Arditti Quartett 1 (Bern)
Fehlten die Streifzüge durch die Walliser Landschaft als Partitur, wären meine letzten 20 Jahre, was Konzertbesuche betrifft, eine einzige Wüste. Die wenigen Oasen sind schnell aufgezählt: einige Sitarkonzerte in Bern und Basel, eines von Sujay Bobade mit Bansuri in Uettligen, Varèse am 12. Januar 2003 in Vevey
und vorher am 27. Januar 2001 schon in Luzern, das Poème Electronique und ein gutes Stück von Charlotte Hug, vor demselben auf Einladung des Organisationskomitees eines am 1. September 2000 von Franziska Baumann, das ich in der Gletscherzone nicht gefunden hatte, nach ihm, ebenfalls auf Einladung, eines des greisen Ian Anderson mit Altherrenwitzen in Zürich, versunken im selben Silbersee, wie er aus der Oper raportiert wird, und zweimal Negi in Bern:
Am lebendigsten im Bewusstsein geblieben ist mir aber ein Konzert am 18. September 1992 in Frankfurt, zuvorderst in der Mitte schon am Rand der Bühne – mit Irvine Arditti Solo, in einer unüberbietbaren Aufführung von John Cages Freeman Etudes (ein Tag nach Zappa zum letzten Mal, The Yellow Shark). Nicht ganz unmöglich, dass er den Ort, den Negi einst so gross zu ehren vermocht hatte, einmal selbst bespielen wollte.
Auf altbekannten Wegen früher: zum Pyri nach links, in den Falken nach rechts
Gestern Abend jedenfalls hörte ich ihn an diesem Ort wieder, im Ensemble des Arditti Quartetts, mit:
Leos Janácek: Streichquartett Nr. 1, „Kreutzersonate“. Mich dünkte, die Band käme erst mit der Zeit in Schwung und würde anfänglich mit den Einsätzen spielerisch pröbeln, wie auf einem Folkfestival, wo man das Pulver nicht aufs Gratewohl verschiessen will. Ich hatte die Unstimmigkeiten positiv als Musikalität wahrgenommen. Bald aber, und speziell im letzten Satz, die bekannte Schärfe des Quartetts mit eisglatten Klängen und gespitzten Konturen. Erstaunlich, wie in einer Janácekinterpretation es einen dünkt, das Arditti Quartett würde das Folkloristische hervorheben wollen.
Nach dem Janácek-Quartett
Pascal Dusapin: Streichquartett Nr. 5. Die Programmierung, vor dieses Quartett Janáceks erstes zu setzen, dünkt mich gelungen, da es wie eine Variante auf einem gewissen Abstraktionsniveau erscheint. Ich kenne leider nur ganz wenig von Dusapin, trotzdem schlingerte ich am Anfang, bis ich merkte, die Musik tönt wie solche von früher, die aus dem Jazz stammte und über deren Noten, die wir zuhause hatten, „March“ stand. Wie bei Janácek Elemente aus der ländlichen Musik des Volkes und seiner Sprache in extrem subjektive Ausdrucksmusik verwandelt wird, transformiert Dusapin schleppende Elemente eines delirierenden Jazzbasses in etwas Neues, in dem das konkrete Einzelne der Unterhaltung nichts mehr zu sagen hat. Ich habe noch Weihnachtsgutscheine für Bücher und werde dieselben in die CD mit allen Quartetten verwandeln – zum Glück aber habe ich dieses Konzert hören können (Merci Fränzi!), da es eine lange äusserst stille Passage enthält, in der die Funkkopfhörer bestimmt abschalten werden.*
Beim Dusapin-Quartett
Bernhard Lang: „Monadologie IX – the Anatomy of Disaster“. Das Stück dauert knapp eine Stunde und besteht entgegen den beiden vorangehenden nicht aus einem Bogen von Anfang bis zum Ende, in dem sich etwas verwandeln würde, trotzdem habe ich auch hier mit der Zeit lieber zugehört, weil mir die innere Spannung, die man von Anfang an erkennt, familiärer wurde. Mich dünkt es immer schon problematisch, neue Musik in eine Spannung zur tonalen zu bringen; hier geschieht sie mit konkreten Elementen aus Haydns Quartetten, nicht selten aber auch mit solchen aus der heutigen Unterhaltungsmusik, einmal aus dem Hardrock, einmal mit Django Reinhardtpassagen. Solches wirkt unterkomplex. Hat man aber das Bauprinzip erst einmal akzeptiert und ist mit dem Stück im Reinen, lässt man sich die Spannung in der Struktur selbst zwischen tonalem Alten und organisatorisch unbestimmtem Neuen durchaus wohlgefallen. Auch dem älteren Publikum hat es gefallen – und jüngeres scheint es in Bern für Musik gar nicht mehr zu geben. Wie man indes alles von Janácek zweihundertmal im Leben gehört haben darf, sollte man Dusapin schleunigst in toto zur Kenntnis nehmen, und Lang ist die Herausforderung allemal wert – seit 4 fotografisch auf den Beinen, hatte ich auch in den letzten Passagen gegen 22 Uhr noch keine Müdigkeitssymptome.
Beim Lang-Quartett
(Kamera von der Mäzenin ausgeliehen, Fujifilm Finepix)
*Zusatz 9. April 2011: Die Kopfhörer funken das ganze Stück ohne Unterbruch. Morgens um 5 gehört eine Wonne – wie Campieren am Meisibach unten den Chilesteinen.
Dienstag, 22. März 2011 um 6:19 am Themenbereich: Musik RSS 2.0 Both comments and pings are currently closed.