1989 bis 1991 hatte ich ein richtiges Einkommen, das die Investition in eine Stereoanlage erlaubte. Der Verkäufer schätzte die Lebensdauer der ausgewählten Geräte, Technics AA, auf mindestens acht bis höchstens zwölf Jahre ein. Vor zehn Jahren musste der CD-Player ausgewechselt werden, vor vier Jahren begannen Kontaktstörungen am Volumenregler, und vor zwei Jahren verabschiedete sich eine interne Batterie des Tuners mit der Folge, dass das Display nur noch äusserst schwach ablesbar war und der Senderspeicher alles löschte, wenn die Stromzufuhr länger als eine Stunde wegfiel (das neu Abspeichern der benutzten elf Sender dauerte jeweils gut eine halbe Stunde). Die Lautsprecher werden seit zehn Jahren nicht mehr eingesetzt, da das Haus im Innern keine Isolation hat und folglich teuflisch ringhörig ist. Der Funkkopfhörer Sennheiser HDR 140 seinerseits verlangt eine eigentümlich präzise Einstellung der Lautstärke – genau diese konnte der Volumenregler einfach nicht mehr finden: immer war das Signal für den Kopfhörer zu laut oder zu leise, so dass ein Scherbentonhaufen entstand, in dem nichts Musikalisches mehr herauszuhören war.
Hat man sich entschieden, dass ein Verstärker und ein Tuner neu angeschafft werden müssen, traut man sich der Wahrnehmung der Warenwelt nicht mehr. Vor dreissig Jahren ist man in irgendein Musikgeschäft oder – billiger – in ein Warenhaus für Unterhaltungselektronik spaziert, hat fast Hunderte von Anlagen entweder direkt ausprobiert oder wenigstens beäugt, diverse Kataloge durchgeblättert und Geräte aussortiert, die in Qualität und Preis kontinuierlich einen Bereich ausfüllten, der von sehr billig und schlecht bis weit ausserhalb des Rahmens der Bezahlbarkeit verlief. Heute kommt mir die Schweiz wie die einstige DDR vor, nur von wenigen Geschäften beglückt, die man besuchen kann, und nicht ein einziges bietet das an, was man sucht, je als Einzelstück einen Verstärker und einen Tuner für eine sogenannte Stereoanlage, nicht für ein – grosse Kotze! – Heimkino. Die Discounter führen nur noch kleine Gesamtanlagen, in kleinem Format und schlechter Qualität (ob sie wirklich schlecht ist, weiss ich nicht: als alter Sack fühlt man sich wie ein Meister der eigenen Erfahrungen (aufs Risiko hin, als Bock seiner Vorurteile dazustehen)). Wird man auf das einzige in Bern auffindbare Geschäft mit Musikanlagen fürs Zuhause hingewiesen und folgt dieser Fährte, wird man von der Einsicht erschlagen, dass der billigste Tuner dort mehr als das Dreifache dessen kostet, was man ausgeben kann. Die Lage ist ernst, der Weg ins Netz der alleinig offenstehende. Siehe da, zwei Geräte finde ich, die meinen Wünschen und dem Kinderportemonnaie zu entsprechen scheinen: X4-Tech TU-1000 (erinnert an den alten Computer im Ircam, 4X) und Pioneer A-109. Wie kommen die Möbel, eines drei und eines vier bis fünf Kilo schwer und sehr gross verpackt beide, ins Haus und in die Wohnung nach oben? Eine Lieferung also per Post, und angekreuzt wird bei der Bestellung für Erstkunden per Nachnahme. Da ich vor fünf Jahren die Erfahrung machte, dass bei einer ähnlichen Bestellung für ein Computerteil die Lieferung bereits am anderen Tag eintraf, blieb ich – das war die letzte Periode mit den leuchtenden Schönwettertagen – zu Hause und passte den Pöstler ab, da er sonst die Ware bei der nächstliegenden Poststelle, zehn Minuten Fussweg entfernt, abholbereit deponieren würde, und das käme aufs Gleiche hinaus wie der Kauf der Geräte direkt in einer Filiale der webzentrierten Vertriebsfirma. Alle die schönen Tage wurden verspielt und am letzten mit einem Brief im Kasten gekrönt, der sich für die Bestellung mit einem Einzahlungsschein bedankte, dessen Bearbeitung meinerseits als Vorauszahlung unverzüglich dann den Versand auslösen werde. No Panik, aus der Fassung bringt uns das nicht. Eine Woche später sind die Pakete im Parterre, ohne Schnur, ohne Haltegriffe. Ich weiss nicht, wie Titanen fuhrwerken, aber ich brachte die unhandlichen Kästen nach oben, sämtliche alten Teile aus dem über zwanzigjährigen, mit Rädchen unterlegten Turm auf den Tisch (nachmittags je einzeln zur nahgelegenen Sonderabfuhr) und die zwei neuen mit dem CD-Player zuunterst flugs wieder dahinein. (Einarmig geht immer flott, wenn man die Arbeitsstelle so zurechtrückt – in diesem Fall auf den Rädchen eben – dass die Zielposition mit einem Knie erreichbar ist und die zweite Hand ohne Armbewegung Unterstützung leisten kann.) Siehe da, was morgens um Neun eintraf, funktionierte wie erwünscht kaum später schon als am Mittag. Der Klang in den Hörern erschien mir gewöhnungsbedürftig, aber nicht skandalös. Doch am selben Abend wurde klar, dass ein Fehler vorliegen muss, weil ich eine Sendung wegen Störgeräuschen nicht zu Ende hören konnte. Anderntags gingen die Tests weiter. Wenn nach einer gewissen Pause die Akkus des Hörers wieder geladen waren, tönte alles gut. Nach einer halben Stunde kamen auf France Music die ersten Knitterstösse, auf Bayern 4 Rauschen. Nach zwei Stunden war auf keinem Sender mehr ein Zuhören möglich, mittags etwas weniger entschieden als abends. Als ich dann einmal nicht mehr weiter radiohören konnte, probierte ich zum ersten Mal eine CD aus: wunderbar der Klang! Kaum zu übertreffen, deutlich und schön in allen Höhen. Ich machte für den schlechten Radioempfang drei Fehlerquellen aus: Störungen aus Nachbarwohnungen mit eigenen Funkkopfhörern, schlechte technische Standards im Kabelnetz, eine schwache Verdrahtung im Tuner – Hypothesen, die weniger kühn sind als verzweifelt. Am Internet suchte ich alle drei Geräte wie Kopfhörer, Verstärker und Tuner ab, fand aber nirgends eine Kritik an einem der Teile, die mich hätte weiter bringen können. Dann merkte ich, dass der Ton wieder besser wird, wenn ich die Antenne bei der Buchse ein wenig herausziehe und drehe. Ich las alles Deutschsprachige über FM-Antennen und fand bei einem Hersteller eine seltsame Angabe, das Schirmungsmass in Dezibel (entspricht möglicherweise dem Leitungswellenwiderstand und der Impedanz in Ohm), mit einem langen deutschen S, das klarstellt, wo ein Produkt herkommt, das in der Schweiz hergestellt sein möchte. Alle FM-Kabel der besuchten Firmenwebsite haben den Wert >75 db oder besser, nur ein Kabel hat den geringen von >50 db. Endlich begann die Hypothesendämmerung: Meine Geräte sind zwar neu, das FM-Antennenkabel aber uralt, über zwanzig Jahre alt. Ein neues behauptet, aus der Schweiz zu kommen, hat aber das verräterische S, mit einem Wert von >90. Wer hätte das gedacht: alle Sender sind nun gut zu hören (France Musique abends zu 90%), die Tonqualität nicht wie die Tage zuvor mit dem alten Kabel sondern fast wie direkt ab CD. – Gestern noch der letzte Kauf in dieser Sache, neue Ohrpolster des Kopfhörers, zu tätigen erst nach einer kleinen Reise durch die Schweiz (an einen Ort mit Blick auf Vrenelis Gärtli (wo Fenek erst gerade runtunterfiel)), da kein einziges anderes Geschäft im Land diese Kleinigkeit noch anbieten würde. (Auf der Rückreise im vollen Zug herabgestürzt wie ein Meteorit aus weit entfernten Zeiträumen kurz vor Abfahrt die allerschönste Frau, noch nie von einem Menschenmann gesehen, direkt vis-à-vis de la bête auf den letzten freien Platz, direkt am Fenster in einem sechsplätzigen Abteil: ja, sie kann es, das Katastrophische all der Monster & Minister aufwiegen, die den freien globalen Markt diktieren, nur um ihn zu zerstören, indem sie alles Geld aus seinen Bahnen abziehen – zur Hälfte allein schon durch ihre lebenslustige, in Neugier weich rundgewölbte Zungenspitze, hellrosa-weiss & leuchtend unter einer Aura in abgedämpftem Gelb-Rot, mit dem sie, ihrer Wirkung gewiss, die Lidschatten noch im Aussergalaktischen tönte.) Uff, geglückt – und ab nun zum Überwintern in die weltweiten Konzertsäle zuhause, nahe immerzu beim Sitzplatz fünfte Reihe Mitte!