Archiv für den Monat September, 2012

Scharfer Goldfaden

Mittwoch, 19. September 2012

Zurzeit nur Alpträume. Soeben ein besonders grausiger: Ich bin in Paris auf der Flucht, durch viele Gassen und Häuser, zusammen mit einem unbekannten Anderen. Am Schluss Angriffsvorbereitung durch einen einzelnen Verfolger in einer Küche, wo er eine Art goldenes Riesensägeblatt in den langen Armen hält und damit auf mich zu kommt. Filmschnitt, nun nicht mehr aus meiner Sicht sondern aus derjenigen des Dritten. Er schleicht sich in die Küche, hat einen goldenen Faden, aus dem das Sägeblatt gemacht war, lässt den Angreifer kommen und zieht ihm den Faden horizontal gespannt frontal durch den Kopf. Der Angreifer merkt es nicht korrekt, will seinerseits die Säge hochziehen, als im Moment des Aufwachens sein Kopf auseinanderfällt.

Forschungs- und Produktionskosten kleiner als der Werbeetat

Dienstag, 18. September 2012

Heute Morgen auf DRS 2 in Reflexe Diskussion zwischen Michael Sennhauser und Christophe Germann über Joost Smiers & Marieke van Schijndel, Imagine there is no copyright and no cultural conglomorates too, Amsterdam 2009, anlässlich der deutschen Ausgabe.

http://networkcultures.org/_uploads/tod/TOD4_nocopyright.pdf

Darin die These, dass in der Pharmaindustrie die Gelder gleich investiert würden wie in der Kulturindustrie, zu zwei Dritteln nämlich in die Werbung und nur zu einem Drittel in die Produktion respektive Forschung. Das muss man sich auf der Zunge vergehen lassen. Wenn das stimmt, müssen die Überlegungen zu beiden Kapitalbezirken neu geschliffen werden und neu an Schärfe zulegen.

Mahlers Sechste

Freitag, 14. September 2012

Soeben live auf Bayern 4 Aufnahme vom 7. September 2012 in Leipzig: Nikolaj Znaider, Violine, Gewandhausorchester Leipzig, Dirigent Riccardo Chailly.

Felix Mendelssohn Bartholdy: Violinkonzert e-Moll, op. 64. – Mendelssohn: besänftigend wie immer, wenn auch hier besser gespielt als auch schon gehört.

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 6 a-Moll – „Tragische“. – Eine exquisite und superbe Aufführung: Mahlers Musik wirkt aktueller und intellektuell erträglicher, wenn die folkloristischen und dunklen Elemente zwar aufscheinen, aber doch nicht klotzig im Vordergrund herumstehen. So gespielt, ist sie nicht mehr der Boulezschen weiter feindlich. Es gehört zum Luxus unserer Zeit, dass entscheidende Strukturmerkmale eines musikalischen Gebildes zuweilen nicht nur in der Analyse tel quel, sondern triftiger in der Interpretation aufzustöbern sind, von der man eine Zeitlang munkelte, das wahre Musikverständnis müsse sich permanent gegen den Zugriff der Kulturindustrie wehren, könne sich auf die Lektüre des kompositorischen Schriftstückes beschränken und auf die gesellschaftlich-akustische Umsetzung, Darstellung und subjektivistisch getrübte Repräsentation verzichten. Historisch bildet Mahler den Übergang von der Musik als Kunst des Übergangs zur absoluten Meisterung des Übergangs – in der Leipziger Interpretation von Chailly 2012 erscheint ihre Brüchigkeit so klar und in ihren zerfallenen Zusammenhängen so deutlich erkennbar, dass man in ihr die Idee der Modulation schon fast bestreiten und von festen Schichten und verzogenen Decken sprechen möchte, die zueinander allesamt wie in einer Landschaft in einer untergründigen Beziehung stehen.

Boulez, Grisey, Manoury

Montag, 10. September 2012

Soeben live auf France Musique Concert enregistré le 21 juillet à Briançon, Eglise des Cordeliers, dans le cadre du festival Messiaen au pays de la Meije.

Pierre Boulez (né en 1925), Anthèmes II pour violon et électronique, Malika Yessetova, Constance Ronzatti, Da-Min Kim, violons, Andrew Gerszo, réalisation informatique musicale Ircam.

Gérard Grisey (1946-1998), Prologue pour alto solo, Noémie Bialobroda, alto.

Philippe Manoury (né en 1952), Partita II pour violon et électronique (création mondiale), Hae-Sun Kang, violon, Serge Lemouton, réalisation informatique musicale Ircam.

Gestern Nacht in einem Traum das beste je gehörte Stück gespielt, ich selbst Solo an der Flöte mit wenig Elektronik, auf einer Bühne mitten im Publikum, aber so, dass man mich nicht sehen konnte. Ich war so baff über die wundersame Musik, dass ich nach dem Aufwachen noch eine halbe Stunde über sie nachgesonnen hatte. Leider bin ich so dumm, dass ich sie jetzt wieder vergessen habe und sie auch nie hätte aufschreiben können, geschweige denn jemals, auch früher nicht, sie selbst spielen. Wegen des Traumerlebnisses kamen mir die Stücke heute Abend alle drei gleichwie ungelenk vor, ihre supplementäre Elektronik trotz der schönen Stellen wie ein unbewältigter Klumpfuss. Bei Anthème II dünkte es mich, technisch wäre etwas schief gegangen, Grisey langweilte mehr als jeder Jodler, und Manourys Stück tönte wie das Warten an einem Sonntagmorgen in einem Bergdorf unterm ewig dauernden Kirchengeläut, auf das hin einem der Braten schliesslich doch noch vorenthalten wird.

Laktose, Fruktose, Gluten

Mittwoch, 5. September 2012

Vor einer Woche passierte eine zwölfstündige Bauchattacke mit dem bösen Gefühl, als wäre ein Tumor in der Bauchspeicheldrüse oder sonstwo freistehend in der Magengegend – heute geniesse ich ein Lebensgefühl mit einer Verdauung, die nicht besser sein könnte.

Dass ich Laktose, also Milchzucker nicht vertrage, habe ich spätestens im März 2009 kapiert, und dass mein Magen-Darm-System gleichwie den Fruchtzucker nicht zu verarbeiten vermag im Herbst desselben Jahres (vgl. Blogeintrag 28. 7. 2010). Seither ist es nur in Ausnahmefällen zu Bauchattacken gekommen, sei es durch Unvorsichtigkeit, sei es durch eine oder mehrere Substanzen, deren Schädlichkeit für mich noch nicht bekannt wären. Spätestens seit drei Wochen ist es aber mehrmals zu kolikartigen Ereignissen im Oberbauch gekommen, in deren Verlauf heftige Kotzanfälle geschahen, ohne dass dazu sich das typische Unwohlsein eingefunden hätte. Vor einer Woche waren die Bauchschmerzen so gross und so lange andauernd, von abends sechs bis morgens sechs Uhr, dass alles noch so wohlwollende Deuten auf eine geschundene Bauchspeicheldrüse hinauslief. Einen letzten Strohhalm fand ich unter den vielen nützlichen Internetdiagnosehilfen, dass die Glutenunverträglichkeit zumindest sehr ähnliche Symptome wie eine geschädigte Pankreasdrüse zeigen würde. Sofort also wird der Entschluss gefasst, alle glutenhaltigen Esswaren auszukundschaften, um sie künftig möglichst ausnahmslos beim Essen links liegen zu lassen. Nach zwei Tagen hatte ich das Gefühl, dem Übel auf der Spur zu sein und den richtigen Entschluss gefasst zu haben. Offenbar sind Allergiker (ich habe seit Kindheit eine gegen Früchte und Gemüse, die sehr viel Vitamin C enthalten) stark dem Risiko ausgesetzt, im Verlauf des Lebens nicht nur eine Intoleranz gegenüber Laktose oder Fruktose zu entwickeln, sondern sowohl gegen den einen wie den anderen Zucker und zusätzlich gegen Gluten, eine Substanz, die sämtliche Kornarten enthalten und folglich in allen Bäckerei- und Teigwarenprodukten ihre Wirkung entfalten können, als harmloser Effekt Durchfall, in akkumulierten Mengenverhältnissen Bauchschmerzen, Koliken und kolikartige Krämpfe.

Was wäre zu tun?

– Die Gesundheitspolitik muss den Gesundheitsdiskurs so steuern, dass nicht nur von der Güte der Milch-, Früchte-, Gemüse- und Getreideprodukte geredet wird, sondern auch von den Ausnahmeereignissen, die sie auslösen können, eine zeitlich längere oder kurz befristete Intoleranz ihnen gegenüber, der sich die betroffenen Menschen zu stellen haben. Das wäre keine grosse Sache, wenn die Ausweich- oder Ersatzprodukte leicht zu finden wären. Wer aber glutenfreie Back- und Teigwaren sucht, wird das Gefühl nicht los, solche Produkte könnten sträflicherweise nur in den Schmuddelecken der dunklen Seitengassen aufgestöbert werden.

– Es muss ein Diagnosegerät entwickelt werden, das wie ein Fiebermesser jederzeit im Haushalt eingesetzt werden kann. Das Instrument müsste imstande sein, innerhalb von Minuten Auskunft zu geben über den momentanen Toleranzgrat gegenüber Laktose, Fruktose und Gluten. Es wäre für jeden dann eine Leichtigkeit, selbst zu entscheiden, ob gegenüber einer spezifischen Substanz nun die Diät eingehalten werden müsse oder in welchem Umfang sie genossen werden könne.

In meinem Fall würde die Aufzeichnung der Toleranzwerte gegenüber Laktose, Fruktose und Gluten von 2008 bis heute ungefähr so aussehen. (Würde man mehrere Aufzeichnungen an einem einzigen Tag machen, gäbe es auch Toleranzverlustwerte, die nahe bei Null wären, wenn auch keineswegs an jedem Tag.)

(Zur Verlässlichkeit der Grafik: Die Daten der Koliken hatte ich in früheren Blogeinträgen festgehalten; die erste war 2003. Für die Grafik wurde eine Excel-Tabelle gemacht, eine Datenreihe für jede Intoleranz beziehungsweise Unverträglichkeit. Beginnend am 1. Januar 2008 gibt es für jeden Monat einen Wert, manchmal den Spitzenwert, sonst eine Art Durchschnittswert. Die Spitzenwerte sind genau, entweder auf der 100%-Linie der Unverträglichkeit und des Toleranzverlustes oder in den Zeiten kurz davor sehr nahe bei 100%. Da man nichts spürt, wenn die Intoleranz nicht gross ist, sind die anderen Werte gänzlich fiktiv und nur deshalb in unterschiedlichen Höhen festgehalten, damit sich der Eindruck festsetzt, dass die Intoleranzen im Verlauf der Zeit schwanken. Nur bei denjenigen Personen schwanken sie nicht, deren Intoleranzen genetisch bedingt und von Geburt an wirksam sind – ihr Wert würde in dieser Grafik wie eine horizontale Linie für jede Intoleranz bei 100% liegen.)

Zusatz 25. Mai 2014: Es war immer klar, dass die glutenfreie Ernährung nur vorübergehend und befristet dauern soll. Nach gut eineinhalb Jahren habe ich vor zwei Wochen wieder auf Normalkost umgestellt, weil ich endlich einen Artikel zu lesen gefunden habe, der die Unterscheidung zwischen angeborener Zöliakie und vorübergehender Glutenunverträglichkeit ohne Verschwommenheit darstellt – nota bene auf der Webseite eines Herstellers glutenfreier Produkte, Schär. Sowohl die Magenregion wie der Darm funktionieren mit der neu eroberten normalen Ernährung optimal, als ob es nie Kolik-Probleme gegeben hätte (die zwei Ganzkörper-CTs vom Dezember 2012 und vom Mai 2014 bezeugen in Nebendiagnosen Gallensteine und Sigmadivertikulose, von denen nur die zweite im Zusammenhang der Schmerzen von Februar bis Juni 2013 eine Rolle gespielt haben dürfte – eine vom Assistenzarzt in der Insel am 8.4.2013 unbemerkte Aktennotiz (nicht vollständig auszuschliessen ist immerhin, dass der Anlass zum obigen Text einem singulären Aufmucken der Gallesteine geschuldet ist, nicht dem Zuviel an Gluten…)). Laktose konsumiere ich nur in der Form von Glacé, Fruktose im leicht zurückhaltenden Genuss auch von stark fruktosehaltigen Früchten und Gemüsen, in etwa auf normale Weise, und Gluten wieder süchtig wie früher in allen Formaten. Brot und Teigwaren setzen Duft- und Geschmacksstoffe frei, auf die man nicht ohne Not verzichten sollte.

Arditti: Manoury, Verunelli, Ferneyhough

Montag, 3. September 2012

Soeben auf France Musique Concert enregistré le 10 juin à la Cité de la Musique de Paris, dans le cadre du festival ManiFeste, Arditti Quartet, Irvine Arditti, violon, Ashot Sarkissjan, violon, Ralf Ehlers, alto, Lucas Fels, violoncelle.

Philippe Manoury (né en 1952), Stringendo, premier quatuor à cordes. – Eine hübsche Petitesse, etwas simpel und eher tonal als zeitgenössisch gedacht, ein Stück zum Apéritif, das niemandem den Magen schwer macht. Die Idee der Schleifen und später gleichwie der gespitzten Pizzicati wirken wie eine leichte geistige Schlagseite, zu der man aber lieber zustimmend lächelt als dass man sich zum Abwenden entschliessen wollte. Diese Formelemente stossen nichts an und scheinen mit nichts anderem in Beziehung zu stehen – eben weil sie aus einem tonalen Denken entsprungen sind wie gelangweilte Museumsstücke.

Francesca Verunelli (née en 1979), Unfolding pour quatuor à cordes et dispositif électronique, Olivier Pasquet, réalisateur informatique musicale Ircam. – Schade drum: zu sittsam zeitgenössisch, zwar vorwärtstreibend, aber so, als ob man alle flatterhaften Bewegungen schon zu oft vernommen und also z’grechtem verinnerlicht hätte.

Brian Ferneyhough (né en 1943), Quatuor à cordes n° 6. – Warum ist dieses Stück gut? Uff, schwierige Frage, aber gut ist es. Es enthält viele kleine Formelemente, die gegeneinander gespielt werden, so dass man sie mit Spannung verfolgt, in der Annahme, es würde sich aus dem Spiel ein grösseres Ganzes ergeben. Das könnte man auch zu den Streichquartetten Mozarts sagen, aber durch die Nutzung der zeitgenössischen Standards, und dies in künstlerischer Vollendung…, ist der Fortlauf des Stückes jederzeit nach jeder räumlichen Richtung hin offen und eine Spannung von Anfang bis übers Ende hinaus, das einen übers gesuchte Ganze ins Bild setzen würde, garantiert.