Am 11. Januar 2013 wird der grosse Marterpfahl paratgestellt und das grosse Kino aufgezogen, das den Malignen vorbehalten ist. Wie seit jeher im Kino, werde ich ein Nickerchen machen. Wäre Bianca nachher wieder im Aufwachraum, würde ich mich freuen und in kürzester Zeit wieder gesunden – aber auch mit jedem anderen Mädchen, das nur scheint, ein Engel zu sein. Zu hoffen ist, dass die beiden Maîtres Medicins Zurückhaltung üben und bei Schwierigkeiten nicht dem Wahn des ganz grossen Kinos verfallen. Zwischen dem grossen und ganz grossen liegt die Nuance im Programmvokabular, die über Sein oder Nichtsein entscheidet; von der dekonstruktiven Absicht bliebe nur die reine Destruktion, ohne explizit versprochene Rekonstruktion.
Wenn Leben heisst, ob den täglichen Signalen des Hau ab! nicht die Nerven zu verlieren, erfährt es am Marterpfahl seine höchste Verdichtung, wo jede Regung der Akteure dadurch zur bewunderungswürdigen wird, dass durch sie auch nicht ein einziger Nerv verloren geht, geschweige denn die Arterie. Die Situation ist nicht nur durch Ängste geprägt, denen durch die Benennung und Beschwörung begegnet wird wie Don Quijote den Windmühlen, sondern auch durch Hoffnungen. Nicht die letzte scheint mir, dass dem mehr Leben zustehen als der gewöhnlichen Hauskatze, der den Tigersprung täglich übte.
Eines ist es, die Gehalte der Ängste mimetisch vorauszuleben. Ein Anderes, denen des gewöhnlichen Horrortrips zu begegnen. Vor zehn Jahren hatte ich es, allerdings erst nach mehr als einer Woche, zu einer gewissen Virtuosität gebracht. Man male sich, trotz lädierter Geistesverfassung, eine Szene mit Handlungscharakter aus so lange wie es eben geht, beim nächsten Einschlafen, und es gibt tausende pro Tag und Nacht, wird der Trip genau das Phantasierte wiederholen und es dann verdoppeln. Erst nach dieser Verdoppelung, die ungeahnt Schönes und Interessantes als Kino präsentiert, zerfällt der Traum in die Welt der Monster von Hieronymus Bosch. Man kann auch abstrakt, wenn man bei Kräften ist, theoretische Fragen exponieren – vor zehn Jahren hatte ich nicht selten Freude über die Ergebnisse, die Weiteres zutage fördern müssen als die Wiederholung der Frage.
In Momenten schwieriger Empfindungen werde ich an das Buch von Walter Freudmann denken: Tschi-Lai! – Erhebet Euch! – Erlebnisse eines Arztes in China und Burma 1939-45, Linz 1947, Neuauflage o.O., o.J. (Wien 2008) – er ist einer der Brüder der Frau, deren Fluchtweg August-September 1942 von Samoëns über den Col de Bretolet und den Col de Cou via Barme, Dent de Valerette und St-Maurice nach Lausanne ich dieses Jahr zu rekonstruieren mithalf. Der Spanienkämpfer Freudmann ging mit einer Gruppe anderer Ärzte als Freiwilliger nach China, wo er ungewohnte Einblicke in das durch Korruption stillgelegte Lazarett-Unleben des chinesischen Roten Kreuzes und seiner untersten, schutzlosesten Kämpfer erfährt, die nur aus Zufall nicht bei Mao sondern Tschiang Kai Schek gegen die Japaner ohne jede Hoffnung zu agitieren hatten. Das Buch zeigt einem heute vielleicht wie in einer Soziopsie, warum ein grosser Teil der chinesischen Bevölkerung lieber das Negative der Partei in Kauf nimmt als von vorsozialistischen Verhältnissen positiv zu träumen.
Nach ungefähr zwei Wochen in der Insel geht es zu einer der Auferstehungsstätten Heiligenschwendi, Gunten oder Montana (die Bernerklinik in Montana habe ich in äusserst guter Erinnerung, für Besuche aus der Innerschweiz ist sie jetzt aber entschieden zu weit entfernt). Die Dauer des Aufenthaltes an einem solchen Ort ist beschränkt sowohl positiv durch den Heilungszustand wie auch die Regelung der Krankenkasse. – Vorgesehen ist, nach dieser Zeit des Umsorgtseins das Leben am Indermühleweg wieder aufzunehmen, mit den vielen Helferinnen der Spitex, von denen ich einige, für die medizinische Versorgung Zuständige, in der Woche nach der Biopsie schon kennenlernen durfte.
Gut, dass ich die zwei Dantes jetzt schon habe und die grosszügige Vorbereitungszeit sich an konkreten Phantasien und Fragestellung ausrichten kann.