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Xenakis, Verklärte Nacht

Sonntag, 6. Februar 2011

Gestern Abend zuerst auf Bayern 4 eine ausführliche Sendung von Max Nyffeler über Iannis Xenakis, die mit statistischen Facts auf YouTube beginnt, ohne sie weiter zu problematisieren. Die Zahlen heute Morgen zeigen 1.770 Videos über Xenakis, eingeschränkt auf Iannis Xenakis immer noch 850. Die meisten ZuschauerInnen hat ein Video mit Metastasis, 237’092 (die „Vorschläge“ in der Anzeige rechts machen schnell klar, dass der Meister der Neuen Musik nicht Xenakis sondern John Cage heisst und sein 4’33“ exakt 1’826’297 Male durchgehört worden ist). Es gibt noch drei Iannis Xenakis Videos, die mehr als hunderttausend Male aufgerufen wurden, viele andere immer noch über zehntausendmal. Klar, man kann hier vom Status eines Popstars sprechen, gelangt aber sofort in Schwierigkeiten, wenn man dem Namen Xenakis den von Boulez gegenüberstellt, da ein Ausschnitt seiner Walküre Cageausmasse erreicht (über eineinhalb Millionen Aufrufe) und eines seiner eigenen Werke, Le Soleil des Eaux, immer noch 62’318. Wieso Nyffeler bereits am Anfang der Sendung die Zahlen frisiert und davon spricht, der stochastische, antiserielle Xenakis käme bei der Jugend besser an als der serielle Komponist Boulez, ist nicht nachvollziehbar, ebenso wenig, dass er den Ereignissen auf YouTube selbst keinen Kick zu geben gewillt ist. Nicht unwahrscheinlich, dass auch das Format der Videos, im Zusammenhang mit dem Kabelempfang mehrerer Radiosender gleichzeitig, deren Programme sowohl am Internet studiert werden müssen wie auch teilweise im Nachhinein daselbst wiedergehört werden können, der Vermittlung der Neuen Musik Auftrieb gibt. Trotzdem sollte der gesunde mürrische Verdacht nicht unter den Teppich gewischt werden, dass es auch heute nur die Ebene von Gags ist, die massenweise reizt. Ob es gut ist, Xenakis‘ Werk dem von Boulez gegenüberzustellen, möchte ich bezweifeln, denn erstens war Xenakis der Herausforderer, und zweitens waren die beiden nach Mitte der achtziger Jahre keine Halbstarken mehr, die meinten, weiterhin gegeneinander polemisieren zu müssen. Xenakis hatte eine Fährte gefunden, der er folgte, und an den Werken ist zu hören, wie sie für späterhin einzuschätzen wären. Ich hatte viele Xenakis-Platten mit viel Vorfreude immer nach Hause getragen, aber keines seiner Stücke hat sich in mir so festgesetzt, dass ich hätte sagen wollen, hier würde es weitergehen müssen – das Problem der reinen Konstruktion hat diese Musik nie genügend abstreifen können, und die Versicherung des jungen Komponisten, seine Musik wolle existentielle oder natürliche Empfindungen provozieren wie ein unverhoffter Abgrund vor den Schuhsolen oder ein Sturmgewitter auf weiter Flur, blieb, jedenfalls im Vorwurf gegen die serielle Musik, die solches nicht zuwege brächte, frommer Wunsch.

Dann ab ins Chaos von Radio France, an die Folle Journée de Nantes. Zuerst Beethoven, eindeutig – und doch nicht wirklich bestimmbar, wie wenn der Musik ein zusätzlicher Dreh verpasst worden wäre. Ah! Streichquartett 11, op. 95, bearbeitet von Mahler für Streichorchester. Nach Hindemiths Trauermusik schliesslich Schönbergs Verklärte Nacht mit dem Nerderlands Kamerorkest unter Gordan Nikolitch. Ein Leben lang hatte ich gelernt, auf dieses Stück gereizt zu reagieren, wenn es irgendwo auf dem Programm stand, weil es den echten Schönberg durch den zahmen und noch zaudernden dem Publikum vorenthalten würde. Heute wurde ich von dieser Musik überrumpelt, als würde ich sie zum erstenmal hören. Was für eine kompositorische Kraft, wieviel unendliche Vielfalt in den Details und welcher Reichtum an musikalischer Phantasie! Man wird den KomponistInnen als Zuhörer nie gerecht, und man empfindet Reue.