Archiv für den Monat August, 2006

Updike’s Roth & Roth’s Updike – Terror 4

Donnerstag, 31. August 2006

In den diesjährigen, ungeschminkt als Spätwerke daherkommenden Veröffentlichungen der zwei alten Amerikaner der grossen Literatur kreuzen sich die ästhetischen Haltungen von John Updike und Philip Roth. Dessen Jedermann liest sich im Umfeld eines medizinischen Eingriffs wie einst in früher Jugend Dürrenmatts Verdacht ein Tag vor einer entscheidenden Operation: Steigerung der Angst vor der bedrohlichen Realität ins Unermessliche aber Blosse der literarischen Mimikry. Nur vom Leben vor und nach chirurgischen Eingriffen wird berichtet, die ein Durchschnittsamerikaner zum einen schon als Kind, hauptsächlich aber in seinen letzten sieben Jahren durchsteht – bis auf die allerletzte. Schnörkellos und ohne Abschweifungen wird das erzählt, was leicht eine Novelle hätte werden können aber eine Bilderfolge an einer novellenartigen Kette geblieben war, eine Diashow mit durchgehendem Stildesign – ohne Brüchigkeit, wie man sie in den früheren Werken immer erwarten konnte, auch positiv. Roths Jedermann hat denselben interessanten Blick auf die Welt wie der Bürochef, der seinen „Kommunikationen“ mit Powerpoint Würze gibt. Jedermann hat nichts Radikales an sich ausser dem Egoismus und fühlt nichts Radikales ausser sein Leben als in summa gescheitert. Entziffert wird das aber nicht an den Gedanken des Handelnden, der nicht handelt sondern abstrakt nachdenkt, also ohne weiteren Zusammenhang; vielmehr erfährt die Lektüre den Effekt darin, dass der skeletthaft abgemagerte Roman gänzlich verzichtet, auf soziale und geistige Gehalte Bezug zu nehmen. Die Dinge laufen ab wie die Betriebsamkeit von Insekten in einem morschen und hohlen Gebälk. Es ist beileibe nicht recht zu erkennen, ob die Unvermitteltheit gegenüber jedem allgemeinen Sinn, sozial, existentiell oder philosophisch, einer kritischen Intention entspricht, die im ganzen explizieren soll, wie geistig öd Amerika geworden ist, oder einer literarischen Müde. – Umgekehrt wird der junge Terrorist von John Updike, der gewöhnlicherweise seine Helden ihren Trieben in einem mikrosozialen Umfeld überlässt, das einen Blick darüber hinweg auf ein politisch-soziales Ganzes unterläuft, einer Dialektik ausgesetzt, die einen glauben macht, auch die Haltung der aktuellen Weltterroristen sei aus einem Widerspiel sozialer Gedanken entstanden, das in einem festen Gefüge von wahr und unwahr, gut und böse, beherrschend und beherrscht geschieht und das der alte Autor mit der Fülle seiner realen und intellektuellen Lebenserfahrungen nur auszukleiden und diskursiv anzukurbeln brauchte. Alles ist voller Leben, alles ist politisch und alles sucht geradezu die Momente der Kritik. Der zu oft zu lange im Politischen zögerte, gerät nun dadurch ins Zwielicht, dass er das politisch anleuchten will, was sich jenseits davon niedergelassen hat. Der aktuelle Terrorismus hat nichts Ideologisches an sich, das sich kritisieren liesse, und agiert ausserhalb aller theoretischen Kategorien und empirischen Felder des Kampfes, die sich auf schon Dagewesenes beziehen liessen. Schon vor dem Beginn belastet sich der Roman mit dem Spruch des zu Unrecht gepriesenen Gabriel Garcia Marquez, dass der Unglaube robuster sei als der Glaube, weil er sich auf das sinnlich Wahrnehmbare stütze. Man muss nur den Ausdruck des Glaubens mit dem des Meinens ersetzen, um zu sehen, wie wenig er der Realität entspricht, weil es doch kaum evident erscheinen will, dass die kritischen Bewusstseine das blosse Meinen dominieren würden; schlimmer aber am Motto ist die Unterstellung (nicht durch Marquez aber Updike), wir hätten es mit einer Frage des Glaubens überhaupt und dem des Islams im besonderen zu tun. Der Terror, der da ist, wäre es mit denselben sozialen Charaktertypen auch ausserhalb eines religiösen Rahmens. Solch fahrlässiges Denken über den Gegenstand des Buches zeigt sich auch in einzelnen Sätzen, wie hier auf Seite 232, wo die alte Verteidigungsbereitschaft der Amerikaner in die Nähe der Haltung der Terroristen gebracht wird: „(George Washington) lernte zu nehmen, was gerade kam, und die Guerillataktik anzuwenden: zuschlagen und untertauchen, zuschlagen und untertauchen. Er zog sich zwar zurück, gab aber niemals auf. Er war der Ho Chi Minh seiner Zeit. Wir (Amerikaner im Befreiungskrieg gegen die Briten) waren wie die Hamas; wir waren Al-Qaida.“ Die Schluddrigkeit, Ho Chi Minh, Hamas und Al-Qaida in einen Topf zu werfen, kann man vielleicht einem amerikanischen Undercover Polizisten, der da spricht, in die Schuhe schieben; gelesen wird sie aber als Argument des Autors, das er offenbar für bedenkenswert einschätzt, gerade weil er keine Anstalten macht, einer Auseinandersetzung mit dem falschen Gehalt Raum zu geben. Auch wenn ein Roman kein Feld des Diskursiven ausbreiten soll, müssen seine Figuren gewissen Konsistenzforderungen genüge tun, wenn er nicht als Kinderstück erscheinen will. Der Held, von dem nie eine innere Spannung auf die Lektüre überspringt, weil dem alten Autor das Interesse, das er früher so umwerfend pflegte, abhanden gekommen ist, psychische Spannungsbögen ohne Ironie noch darzustellen, wird nicht nur als einer vorgeführt, der manipuliert wird, sondern wird so auch gelesen, vom Autor nur hölzern vorgestellt, von Situation zu Situation als ein anderer austauschbar. Es vergeht nur eine Woche zwischen dem Tag, an welchem dem unbescholtenen ägypto-amerikanischen Achtzehnjährigen gesagt wird, er würde ein Selbstmordattentäter sein und demjenigen, an dem er den Terroranschlag auszuüben hätte – zu einer Zeit, als bei ihm das Interesse an den (Mädchen-) Menschen und der Welt überhaupt grösser nicht hätte sein können. Solches ungefähres und unvermitteltes Nebeneinanderstehen von Aktionsimpulsen und Reflexionen macht die grosse Novelle Updike’s, wie das Werk wegen seiner Dynamik gattungsmässig im Original eingeordnet ist, dem kleinen Roman Roth’s vergleichbar: Die Prozesse laufen über den Köpfen der Akteure ab. Dazu gehört nicht zuletzt, dass beide Autoren seit langem schon aufgehört haben, kulturelle Gebilde in ihren eigenen Werken anzusprechen, geschweige denn zur Sprache zu bringen. Vom Fernsehschleim Amerikas überdeckt, wird es zunehmend sinnloser, an solche zu erinnern. Dann müsste Amerika es aber auch aussprechen, dass jedermann der Terrorist ist und der Terror nur eine Krankheit, die sich durch geschickte kritische Eingriffe behandeln liesse.

Liaisons dangereuses – Terror 3

Mittwoch, 30. August 2006

Noch nie hat die Geschichte eine so bränzlige Konstellation hervorgebracht, dass der kritische Intellektuelle sich mit dem unsichtbaren Geheimdienst verbunden sehen will, um es nicht mit dem Staat und nicht mit der Bevölkerung sein zu müssen. Weil der aktuelle Terror keine ideologischen Momente enthält, an die man diskursiv optimistisch anknüpfen könnte, gehört es zum Verstehen des Unverständlichen, dass sich das kritische Bewusstsein solidarisch mit den Menschen von der Bevölkerung, dem gesellschaftlichen Bewusstsein, entfernt. Sein gesellschaftlicher Ort heute ist da, wo sein Standpunkt zwar nie gewesen sein wird, wo eine Veränderung aber überhaupt noch realistisch denkbar ist und effektiv vor sich gehen kann. – Umgekehrt ist es nicht auszuschliessen, dass die amerikanische „Idee“ (das Vokabular der Philosophie ist zerfallen, in der Zeit, und eine Liebe dafür nur mit viel Liebe noch aufzubringen) der Bekämpfung der Terroristen mit Langstreckenraketen aus dem Kreis der CIA entstanden ist.

Grenzen der kleinen Medizin

Dienstag, 29. August 2006

Eine kleine Medizin gerät dann zum Ruhme der grossen, wenn sie ihre engen Grenzen deutlich macht. Geschieht es nicht aus vernüftiger Einsicht, wird sie selbst durch die Umstände mürbe gemacht und dazu getrieben. Hämorrhoiden zeigten sich in Spuren schon vor 30 Jahren, und fast so lange waren sie kein Problem, wenn auch phasenweise ärgerlich. Gezeigt werden sollte hier der Absicht nach, noch bis vor drei Monaten, wie mit Gymnastik die allmählich stärker werdenden Beschwerden gemeistert werden könnten. Doch nichts da! Aufgezeigt wird hier nun das Gegenteil, dass es medizinische Ereignisse gibt, die nicht früh genug einer ordentlichen ärztlichen Behandlung anvertraut werden können – bis vor drei Stunden auf die Hämorrhoiden bezogen, ernüchtert inzwischen vor einem grossen Suff auf unberechenbarere Aliens.

Schon vor Mitte der achtziger Jahre wird klar, dass das, was seit zehn Jahren stört und aus Gründen vermeintlich guter Sitte verschwiegen wird, Hämorrhoiden sind und mit ein wenig Salbe gut zu behandeln ist, mit Procto-Glyphenol. Ab jetzt erscheinen diese Schwierigkeiten phasenweise, manchmal einmal im Jahr, manchmal dreimal, in einigen Jahren auch überhaupt nicht; mit Salbe ist das Problem innerhalb weniger Tage vom Tisch. Weitere zehn Jahre später muss die austretende Vene nach jedem Putzen leicht eingedrückt und eingeschoben werden, eigentliche Hämorrhoidenprobleme erscheinen immer noch in den Abständen wie vorher, also mit Fug unproblematisch. Im September 2005 melden sich beim Aufstieg zum Harder erste ernsthafte Schmerzen; sie verziehen sich am Mittag, erscheinen von jetzt an aber fast jeden Tag mehrmals, meistens innerhalb mehrerer Minuten vorübergehend. Was hilft sind das Leeren der Blase und längeres Kauern am Boden, möglich zu Hause und in öder Wildnis, schwierig unter Menschen und Vipern. Ein gewöhnlicher Tag 2005 besteht aus einer drei- bis vierstündigen Fahrt ins Wallis, fünf bis neun Stunden Laufen, wieder vier Stunden Rückfahrt, schnelles Nachtessen (meistens sehr dicke Fidelisuppe) und fünf Stunden Bilderbearbeitung – insgesamt also mindestens elf Stunden Sitzen. Es gibt schmerzfreie Tage und solche mit ordentlichen Qualen, sei es beim Sitzen, sei es beim Wandern, hier meistens nur morgens während des steilen Aufsteigens, als übten unermüdlich ihre Giftzähne drei Jolivipern. Öfters wird aus dem WC ein Schlachthaus, so viel Blut entfliesst. Aber es gibt auch gute Tage, gute Wochen, und der Januar 2006 ist völlig schmerz- und problemfrei, weswegen ein Arztbesuch immer noch auf die lange Bank geschoben wird. Ab März hilft keine Salbe mehr, die sich rezeptfrei in der Apotheke kaufen liesse. Am 26. April wird ein Sitzring nach Hause geschleppt, der aber nur wenig nützt – das Sitzen ist nun schon nach kurzer Zeit eines wie auf dem Nagelbrett. Weil der Winter 05/06 so eisig ausgefallen ist, jedenfalls vor dem Haus Indermühleweg 9, wird die Hoffnung aufgebaut, dass in den kommenden Zeiten mit guten Wander- und also Bewegungsmöglichkeiten die Schwierigkeiten sich wieder normalisieren würden. Da sie nach ausgiebigem nervösem Internetstudium nicht zuletzt mit Verstopfung in Beziehung stehend gesehen werden müssen, erhält das Essen nun grösseres Augenmerk. Am schlimmsten den Darm beeinflusst hatten nebst den Schweinskoteletten die Mandelgipfel; auf sie wird jetzt wohl fast definitiv verzichtet werden müssen. Also Bäcker, die ihr am Wege des öfteren gelauert hattet, nehmt es als Zeichen der Qualitätsanerkennung, wenn euer Umsatz am Sinken ist. Ab Mai wird die Diät ausgedehnt: Kein Fleisch mehr oder nur extrem selten und fettfreies, ab und zu Fisch, keine Teigwaren mehr, kein heller Reis, keine Milchprodukte, keine Schokolade, keine Gutzli und ähnliches, kein Weissbrot sondern Müsli ohne Zucker, Vollkornbrot, Wein nur eine Flasche in zwei Wochen statt in einer, Zigaretten 10 Stück desgleichen. Keine Frage, dass der Bauchumfang spürbar unter das Mass von Montana 2002 rutscht. Am 27. Juni 2006 endlich beim Hausarzt, der eine Anmeldung beim Spezialisten macht sowie Procto-Synalar (stärker als Procto-Glyphenol, aber nicht rezeptfrei) und Daflon 500 gegen die Thrombosenbildung mitgibt (Thrombosen entstehen in dieser Spätphase der Hämorrhoiden unweigerlich, ziehen aber keineswegs die Gefahren mit sich wie solche in anderen Körperteilen). Am 30. Juni Arztbesuch beim Gastroenterologen; schnelle Unterbrechung der Untersuchung wegen der Diagnose einer Fissur. Mit Nifedipin Salbe und Xylocain gegen die Schmerzen verheilt die Fissur nach drei Wochen, ähnlich starke Schmerzen aber bleiben. Am 28. Juli dieselbe Untersuchung noch einmal. Ich meine zu verstehen, beim neuen Schmerz handele es sich um einen weiteren Riss im Inneren, höre aber erst Wochen später korrekt, dass so alte Hämorrhoiden eben starke Schmerzen verursachen können, durch ständiges sich neu Entzünden. Zwischen diese zwei gastroenterologischen Untersuchungen fällt der vorläufig letzte Wanderarbeitstag, an dem die Bietschhornhütte nur mit vielen Pausen in der Hocke erreicht wird, und beim Absteigen intensivieren sich gar die Qualen. Da nach dem 50. Lebensjahr ungefähr die Hälfte der Bevölkerung Darmpolypen bewirtet, welche zu bösartigen Tumoren mutieren können, wird eine Darmspiegelung, also eine Koloskopie angeordnet, die am 8. August im Salem-Spital in künstlichem Tiefschlaf durchgeführt wird (keine echte Narkose, die Wirkung ist aber ebenso gut). Das Resultat könnte nicht besser sein: Zwar muss wie prognostiziert eine Hämorrhoidenoperation auf den Plan gesetzt werden, aber ganz ohne weitere Zusätze. Es zeigten sich keine Polypen, kein Tumor nirgends, keine anderen Komplikationen. Das Material entspricht ab jetzt wie durch ein Wunder den humanmedizinischen Normen und hört endlich auf, zugleich als Durchfall und Verstopfung in Erscheinung zu treten. Allerdings weiterhin Schmerzen allenthalben, sobald das Quartier verlassen wird: halbstündige und längere Spaziergänge liegen kaum mehr drin, wenn es auch immer noch einzelne Tage gibt, die komplett oder zur Hälfte schmerzfrei vergehen, die frühmorgens als solche aber nicht erkannt und dementsprechend auch nicht ausgenutzt werden können. Der Hausarzt vereinbart am 14. August mit dem Chirurgen im Beau-Site Spital einen Termin für den 22. August. (Wieso nicht der untersuchende Gastroenterologe die Operation durchführt, ist unklar, vor der Koloskopie wurde nur der Wunsch geäussert, im Falle der Entdeckung eines Tumors in der Insel behandelt zu werden, weil dann vielleicht von einem Zusammenhang mit der Enchondromatose, die offenbar auch spontane Unterleibs- und Gehirntumore begünstigt, ausgegangen werden müsste.)

Man sieht, worauf es ankommt: Wer sich früh zum ersten Arztbesuch meldet, bevor die Schmerzen und die paranoischen Ängste blindwütig werden, kann sich die Jahreszeit aussuchen und braucht nicht dem Sommer aus der medizinischen Kerkerhaft Ade zu winken. Einen Klagegrund gibt es an dieser Stelle indes nicht, war das Wetter doch das Letzte, das dieses Jahr dem Wanderverhinderten die Treue gebrochen hätte; aber nicht alle künftigen Sommer werden hämorrhoidenfreundliche sein. Wer klug ist und sich früh genug beim Hausarzt meldet, hat das Hämorrhoidenproblem ganz ohne Operation und langen Untersuchungsverlauf in einem nur wenige Minuten dauernden Eingriff in der gastroenterologischen Praxis mittels Laser- oder Infrarotbehandlung schmerzfrei hinter sich. – Zurzeit „läuft“ die zweite und hoffentlich letzte radikale Darmentleerung. Morgen ist die Operation, für kommende Zeiten.

Doch nein, so günstig geht die Geschichte hier nicht aus, wie sie im eingerückten Absatz optimistisch vorausgeschrieben war. Der Viszeralchirurg fragte genau nach den Schmerzen und liess den Zusammenhang zwischen den geschilderten beim Bergwandern und gewöhnlichen Hämorrhoiden nicht gelten. Wer die Wanderarbeit an den Nagel hängt wegen Schmerzen zuhinterst muss auf andere Weise untersucht werden. Letzten Freitag die MR-Untersuchung, heute die Diagnose, die alle Phantasien über den Haufen wirft. Nicht die Hämorrhoiden verursachen die Schmerzen, sondern ein Enchondrom, wie sie Morbus Ollier eigen sind, im Darmbein links, Os ilium.

Hossein Alizâdeh und Madjid Khaladj

Freitag, 25. August 2006

Gerade bis vorhin auf DRS 2 Konzert mit den persischen Musikern Hossein Alizadeh und Madjid Khaladj vom 18. Februar 2006 in Basel.
Was für eine kompositorische Dichte und Eindringlichkeit, klangliche Vielfalt und umwerfende poetische Intensität, wie früher auf … Electric Ladyland.
Nicht vergessen: Zweiter Teil des Konzerts nächste Woche, Freitag 1. September 2006, DRS 2, 21.00 Uhr
Cheili cheili chub!

Arse Salad Surgery

Freitag, 25. August 2006

Soeben dem Magnet-Resonanz-Tomographen entronnen, dem MRI (…-Imaging) im Beau-Site. Die Unterschiede zur selben Untersuchung 2002 in der Insel sind musikalisch interessant. Das Konzert in der gänzlich geschlossenen Röhre 2002 dauerte mehr als eine Stunde und erschreckte einen mit einem Höllengebilde, das zusammenhangsloser John Cage nie hätte MusikerInnen zu spielen verschreiben gewagt. Keine noch so kleine Sequenz vermochte ein metrisches Tempogefüge darzustellen, keine antwortete auf eine, die sich irgend hätte identifizieren lassen. So ein schwerfälliges Chaos an schlagenden und hämmernden Nibelungenstaccati, die wie Sternklumpen zueinander standen, hatte ich sonst nie vernommen. Ganz anders heute. Die Nase litt zwar immer noch fast unter einem Sargdeckelkontakt, aber hinten war der Backofen offen, wie vielleicht auch nur, um von des Himmels Trostlosigkeit einen ersten Eindruck zu verraten. Immerhin wirkte das Licht dadurch weniger bedrohlich als früher, wo es eindeutig nur den dezent illuminierten Gang in die Hölle einem aufdringlich in Dunkelgelb und Schwarz vor Augen hielt. Das Ganze heute, diagnostisch eingeschränkt auf den Beckenbereich, dauerte knapp eine halbe Stunde, mit einem Sound, der schon vor dem Einschub in die Röhre einem klar machte, dass es hier um einen anderen Stil ging, um einen ganz eindeutigen. Der Raum auch ausserhalb des Tomographen stampfte ein Gemisch von Dampfschiffmaschinenraum, Bitches Brew und Zappas Bebop-Tango aus dem Boden, der von Anfang bis zum Schluss durchhielt – wohl den ganzen Tag ohne Unterbruch. Auch innerhalb bildete er den primitiven musikalischen Boden. Auf dem nun spielte sich nichts weniger ab als Brain Salad Surgery von Emerson Lake & Palmer. Ah, so lässt es sich gut, auch in depressivster Stimmung, untersuchen, wo die Vipern beissen.

Die Wahrheit des Individuums

Donnerstag, 17. August 2006

Gesundheitsmusik

Montag, 14. August 2006

Frank Martin’s Sechs Monologe aus „Jedermann“ (Hofmannsthal), fast direkt vom Lucerne Festival, kommt gerade zur rechten Zeit. Es soll mir eine Lehre sein: „Hier wird kein zweites Mal gelebt.“ Nein, keine Völlerei nicht mehr, die zur Verstopfung nur immer wieder führt. Die Musik droht plastisch durch Durchfall und Undurchlässigkeit.

Sozialer Autismus – Terror 2

Samstag, 12. August 2006

Neben den Familienstrukturen und den Bildungssystemen wäre noch ein anderer, selbständiger Faktor zu untersuchen, wenn die paranoische Verweigerung und Verleugnung des kritischen Diskurses verstanden werden soll. Aus unterschiedlichen und vermischten Gründen kann es geschehen, dass Jugendliche über Jahre hinweg, rückblickend gar ihr ganzes bisheriges Leben lang, zuwenig der Möglichkeit und dem Zwang ausgesetzt sind, neue unbekannte Menschen kennen zu lernen, die sie ohne äusseren Zwang dazu drängen, ihnen zuzuhören und ihnen von sich selbst zu erzählen. Fehlen diese Begegnungen, die nur dann gut sind, wenn sie sich ununterbrochen erneuern und den Drang erzeugen, immer noch mehrere und weitere zu erleben – begünstigt wie alles Falsche heute durch die separierende Fernsehkultur -, misslingt es den Einzelnen, sowohl ein Bild von sich selbst aufzubauen wie eines vom idealen Anderen, das so beschaffen wäre, aus unendlich vielen Anderen zusammengesetzt zu sein. Die Neugier auf die Welt ist nahezu identisch mit der Neugier auf andere Menschen, zuweilen vermittelt durch Erkenntnisse über Sachen, die man aber anderen mitteilen will. Mit dem Entstehen solcher Bilder verfestigt sich das ursprüngliche moralische Gefühl, das immer nur das Eine ausspricht, dass der Andere noch so anders sein kann, er tritt niemals aus dem eigenen Lebenshorizont hinaus: sein Lebensrecht in Abrede stellen zu wollen liesse mein eigenes nicht unbeschadet. Nicht seine Existenz, aber seine Eigenschaften werden desto stärker zu einem der Momente der Bilder, die nur dazu da sind, über sie zu sprechen, weil es nur diese eine menschliche Lust gibt, sich zum Ausdruck zu bringen und zu sprechen.

London’s calling – Terror 1

Freitag, 11. August 2006

Von einer kritischen Soziologie dürfte man erwarten, dass sie das abscheuliche Gerede von einem Kultur- oder Religionenkampf in unseren Tagen durch Analysen
a) der autoritären Familienstrukturen und
b) der zerrütteten Bildungssysteme in den einzelnen Gesellschaften
zum Schweigen bringt. Falls es sich bei den Terroristen in London um vollständige Secondos handelt, die ihre ganze Schulkarriere in England absolvierten, verliert die These vom schlechten Bildungssystem am Herkunftsort der paranoiden Islamisten einiges an Erklärungskraft. Dass die Leute sich aus den Diskursverhältnissen zurückziehen, hat dann weitere Gründe als eine mutmasslich durchgängige Unterrichtsform, die das devote Auswendiglernen dem kritischen Diskutieren vorzieht.
Man müsste fürs erste das englische Bildungssystem mit den Medien in Beziehung bringen und nachzuweisen versuchen, dass die Jugendlichen heute das Politikergehabe in ungleich grösserem Ausmass allgemein als Fake wahrnehmen denn früher. Doch wer will aufmerksam fernsehgaffen?

Die Logik des Fadenscheins als moralische Richtschnur

Donnerstag, 10. August 2006

Der Einzelne in den versunkenen einfachen vorkapitalistischen Gesellschaften erfuhr sich selbst, das Leben und die Gesellschaft als einen einzigen, durchgängigen Zusammenhang. Seiner Position im Gefüge von Herrschaft und Macht entsprach ein Mass an Verantwortung, das mit dem System der Legitimation korrespondierte. Desgleichen vermochte den Mühen der Anerkennung ein individueller Genuss des Selbstbewusstseins zu genügen. In der modernen Gesellschaft sind solche Zusammenhänge unterbrochen. Verantwortung und Macht gehen so weit auseinander wie Anerkennung und Selbstbewusstsein, die nur partiell und zufällig geschehen. Neu ist das vielleicht nicht, aber die Auswirkungen dieses Phänomens zeigen sich heute nicht mehr in denselben romantischen Formen der Entfremdung und der Verdinglichung wie vor 100 oder 200 Jahren; sie sind unvermittelter und brutal. Wo das Ich unreflektiert solche Erfahrungen macht, scheitert es unweigerlich, ohne Chance, das Phantasieren in einer Ideologie mit der Aktivität in solidarischen Gruppen als einen Ausweg aus solcher Negativität auszuprobieren. Aus dem Einzelerlebnis wie dem eines Beifalls halluziniert das scheiternde Ich einen unendlichen Zusammenhang, an dessen Spitze es allseits anerkannt als souveränes Selbstbewusstsein das Leben geniesst. Nicht aufs Mal, aber Stück für Stück und desto unwiderruflicher, weicht diese schöne Logik des Zusammenhangs, die Vernunft und gesellschaftlichen Sinn garantierte, einer Logik des Fadenscheins, die blossstellt, was die frühere durchströmte: die Dinge sind vielleicht nicht absolut isoliert und radikal voneinander abgetrennt, aber was sie zusammenhält, ist alles andere als einheitlich und wäre in keiner Weise mit einem Namen zu benennen, der eben noch für Zusammenhang stünde. Die aufscheinende Blösse gehört nicht den Gesellschaften als Systemen, nicht der Ökonomie, dem Recht oder der Politik, wenn auch die Befolgung der Logik für solche Brüche sensibel macht, durch die beispielsweise ein halbfaschistisches Teilsystem wie das, in dem die Arbeitslosen zu vegetieren haben, parallel neben einer Gesellschaft mit durchdemokratisierten Institutionen zu existieren vermag. Sie gehört auch nicht den Systemen der Natur oder der Natur des Menschen, wenn sie auch sensibel für solche ontologische Undurchgängigkeit macht, durch die beispielsweise die Tiere parallel neben den unendlichen Weiten der Gestirne erscheinen. Die Probleme, die aus der Logik des Fadenscheins hervorgehen, sind am Rande oder schon jenseits des Systematischen. Obwohl sie in der Folge des Kapitalismus entstehen, sind sie ihm nicht wesentlich inne und prägen weder ihn noch die Gehalte der Wissenschaften: ihre Probleme entfalten sich im gewöhnlichen Alltag. Ihnen eignet, dass sie nicht systematisch zu begreifen sind sondern wenn nicht gar ausserhalb dann wenigstens am Rand von Systemen aufgestöbert werden müssen. Ihr logischer Zusammenhang gehört weder zu den Systemen noch zum Wesentlichen der Vernunft wie etwa die Logik des Zerfalls. Um so mehr ist er das, worin dem Einzelnen der Alltag geschieht und also das, worauf er als einzelner zu reagieren hat. In solcher Anerkennung der Logik des Fadenscheins entspringt die Möglichkeit, das Risiko zu minimieren, paranoisch alles einem systematischen Zusammenhang einzuordnen, der einem dann negativ entgegensteht; was einem geschieht, im Guten wie im Schlechten, kann dies auch durch Zufall, selbst reihenweise. Dann setzt sie, die so viel zersetzt, die moralische Kraft frei, gegenüber der eigenen Person das zufällige Geschehen zuzulassen.
Ist das alte bekannte fadenscheinige Argument, von dem der Ausdruck herkommt, leicht zu durchschauen und ein falsches, das das wahre nur schlecht verhüllt, hat die Logik des Fadenscheins als das schlechte Sediment schlechter gesellschaftlicher Kommunikation die ungünstigen Eigenschaften, schnell zu reissen, kaum je ein ganzes Gebilde in vollendeter Gestalt durchzubilden, umgekehrt das immer durchscheinen zu lassen, was es, um dieses selbst in Erscheinung treten lassen zu können, verhüllen und auskleiden soll, das factum brutum. Zerbrechlich wäre auch die Logik der Musik, aus der Gebilde dennoch entstehen. Der Logik des Fadenscheins gehört die Eigentümlichkeit, dass sie keine fertigen und abschlusshaften Gebilde ins Auge fassen kann, Ziele, die die Menschen umtreiben wie das Glück, das Paradies, die Utopie oder das Ende der Vorgeschichte, zudem, dass bei allem Geschehen etwas Zusätzliches durchschimmert. Nur zu leicht könnte man es als das Nichts, als den Machtwillen oder als das neuheidnische infantile Sein bezeichnen. Einen Grund, es überhaupt zu bezeichnen, gibt es nicht. Die überkommenen Geschichten sind genauso schlecht wie ihre Verleugnungen – wahr ist nur, dass sie nicht notwendig sind und folglich nicht als Lehrgebilde gesellschaftlich weiter herumgeistern sollen.
Das Licht aufs Ganze, das von der Logik des Fadenscheins geworfen wird, ist unbunt vernebelt. Es gibt keine Herren mehr, gegen deren Verblödung im Luxus sich die Knechte zu bilden vermöchten; die Welt der Knechte und Mägde lässt sich mit der Neugier des Ethnologen erschliessen und verstehen, nicht mehr aber in den grösseren Prozess integrieren, in dem ihre heutigen Aktivitäten Momente wären, negative oder positive. Eine Notwendigkeit, das Ganze nach ihren dürftigen Regeln zu betrachten, gibt es nicht. Fruchtbar ist sie nur dem Einzelmenschen als moralische Kraft, der im Irren dazu neigt, seinen unmittelbaren Zusammenhang für den ganzen zu halten. Sobald er mit anderen Gedanken austauscht, muss sie abfallen zugunsten der Logik des Zusammenhangs, die allein dem Argumentieren Raum zu geben imstande ist.

Koloskopie

Montag, 7. August 2006

Das kleine Wespenmonster im Haus –
und Glück herrscht bei der Darmentleerung.

Soll aber sein, zum Teufel, eine – Grabwespe.

Für die Vögel

Montag, 7. August 2006

Als in der frühen Gymnasiumszeit für eine fragwürdige Biologieprüfung 100 Vögel auswendig gelernt werden mussten, schenkte dem Vogelignoranten die Vögel lobpreisende Grossmutter einen teuren Fotoband. Etwas mehr als dreissig Jahre später erscheint jener Unflat, der doch nur die Bildhintergrunde der Dias des beschränkten Lehrers dank eifriger Notizen auswendig lernte, in einem dem ersten Buch nur wenig nachstehenden als Bildliferant. Schrift und Sprache sind einzig Griechisch. Jetzt verlangt die paranoische Eitelkeit nach chinesischen russischen, japanischen usw.


Naturhistorisches Museum Kreta


Kernbeisser Originalbilder

Ha, und da ist er doch schon wieder: der Winter

Freitag, 4. August 2006

Immerhin die Genugtuung,
in dem langen Arbeitsverbot dieses Jahres
nicht allzu viel zu verpassen.