Updike’s Roth & Roth’s Updike – Terror 4

In den diesjährigen, ungeschminkt als Spätwerke daherkommenden Veröffentlichungen der zwei alten Amerikaner der grossen Literatur kreuzen sich die ästhetischen Haltungen von John Updike und Philip Roth. Dessen Jedermann liest sich im Umfeld eines medizinischen Eingriffs wie einst in früher Jugend Dürrenmatts Verdacht ein Tag vor einer entscheidenden Operation: Steigerung der Angst vor der bedrohlichen Realität ins Unermessliche aber Blosse der literarischen Mimikry. Nur vom Leben vor und nach chirurgischen Eingriffen wird berichtet, die ein Durchschnittsamerikaner zum einen schon als Kind, hauptsächlich aber in seinen letzten sieben Jahren durchsteht – bis auf die allerletzte. Schnörkellos und ohne Abschweifungen wird das erzählt, was leicht eine Novelle hätte werden können aber eine Bilderfolge an einer novellenartigen Kette geblieben war, eine Diashow mit durchgehendem Stildesign – ohne Brüchigkeit, wie man sie in den früheren Werken immer erwarten konnte, auch positiv. Roths Jedermann hat denselben interessanten Blick auf die Welt wie der Bürochef, der seinen „Kommunikationen“ mit Powerpoint Würze gibt. Jedermann hat nichts Radikales an sich ausser dem Egoismus und fühlt nichts Radikales ausser sein Leben als in summa gescheitert. Entziffert wird das aber nicht an den Gedanken des Handelnden, der nicht handelt sondern abstrakt nachdenkt, also ohne weiteren Zusammenhang; vielmehr erfährt die Lektüre den Effekt darin, dass der skeletthaft abgemagerte Roman gänzlich verzichtet, auf soziale und geistige Gehalte Bezug zu nehmen. Die Dinge laufen ab wie die Betriebsamkeit von Insekten in einem morschen und hohlen Gebälk. Es ist beileibe nicht recht zu erkennen, ob die Unvermitteltheit gegenüber jedem allgemeinen Sinn, sozial, existentiell oder philosophisch, einer kritischen Intention entspricht, die im ganzen explizieren soll, wie geistig öd Amerika geworden ist, oder einer literarischen Müde. – Umgekehrt wird der junge Terrorist von John Updike, der gewöhnlicherweise seine Helden ihren Trieben in einem mikrosozialen Umfeld überlässt, das einen Blick darüber hinweg auf ein politisch-soziales Ganzes unterläuft, einer Dialektik ausgesetzt, die einen glauben macht, auch die Haltung der aktuellen Weltterroristen sei aus einem Widerspiel sozialer Gedanken entstanden, das in einem festen Gefüge von wahr und unwahr, gut und böse, beherrschend und beherrscht geschieht und das der alte Autor mit der Fülle seiner realen und intellektuellen Lebenserfahrungen nur auszukleiden und diskursiv anzukurbeln brauchte. Alles ist voller Leben, alles ist politisch und alles sucht geradezu die Momente der Kritik. Der zu oft zu lange im Politischen zögerte, gerät nun dadurch ins Zwielicht, dass er das politisch anleuchten will, was sich jenseits davon niedergelassen hat. Der aktuelle Terrorismus hat nichts Ideologisches an sich, das sich kritisieren liesse, und agiert ausserhalb aller theoretischen Kategorien und empirischen Felder des Kampfes, die sich auf schon Dagewesenes beziehen liessen. Schon vor dem Beginn belastet sich der Roman mit dem Spruch des zu Unrecht gepriesenen Gabriel Garcia Marquez, dass der Unglaube robuster sei als der Glaube, weil er sich auf das sinnlich Wahrnehmbare stütze. Man muss nur den Ausdruck des Glaubens mit dem des Meinens ersetzen, um zu sehen, wie wenig er der Realität entspricht, weil es doch kaum evident erscheinen will, dass die kritischen Bewusstseine das blosse Meinen dominieren würden; schlimmer aber am Motto ist die Unterstellung (nicht durch Marquez aber Updike), wir hätten es mit einer Frage des Glaubens überhaupt und dem des Islams im besonderen zu tun. Der Terror, der da ist, wäre es mit denselben sozialen Charaktertypen auch ausserhalb eines religiösen Rahmens. Solch fahrlässiges Denken über den Gegenstand des Buches zeigt sich auch in einzelnen Sätzen, wie hier auf Seite 232, wo die alte Verteidigungsbereitschaft der Amerikaner in die Nähe der Haltung der Terroristen gebracht wird: „(George Washington) lernte zu nehmen, was gerade kam, und die Guerillataktik anzuwenden: zuschlagen und untertauchen, zuschlagen und untertauchen. Er zog sich zwar zurück, gab aber niemals auf. Er war der Ho Chi Minh seiner Zeit. Wir (Amerikaner im Befreiungskrieg gegen die Briten) waren wie die Hamas; wir waren Al-Qaida.“ Die Schluddrigkeit, Ho Chi Minh, Hamas und Al-Qaida in einen Topf zu werfen, kann man vielleicht einem amerikanischen Undercover Polizisten, der da spricht, in die Schuhe schieben; gelesen wird sie aber als Argument des Autors, das er offenbar für bedenkenswert einschätzt, gerade weil er keine Anstalten macht, einer Auseinandersetzung mit dem falschen Gehalt Raum zu geben. Auch wenn ein Roman kein Feld des Diskursiven ausbreiten soll, müssen seine Figuren gewissen Konsistenzforderungen genüge tun, wenn er nicht als Kinderstück erscheinen will. Der Held, von dem nie eine innere Spannung auf die Lektüre überspringt, weil dem alten Autor das Interesse, das er früher so umwerfend pflegte, abhanden gekommen ist, psychische Spannungsbögen ohne Ironie noch darzustellen, wird nicht nur als einer vorgeführt, der manipuliert wird, sondern wird so auch gelesen, vom Autor nur hölzern vorgestellt, von Situation zu Situation als ein anderer austauschbar. Es vergeht nur eine Woche zwischen dem Tag, an welchem dem unbescholtenen ägypto-amerikanischen Achtzehnjährigen gesagt wird, er würde ein Selbstmordattentäter sein und demjenigen, an dem er den Terroranschlag auszuüben hätte – zu einer Zeit, als bei ihm das Interesse an den (Mädchen-) Menschen und der Welt überhaupt grösser nicht hätte sein können. Solches ungefähres und unvermitteltes Nebeneinanderstehen von Aktionsimpulsen und Reflexionen macht die grosse Novelle Updike’s, wie das Werk wegen seiner Dynamik gattungsmässig im Original eingeordnet ist, dem kleinen Roman Roth’s vergleichbar: Die Prozesse laufen über den Köpfen der Akteure ab. Dazu gehört nicht zuletzt, dass beide Autoren seit langem schon aufgehört haben, kulturelle Gebilde in ihren eigenen Werken anzusprechen, geschweige denn zur Sprache zu bringen. Vom Fernsehschleim Amerikas überdeckt, wird es zunehmend sinnloser, an solche zu erinnern. Dann müsste Amerika es aber auch aussprechen, dass jedermann der Terrorist ist und der Terror nur eine Krankheit, die sich durch geschickte kritische Eingriffe behandeln liesse.

Donnerstag, 31. August 2006 um 7:38 pm Themenbereich: Theorie                 RSS 2.0 Both comments and pings are currently closed.

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