (Tamara Stefanovich und Pierre-Laurent Aimard)

Nicht nur die Kompositionen sind Wunderwerke, auch diese Aufführung ist ein ebensolches, von dessen Realisierung man nie hätte zu träumen gewagt. Structures II erscheint wie neu zum Leben erweckt. Bravisissimo!

Bilderklau in Walliser Medien

Mittwoch, 14. Dezember 2011

Man glaubt es nicht, aber beim Radio Rottu Oberwallis rro will man auch nach Jahren nichts davon wissen, dass Bilder im Internet nicht geklaut und als die eigenen ausgegeben werden dürfen. Was auf dieser Walliser Website geschieht, ist Diebstahl tagtäglich. Heute wurden hier auf einer einzigen Seite wieder einmal gleich zwei Bilder von meiner Website missbraucht: http://www.rro.ch/cms/

Das obere Bild heisst zeneggen-15.jpg und gehört zu dieser Seite: http://www.ueliraz.ch/2006/zeneggen.htm

Das untere Bild heisst visp-18.jpg und gehört auf diese Seite: http://www.ueliraz.ch/2005/bodmen/index.html

RRO liefert jeden Tag aufs neue den Beweis, dass die Medien nichts zur Aufklärung beitragen, um so stärker aber die Gebilde, die andere mit Anstrengung leisteten, bedenkenlos verhunzen.

John Cage im Pariser Hôpital de Toux

Montag, 12. Dezember 2011

Soeben direkt live auf France Musique aus dem Théâtre de la Ville in Paris das John Cage-Konzert „Vocal pieces / Freeman Etudes / One9“ mit Mayumi Miyata sho (solo), Carolin Widmann violin (solo), Exaudi Vocal Ensemble (12 singers), James Weeks direction.

Ear for EAR (Antiphonies, 1983), Ensemble vocal Exaudi, James Weeks, direction. – Grosse Spannung zwischen zwei mönchischen Männerstimmern und einer ebensolchen mit Riesenhustern im Publikum.

Freeman Etudes 2 et 3, pour violon solo (1977-1990), Carolin Widmann, violon. – Irvine Arditti hörte ich das ganze Stück (1-32) spielen in Frankfurt am 18. 9. 1992. Auch hier heute wieder die ebenso starke Faszination von damals.

Four Solos (1988), Ensemble vocal Exaudi, James Weeks, direction. – Vier freigelassene Cathy Barbarians auf der Bühne; endlich stoppen die PariserInnen das Husten und lachen, zaghaft.

Freeman Etudes 16 et 27, pour violon solo (1977-1990), Carolin Widmann, violon. – Das Pariser Publikum scheint zu wenig diszipliniert, als dass es mit den kompletten Freeman Etudes beglückt werden dürfte. Schade, für mich, jetzt & hier. Die Musik dünkt mich wie vor zehn Jahren ausserordentlich locker & luftig, völlig unangestrengt. Ich klatsch unter Kopfhörern … nur die unzivilisierten Eingeborenen von Paris husten, HUSTEN alles raus, was ihre Raucherlungen hergeben!

Four2 (1990), Ensemble vocal Exaudi, James Weeks, direction. – Cages Musik im Kampf gegen einen Stall belegt mit einem Troupeau von Hustern.

One9, nf 8, pour shô solo (1991), Mayumi Miyata, shô. – Auch im grauslichen Frankfurt war diese Musik schön, 1992, aber viel länger, in einem der letzten von vielen Cagekonzerten. Einige HusterInnen in Paris ertönen mittlerweile wie schon halbwegs in die Hölle abgesunken; der Engelsmusik können sie indes nichts mehr anhaben.

Hymns and Variations pour douze voix amplifiées (1979), Ensemble vocal Exaudi, James Weeks, direction, Christophe Mazzella, réalisation sonore. – Zum Einschlafen geht’s. Ich träum von den Four Solos und den kompletten Freeman Etudes, in denen niemandem etwas weggenommen worden ist wie hier den Tönen ihre Harmonie. Sollen Töne blutt sein?

Ein Tip an die Kulturingenieure des Meliorisationsamtes von Paris wäre es vielleicht, bei den Theatern eine Leibesvisitationsapparatur aufzustellen und alle, die ein Päckchen Françaises, Gitanes oder Gaulloises auf sich tragen, vor den Stadtmauern von Paris auszusetzen. Incipit cultura.

Wolfgang Mitterer: out of time

Freitag, 9. Dezember 2011

Soeben live auf Ö1 das ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Dirigent: Cornelius Meister mit Wolfgang Mitterer, Orgel, Konzert vom 5. Dezember im Großen Musikvereinssaal in Wien.

Wolfgang Mitterer: „out of time“ für Orchester, Orgel und Electronics (2011; Uraufführung). Nach Little Smile die zweite Uraufführung dieses Komponisten im Jahr 2011, und die Begeisterung ist auch hier wieder gross. Man stelle sich ein Symphonieorchester vor, dessen MusikerInnen möglichst viel zu tun haben sollen, ein gleiches zweites, dessen Spiel zuvor aufgenommen, dann sporadisch elektronisch verändert wurde und nun dem ersten von hinten zugespielt wird, und als Drittes eine Konzertorgel, die als selbständiges ganzes Orchester zu den anderen beiden hinzutritt. Wer seiner Phantasie freien Lauf gewährt, kommt bei Mitterers out of time auf die Rechnung: die Klang- und Ereigniserwartungen werden nicht enttäuscht.

Chaya Czernowin in Bern

Donnerstag, 8. Dezember 2011

Soeben auf DRS 2 Konzert vom 20./21. Oktober im Kultur-Casino Bern mit dem Berner Symphonieorchester, Leitung: Mario Venzago. Mit Alexander Kaganovsky, Violoncello, dem Ensemble Nikel, dem Herrenchor der Stadt Bern und Robin Adams, Sprecher.

Chaya Czernowin: Stück mit einem Namen, den nachzufragen DRS2 zu faul war (wie die Radiostation auf Felgen auch nicht imstande ist, ein gewöhnliches, in der Reihenfolge der Stücke verlässlich informierendes Konzertprogramm zu notieren).

Luigi Nono: Incontri. Nono in Bern? Sind bessere Zeiten im Anzug? Mich freut’s mit Incontri doppelt, da Nonos Musik sowohl in jede Programmzusammensetzung passt wie dieses frühe Stück zeigt, dass auch eine historisch überwundene Ästhetik noch Momente aufzuweisen vermag, die unmittelbar berühren und das Denken in Schwung versetzen.

Chaya Czernowin: «Zohar Iver» (Blind radiance) für Ensemble und Orchester. Wie das Anfangsstück des Konzerts, von dem ich nicht wissen kann, ob es als Publikumsüberraschung konzipiert worden ist (was mir unangebracht schiene) mit grossem Orchester und einer elektrischen Gitarre, die ich gerne noch mehr in Orchesterstücken hören würde, da sie äusserst diszipliniert gespielt wird (wie verwunderlich gut ihr die komponierte Selbstdisziplin nur steht…), nicht selten in spannendem, auf verschiedene Weise verschmelzendem Duo mit dem Solosaxophon, weit ab von Jazz & Rock. – Wie zu lesen ist, hat Czernowin ihre frühen Werke zurückgezogen: hoffentlich macht sie diesen Schritt rückgängig, da es für Aussenstehende nicht selten interessant ist, Spuren von Denkprozessen da zu verfolgen, wo die Schöpfer meinen, sie radikal überwunden zu haben. Die neuesten Stücke gefallen mir zwar entschieden besser als die frühen, aber ich hatte auch in diesen Erstversuchen immer den Eindruck, einem interessanten Gebilde auf der Spur zu sein.

Joseph Tal: Symphonie Nr. 1. Das Werk wurde nur als Fragment gesendet – es wäre gefälligst zu wiederholen, in Wiedergutmachung der unverzeihlichen Panne öftere Male. Ich lese gerade die Autobiographie Tonspur (Tal hatte immerhin Varèse zuhause besucht und war mit ihm gut ausgekommen, kein schlechtes Zeugnis), und das Stück hätte ich als erstes seiner Werke zu hören bekommen, wenn bei DRS2 eine technische Kontrolle noch zur Grundausstattung des Senders gehören würde.

Ernest Bloch: Schelomo. Hebräische Rhapsodie für Violoncello und Orchester. Es überrascht immer wieder, wie unter der antiquarischen Ästhetik sich in vereinzelten Formvorgängen interessante Impulse breitmachen können.

Arnold Schönberg: A Survivor from Warsaw (Ein Überlebender aus Warschau) op. 46. Mit diesem Stück zusammen, das wie alle anderen des Konzerts sehr fesselnd und klärend aufgeführt wurde, ist dem Berner Symphonieorchester möglicherweise einer der besten Konzertabende seit langem gelungen.

Mauricio Kagel: In der Matratzengruft

Montag, 5. Dezember 2011

Soeben auf France Musique Concert enregistré le 9 novembre à Paris, à la Cité de la Musique, dans le cadre du cycle „La Mélancolie“, Ensemble Intercontemporain, Emilio Pomarico, direction.

Hector Parra (né en 1976), Caressant l’horizon (2011), création mondiale. Remerciements au Mécénat Musical Société Générale. Sehr schöne Musik. (Ich konnte gerade noch registrieren, dass diese Musik unverhofft schön ansetzt, verfiehl dann aber trotz Gegenbemühungen in einen Schlaf, der erst während des Kagelstückes unterbrochen wurde, vielleicht auch schon während seiner Ansage. Es existiert ein Problem in der Programmierung, wenn ein unbekannter Komponist neben einem sehr bekannten aufgeführt wird, insbesondere dann, wenn einen diesen berühmteren nicht mehr stark interessiert: das Desinteresse oder erlahmte Interesse färbt auch als Vorurteil auf den noch unbekannten ab, in diesem Fall als winterliche Schlafenergie, gegen die die muskalischen Lebensgeister nicht mehr anzukämpfen vermochten. Ich tät Caressant l’horizon gerne noch einmal im Wachzustand zu mir nehmen. Really, trust me.)

Mauricio Kagel (1931-2008), In der Matratzengruft, pour ténor et ensemble (2007-2008, création française), Markus Brutscher, ténor. Musik für die letzten Stunden; zum ersten Mal ist er ernst und wäre er ernstzunehmen (der Komponist).