Archive für 16. Januar 2011

Messiaen & Schostakowitsch mit Metzbacher

Sonntag, 16. Januar 2011

Ö 1, direkt live: ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Dirigent: Ingo Metzmacher; Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien; Sergei Leiferkus, Bass; Jean-Efflam Bavouzet, Klavier; Valerie Hartmann-Claverie, Ondes Martenot; Johann Krasser, Vibrafon.

Olivier Messiaen: Trois petites liturgies de la présence divine

Dmitrij Schostakowitsch: Symphonie Nr. 13, op. 113, „Babij Jar“

Ingo Metzmacher hatte einmal verdienstvoll den Prometeo von Nono aufgeführt, und ich selbst höre Messiaen seit über dreissig Jahren oft und nicht selten äusserst gerne, aber so unwohl habe ich mich bei einem Messiaenstück noch nie gefühlt. Das Stück erscheint mir blöd und die Aufführung fahrig, ein Laienstück nicht der Katholen, sondern kunstfreudiger Pfingstler. Das Publikum applaudiert tosend.

Die erste Begegnung mit Schostakowitsch hatte erst spät begonnen, mit den Sendungen aller Symphonien auf DRS 2 Mitte der 1980er Jahre. Ein musikalisches Interesse hat sich daraufhin nie breitgemacht, obwohl ich alle Gelegenheiten nutzte, diesen Komponisten ernsthaft kennenzulernen. Insbesondere dann, wenn die Moderation von einem witzigen Stück gesprochen hat, das sogar Jazz mit einbezieht, rümpfte sich die Nase, meine. In dieser diffusen Abwehrhaltung braucht es nicht zu wundern, dass das jetzige Stück, das ich in Wirklichkeit schon mehrmals gehört hatte, sehr gut ankommt. Im übrigen erscheint es mir als Fortsetzung von Prokofievs Ivan der Schreckliche, das ich neben dem Sacre als das beste Stück russischer neuer Musik empfinde, seinerseits die innere Nachfolge von Mussorgskys Boris Godunov. Anders als beim Messiaenstück finde ich hier die Aufführung und die Interpretation stimmig.

Die progressive Kunstmusik des zwanzigsten Jahrhunderts zeichnet sich dadurch aus, dass sie versucht, sich gegen die Ideologien und die Metaphysik abzusetzen. Kann ein Konzert faszinieren, das zwei Werke aus dieser Zeit einander gegenüberstellt, die je für sich einen Glauben kundtun, der dem anderen widerspricht? Als Idee würde ich sagen wollen: Nein. Hier aber hat die Idee gezündet, wie in Tagen, wo man zu viel Süsses isst, am Abend aber gerne eine Kleinigkeit Salziges zu sich nimmt. Das Salz Schostakowitsch’s hat mir gut gemundet. Nach dem Messiaen hat mir seine dreizehnte Symphonie gefallen wie kaum je ein Werk von ihm. Ob dieses Stück besser musiziert wurde als das erste, kann ich allerdings nicht sagen – mich dünkt es einfach objektiv besser, zusätzlich hier an richtiger Stelle aufgeführt.

Saint-Saëns und Strauss an der Hörperipherie

Sonntag, 16. Januar 2011

Gestern direkt live Samson et Dalila von Camille Saint-Saëns aus Nürnberg auf Bayern 4. Schwierig nur schon, die Sprache zu erkennen, Französisch, geschweige denn, im Gesungenen Bedeutungen auszumachen, denen man hätte folgen können. Das wurde zunehmend gleichgültig, weil die Tonsprache und Gattungsästhetik von der Beschaffenheit sind, die ich seit je als den Tod der Musik empfinde. Es liegt an der Musik selbst, nicht an der Darstellung und der Atmosphäre des Opernhauses, dass sie in die Mottenkiste der Geschichte verstaut gehört. Nach knapp einer Stunde in Abwehrhaltung Umschalten auf Espace 2 zu Elektra von Richard Strauss, live aus Genf vom November 2010, dir. Stefan Soltesz Genève Orchestre de la Suisse Romande, nicht weil es mich interessiert hätte – mit Strauss bin ich im Reinen und habe aufgehört, ihn zu verfolgen – sondern weil ich nach sechs Stunden durchgehendem Fernsehsound nachmittags aus der unteren Nachbarwohnung keine solchen weiteren Töne mehr ertragen hätte (in Wirklichkeit war exakt zu diesem Zeitpunkt nichts zu hören, aber diese Narretei der Gewaltabwehr über den Rand hinaus ist fester Bestandteil des Wohnscheisses in Leibesnähe von Fernsehdebilen mit blosser rostiger Restverdrahtungen zwischen den Ohren). Obwohl mich das Hören nur entspannen und ablenken sollte und mir Strauss als feste Null gilt, der ich keine weitere Beachtung mehr schenken will, hat mich dieses Operngeschehen ziemlich in Beschlag genommen. Dank Wikipedia war ich schnell im Bild, und das Deutsch aus Genf war gut verständlich. Erst noch auf dem Nachmittagspaziergang, völlig abgelöst von diesem Zusammenhang, überlegte ich mir, was zu den Gründen gehört, die mich Strauss unerträglich erscheinen lassen, dass er sein überbordendes Talent missbraucht und in Wendungen verschleudert, die soviel Gehalt haben, wie eine Werbesprache erwarten lässt. Insbesondere bin ich allergisch auf musikalische Phrasen, die aus dem Heldenleben und dem Eulenspiegel stammen und die ich überall in seinem Werk wittere – und zur guten Überraschung hier nicht bestätigt finde. Dass aus dieser kontrolliert-explosiven Ästhetik, die mich weit progressiver dünkt als die dann des frühen Hindemith und mit Schönberg gut vergleichbar, erscheint mir als Rätsel, das vielleicht doch nicht als unlösbar zu den Akten abgelegt werden darf. Aber vielleicht hat man in Genf einfach besonders gut gesungen & gespielt, und in Tat & Wahrheit steht auch weiterhin nichts Besonderes dahinter. Man muss seinen Vorurteilen auch Glauben schenken können, wenn man sich von ihnen nicht unterkriegen lassen will.