Nicht Folklore, sondern Existenz

Gestern Abend auf France Musique aus der Kongresshalle von Saarbrücken vom 19. November 2010 Peter Jablonski, Piano, Orchestre Philharmonique allemand de la Radio de Saarbrück, Christian Arming, Direction.

Sandor Veress: Threnos – In memoriam Béla Bartók (1945). Ich habe noch nie ein grosses Orchesterstück vom „Wahlberner“ Veress aus dieser frühen Zeit gehört, und so gut gespielt! Obwohl das Werk auf den Tod des Lehrers Bartók hin komponiert wurde, fällt mir seine subjektive Sicherheit auf, das kompositorische Selbstvertrauen, in dem es geschaffen wurde. Die Isoliertheit der späteren Lebens-, Lehr- und Schaffenszeit führte Veress’s Musik nicht zu einer weniger vorwärtstreibender, weniger avancierten Ästhetik, aber in eine Haltung hinein, in der sich das Bedürfnis nach Absicherung teilweise stark und ungeschützt nach aussen hin zeigte, als ob nicht nur das Vertrauen in die gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern auch das in die Menschen, denen einer begegnet und schliesslich das in sich selbst verloren ging.

Béla Bartók: Concerto N°3 (1945). Ich weiss nicht, ob ich dieses Stück schon einmal gehört hatte, jedenfalls nicht bewusst. Es erstaunt mich, wie schlecht es mir erscheint. Der Schöpfer zeigt nicht, was er alles an Musik auf dem Lande gesammelt hat und zu was für neuer er sie verarbeitet: es zeigt sich das Individuum in einer irrationalen Gesellschaft, das deren brutalen Direktiven nicht mehr zu folgen vermag und nun mit einem Ensemble von Plastiksäcken durch die Strassen schlurft. Da ist nichts mehr vom Komponisten, der auf der Bahn der komplizierten ungarischen und rumänischen Musik der Landbevölkerung vorwärts drängt, aber alles von einem, der vor dem Tod schon das Vertrauen ins Leben verloren hat. Der Kontrast zwischen diesem Stück und dem zuvor gehörten des Schülers, das im selben Jahr entstand, besteht nicht in der Qualität, sondern in der Art, wie sich das Selbstvertrauen zeigt, im Trauernden frisch, im starken Lehrer schon ausgelöscht, durch die Gesellschaft vernichtet.

Zoltan Kodály: Háry János, Suite Op.15 (1927). Ich hatte während des ganzen Stückes an des vorangegangene von Bartók gedacht – das Eigene hier hat sich nicht breitmachen können gegen das schittere Persönliche vorher, das einen betrübt. Veress hatte 1925-1930 auch bei Kodály studiert und wurde 1943 (bis 1948/49) sein Nachfolger als Kompositionslehrer in Budapest.

Béla Bartók: Le Mandarin merveilleux Op.19 (1918-1925/26). Dieses Werk gilt gemeinhin als Bindeglied zwischen Bartók und Strawinsky, weil es sich „mit der Expressivität“ von dessen Sacre du Printemps vergleichen liesse. Ich glaube nicht mehr daran, weil die einheitliche Folklore in Russland mit der äusserst vielfältigen in Ungarn und Rumänien stark kontrastiert. Strawinsky entnimmt die Volksmusik seinem Lehrer Rimsky-Korsakow, dampft sie ein und richtet sie direkt gegen das Wohlgefällige der Tradition, in einem genialen, indes nur individuell-rebellischen Akt der Auflehnung, den er unter dem nicht weniger eigensinnigen und individuellen Konformitätszwang zeitlebens verraten wird. Das Geniale finde ich in Bartóks Mandarin entschieden abgebremst, die Vermittlung zwischen den komplexen Momenten aus der Volksmusik mit einer progressiven Ästhetik um so stabiler. Als Einzelwerk gefällt mir der Sacre viel besser – als Stück eines schaffenden Komponisten auf seinem Höhepunkt ist der Mandarin redlicher.

Mittwoch, 26. Januar 2011 um 6:08 am Themenbereich: Musik                 RSS 2.0 Both comments and pings are currently closed.

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