Archiv für den Monat März, 2011

Strawinsky in Genf

Donnerstag, 31. März 2011

Soeben auf DRS2 gehört die Direktübertragung live aus der Victoria Hall Genf: Paul Groves, Oedipus; Petra Lang, Jokaste; Robert Gierlach, Creon & Bote; David Wilson Johnson, Tiresias; Fabio Trümpy, Schäfer; Alain Carré, Erzähler; Schweizer Kammerchor, Orchestre de la Suisse Romande, Leitung: Charles Dutoit.

Igor Strawinsky: Apollon Musagète (Fassung von 1947)

Igor Strawinsky: Oedipus Rex. Oratorium in 2 Akten

Ich habe es mir angehört und die Qualen durchgestanden. Man hätte weniger Schaden angerichtet, wenn man sich den grossen Aufwand geschenkt hätte. In diesen zwei Stücken ist kein Funken von dem Strawinsky, der sich lohnt, in den Himmel gelobt zu werden. Strawinsky ist ein problematischer Künstler. Sein Bild wird nicht dadurch verbessert, dass man die schlechten Seiten durch eine Aufführung ins gute Licht rückt; was ihn liebenswert macht, ist das Problematische ungeschönt. Dazu gehören die Aversion gegen seine schlechten Stücke gleichwie ein gewolltes Vergessen ihnen gegenüber. Das unvermeidliche schlechte Gewissen provoziert immerhin ein Nachdenken darüber, mehr als die Tatsache auszumachen vermag, das Unterschlagene wieder lebendig gemacht zu haben.

Levinas & Kafka zum Lachen

Mittwoch, 30. März 2011

Soeben via France Musique aus der Opéra de Lille, Concert donné le 7 mars 2011, Ensemble Ictus, Georges-Elie Octors, Direction:

Valère Novarina et Michaël Levinas, Je, tu, il, Prologue à la Métamorphose. Theatralischer Hors d’Oeuvre, musikalisch erst Appetit anregend, un peu mit Leichtigkeit drohend. Für sich selbst nicht sehr interessant, aber ich habe vom Text nichts verstanden, mich dummerweise am Nachmittag mit demselben nicht beschäftigt und den Namen Novarina gar noch nie gehört.

Emmanuel Moses et Michaël Levinas, La Métamorphose (Adaptation du texte de La Métamorphose de Franz Kafka (1915)). Man kann diese Oper gut Dusapins Passion gegenüberstellen und hat dann zwei verschiedene Richtungen der zeitgenössischen französischen Oper, die stringent ganz verschiedene Wege gehen. Levinas bläst die Gehalte wie Luftaballone auf, die ganz anderes zeigen, je grösser sie werden. Er tut dies, indem er die Einzelstimmen gruppiert und ihre Einzelverläufe ständig in einem Gruppenganzen sich ins Leere verziehen lässt, die allsbald in äusserst bunten Klängen aufgehen. Durch die Virtuosität im Umgang mit elektronischen und kompositorischen Techniken und Technologien gibt es ständig etwas Neues, das man bewundern kann. Ohne es abwertend zu meinen, kann das Werk ohne weiteres auch am Fernsehen gesendet werden. – An eines musste ich aber ständig denken: der Vater hätte beim Anören nie gelacht. Je mehr Levinas bei Kafka die Frage nach dem Vater beiseite schiebt, desto grimmiger taucht sein eigener hinter der Fassade auf.

Leibnizia

Dienstag, 29. März 2011

Gestern im Vorortszug von Luzern, eine Vierzehnjährige verborgen hinter der nächsten Sitzbank, sichtbar nur gespiegelt im Fensterglas, pausenlos ihr musikalisches Fingertippen aufs Handy, in der rhythmischen Vielfalt und tipperlnden Zärtlichkeit wie das Leben selbst, das man durch nichts ersetzt haben möchte. Dann ein erstes Gespräch, eine Verabredung mit einem Freund oder einer Freundin, in ein paar Minuten vor der Kirche dann. Bald darauf ein gefasstes, ernstes – mit der Mutter. Sicher bin ich in einem Zug später als abgemacht, aber doch nur in einem einzigen später. Versteh mich doch bitte, ich hatte mir so Mühe gegeben. Glaube mir, es war alles bestens organisiert, ich hatte die Sachen gepackt und ich war gerannt. Ich hatte den Zug nur knapp nicht mehr berühren können, als er schon am Davonfahren war. Glaube mir doch, das muss einer erst mal können! Am anderen Ende wird eine Aufgewühlte gesagt haben, du Luder, und knapp nicht denken, wirst nie so schlimm gewesen sein wie ich es war. Die Kleine wird noch diesen Sommer gross werden, ein Röcklein tragen luftiger als der duftende Arsch und gegen alle Anfeindungen der Alten sagen: Das muss man erst mal können, einen so kleinen Rock tragen und es ist immer noch einer! Infinitesimal kurz vor dem Ziel innegehalten verlangt nach mindestens soviel Applaus wie der schlappe Erfolg selbst – ein Einspruch des Lebendigen gegen das Ideale, der nicht wenig einzuleuchten scheint. Ein Bewunderer ist ihr sicher.

Schäbig, lumpig: ich

Dienstag, 29. März 2011

Gestern in der Wirklichkeit eine sehr Schöne im Zug, N. N., die am Handy eine Sprache sprach, die zuerst wie Finnisch klang, dann Isländisch, dann wie eine aus dem Baltikum, schliesslich dann aber wie eine, die mir in den Genen liegt, die ich aber ebenso wenig verstehe wie die anderen. Nach dem Aussteigen ging sie hundert Meter weit geradewegs vor mir, wo ich ihre hellbraunen und sehr langen Haare genoss, übers Röckchen herab, bis sie abzweigte. Im Traum war sie nun bei D., die in Wirklichkeit das Haus vor ein paar Jahren verliess, in der Nachbarwohnung zu Besuch. Es war abgemacht, dass sie beide bei mir vorbeikämen. Ich hörte sie in der Wohnung ihre Sprache sprechen, und eh ich’s versah, gingen sie nach draussen, fort auf einen Spaziergang. Die geographische Umgebung war nicht die der Wirklichkeit, sondern ein Dorf in den Bergen – und es war ein sonniger Sonntag Nachmittag. Ich öffnete das Fenster, hielt eine dunkle Weinflasche in die Höhe und rief ihnen etwas zu, deutsch, wie D. es versteht und spricht. Ich rannte zum Haus hinaus und fand sie sogleich in einer Kurve unter einem Baum, wo N.N. auf dem Boden sass und D., nicht minder schön, daneben stand. D., die immer kurze Haare trug, war wütend, um so entzückter N.N., versonnen in ihren langen Haaren. D. sprach Deutsch und ihre Sprache von zu Hause aus, N.N. fast nichts, weil sie so auf die Flasche fixiert war, aus der es stank wie es stinkt, wenn eine angebrochene Weinflasche mehrer Tage lange offen stehenbleibt. Ich hatte gewonnen, und wir gingen zu dritt Richtung Haus zurück. Dieser Sonntag wird schön.

Mehr Spass mit Ringo in der Disco

Sonntag, 27. März 2011

(Auf meinem Bildschirm ruckelt diese Animation. Keine Ahnung wieso, denn auf einer gewöhnlichen html-Seite oder im Mail-Programm läuft sie optimal.)

Spass mit Ringo in der Disco

Sonntag, 27. März 2011

Erlkönigs Töchter in der Disco

Sonntag, 27. März 2011

Ringo in der Disco

Sonntag, 27. März 2011

Rachmaninow & Walton

Mittwoch, 23. März 2011

Soeben zurück aus London via Paris, auf France Musique live direkt aus The Barbican, mit Viktoria Yastrebova, Soprano, Frank Lopardo, Ténor, Vladimir Veneev, Baryton, Choeur symphonique de la BBC, Orchestre symphonique de la BBC, Semyon Bychkov, Direction:

Serge Rachmaninov & Edgar Allan Poe, Auteur: Les Cloches Op.35 (1913). The Bells – auf Russisch…

William Walton (1902-1983): Symphonie N°1 en Si bémol mineur (1931,1935). Ein Emerson, Lake & Palmer-Heuler: därrrrrätättäätäää…!

Ein Krimi von Edgar Wallace und einer von Agatha Christie, das ist es genau, was ich heute Abend gebraucht habe, Entspannung durch unbelastete Gruselspannung. Zappa: „Lord have mercy on the people in England of the terrible music these people must listen to!“

Arditti Quartett 3 (Bergsee)

Mittwoch, 23. März 2011

Über ein Konzert des Arditti Quartetts zu schreiben ist wie das Fotografieren eines Bergsees: als Kind kommt man hin und versucht sofort, einen flachen Stein übers Wasser zu jagen, mit möglichst vielen Aufsetzern, und als Erwachsener schaut man lange & reglos, bis die Idylle von alleine etwas vom Sinn abwirft – in der Tat verlor ich auf Tsanfleuron für eine Sekunde einmal fast die Contenance, als ein lärmiger Dreikäsehoch in Militäruniform knapp vor dem Abdrücken einen Stein in einen der stillsten zu werfen wagte. Im Wallis bleiben mir noch etwas mehr unbekannte Seen abzubilden als Ställe auf den Alpen, von denen 95% dokumentiert sind. Das Arditti Quartett gibt so viele Konzerte, nota bene mit verschiedenen Programmen, dass einem vor dem Fleiss schwindlig wird, und in einer Qualität, dass man sich schämt, ein eigenes Wort dazu noch hinzuzufügen. Als ich in einer Gratiszeitung im Wochenprogramm für Bern sah, dass das Quartett hierher kommt, kam mir sofort die Aufführung der (Betsy) Freeman Etudes solo von Irvine Arditti 1992 in Frankfurt in den Sinn und dass sie das letzte Konzert war, das ich in den vergangenen zwanzig Jahren überhaupt gehört hätte – erst in der konkreten Erinnerungsarbeit merkte ich, dass es doch noch ein paar zusätzliche gegeben hatte. Ich wunderte mich darüber, dass nicht ein grösserer Werbeaufwand getätigt wurde, denn immerhin konnte ich am Neujahrstag 2003 an der Hauswand einer Bümplizer Metzgerei ein Riesenplakat für ein Varèse-Konzert in Vevey fotografieren. Ich sah im Internet, wie das Konzert eine Woche später schon beinahe ausverkauft war: aha, alle wissen es über andere Kanäle, nur ich eben nicht. Im Internet für ein Berner Konzert ein Ticket zu reservieren oder zu kaufen geht nicht, wenn man keine Kreditkarte hat. Geht das Ganze nun den Bergbach ab? Gute Köpfe haben gute Ideen, und abends kam ein Telefon, es sei der Kauf für ein Billet getätigt worden. Uff! So lange kein Konzert mehr besucht, und dann kommt es förmlich in den Mund geflogen. Sogar eine Kamera wird verfügbar, die kein Klicken von sich gibt und deren Blitz und Fokushilfslicht sich ausschalten lassen (den bedrohlichen kleingedruckten Billettext mit Fotoverbot sollte man sich in Bern endlich schenken, wenn man überhaupt noch Interesse an einem jüngeren Publikum hat – das Fotografieren mit den Kleingeräten heute hat einen ganz anderen Status als noch vor fünf bis zehn Jahren, es ist wie der Besuch eines Ereignisses selbst, und wer es als fehlbesetzter Manager unterdrückt, verhindert das kommerzielle Erlebnis selbst). Ich staunte nicht schlecht, als ich im Publikum nur ältere Personen zu sehen bekam: Hat die Hochschule für Musik bankrott gemacht oder machen sie gerade eine Dixilandparty, die alle in Bann schlägt? Das kann mir wurst sein, denn im Moment des Konzertbeginns gerät man in andere Sinne: man hört nicht Arditti oder das Arditti Quartett, sondern genau diese Musik, die das Programm einem schon seit einer Woche verspricht, als wäre man im Stande, in diesem Moment jetzt die Partitur zu entziffern, so wie man zu Zeiten eben mit der Kamera vor einem der kostbaren Bergseen steht. Obwohl der Kopf ununterbrochen mit Worten und Sätzen zum Gehörten spielt, ist eine ungeheure Scheu da, sie festzulegen und in ihrer Dürftigkeit dokumentarisch auszusprechen, wie es denn gewesen wäre. Der einzelne bleibt so irritiert wie vor der Frage, ob man heute noch anlässlich eines Bergsees von einer Idylle sprechen dürfe oder ob es sich einfach um qualitativ besondere Güter handelt, die ansonsten zu unserem gewohnten Überfluss zu zählen sind wie gute andere, aus denen man auch nicht in jeder Begegnung eine Geschichte macht. Manchmal ist eine Dokumentation nur eine für einen selbst und wäre als Moment der Kommunikation archaisches Überbleibsel.

Arditti Quartett 2 (Genève)

Dienstag, 22. März 2011

Soeben auf Espace 2 live aus Genf dieselbe Band wie gestern in Bern, ebenfalls auf der Bühne des Konservatoriums, aber mit einem anderen Programm.

Quatuor Arditti: Irvine Arditti, violon – Ashot Sarkissjan, violon – Ralf Ehlers, alto – Lucas Fels, violoncelle.

Ludwig van Beethoven, Grande fugue pour quatuor à cordes, en si bémol majeur. Vom Auftakt an eine scharfe Präsenz im Ganzen, in den hohen Lagen im ersten Drittel ganz selten ein Zögern. Wie gestern vergehen auch heute ein paar Minuten, bis das Quartett in Hochform spielt – dann aber ohne Makel und in einem einzigen seidigen Zug.

Béla Bartok, Quatuor à cordes, no 3, en ut dièse mineur. Anfänglich keine folkloristische Interpretation wie gestern im ersten Quartett von Janacek, sondern das Avancierte betonend; im zweiten Satz wird die Landmusik aber trotzdem nicht überspielt. Schöne Ruppigkeit und bewundernswürdiger Verzicht auf zu reine Glätte: Bartok, nicht Arditti. Im letzten Drittel wieder der Zauber der unbedingten Präzision.

(Das Genfer Publikum ist spürbar weniger diszipliniert als dasjenige in Bern, es kracht und hustet bis ans Ende von Ravel.)

György Kurtág, Officium breve in memoriam Andreae Szervánszky, pour quatuor à cordes. 1. Largo – 2. Più andante – 3. Sostenuto, quasi giusto 4. Grave, molto sostenuto – 5. Open Music (Presto) – 6. Canon à 4 (Molto agitato) – 7. Canon à 2 (sehr fliessend) – 8. Lento – 9. Largo – 10. Canon à 4 (fliessend) – 11. Sostenuto – 12. Sostenuto, quasi giusto – 13. Sostenuto, con slancio – 14. Disperato, vivo – 15. Arioso interrotto, Larghetto. Eine Musik voller Anspielungen, wie Fenster, durch die man hinein in disparate Räume sieht. Nicht allgemeine unterschiedliche Charakteren, sondern gelebte und aus der Geschichte herübergeholte, auch aus dem 15. Jahrhundert oder gar früher. Trotzdem alles andere als eine historisierende Musik, nur innehaltende, zweimal mit Mahler. Der 14. Satz Disperato – vivo gefällt mir am besten, weil er die Musik dreht wie es der taumelnde Mond tut in der ihm eigenen Libration.

Maurice Ravel, Quatuor à cordes en fa majeur. Nur ein paar halbe Takte Aufwärmphase, dann wie gewohnt eine vertrauenerweckende Interpretation, auch wenn Arditti und Ravel auf Anhieb nicht zusammen zu passen scheinen.

Arditti Quartett 1 (Bern)

Dienstag, 22. März 2011

Fehlten die Streifzüge durch die Walliser Landschaft als Partitur, wären meine letzten 20 Jahre, was Konzertbesuche betrifft, eine einzige Wüste. Die wenigen Oasen sind schnell aufgezählt: einige Sitarkonzerte in Bern und Basel, eines von Sujay Bobade mit Bansuri in Uettligen, Varèse am 12. Januar 2003 in Vevey

und vorher am 27. Januar 2001 schon in Luzern, das Poème Electronique und ein gutes Stück von Charlotte Hug, vor demselben auf Einladung des Organisationskomitees eines am 1. September 2000 von Franziska Baumann, das ich in der Gletscherzone nicht gefunden hatte, nach ihm, ebenfalls auf Einladung, eines des greisen Ian Anderson mit Altherrenwitzen in Zürich, versunken im selben Silbersee, wie er aus der Oper raportiert wird, und zweimal Negi in Bern:

Am lebendigsten im Bewusstsein geblieben ist mir aber ein Konzert am 18. September 1992 in Frankfurt, zuvorderst in der Mitte schon am Rand der Bühne – mit Irvine Arditti Solo, in einer unüberbietbaren Aufführung von John Cages Freeman Etudes (ein Tag nach Zappa zum letzten Mal, The Yellow Shark). Nicht ganz unmöglich, dass er den Ort, den Negi einst so gross zu ehren vermocht hatte, einmal selbst bespielen wollte.

Auf altbekannten Wegen früher: zum Pyri nach links, in den Falken nach rechts

Gestern Abend jedenfalls hörte ich ihn an diesem Ort wieder, im Ensemble des Arditti Quartetts, mit:

Leos Janácek: Streichquartett Nr. 1, „Kreutzersonate“. Mich dünkte, die Band käme erst mit der Zeit in Schwung und würde anfänglich mit den Einsätzen spielerisch pröbeln, wie auf einem Folkfestival, wo man das Pulver nicht aufs Gratewohl verschiessen will. Ich hatte die Unstimmigkeiten positiv als Musikalität wahrgenommen. Bald aber, und speziell im letzten Satz, die bekannte Schärfe des Quartetts mit eisglatten Klängen und gespitzten Konturen. Erstaunlich, wie in einer Janácekinterpretation es einen dünkt, das Arditti Quartett würde das Folkloristische hervorheben wollen.

Nach dem Janácek-Quartett

Pascal Dusapin: Streichquartett Nr. 5. Die Programmierung, vor dieses Quartett Janáceks erstes zu setzen, dünkt mich gelungen, da es wie eine Variante auf einem gewissen Abstraktionsniveau erscheint. Ich kenne leider nur ganz wenig von Dusapin, trotzdem schlingerte ich am Anfang, bis ich merkte, die Musik tönt wie solche von früher, die aus dem Jazz stammte und über deren Noten, die wir zuhause hatten, „March“ stand. Wie bei Janácek Elemente aus der ländlichen Musik des Volkes und seiner Sprache in extrem subjektive Ausdrucksmusik verwandelt wird, transformiert Dusapin schleppende Elemente eines delirierenden Jazzbasses in etwas Neues, in dem das konkrete Einzelne der Unterhaltung nichts mehr zu sagen hat. Ich habe noch Weihnachtsgutscheine für Bücher und werde dieselben in die CD mit allen Quartetten verwandeln – zum Glück aber habe ich dieses Konzert hören können (Merci Fränzi!), da es eine lange äusserst stille Passage enthält, in der die Funkkopfhörer bestimmt abschalten werden.*

Beim Dusapin-Quartett

Bernhard Lang: „Monadologie IX – the Anatomy of Disaster“. Das Stück dauert knapp eine Stunde und besteht entgegen den beiden vorangehenden nicht aus einem Bogen von Anfang bis zum Ende, in dem sich etwas verwandeln würde, trotzdem habe ich auch hier mit der Zeit lieber zugehört, weil mir die innere Spannung, die man von Anfang an erkennt, familiärer wurde. Mich dünkt es immer schon problematisch, neue Musik in eine Spannung zur tonalen zu bringen; hier geschieht sie mit konkreten Elementen aus Haydns Quartetten, nicht selten aber auch mit solchen aus der heutigen Unterhaltungsmusik, einmal aus dem Hardrock, einmal mit Django Reinhardtpassagen. Solches wirkt unterkomplex. Hat man aber das Bauprinzip erst einmal akzeptiert und ist mit dem Stück im Reinen, lässt man sich die Spannung in der Struktur selbst zwischen tonalem Alten und organisatorisch unbestimmtem Neuen durchaus wohlgefallen. Auch dem älteren Publikum hat es gefallen – und jüngeres scheint es in Bern für Musik gar nicht mehr zu geben. Wie man indes alles von Janácek zweihundertmal im Leben gehört haben darf, sollte man Dusapin schleunigst in toto zur Kenntnis nehmen, und Lang ist die Herausforderung allemal wert – seit 4 fotografisch auf den Beinen, hatte ich auch in den letzten Passagen gegen 22 Uhr noch keine Müdigkeitssymptome.

Beim Lang-Quartett

(Kamera von der Mäzenin ausgeliehen, Fujifilm Finepix)

*Zusatz 9. April 2011: Die Kopfhörer funken das ganze Stück ohne Unterbruch. Morgens um 5 gehört eine Wonne – wie Campieren am Meisibach unten den Chilesteinen.

Oberhofers Wimmis-Niesentour

Dienstag, 22. März 2011

In einem Wettbewerb habe ich den Preis gewonnen, mit Polo Hofer von Wimmis aus auf den Niesen zu wandern. Das war von Anfang an lustig, weil auch viel anderes Volk dasselbe tat. Weil er von vielen Konzerten her, von denen ich keines jemals besucht hatte, ausser die Solovokalisen in Pyri & Falken, viele kannte, witzelte er ab und zu mit einigen. Bei einer ging es ein bisschen länger, und sie versorgte ihn mit einem Stück Roten. Da wurde er noch lustiger und das Wandern peu à peu zögerlicher. Glücklicherweise hat die Niesen Nordseite eine Seilbahn, und wir waren sehr begeistert, bei ihr oben angekommen zu sein, am einen Ende der Warteschlange ihrer Talstation.

Star Star

Freitag, 18. März 2011

Auf Goats Head Soup, der gelben Platte mit Angie und der Zunge als Zusatz – eine Art Yellow Shark der Stones – gab es ein Stück mit dem Titel Star Star, das aber eigentlich Starfucker hätte heissen müssen und also einem manifesten Eingriff der Zensur unterlag, der die Gespräche auf dem Pausenplatz mit der nötigen Würze versetzte. Noch bessere Musik erlebe ich seit drei Tagen beim Fotografieren meines Fenstersims, wo sich eine Starenkleinfamilie unter die Erlenzeisige, Kohl- und Blaumeisen, Amseln und Kleiber mischt. Zu dritt positionieren sie sich vor ihrem Auftritt über, neben oder unters Fenster, immer auf dem Dach, sei es auf dem First, dem Vordach des Zimmers oder der Auffangstange über dem Kännel. Ich stehe knapp zwei Meter im Innern des Zimmers, hinter einer schwarzen Schranke quer durchs Zimmer als simpelstem Tarnzelt und dem Stativ mit dem montierten Fotoapparat. Solche Sounds sind mir von Messiaen nicht bekannt (alle Klavier-CDs gerade weggeliehen), sehr wohl aber von Pink Floyds Meddle, vereinfacht, und verstreut von Stockhausen, denaturalisiert, in Einzelpassagen auch aus den Soloplatten von McLaughlin, wo er Ende der siebziger Jahre als erster mit den kommerziellen Varianten der Modulatoren spielt. Man macht sich keine Vorstellung, was aus den Kehlen von drei so kleinen Lebewesen entstehen kann: diese Vielfalt, dieses permanente Überschreiten der Grenze zwischen Chaos und Urlaut hin zum durchgestalteten, nicht unkomplexen Gebilde – und dieser Drang, insbesondere des Babys, aus dem Gefängnis des plumpen Körpers ausbrechen zu können! Noch nie habe ich das so stark erlebt, dass nicht der Wille zur Macht die Vitalität ausmacht, sondern der Wille, wie ihn nur die körperlich Beschädigten erfahren, die Unflexibilität des Körperlichen durchbrechen zu können. Und noch nie habe ich den Wunsch wie jetzt verspürt, die Kamera mit einem Tonaufnahmegerät ergänzen zu können, weil die Sounds, die die Tiere von sich geben, ihre eindrückliche Gestalt, die an die Figuren aus dem alten Ägypten erinnert, noch übertreffen. Hoffentlich kommt die Supergroup aus früheren Zeiten auch dann noch einmal vorbei, wenn die Sonne morgens für weniger als eine Stunde ihre kostbaren Strahlen aufs Fenstersims schickt. Die Pinien tät ich ihnen gerne servieren, auch einmal rein und ohne billigere Haselnusszusätze.

Esa-Pekka Salonen 5

Mittwoch, 16. März 2011

Soeben auf France Musique aus dem Théâtre du Châtelet : Festival Présences 2011. Concert donné le 19 février 2011. Kari Kriikku, Clarinette, Orchestre Philharmonique de Radio France, Esa-Pekka Salonen, Direction.

Esa-Pekka Salonen: Nyx (2010-2011). – Wagner-Straussische Festmusik mit gehobenen Marschrhythmen unter einfachen Klarinettenmelodien. Wo das Stück dramatisch wird, tönt es wie ein Feldmusikcorps an einem Platzkonzert. Klar, auch ein solches kann gefallen.

Kaija Saariaho: D’OM LE VRAI SENS (2010). 1.L’ouïe, 2.La vue, 3.L’odorat, 4.Le toucher, 5.Le goût, 6.A mon seul désir. – Dass der Dirigent es nicht merkt, wie diese Musik besser getränkt ist als seine eigene? Es reizt pausenlos, den geforderten Anstrengungen nachzugeben und den eingeschlagenen Richtungen, den Spuren und Modulationen nachzufolgen. Noch ausgeprägter ein Klarinettenkonzert, aber nicht im geringsten uniformmässig.

Esa-Pekka Salonen: L.A. Variations (1996). Das Herzstück der seriellen Musik, die Variation, soll helfen, von ihr wegzukommen. Salonen will selbständig werden und folgt doch nur den Ratschlägen von John Adams – besser wäre er bei Zappas lustiger Witwe vorbeigegangen.

Edgard Varese: Amériques, Grande version de 1922. Salonen wählt die mildere Urfassung. Man respektiert den Entscheid und seinen Drang in die Nähe zu Strauss. Varèse beginnt erst 1925 zu komponieren. Wann Salonen?

Zusatz: Das beste Stück des Abends dann im Anschluss ans Konzert immer noch auf France Musique von Kaija Saariaho, auch hier dirigiert von Salonen, Du Cryital … à la Fumée – jeder Ton ein Stern im Universum der Poesie. Uneingeschränkte Begeisterung: die Finninnen bringen’s!

Esa-Pekka Salonen 4

Montag, 14. März 2011

Soeben auf France Musique: Concert enregistré le 6 février 2011 au Théâtre du Châtelet, dans le festival Présences, Orchestre Philharmonique de Radio France, Esa-Pekka Salonen, direction. OEuvres d’Esa-Pekka Salonen.

Helix (2005). Klangverschiebungen auf rhythmisch irrationalen Werten, ziemlich interessant, man vergisst, wie zu atmen wäre – darüber unverständlicherweise tonale Melodien. Und wieder einmal hat John Adams die Finger im Spiel.

Concerto pour violon (2009): I. Mirage, II. Pulsation I., III. Pulsation II, IV. Adieu. Leila Josefowicz, violon. Hübsch zu hören, leicht effekthascherisch, wie man vor dreissig Jahren gesagt hätte. Einen Teil habe ich leider verschlafen. Salonen schreibt zuviele Passagen, in denen es einen dünkt, er hätte eine Idee und schaue nun aufs Geratwohl, wie das wohl tönen würde, eine Art Dilettantismus auch in grösster Könnerschaft und kompositorischer Professionalität. So geht es einem mit Disziplinmangelerscheinungen, mit Mangel an ernsthaftem Konstruktionswillen. Er verleugnet sträflich die Erkenntnisse aus der Jugend und denkt alterschwach tonal, das Ganze nun so leichtfüssig gehandhabt wie ästhetisch unglaubwürdig.

Wing on Wing (2004), Anu et Piia Komsi, sopranos. So schön waren sie immer schon, die kurvenden Möwen in Kalifornien, wenn sie John Adams eigens füttert. Im Strandpavillon singen Emerson, Lake and Palmer Love Beach, bevor der Supergroup Maggie Thatcher einen Blumenstrauss aus Plastik zuwirft, den ihr Reagan einstens stiftete.

Boris Godunow in New York

Sonntag, 13. März 2011

Gestern via Bayern 4 in New York: Boris Godunow von Modest Mussorgsky, Chor und Orchester der Metropolitan Opera, Leitung: Valery Gergiev (wurde ersetzt). Ich wusste nicht, trotz früherer Einsichtnahmen in diverse Aufführungen auf CD und DVD, dass man dieses Meisterwerk der Macht so auf den Hund bringen kann, ohne Schärfe und Kanten. Bezeichnend das Pauseninterview mit René Pape als Boris Godunow, der in seinem Spiel die humane Seite des Machtmenschen nicht beiseitegeschoben wissen möchte – als ob einer heute von der Fürsorglichkeit Ghaddafis seinen lieben Kindern gegenüber sprechen möchte. Trotzdem dünkt es mich verwunderlich, wie diese eigenwillige und leicht debile Haltung auf die Interpretation der Oper insgesamt abzufärben vermag. Mussorgskys Kunst gibt Einblicke in die Düsternis der Welt als Herrschaftsgebilde – der Boris Godunow in New York tönt arg danach, als hätte im Hintergrund der Pate die Finger spielen lassen mit dem Namen John Adams.

Alban Berg

Freitag, 11. März 2011

Soeben auf France Musique direkt live aus der Salle Pleyel gehört die Altenberglieder von Alban Berg, mit Christiane Oelze, Sopran und dem Orchestre Philharmonique de Radio France unter Pablo Heras-Casado. Berg komponierte wie ein Walliser immer schon, sie musizierten hier lyrisch wie Waliser.

Zusatz: Ich wollte eigentlich nichts über die nachfolgenden 3 Stücke Op.6 schreiben, aber sie haben mich so aus den Socken geworfen, dass ich die Begeisterung über diese Interpretation nicht unerwähnt lassen möchte. Man muss diese Musik genau auf diese Weise spielen, als wäre es schon Messiaen – der Nichtkitschige.

Deserts

Freitag, 11. März 2011

Soeben Deserts von Edgard Varèse gehört, auf SWR 2, mit dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter der Leitung von Sylvain Cambreling, live vom 7. 11. 2010. Alle bisher gehörten Interpretationen waren scharf, vielleicht auch einmal zu scharf – diese aber dünkt mich eindeutig allzusehr abgemildert, als sollte man kitschigen Messiaen serviert bekommen. Schön aber allemal, den Alten im Ohr auf den Walliser Hängen wieder einmal von aussen zu hören, aktuell gespielt. (Ohne die Tonbänder einzuspielen, was leider vom Komponisten als legitime Aufführungsweise deklariert worden war: ich liebe ihre Dürftigkeit und Holprigkeit über alles.)

Die echolose Wüste Wallis

Freitag, 11. März 2011

Es gibt nicht viele Gründe dagegen, im Wallis wohnen zu wollen, aber einen entscheidenden habe ich gestern entdeckt, die Dürre der abrufbaren Radiostationen im Kabelnetz. In Bümpliz près Berne fühle ich mich nicht höllisch schlecht bedient mit DRS 2, Espace 2, SWR 2, Bayern 4, Ö 1, und natürlich am besten mit France Musique – kaum ein Abend, an dem ich zwar zuhause bin, den ich nichtsdestotrotz in einem Konzert verbringe, weil die genannten Stationen mit solchen Übertragungen nicht geizen. Im Oberwallis sitzt man förmlich auf dem Trockenen – oder suhlt in der Pisse der Unterhaltung. Zu hören bekommt man dort am Kabel zurzeit nur DRS 2, Bayern 4 und Ö 1. Das wäre mir zu wenig, wenn nächtens die Partitur der Berge nicht mehr zu lesen ist. Und das wäre ein Ding zu ändern noch. Dort.