Geschreddertes Vortragsmanuskript
Donnerstag, 22. September 2016Ich schreibe meinen Vortrag über Musik & Philosophie zügig zuende, und weil noch genügend Zeit ist, klebe ich die einzelnen Abschnitte auf handtellergrosse Kartonscheibchen. Dann geht es durch die Gänge der weitläufigen Universität, wo ich den vorgesehenen Raum betrete, bestuhlt ohne eigentliches Vorne und Hinten wie ein Bierzelt. Darin schon viele Studis, ich setze mich ohne langes Suchen irgendwohin, wo es gerade Platz hat, mittendrin, packe meine Sachen aus und merke, dass es eng werden könnte, da immer mehr in unmittelbarer Nähe Platz nehmen, J. B. links, die offenbar immer schöner wird und nicht gewusst hat, dass ich heute vortrage, rechts ein Unbekannter, der eine Art Mechano Kinderspielzeug ausbreitet und vorhat, während der Stunde damit zu spielen. Es wird stetig enger, was meinen Vortragsunterlagen nicht entgeht: je mehr ich von ihnen auspacke, desto kleiner werden sie selbst wie im gleichen Zug auch die bereits ausgebreiteten. Sie werden nicht nur kleiner, sondern auch zerschnitten; diese einzelnen länglichen Schnipsel ringeln und verkleben sich. Ich habe nun vor mir ein Gebilde liegen wie ein Wollknäuel und versuche mit wachsender Verzweiflung, die verklebten Schnipsel auseinander zu drehen und auseinander zu ziehen, ebenso die verklebten Partien voneinander abzuziehen. Am linken Rand des Raumes (gemäss meiner Sitzrichtung) entnimmt Georg Jánoska eine Platte aus ihrer Hülle und startet sie auf dem Plattenteller, John Coltrane. Merde, jetzt auch noch der abgestandene Kampf gegen den Jazz… Ich weiss, wer ihm den Mist gebracht hat. (So funktioniert das Schlechte in der Welt: man drückt den Ahnungslosen etwas Simples in die Hand, das erwiesenermassen mit der Sache nichts zu tun hat, nicht via Medien, sondern im massiven Strukturzusammenhang der Kulturindustrie. In den Ahnungslosen bilden sich starke Affekte, die in der Zeit sedimentieren und die Wahrnehmungskanäle oder -organe erodieren; werden solche Subjekte aufs Reale hin angesprochen, ist kein Raum mehr für es da, sondern alles immer schon materiell verstellt.) Bevor ich es nur noch mit einzelnen Buchstaben zu tun habe, gehe ich zum gut gelaunten Professor und zeige ihm mein Malheur, wenigstens die Resten des Ganzen. Er missversteht, was er sieht, und findet es lustig, einen Vortrag auf so winzigen Schnipsel geschrieben zu haben, was doch gar nicht stimmt. – Leider bin ich schon an dieser Stelle aufgewacht, weil es einfach keinen Sinn macht, Coltranes Geguugge mit Philosophie in Verbindung zu bringen, schon gar nicht improvisierend.