Archiv für den Monat Dezember, 2012

Paradies

Dienstag, 11. Dezember 2012

Nun auch das Paradies gesehen und Dante dann hurtig wieder verlassen (ein Titel italienisch, einer lateinisch, einer deutsch…).

Die Commedia ist nichts weiteres als ein Widerschein dessen, was die Gesellschaft 650 Jahre später in einem langen Epochenübergang entscheidend zu prägen beginnt, Lehrstückwissen aus Fantasyspielereien. Der stärkste Impuls zur Produktion des Werks war die Paranoia des Autors; seine grenzenlose Selbstüberschätzung machte es ihm leicht, 100 Gesänge lang die Welt im ganzen auf sich selbst zurückzubinden.

Ich habe jede Zeile abgegrast, weil ich die Stelle suchte, auf die sich meiner, durch einen Zeitungsartikel verführten Meinung nach die Pomatter Dichterin Bacher im Gedicht Was ferfaat bezieht. Es gibt eine Handvoll Bilder mit Booten, Segeln oder Flossen, aber in keinem einen Bezug zur Seele oder zum Gewissen. Dantes Mast blieb lebenslang sturmgeknickt; was im Werk philosophisch sein könnte erscheint schulkindernaiv und nirgends anregend.

Purgatorium

Montag, 10. Dezember 2012

Das Purgatorium liegt hinter mir, mit Dante geht es weiter in die Komödie, die heute besser hiesse: Die Eifersucht der Beatrice. Das Buch erscheint als eine der Quellen der Bigotterie und Kitschanfälligkeit einer ganzen Kultur.

Inferno

Sonntag, 9. Dezember 2012

Das Inferno liegt hinter mir, mit Dante geht es weiter, der Komödie näher, durchs Purgatorium.

Dekonstruktion 2012-2013

Freitag, 7. Dezember 2012

Am 11. Januar 2013 wird der grosse Marterpfahl paratgestellt und das grosse Kino aufgezogen, das den Malignen vorbehalten ist. Wie seit jeher im Kino, werde ich ein Nickerchen machen. Wäre Bianca nachher wieder im Aufwachraum, würde ich mich freuen und in kürzester Zeit wieder gesunden – aber auch mit jedem anderen Mädchen, das nur scheint, ein Engel zu sein. Zu hoffen ist, dass die beiden Maîtres Medicins Zurückhaltung üben und bei Schwierigkeiten nicht dem Wahn des ganz grossen Kinos verfallen. Zwischen dem grossen und ganz grossen liegt die Nuance im Programmvokabular, die über Sein oder Nichtsein entscheidet; von der dekonstruktiven Absicht bliebe nur die reine Destruktion, ohne explizit versprochene Rekonstruktion.

Wenn Leben heisst, ob den täglichen Signalen des Hau ab! nicht die Nerven zu verlieren, erfährt es am Marterpfahl seine höchste Verdichtung, wo jede Regung der Akteure dadurch zur bewunderungswürdigen wird, dass durch sie auch nicht ein einziger Nerv verloren geht, geschweige denn die Arterie. Die Situation ist nicht nur durch Ängste geprägt, denen durch die Benennung und Beschwörung begegnet wird wie Don Quijote den Windmühlen, sondern auch durch Hoffnungen. Nicht die letzte scheint mir, dass dem mehr Leben zustehen als der gewöhnlichen Hauskatze, der den Tigersprung täglich übte.

Eines ist es, die Gehalte der Ängste mimetisch vorauszuleben. Ein Anderes, denen des gewöhnlichen Horrortrips zu begegnen. Vor zehn Jahren hatte ich es, allerdings erst nach mehr als einer Woche, zu einer gewissen Virtuosität gebracht. Man male sich, trotz lädierter Geistesverfassung, eine Szene mit Handlungscharakter aus so lange wie es eben geht, beim nächsten Einschlafen, und es gibt tausende pro Tag und Nacht, wird der Trip genau das Phantasierte wiederholen und es dann verdoppeln. Erst nach dieser Verdoppelung, die ungeahnt Schönes und Interessantes als Kino präsentiert, zerfällt der Traum in die Welt der Monster von Hieronymus Bosch. Man kann auch abstrakt, wenn man bei Kräften ist, theoretische Fragen exponieren – vor zehn Jahren hatte ich nicht selten Freude über die Ergebnisse, die Weiteres zutage fördern müssen als die Wiederholung der Frage.

In Momenten schwieriger Empfindungen werde ich an das Buch von Walter Freudmann denken: Tschi-Lai! – Erhebet Euch! – Erlebnisse eines Arztes in China und Burma 1939-45, Linz 1947, Neuauflage o.O., o.J. (Wien 2008) – er ist einer der Brüder der Frau, deren Fluchtweg August-September 1942 von Samoëns über den Col de Bretolet und den Col de Cou via Barme, Dent de Valerette und St-Maurice nach Lausanne ich dieses Jahr zu rekonstruieren mithalf. Der Spanienkämpfer Freudmann ging mit einer Gruppe anderer Ärzte als Freiwilliger nach China, wo er ungewohnte Einblicke in das durch Korruption stillgelegte Lazarett-Unleben des chinesischen Roten Kreuzes und seiner untersten, schutzlosesten Kämpfer erfährt, die nur aus Zufall nicht bei Mao sondern Tschiang Kai Schek gegen die Japaner ohne jede Hoffnung zu agitieren hatten. Das Buch zeigt einem heute vielleicht wie in einer Soziopsie, warum ein grosser Teil der chinesischen Bevölkerung lieber das Negative der Partei in Kauf nimmt als von vorsozialistischen Verhältnissen positiv zu träumen.

Nach ungefähr zwei Wochen in der Insel geht es zu einer der Auferstehungsstätten Heiligenschwendi, Gunten oder Montana (die Bernerklinik in Montana habe ich in äusserst guter Erinnerung, für Besuche aus der Innerschweiz ist sie jetzt aber entschieden zu weit entfernt). Die Dauer des Aufenthaltes an einem solchen Ort ist beschränkt sowohl positiv durch den Heilungszustand wie auch die Regelung der Krankenkasse. – Vorgesehen ist, nach dieser Zeit des Umsorgtseins das Leben am Indermühleweg wieder aufzunehmen, mit den vielen Helferinnen der Spitex, von denen ich einige, für die medizinische Versorgung Zuständige, in der Woche nach der Biopsie schon kennenlernen durfte.

Gut, dass ich die zwei Dantes jetzt schon habe und die grosszügige Vorbereitungszeit sich an konkreten Phantasien und Fragestellung ausrichten kann.

Zeit und Dante

Freitag, 7. Dezember 2012

Grosses und grossartiges Überraschungsgeschenk noch vor den schwierigen Reisewochen, für ein präzises Studium danach:

Ich werde den Spuren folgen, in welch unbekannte Gefilde sie auch führen wollen. Gut getroffen ist die Wahl mit dem Herausgeber Flasch, der mir vor dreissig Jahren schon einige Rätsel des Aquinaten zu lösen half.

Und die nötige Lesebrille wurde auch nicht vergessen…

Ich habe sogar eine zweite Ausgabe, die das Kommentarlesen zu intensivieren verhilft:

In preparation: die Ahnen helfen

Mittwoch, 5. Dezember 2012

Ein Handwerksutensil wird für eine anstehende Zweckentfremdung bearbeitete. Den Schraubstock erbte ich vom Basler Grossvater, wohl gut hundertjährig, den Stuhl als Werkbank vom Walliser Grossvater, nur wenig jünger, mit der Säge fällte ich schon fast ganze Tannen für die Vogelfotografie, brüllend, klar..

Ilija Trojanow: Eistau

Sonntag, 2. Dezember 2012

Heute gelesen Ilija Trojanow, Eistau, München 2011 (natürlich geschenkt bekommen, weiss schon lange nicht mehr, wie eine Buchhandlung innen ausschaut).

Der Anfang ist sehr beeindruckend, und auch im weiteren Verlauf staunte ich nicht wenig über die sprachliche Potenz, die in kompositorischer Feinabstimmung unterschiedliche Situationen einander gegenüberstellt, um peu à peu eine grosse Spannung entstehen zu lassen. In der Pointe des Schlusses verpufft der Kunstanspruch des Werkes ein wenig – er zeigt sich so, als ob der Autor von Schönberg nichts mitgenommen hätte. Aber eine Stelle dünkt mich erwähnenswert, wo der Begriff der Hölle auf eine Weise definiert wird, wie ich ihn noch nicht angetroffen habe. Die Hölle ist das, was der Mensch in seinem Leben versäumt hat zu tun. Ah, das tut einem gut, der die Hölle zu erwarten hat. Ich zittere ob ihrer gruseligen Gänge nicht im geringsten.

Schönberg: Moses und Aron

Sonntag, 2. Dezember 2012

Soeben live auf SWR2 Arnold Schönberg, „Moses und Aron“, Oper in 3 Akten (Fragment), Konzertante Aufführung, SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, Leitung: Sylvain Cambreling, (Aufführungen vom September 2012 in Berlin, Luzern, Freiburg und Strassbourg).

Schönberg ist der letzte Künstler der Epoche der Metaphysik, der in ihr zugleich die Frage nach der verbindlichen Form der Wahrheit so weit vorwärts getrieben hat, dass sie das Falsche der kommenden Epoche, derjenigen der Kulturindustrie, entschieden zu benennen vermochte. Der Gehalt der wahren Kunst darf sich nicht ans Äusserliche verraten, sondern muss unerbittlich mit den Materialien korrespondieren, die sowohl innerhalb wie ausserhalb der Kunst sich in der Zeit entwickelt haben. In dieser Oper selbst erscheint diese Haltung als Prinzip in der Gestalt von Moses, ihre Gefärdung sowie Schönbergs Vorahnung der Kulturindustrie in der von Aron. Die Pointe der Fragment gebliebenen Oper für uns in der neuen Epoche ist, dass keines der ästhetischen Prinzipien obsiegt.

Eine umwerfende Aufnahme! Endlich!