Archive für 19. November 2010

Hausballet

Freitag, 19. November 2010

Ich schaffe es inzwischen, zwanzig Minuten lang auf den Zehenspitzen durch die Wohnung zu kurven, ohne ein einziges Mal mit den Fersen den Boden zu berühren – im Gegenteil wird zeitweilig angestrebt, sie nur bis knapp über ihn zu senken, um noch mehr Kraft oder Geschicklichkeit an den Tag legen zu können. Bei diesem Laufen gehe ich oft halbwegs in die Knie und schwanke auf groteske Weise, nicht selten in verlangsamten Drehungen eines Derwischs, seitwärts, vor- und rückwärts. Die Absicht ist, auch in wanderunfreundlichen Zeiten wie winters bei unerwünschten Magensymptomen einen Beweis leisten zu können, dass Bewegungsmangel als Ursache nicht in Frage kommt. (Die beschleunigten Attackenfolgen vor zwei Wochen wurden mit einer Diät ohne Fett und Zucker abgefangen, wenigstens diese zwei Wochen lang mit Erfolg.)

Faule Herrschaft

Freitag, 19. November 2010

Haben sich die einzelnen der Scham entledigt und die Peinlichkeiten der Wahlen erfolgreich durchlaufen, installieren sich die PolitikerInnen in ihren demokratischen Behörden auf gleichförmige Weise, in welchem Erdteil und auf welcher administrativen Organisationsstufe auch immer. Vielmals ermöglicht das Internet der Wählerschaft, das Treiben der Gewählten zu verfolgen, wenn nicht auf eigenen Websites, so doch auf denjenigen ihrer Partei. Beide Typen geben ein jämmerliches Bild ab, das von Gefangenen der Werbebranche. Nur schon der Anblick stösst einem auf, rechts zum Kotzen, als wäre man im Schlachthaus, links zum Einschlafen, als surfe man per Zufall auf der Website einer Homöopathin, in der Mitte gleichwie im Webshop eines Elektrikers. So zeigt sich die globalisierte Kultur, und so zeigen sich die Standards ihrer Werbetechniker, die unsere Briefkästen überfluten. Stossend aber im eigentlichen Sinn ist, dass nirgendwo, weder auf den Seiten der Parteien noch der PolitikerInnen, lebenslänglich an der Nase der Selbstüberschätzung herumgeführt, Texte zu finden wären, die übers Tagesgeschäftliche hinausgingen. Auf ihrer geilen Karriere ist ihnen entgangen, in einer Gesellschaft mit Geschichte zu leben, deren Ablagerungen sich als textliche, bildliche und musikalische Werke zeigen, mit denen ein Mensch, der sich kraft seines Verstandes der Kulturindustrie zu wehren weiss, täglich Umgang pflegt – nicht zur Unterhaltung, sondern weil sie das Material sind, das einem erlaubt, sich mit der Welt auseinanderzusetzen. Ausser beim Sozialdemokraten Leuenberger und einer ehemaligen Parteipräsidentin dem Willen nach, die von den Unterhosenjournalisten abgeschossen wurde, gewinnt man nie den Eindruck, es wären Bürgerinnen und Bürger als Spezialisten und besonders Kundige ihrer Gesellschaft gewählt worden, sondern Ruinen, denen man von Klein auf nur Werbesuppe zu löffeln gönnte. Sie haben die Macht auf ihrer Seite, wenigstens da, wo Militär und Banken sie ihnen gewähren, und dürfen sich folglich damit entschuldigen, dass es so alle täten, weltweit. In der Tat gibt es neben den für die Schweiz zu erwähnenden nur wenige Ausnahmen, und sie erlebten alle das Gefängnis von innen – weil sie solches produziert hatten, was die globalisierte Standardausgabe des Politikers ignoriert.