Archiv für den Monat Juni, 2008

Was fliegt denn da am Mond vorbei?

Samstag, 21. Juni 2008


Kamerazeit 5:37:18


Kamerazeit 5:37:26

(Blogzeit ist Winterzeit.)

Tiere höherer Ordnung

Dienstag, 10. Juni 2008

Gestern auf einen langen und langweiligen Weg abgegleitet, endlos, latschend fast in Schlaf geraten, links nie etwas zu sehen, rechts gar nichts, wo am Rand des dunklen Dschungelwaldes der See hätte gewesen sein müssen. Ein Fuchs vor mir, wie ein Schakal schlank und elegant auf hohen Beinen, ins Denken versunken, nicht aus den Gebüschen gehuscht, sondern von einem Seitenweg links hereinbiegend. Kein Zucken in ihm, nein, betreten tritt er zurück, denn selber ernsthaft in Gedanken versunken soll das Wesen niederer Art nicht durch ihn in seinen tollpatschigen Denkversuchen gestört werden. Er hat nur Rücksicht genommen. Noch nie war mir ein so vornehmer Fuchs begegnet. Sein ernstes Bewusstsein hat mich aufgeweckt und weiter bis nach Estavayer-le-Lac beschäftigt.

Aug in Aug mit dem Angelus novus

Dienstag, 3. Juni 2008

Der Engel der Geschichte, der als Bild Klees mit dem Namen Angelus novus (1920) Walter Benjamin gehörte, von dem er via Bataille zu Scholem und von diesem ins Israel Museum in Jerusalem gelangte, ist seit vorgestern und noch bis übermorgen im Berner Paulkleezentrum nicht nur zu sehen, sondern wegen des diskursiven Gehalts, den er 1940, den Schock über den Verrat der Revolution durch Stalin bestätigend, freigesetzt hat, vielmehr auch zu bestaunen. Man tritt in einen drei Meter hohen schwarzen, geschlossenen aber ziemlich grossflächigen Raum ein, wo das Bild am anderen Ende direkt vis-à-vis auf Kopfhöhe hängt, nur schwach beleuchtet, und selbst diese schwache Beleuchtung teilt ihre Zeit mit Unterbrüchen völliger Lichtlosigkeit. Es ist bunter, als ich es von Reproduktionen oder vom Internet her kenne, und die Zeichnung selbst etwas hässlicher als erwartet. Das Bild ist mit mehr als doppelt so vielen anderen Bildern und Filmwänden umgeben wie auf der Skizze oben eingetragen; gefüllt sind auch die beiden Seitenwände, und, nicht übermässig, der Raum selbst mit Vitrinen, Objekten und weiteren Videostationen. Links neben ihm ist eine ungefärbte Studie mit demselben Motiv; wegen den bislang nicht erlebten Farbtönen verführt das Original zu einer ernsten längerwährenden Betrachtung, die indes nicht wenig irritiert wird durch ein Auto, das unmittelbar dahinter, also an der Seitenmauer des Kleemuseums vorbeifährt. Nach mehreren Minuten merke ich, dass dieses akustische Ereignis nur in einem der vielen Filme, die im Raum ablaufen, vonstatten geht. Das ist wie zuhause im Internet, wo man kaum noch auf Seiten stösst, die einen nicht durch eine infantile Werbung ablenken und einem das Denken rabiat auslöschen wollen. So schaue ich sie mir an, auch die Bilder, Picasso (passend), Hodler (wozu?), Wölfli (wozu?), etc. Aus den Filmen Gewalt und immer wieder nur Blödheit, das Verlorene Paradies (Lost Paradise – Der Blick des Engels, wie die Ausstellung im Ganzen heisst). Die Bilder, Filme und Objekte klären nicht viel auf, aber sie stören auch nicht, und man gewöhnt sich schnell an die Atmosphäre, in der der Angelus novus ganz angemessen sich betrachten lässt und gut seine Wirkung auf einen ausüben kann. Mit tamilisch-schweizerischer Pünktlichkeit wird knapp nach sieben Uhr ein Stromkabel ausgelegt, das einen Staubsauger nährt, der nun gemächlich seine Runden zieht. Die Filmgeräusche zerbröseln unter dem einförmigen Geräusch des windigen Putzgerätes. Der Vorgang entspricht nicht ganz der Intention Benjamins – und es ist längst sein Engel, nicht der von Klee – die Idee der Gleichförmigkeit einer Zeit, in der Geschichte passieren würde, ausser Kraft zu setzen; um so leichter macht er deutlich, dass Benjamins Haltung kaum mehr die unsere ist. Seine Insistenz darauf, dass man über Zeit tel quel sprechen könnte und dass sie in der Geschichte als uneinförmig zu verstehen sei, rechnet damit, dass derjenige eingreift, der die Katastrophen, die der Fortschritt mit sich bringt, als medial mitgeteilte erfährt, wo sie gedeutet werden als Momente des Fortschritts, als Momente derjenigen Verhältnisse, die ihn antreiben. Nie hatte es eine historische Phase oder eine Gesamtgesellschaft gegeben, in der so viel Fortschritt wie heute passierte und ein Bettler, wie ich selbst, von ihm in so hohem Masse profitierte. Obwohl im Fahrwasser der Fortschritte die Katastrophen an Grösse stetig zugelegt haben – man kann die inflationäre Zahl der Menschen nicht mehr aussprechen, die unmittelbar wegen den existierenden gesellschaftlichen Praktiken täglich den vorzeitigen Tod erleiden müssen – und obwohl die Medien professionell täglich von ihnen den KonsumentInnen Bericht erstatten, haben wir weltweit Gesellschaften, in denen die Hälfte der Wählenden denjenigen zujubeln, über die nicht der geringste Zweifel besteht, dass sie als die Akteure und Urheber der Katastrophen zu gelten haben. Dieses Ruinöse der inneren Natur korrespondiert mit dem drohenden vorzeitigen Versagen der äusseren, in dem die Geschichte ist – als ihre beschränkte eigene Zeit. Statt die Aufklärung vorwärts zu treiben und den Menschen das Nachdenken erst einmal möglich zu machen, gebären die Medien fortlaufend das unendlich Viele, in dem das eine vom anderen ablenkt, um auch das Katastrophische vergnüglich zu machen. Wären die grausligen Fernsehsender für einmal wie im Paul Klee Zentrum morgens um sieben Uhr stillgestellt und mit ihnen die abstruse Hoffnung der Rede an die Verdooften durch sie, möchte langsam die Einsicht sich entfalten, dass nicht nur verschiedene Zeiten in der Geschichte zugegen sind, sondern dieselbe, ganz unähnlich der Idee der Zeit, der Natur und ihrer monströsen Gleichgültigkeit, der äusseren wie der inneren, ausgesetzt ist. Vielleicht stünde der Engel der Geschichte nicht wieder so lange betreten im Israel Museum zu Jerusalem.