Archive für 21. Januar 2011

Penderecki

Freitag, 21. Januar 2011

Radio France Musique, Krzysztof Penderecki, Polnisches Requiem (1980, 1984), Izabella Klosinska Soprano, Agnieszka Rehlis Alto, Rafal Bartminski Ténor, Piotr Nowacki Basse, Choeur et Orchestre de la Radio le Leipzig, Krzysztof Penderecki Direction. Concert donné le 15 janvier 2011 au Gewandhaus de Leipzig dans le cadre des Echanges franco-allemands.

Sprach man in den 1970er Jahren in einer Gruppe über Neue Musik, gab es immer einen, der Ja-Ja hineinrief, Penderecki! Dieser Name hatte noch jedesmal den Communication Breakdown zu verantworten, weil er jedem geläufig war und genau das verkörperte, worüber man nicht sprechen wollte: nicht über Musik, die auf Effekte schielte, ohne sie musikalisch zu begründen, die Sounds herstellte, die jedes Kinderherz bei einem Kasperlitheater erfreut hätten und alle Gehalte auf Texte bezog, die den Weihen der Kirche genügten, zumindest sprachlich, und wo sie moderne herbeizog, diese durch Übersetzung ins Lateinische absicherte. Glücklicherweise begegnete ich Pendereckis Musik im wirklichen Musikleben und in ernsthaften Diskussionen dann kaum mehr, bei Adorno erscheint ihr Name nirgends und die wenigen Zeitungsberichte und Radiosendungen dünken mich im Gedächtnis kaum je ohne Anmeldung von Vorbehalten. Die Aussage, seine Musik und er als ihr Schöpfer hätten andauernden Erfolg zu geniessen, konnte ich nie recht nachvollziehen – gequält hat mich Pendereckis Musik und Kirchenwahn seit 35 Jahren kaum je wieder.

Eine quasi aleatorische Bezeichnung, die das Verständnis über diesen Komponisten um nichts weniger gut erfasst, findet sich auf dem sprachenspezialisierten Server von worldlingo.com, wo Penderecki als Poliermittel erscheint:

Sage keiner, das sei hahnebüchenerweise und böswillig an den Haaren herbeigezogen: einer, dessen Fanclubmitglieder gegen einen solchen Fauxpas nichts unternehmen, scheint mir objektiv nicht viel Wertschätzung weder zu geniessen noch zu verdienen.

Das Schreiben übers Stück selbst würde nur zu Hochmut führen: quietschfidele RequietistInnen produzieren serien- und haufenweise Vorder- und Nachsätze, wie sie Adorno nicht mehr hätten erschrecken müssen. – Aber der Stimme der Moderatorin von France Musique könnte ich tage- und nächtelang zuhören.

Zusatz am anderen frühen Morgen: Ich konnte wegen schlechten Gewissens nur mit Mühe einschlafen, der Bauch rumorte, als müsste ich DRS 2 hören. Üble Musik lässt sich wie die anderen üblen Sachen nur schwer los werden.

Luzern als Venedig im Flug

Freitag, 21. Januar 2011

Ich mache mich von Emmen aus auf den Weg nach Luzern. In der Gegend Reusszopf-Fluehmühle verändert sich die Landschaft, sie erscheint mir neu und wie westlich von Champéry im Champ de Barme, allerdings anders als in Wirklichkeit, weniger tief und extrem interessant: die Strasse und alle Bauten sind nirgends, alles eine weite Schlucht quasi auf einem versteinerten Wald aufsitzend, in dem sich eine Spur auftut, etwa einen Meter tief, in die festen Baumwipfel eingelassen, wie auf einem verasteten Waldboden. Links die Reuss, die entgegenfliesst. Ich spurte und geniesse die Landschaft. Es erscheinen die Wohnhäuser links, in der Mitte und rechts – morgen bin ich auf der orografisch rechten Seite eingeladen, aber das kommt mir im Traum nicht in den Sinn. Ich bin auf einer Art Insel, links und rechts die Reuss, verschiedene Quartiere. Ein grosser Häuserblock mit Innenhof erscheint, und ich freue mich, diesen aus der Nähe zu sehen und nicht nur von oben via Google – aber das ist Lüge, selbstverständlich habe ich kein solches Quartier bei Google angeschaut (vor dem Einschlafen oder schon im Schlaf dachte ich an Nietzsches Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinn). Nun sind nicht nur die Häuser auf einer Insel in der Reuss, sondern alle mit Wasser umspült, ja zumeist und späterhin alle unterspült. Schon der erste Schritt auf die Insel (die nördlich des Zentrums liegt, nicht am See beim KKL, beim wirklichen Ort Inseli) war kein Sprung, sondern ein kurzer Flug. Jetzt ist meine ganze Bewegung ein regelrechtes Fliegen, den Hausmauern entlang auf- und abwärts. Obwohl niemand zu sehen ist, erscheinen die Häuser normal bewohnt, eher arm als reich, wie ein belebtes Venedig, wenn auch das Flusswasser tief ist und stark fliesst. Ein Haus schaue ich mir genauer an: Der Gartensitzplatz enthält ein oder zwei Steintische mit Steinbänken, alles ein Meter tief unter Wasser, wie es aber beruhigend scheint saisonbedingt, für die Örtlichkeiten also normal. Möchte ich da wohnen? Weiterschauen! Ich finde ein Treppenhaus (ich will ja nicht in eine bewohnte Wohnung eindringen), etwa im ersten Stock, gehe oder fliege hinein, bewege mich aufwärts, auf den steinigen Treppenstufen und doch immer noch fliegend, schaue mich um, gehe in keine Wohnung, sondern wieder abwärts – und finde zuunterst nun keine Türe. Fenster gibt es in diesem Treppenhaus nach wie vor, doch erscheinen sie mir plötzlich zu klein, um hinaus zu geraten, und in der Tat werden sie auch spürbar immer kleiner. Das Ganze ist eine Art Vogelkäfig aus Ton oder ein etwas gross geratenes orientalisches Lichtgefäss. Einen Weg hinaus gibt es von da nicht mehr, ich habe aber überhaupt keine Angstgefühle und wache – besser – auf.