Archive für 23. März 2011

Rachmaninow & Walton

Mittwoch, 23. März 2011

Soeben zurück aus London via Paris, auf France Musique live direkt aus The Barbican, mit Viktoria Yastrebova, Soprano, Frank Lopardo, Ténor, Vladimir Veneev, Baryton, Choeur symphonique de la BBC, Orchestre symphonique de la BBC, Semyon Bychkov, Direction:

Serge Rachmaninov & Edgar Allan Poe, Auteur: Les Cloches Op.35 (1913). The Bells – auf Russisch…

William Walton (1902-1983): Symphonie N°1 en Si bémol mineur (1931,1935). Ein Emerson, Lake & Palmer-Heuler: därrrrrätättäätäää…!

Ein Krimi von Edgar Wallace und einer von Agatha Christie, das ist es genau, was ich heute Abend gebraucht habe, Entspannung durch unbelastete Gruselspannung. Zappa: „Lord have mercy on the people in England of the terrible music these people must listen to!“

Arditti Quartett 3 (Bergsee)

Mittwoch, 23. März 2011

Über ein Konzert des Arditti Quartetts zu schreiben ist wie das Fotografieren eines Bergsees: als Kind kommt man hin und versucht sofort, einen flachen Stein übers Wasser zu jagen, mit möglichst vielen Aufsetzern, und als Erwachsener schaut man lange & reglos, bis die Idylle von alleine etwas vom Sinn abwirft – in der Tat verlor ich auf Tsanfleuron für eine Sekunde einmal fast die Contenance, als ein lärmiger Dreikäsehoch in Militäruniform knapp vor dem Abdrücken einen Stein in einen der stillsten zu werfen wagte. Im Wallis bleiben mir noch etwas mehr unbekannte Seen abzubilden als Ställe auf den Alpen, von denen 95% dokumentiert sind. Das Arditti Quartett gibt so viele Konzerte, nota bene mit verschiedenen Programmen, dass einem vor dem Fleiss schwindlig wird, und in einer Qualität, dass man sich schämt, ein eigenes Wort dazu noch hinzuzufügen. Als ich in einer Gratiszeitung im Wochenprogramm für Bern sah, dass das Quartett hierher kommt, kam mir sofort die Aufführung der (Betsy) Freeman Etudes solo von Irvine Arditti 1992 in Frankfurt in den Sinn und dass sie das letzte Konzert war, das ich in den vergangenen zwanzig Jahren überhaupt gehört hätte – erst in der konkreten Erinnerungsarbeit merkte ich, dass es doch noch ein paar zusätzliche gegeben hatte. Ich wunderte mich darüber, dass nicht ein grösserer Werbeaufwand getätigt wurde, denn immerhin konnte ich am Neujahrstag 2003 an der Hauswand einer Bümplizer Metzgerei ein Riesenplakat für ein Varèse-Konzert in Vevey fotografieren. Ich sah im Internet, wie das Konzert eine Woche später schon beinahe ausverkauft war: aha, alle wissen es über andere Kanäle, nur ich eben nicht. Im Internet für ein Berner Konzert ein Ticket zu reservieren oder zu kaufen geht nicht, wenn man keine Kreditkarte hat. Geht das Ganze nun den Bergbach ab? Gute Köpfe haben gute Ideen, und abends kam ein Telefon, es sei der Kauf für ein Billet getätigt worden. Uff! So lange kein Konzert mehr besucht, und dann kommt es förmlich in den Mund geflogen. Sogar eine Kamera wird verfügbar, die kein Klicken von sich gibt und deren Blitz und Fokushilfslicht sich ausschalten lassen (den bedrohlichen kleingedruckten Billettext mit Fotoverbot sollte man sich in Bern endlich schenken, wenn man überhaupt noch Interesse an einem jüngeren Publikum hat – das Fotografieren mit den Kleingeräten heute hat einen ganz anderen Status als noch vor fünf bis zehn Jahren, es ist wie der Besuch eines Ereignisses selbst, und wer es als fehlbesetzter Manager unterdrückt, verhindert das kommerzielle Erlebnis selbst). Ich staunte nicht schlecht, als ich im Publikum nur ältere Personen zu sehen bekam: Hat die Hochschule für Musik bankrott gemacht oder machen sie gerade eine Dixilandparty, die alle in Bann schlägt? Das kann mir wurst sein, denn im Moment des Konzertbeginns gerät man in andere Sinne: man hört nicht Arditti oder das Arditti Quartett, sondern genau diese Musik, die das Programm einem schon seit einer Woche verspricht, als wäre man im Stande, in diesem Moment jetzt die Partitur zu entziffern, so wie man zu Zeiten eben mit der Kamera vor einem der kostbaren Bergseen steht. Obwohl der Kopf ununterbrochen mit Worten und Sätzen zum Gehörten spielt, ist eine ungeheure Scheu da, sie festzulegen und in ihrer Dürftigkeit dokumentarisch auszusprechen, wie es denn gewesen wäre. Der einzelne bleibt so irritiert wie vor der Frage, ob man heute noch anlässlich eines Bergsees von einer Idylle sprechen dürfe oder ob es sich einfach um qualitativ besondere Güter handelt, die ansonsten zu unserem gewohnten Überfluss zu zählen sind wie gute andere, aus denen man auch nicht in jeder Begegnung eine Geschichte macht. Manchmal ist eine Dokumentation nur eine für einen selbst und wäre als Moment der Kommunikation archaisches Überbleibsel.