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Kreuz & Kruzifix

Sonntag, 14. November 2010

Ich brauchte 99% meiner Lebenszeit, um vom Unterschied zwischen dem Kreuz und dem Kruzifix Kenntnis zu nehmen. Das Kruzifix kenne ich bewussterweise nur von Achternbusch, ohne den Film, der offenbar einen gut funktionierenden Wecker enthält, selbst gesehen zu haben. Erst in den letzten Tagen dämmerte mir, dass es sich um zwei verschiedene und eindeutig definierte Formen handelt, von denen eine nur einer einzigen Konfession zukommt, die andere aber mehreren, in unbestimmter, von mir noch nicht durchschauter Weise auch wieder der ersten. Den Kreuzen begegne ich seit jeher auf Hügeln und Bergen, deutlich mehr im Wallis, aber nicht unmöglicherweise auch in reformierten Gebieten wie dem Berner Oberland und der Waadt. Ich hatte sie nie als etwas empfunden, zu dem ich mich negativ verhalten sollte, ausser bei Neubauten, die mit einer Volksparty verbunden waren und so die Ruhe infrage stellten, die von ihnen beim Wahrnehmen ausgeht, besonders stark und leicht berührend eben, wenn sie Spuren des Alterns aufweisen. Ein einziges Mal empfand ich körperliche Widerstände, weil ich die Installation als Zumutung verspürte und es sich entgegen der Tradition, so wie ich sie damals im Gedächtnis hatte, nicht um ein Kreuz, sondern um ein ungetümes Kruzifix handelt, auf dem Kleinen Matterhorn. Der Gegenstand dort oben ist in mehrfacher Hinsicht falsch, weil er an aufdringlicher Stelle plaziert wurde, viel zu gross ist und man gar nicht auf dem Berg steht, sondern selbst schon auf einer Installation, seit dem Austritt aus der Bergstation. Das Kruzifix dort oben erwartet nicht BersteigerInnen, um ihnen Ruhe zu verschaffen, sondern die finanzkräftigen Massen des globalisierten Tourismus, um den einzelnen klar zu verstehen zu geben, auf welchem Hintergrund hier Ordnung herrscht. Mehr Bauchweh machen neuerdings Meldungen, nach welchen es im Wallis gesegnetes Recht von Sitten sein soll, dass die Dorfpotentaten diejenigen, die ihre Kinder bilden und ausbilden, damit sie fähig werden, sich mit den Wunderbarkeiten & Wundersamkeiten der Welt auseinanderzusetzen, in die Gletscherwüste schicken und symbolisch ans Kreuz nageln, um, nicht symbolisch, weiterhin damit auf ihre Kinder einschlagen zu können. Was geschieht und mit welchen Tatsächlichkeiten, weiss ich nicht. Aber ich weiss jetzt, dass es solche gibt, die mit Kruzifixen erzogen wurden, und dass sie möglicherweise mehr daran zu tragen haben, als ich bis anhin hätte vermuten können.