Rihm, Dufourt, Kourliandski, Mantovani
Montag, 10. Januar 2011Heute auf France Musiqe: Concert donné le 27 novembre 2010, Cité de la Musique à Paris. Wolfgang Rihm: Gejagte Form / première version, Hugues Dufourt : Les Chasseurs dans la neige d’après Bruegel, Dmitri Kourliandski: Objets impossibles II, Bruno Mantovani: Concerto de chambre 1. – Ensemble Intercontemporain, Direction : Bruno Mantovani
Rihm: Eine inspirierte Musik, die mit den semantischen Feldern des Titels spielt. Tonrepetitionen, echte und Pseudounisonis werden schockartig unterbrochen und in eine neue Richtung abgeleitet. Im Charakter nicht wenig an Répons erinnernd, ein klares und besonders gelungenes Stück von Rihm. Hier das ganze Stück, und man beachte auch das grosse, zahlreiche Publikum: http://www.citedelamusiquelive.tv/Concert/0951661.html Endlich verlassen die wilden Stücke dieser Musik die Käfige des Abseitigen – ausser in der Schweiz: würde dasselbe Konzert in Bern gegeben, kämen 50 Leute bis zur Kasse, die Hälfte davon abgewiesen und wieder verscheucht, verarmt & mittellos.
Dufourt: Nochmals ein Jagdstück, nicht eine Illustration, und doch hört man Schnee, Leute darin nah und weit entfernt. Rhythmisch prägnante Stellen sind rar und erscheinen abgedämpft, abgetönt. Mit dieser Musik möchte man plötzlich für die Gattung der Programmmusik einstehen. Ich könnte dieser Musik einen Abend lang zuhören, wie einer Märchentante oder in einer Wagneroper. (Man hat es telepathisch registriert in Paris und spielt nach dem Konzert weitere Musik von Dufourt: The Watery Star .)
Kourliandski: Nach so viel Musik mit konkreter Phantasie fällt es schwer, in einer Musik, die im Titel die Unmöglichkeit von Objekten anspricht beziehungsweise unmögliche Objekte, sich nicht gerade solche nun vorzustellen. Als Erstes sehe ich eine Gletscherlandschaft und in ihr Stallruinen wie Walgerippe. Sonnenklar, wo das ist, die Spur eines Alten kreuzend, Goethes: http://www.ueliraz.ch/2010/col-balme.htm Das Konzertprogramm erscheint äusserst raffiniert zusammengestellt, aus Werken, die das Gegenteil von Einzelgängerstücken darstellen – als ob sie zusammen gehört werden möchten. Ein Teil des Publikums buht, aus rätselhaften Gründen.
Mantovani: Wieder ein unvermitteltes Angesprochensein wie bei der letzten Begegnung mit Mantovani vor zwei Wochen, eine familiäre Musik, in der die Frage der Programmästhetik nicht aufscheint. Und dennoch ist dieses Stück mit den anderen nicht unverbunden, weil es wie Rihms Gejagte Form die Boulezschen Tonrepetitionen einsetzt und sie durch Schocks in ähnlicher Weise unterbricht und abändert. Die Instrumentengruppen erscheinen etwas beliebiger, bunter und weniger deutlich charakterisiert als bei Rihm, auch ungehobelter – eben noch mehr an Varèse angelehnt.