Festival Présences 2016 „Oggi l’Italia“ 9 et 10 fév. 2016

29. Februar 2016 um 22:30 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique deux concerts du 9 et du 10 février 2016 à Paris par l’Ensemble Multilatéral, direction de Léo Warynski et par l’Ensemble 2e2m, Pierre Roullier, direction.

Francesco Filidei (né en 1973), Finito ogni gesto (2008). – Eine oft stille und rhythmusfreie Poesie mit zunehmender Komplexität. Allerdings fehlen weder die Esoterik (Rätschen) noch das Plakative (Pistolenschüsse).

Marco Momi (né en 1978), Almost Requiem pour soprano et ensemble (2013). – Eruptive Musterereignisse wie auf einem Rösslispiel mit starken mikrotonalen Einschlüssen. Die Sopranistin wird mit Anweisungen zum falschen Singen gequält.

Stefano Bulfon (né en 1975), Fogli d’Iride pour flûte solo et ensemble. – Klingt nach copy ’n‘ paste mit hektischen Motiven. Da eine harmonische Konzeption fehlt, hat die Kohärenz keine Richtung; in der Musik ohne Zeit schwimmen die Motive davon. Der Aufregung mangelt es an Spannung.

Edith Canat de Chizy (née en 1950), Visio pour six voix, ensemble instrumental et électronique. – Ekstatisch-harmonische Esoterik. Aufgewärmte Hildegard.

————————————————–

Clara Iannotta (née en 1983), Troglodyte Angels Clank By pour ensemble amplifié. – Virtuos hergestellte Beklemmung, eine Höhlenbewohnermusik, die nicht meinem entdeckerischen Lebensgefühl entspricht.

Francesco Filidei (né en 1973), Canzone pour harmonica et ensemble. – Rudimentäre Kunst, mit seinen üblichen Fastnachtsrätschen.

Aureliano Cattaneo (né en 1974), Trazos pour soprano et ensemble, Petra Hoffmann, soprano. – Bestes Stück der zwei Konzerte: intelligent komponierte Farbigkeit, in der die verschiedenen Instrumente aufeinander hören.

Francesca Verunelli (née en 1979), Déshabillage impossible pour ensemble. – …und wieder einmal die Form des Kehrreims… trotzdem hübsch.

Homayoun Sakhi, Rubab

28. Februar 2016 um 20:45 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique vom 13. Februar in Paris: Homayoun Sakhi, Rubab.

Bemerkenswertes, grandioses Konzert afghanischer Musik, das ihre Zwischenstellung zwischen dem nordischen Raga und dem persichen Maqam auf beeindruckende Weise auf die Bühne brachte. Wann hat man schon einen vierzigminütigen Alap in einem afghanischen Kontert gehört?! Und mit dieser Spannung und Intensität! Ebenso war das vierte Stück, der Raga Pilu, wie aus dem Osten sehr farbig und wankelmütig, nicht so dürr, wie man es in Afghanistan erwarten würde. Die anderen vier waren brave Stücke wie aus Persien: Paschtunische Liedli.

Friedrich Cerha 90

18. Februar 2016 um 3:49 Uhr von ur

Gestern Abend auf Ö1 Langegger Nachtmusiken 1 und 3 von Friedrich Cerha und dann auf SRF2 eine Sendung über den Jubilar mit Müsterlis (das Senden von Musikwerken hat der schwerfällige Schweizer „Sender“ bekanntlich seit langem schon eingestellt, aber die Statements des alten Komponisten wirkten um so frischer und sehr anregend).

Ständig daran gedacht, wie die momentan gefeierten Italiener in Paris davon profitieren könnten, wenn sie bei diesem scheinbar Alten noch ein paar Stunden in die Schule gingen. Im langen Musikerleben mit politisch wachem Geist hat er sowohl komplexe Werkzyklen und -gruppen geschaffen wie auch in vereinzelten spielerischen Stiladaptionen gezeigt, dass man im Einsatz von Witz und Ironie keineswegs die kompositorische Vebindlichkeit, also das künstlerische Können auf der Höhe der Zeit, über den Haufen werfen muss.

Stroppa, Francesconi, Filidei, Lanzza

15. Februar 2016 um 21:36 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique concert enregistré le samedi 6 février au studio 104 de la Maison de la Radio dans le cadre du festival Présences 2016. Christophe Desjardins, alto, Les Cris de Paris, Geoffroy Jourdain, direction, Manuele Poletti, réalisation information musicale IRCAM.

Marco Stroppa, Perché non riusciamo a vederla. // Luca Francesconi -Let me bleed. // Francesco Filidei, Dormo molto amore (CM de la version pour choeur de chambre). // Mauro Lanzza, Ludus de Morte Regis.

Fröhliche schöne Unterhaltungsmusik, von jedem Dorfchor darzubieten, ausser dem letzten Stück, das infantil ist und grosse Elektronik benötigt, und dem ersten, das eine virtuose Viola verlangt.

David Lagos: Made in Jerez

14. Februar 2016 um 20:36 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique Concert de David Lagos: Made in Jerez, enregistré le 20 janvier 2016 au Festival Flamenco de Nîmes.

Avec David Lagos, Melchora Ortega et El Londro (chant), Mercedes Ruiz et Diego de la Margara (danse), Santiago Lara et Alfredo Lagos (guitare), Pedro Navarro (palmas et percussion).

Umwerfend!

Cresta, Fedele, Rivas

13. Februar 2016 um 3:59 Uhr von ur

Gestern Abend direkt live auf France Musique Nicolas Vaude, récitant, Mario Caroli, flûte, Orchestre Philharmonique de Radio France, Pascal Rophé, direction (édition italienne du festival Présences 2016).

Gianvincenzo Cresta (1968), Hinneni – Alle madri rifugiate* (CRF – CM). – Ohne den Rezitator wäre es ein sehr ansprechendes Stück. Cresta sollte nicht immer so Angst haben vor der Abstraktion. Brecht war.

Ivan Fedele (1953), Ruah (CF). – Ein Flötenkonzert mit aktuellen Mitteln, in einer zuweilen retardierenden Ästhetik.

Sebastian Rivas (1975), Esodo Infinito (la scomparsa delle lucciole) (CM – CRF). – Es tut gut, wenn das Politische wieder in der Musik stärker spürbar wird. Das Stück bezieht sich gleichermassen auf La mer von Debussy wie auf das Mittelmehr heute, das für viele zum Grab wird. Aber auf welche Weise „tut es gut“? Man könnte heulen in der Konfrontation mit der schönen Stärke, dem schönen Schein dieser Musik. The present day composer refuses to die.

Ivan Fedele, Lexikon II (CM – CRF / Orchestre Philharmonique de Séoul). – Wie im Flötenkonzert kann man auch hier unverhofft mit gewöhnlichen Kadenzen konfrontiert werden. Stösst man sich nicht an den eingestreuten, hier ausnahmsweise nicht dominanten Traditionalismen, ist das Stück wie das von Rivas äusserst packend. Mit Abstand die beste Musik von Fedele, die ich bis jetzt zu hören bekam. Incipit musica.

Lachenmann, Kyburz, Murail, Francesconi

10. Februar 2016 um 21:37 Uhr von ur

Soeben live auf WDR 3 GrauSchumacher Piano Duo, WDR Sinfonieorchester Köln, Leitung Peter Rundel, Aufnahme vom Festival „Musica“, Strasbourg, 3. Oktober 2015

Helmut Lachenmann, Tableau für Orchester. – Noch nicht ganz auf der Höhe wie die späteren Werke Lachenmanns, etwas löchrig.

Hanspeter Kyburz, ptyx für 2 Klaviere, Uraufführung. – Eine zurückhaltende Poesie mit schönen Farben, mit solchen des Wohlstands.

Tristan Murail, Reflections/Reflets für Orchester. – Gefährlich nah an der Kitschzone.

Luca Francesconi, Macchine in Echo, Concerto für 2 Klaviere und Orchester, französische Erstaufführung. – Im langen Anfang umwerfend, dann abflachend.

Dann noch die Lyrische Suite von Berg mit dem Artemis Quartett – das beste Stück des Abends.

Cattaneo, Francesconi, Movio, Romitelli, Grisey

8. Februar 2016 um 22:28 Uhr von ur

Soeben direkt live auf France Musique Konzert im Studio 105 mit dem Ensemble MDI aus Milano.

Aureliano Cattaneo, Insieme. – Eine spannende, farbige und lebendige Musik, mit etwas Ängstlichkeit beim Schliessen. Der Schluss selbst ist okay, man erwartet ihn aber früher.

Luca Francesconi, Charlie Chan for viola. – Trotz der Winzigkeit an Berios Folk Songs erinnernd.

Simone Movio, Logos II. – Schön auskomponierte Dreckigkeit in einem leicht vornehmen, sonntäglichen Ton. Eine vorlachenmannsche Musik.

Luca Francesconi, Animus II. – Ein bescheidenes, improvisiert wirkendes Bratschensolo vor Science Fiction Klängen aus einer alten Fernsehserie. Cheapness.

Fausto Romitelli, Domeniche alla periferia dell’Impero (Hommage à Gérard Grisey). – Zwei repetitive, prozesslose Zustandsstücke, als Interludien reizvoll.

Gérard Grisey, Vortex Temporum I, II, III. – Zuerst etwas müd und wie schnell gealtet, dann aber immer faszinierender, weil doch einigermassen gut komponiert.

Entengeschnatter

6. Februar 2016 um 17:03 Uhr von ur

Gestern Abend live auf France Musique l’Orchestre philharmonique de Radio France et Mikko Franck, en direct de l’Auditorium de la Maison de la radio mit Werken von Fausto Romitelli, Thierry Pécou, Luca Francesconi et Henri Dutilleux.

Nach dem Romitelli und während des Stücks von Pécou wurde klar, dass ich über dieses Konzert keine Notiz schreiben werde. Ich ertrug das zwanzigminütige, überaus nervöse „Pausengespräch“, freute mich an der Musik von Francesconi im Werk „Bread, Water and Salt“ und schlief dann ein. Hier verfiel ich in einen langen Traum, in dem ich mich übers radikal tonale Komponieren von Dutilleux wunderte, der gemäss Programm auf den Francesconi folgen sollte – im Traum war ich am selben Ort, also auf dem Sofa, mit derselben Musik auf den Kopfhörern. Als ich mich über die Musik wunderte, kam zuerst eine einzelne Ente zu mir ans Sofa, dann auch mehrere weitere. Zumindest die erste, ziemlich grosse, in der Grösse einer Gans, zupfte an meinen Kleidungsstücken, kam sogar hoch aufs Sofa, zupfte weiter, so nahe, dass ich ihren weichen, angenehmen und mädchenhaften Körper spürte, wurde aber aufdringlicher und biss regelrecht in den rechten Oberarm. Da auch andere Enten nun auf mir waren und sie allesamt an mir zupften, fand ich es an der Zeit, aufzuwachen. Obwohl kein Alkohol im Spiel war, torkelte ich über den Bachtiar zum Tisch. Was für ein Erstaunen, dieselbe tonale Musik auch im wachen Zustand zu hören! Aber es war nicht Dutilleux, sondern Debussys La mer, und es folgte alsogleich die Radioabsage. Zum Teufel, die Aufregung gegenüber Dutilleux beruhte auf einem Missverständnis! Sofort befragte ich mich über die Abneigung gegenüber diesem Komponisten: wer ihn mit Debussy verwechselt, hat kein Recht, ihn abzulehnen. Da es sich bei La mer um eines der zwei „pièces diffusées entre les oeuvres du concert, pendant les déplacements de l’orchestre“ handelte, wurde das Stück von Dutilleux erst jetzt ausgestrahlt. Siehe da! Ich empfand diese Musik auch im selbstkritischen Zustand als lärmig – und insbesondere als ohne Konzept, das man während des Hörens aufdröseln könnte. Dieser negative Blick auf die Ästhetik hat auch dann Bestand, wenn man die kompositorische Versiertheit im Kleinen, also das kompositorische Handwerk, anerkennt. Dutilleux ist ähnlich wie Richard Strauss begabt in Hülle und Fülle und scheitert wie dieser an der Unterlassungssünde, die Ästhetik im Hinblick auf Gesellschaft und Geschichte für das eigene Schaffen zu deuten und auszuformulieren. Beide ignorieren die Umwelt, in die sie zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Räumen hineingeboren waren.

Und doch war die gestrige Aggression gegen Dutilleux nicht allein aus seiner Musik erwachsen, sondern ein Effekt der Pausengestaltung der Radioredaktion von France Musique. Man hat hier immer noch nicht kapiert, dass der Kult des Persönlichen, wie er parallel zum Neoliberalismus sich entfaltete, an seriösen Plätzen längst zu Grabe getragen worden ist. Hört man direkte Livekonzerte auf einem deutschen Sender, werden in der Pause Gespräche übertragen, die in der Probenarbeit vorher aufgenommen worden waren und im Detail also noch korrigiert werden konnten. Nicht so in Paris. Hier wird die Pause von einer äusserst gespannten Nervosität beherrscht, die alle Teilnehmenden zu Trotteln verkümmern lässt und dem Publikum regelmässig einen zwanzigminütigen Frust verpasst. Denn die geforderte Spontaneität im Gespräch heisst nichts anderes als Verleugnung jeder intellektuellen Vorbereitung und Perspektive wie die Betonung des Persönlichen Verleugnung jedes Abstrahierungsvermögens; beides zusammen läuft auf einen dummen Konkretismus hinaus, der zwischen dem empirisch Einzelnen und dem gesellschaftlich Diskutierbaren nicht mehr unterscheidet. So gingen denn die Statements von Luca Francesconi im eigenen Entengeschnatter unter, weil er es im Lampenfieber wohl einfach nicht ertragen konnte, vor der Aufführung seines grossen Werkes, das eben erst nach der Pause auf dem Programm stand, Vernünftiges zur Sprache bringen zu müssen (wem wäre das zu verargen?). Die Charakterisierung der eigenen Musik mündete in kompletter Sinnlosigkeit, zu der er sich in einem normalen, vernünftigen Gedankenaustausch wohl kaum hinreissen lässt. Es muss klar sein heutzutage, dass man es mit zwei Begriffen der seriellen Musik zu tun hat, der reinen Technik, die nicht einmal ein Jahr lang die historische Diskussion beherrschte, und der Idee der seriellen Musik. So ist es langweilig, wenn das einer wie Francesconi ignoriert und freimütig daherplappert, er müsse in seinem Komponieren wie jeder heute sich gegen die Vorherrschaft der seriellen Musik stellen. Er muss es nämlich deswegen genauso sehr wie jeder andere komponierende Mensch, weil die serielle Musik einer Epoche angehört, von der es noch nicht entschieden ist, ob sie füglich schon an ihr Ende gekommen ist. Dass man als progressiver Künstler gegen sie anschreibt und sich selbst schon im Neuen wähnt, ist trivial (und setzt einen wohltuend von Dutilleux ab). Zu benennen in einem Gespräch wäre das Neue aber begrifflich, wenn man sich auf es berufen will. Gelungen ist dies aber bis heute in der Musik noch niemandem. Boulez bleibt.

ur I und ur II gratulieren ur III

11. Januar 2016 um 4:14 Uhr von ur

Viel Glück zum dritten Geburtstag, mit den besten Dankeswünschen an die Teams von Matthias Zumstein und Charles Dumont am Inselspital Bern 2013!

+ 37 = 90

10. Januar 2016 um 5:08 Uhr von ur

Links oben hinter den Bäumen die Alp, rechts die reformierte Kirche.

Wir sterben, um zu leben. Hölderlin

Ruth Raz-Huber 10. 1. 1926 – 4. 12. 2015

Zwei Wünsche sprach sie in den letzten Novembertagen aus, beide unerfüllt, über den Ort des Begräbnisses zu reden und den 90. Geburtstag zu erleben.

Hätte sie ein Geschenk bekommen?

Ein Fotoband übers Val d’Hérens mit Bildern ausschliesslich aus dem Jahr 2015 konnte am Todestag im Geschäft abgeholt werden. Für einen zweiten über die Gemeinde Emmen wurden die Bilder am Sterbevortag ahnungslos auf dem Sedel realisiert. Ein drittes Fotobuch wäre in der Altjahreswoche übers Val d’Anniviers gestaltet worden. – Es gibt wohl kaum noch jemanden, der solche Hobbyarbeiten zu schätzen wüsste.

Pierre Boulez – bis gestern Abend

6. Januar 2016 um 19:01 Uhr von ur

Pierre Boulez war einer der wenigen, die von der Idee nicht abrückten, dass Kunst nur dann wahr ist, wenn sie die Grenzen der Gegenwart durchbrechen will. Jeder Ton in seinen Werken gibt Zeugnis von der Materialität der menschlichen Intelligenz.

Prometeo entzaubert

7. Dezember 2015 um 23:03 Uhr von ur

Soeben direkt live auf France Musique de la Philharmonie de Paris l’Orchestre Symphonique du SWR Baden-Baden et Freiburg, Matilda Hofman : Direction, Ensemble Recherche, Ingo Metzmacher : Direction, Schola Heidelberg, Walter Nussbaum : Direction, SWR Experimentalstudio de la Fondation Heinrich Strobel.

Luigi Nono, Prometeo, „Tragedia dell’ascolto“-Tragédie de l’écoute (1984).

Eine zwar äusserst präzise Aufführung und ebenso deutliche Aufnahme mit einem wunderbar plastischen Raumabbild im Kopfhörer – im ganzen aber entschieden zu laut ausnivelliert. Der Aufklärer Nono wollte in der Höranstrengung die uralte venezianische Verzauberung aufscheinen lassen und das Mythische durch die Anstrengung in der Moderne retten, in Paris heute hat man seine Musik in einer zweifelhaft genialen Aufnahmetechnik stockhausiniert, mit Stockhausens Zeigefinger didaktisiert. Man sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr, weil man als Analphabet eine der rätselhaftesten Partituren zu lesen statt zu hören serviert bekommt.

Man kann die neue Aufzeichnungs- und Übertragungstechnologie mit hdri in der Fotografie vergleichen, mit HighDynamicRangeImaging, wo der stark begrenzte Kontrastumfang dadurch erweitert wird, dass mindestens fünf Bilder desselben Objekts aufgenommen werden, mit zwei überbelichteten und zwei unterbelichteten Aufnahmen. Dieselben werden so ineinanderkopiert, dass die tiefen, schattigen Bereiche aufgehellt dastehen, die hellen an keiner Stelle ausgefressen, d. h. ohne Zeichnung. Das ist ein schönes Spiel, aber wie man weiss, sehr schnell über das Ziel hinausschiessend, letztlich fürs natürliche menschliche Auge doch häufig wieder unschön.

Gérard Grisey, Les Espaces Acoustiques

24. November 2015 um 21:47 Uhr von ur

Soeben live auf WDR3 Aufnahme aus der Philharmonie Essen vom 7. November 2015, Geneviève Strosser, Viola WDR Sinfonieorchester Köln, Leitung: Brad Lubman.

Gérard Grisey, Les Espaces Acoustiques (Prologue für Viola / Périodes für 7 Musiker / Partiels für 16 Musiker / Modulations für 33 Musiker / Transitoires für Orchester / Épilogue für 4 Hörner und großes Orchester). – Ein Klangwerk mit grossem Volumen, in der horizontalen Fortschreitung zuweilen leer und etudenhaft. Die Musik wirkt eigentümlich gealtert, fast wie aus einem fernen 20. Jahrhundert, das uns fremd geworden wäre und momentan nicht mehr zutraulich werden will.

Olga Neuwirth, Le Encantadas

23. November 2015 um 21:19 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique Concert enregistré le 21 octobre dernier, à la Cité de la Musique – Philharmonie 2 dans le cadre du Festival d’Automne. Ensemble Intercontemporain, Matthias Pintscher, direction, Livia Rado, soprano (Eglise San Lorenzo, Venise), Athos Castellan, trombone (Eglise San Lorenzo, Venise), Johan Leysen, récitant (studio de l’Ircam), Andrew Watts, contre-ténor (studio de l’Ircam), Gilbert Nouno, réalisation informatique musicale IRCAM, Markus Noisternig, conseiller scientifique Ircam.

Olga Neuwirth, Le Encantadas o le avventure nel mare delle meraviglie. – 70 Minuten beste Unterhaltung, I like it. Wenn die Radioleute nicht noch mehr Fehler machen, wird das Stück nicht nur ein begeistertes, sondern auch ein grosses Publikum finden.

Janácek, Intime Briefe

5. November 2015 um 21:11 Uhr von ur

Soeben live auf Bayern 4 Aufnahme vom 15. Mai 2015 in Neunkirchen am Brand mit dem Armida Quartett.

Leoš Janácek, Streichquartett Nr. 2 – „Intime Briefe“.

Ich bin kein Freund der Funktionalisierung der Musik, aber diese Interpretation von Janáceks Intimen Briefen hat meinem Seelenhaushalt wieder Freiden gebracht, gleichwie ein paar Stunden vorher der neue Film der NASA in HD-Qualität über die beobachtbaren Vorgänge auf der Sonne im Projekt Solar Dynamics Observatory.

Ich plante die Nacht zuvor, wie ich die beste Aufnahme im Wallis von diesem Jahr heute zu bewerkstelligen hätte, die Hochsteig- und darauf folgenden Runtergehenszeiten in die Bergdämmerung hinein ziemlich knapp. Doch die SBB vereitelte das Unternehmen, indem der Zug in Thun über zehn Minuten stehenblieb, so dass man dem Anschlusszug in Visp Richtung Sion und weiter nach Les Haudères und Coutaz nur noch nachwinken konnte. Wäre das Konzert nicht gewesen, hätte ich dem SBB-Meyer ein Ticket Richtung Sonne gewünscht. Keine Meldung nirgends unter „Bahnverkehrsinformationen“, als wäre der Anschluss von 100 und mehr Leuten im Wallis dem Unternehmen hundewurst. Nein wirklich, mir geht’s wieder gut.

Unsuk Chin 2

2. November 2015 um 21:27 Uhr von ur

Soeben live auf Radio France concert enregistré le 10 octobre 2015 à la Maison de la Radio dans le cadre du Festival d’Automne avec Nieuw Ensemble Amsterdam, Ed Spanjaard, direction.

– Unsuk Chin, Cosmigimmicks – pantomime musicale pour ensemble (composition 2011-2012).

– Unsuk Chin, Akrostichon-Wortspiel – sept scènes de conte de fées, pour soprano et ensemble (composition 1991), Yeree Suh, soprano.

– Jeongkyu Park, INTO… pour sheng et ensemble (composition 2015), Wu Wei : sheng (orgue à bouche).

– Unsuk Chin, Gougalon, scènes de Théâtre de rue, pour ensemble (composition 2009-2011).

Wieder drei Stücke von Unsuk Chin, die mir sehr gut gefallen (auch das von Park hat eine ähnliche materielle Ästhetik, bei ihm zentriert um liebliche Rockmuster herum). Wenn ich beim Prozess des Hörens von Unsuk Chin zu einer Kritik ansetze, verändert sich die Musik, und die Komponistin zeigt sich einsichtig. Die Künstlerin weiss, wie weit sie gehen kann und wie weit sie sich gehen lassen darf. Es zeigt sich bei Unsuk Chin ein starker, gänzlich neuartiger Typus von Subjektivität, eine souverän gemeisterte Subjektivität – alles andere als ein Es, das sich durch die banalen Autoritarismen des Überichs dirigieren liesse.

Sobald eine Musik gegensätzliche Tendenzen enthält, die ästhetisch oder materiell kompositorisch bewusst auf die Spitze getrieben werden, ist sie ernst – und diskutabel.

Gestern im Frühabend bei kompletter Übermüdung während einer Pause der Bildbearbeitung von goldenen Eringerbildern ein Violakonzert gehört, völlig fasziniert und am Schluss ebenso radikal überrascht, dass es vom geschmähten Schnittke stammt. Plötzlich in ihm der Gedanke, der wohl auf die Übermüdung zurückzuführen ist: ich liebe diese Musik mehr als Berg, dessen Engel in ihr ständig anklingt. Genau die erwähnten gegensätzlichen Tendenzen hörte ich, jede für sich an wildfremden Orten plazierbar und im Gesamten so wunderbar neu, dass sich nie die Frage stellte, von wo das Einzelne wirklich herkommt.

Zur Musik von Unsuk Chin habe ich einen unmittelbaren Zugang, zu derjenigen von Schnittke einen vermittelten. An irgendeinem Punkt scheinen sie vergleichbar zu werden.

Rac 3

30. Oktober 2015 um 21:00 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique vom 19. Juni 2015, Myung-Whun Chung dirigeait, à la Philharmonie de Paris, l’Orchestre philharmonique de Radio France.

Serge Rachmaninov, Concerto pour piano et orchestre n°3 en ré mineur opus 30, Daniil Trifonov, piano.

Ein Applaus wie aus der Kanone – und ich schliesse mich dem an… (Rachmaninow konnte ich bislang nie ausstehen, die Musik erschien mir wie ein Brei.)

Unsuk Chin

26. Oktober 2015 um 21:16 Uhr von ur

Soeben live auf Radio France concert enregistré le 9 octobre 2015 à la Maison de la Radio dans le cadre du Festival d’Automne avec l’Orchestre Philharmonique de Radio France, Sunwook Kim, piano, Isang Enders, violoncelle, Kwamé Ryan, direction.

Rocana.

Concerto pour piano et orchestre.

Concerto pour violoncelle et orchestre.

Drei aktionsreiche und sinnliche Stücke, in denen es Lust macht, Neues zu entdecken, ohne je im Vagen gelassen zu werden.

Lachenmann, Kyburz, Murail, Francesconi

19. Oktober 2015 um 20:21 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique concert enregistré le 3 octobre au Palais de la musique et des congrès de Strasbourg, WDR Sinfonieorchester Köln, GrauSchumacher Piano Duo (ptyx, MACCHINE IN ECHO), Direction, Peter Rundel.

Helmut Lachenmann, Tableau (1988). – Eine Musik weit progressiver als alles, was man sich in den letzten Tagen aus dem neochristlichen Donaueschingen her (reformiert) anhören musste. Beeindruckend farbig das Ganze und rhythmisch in frechen Zügen, trotzdem mit einer äusserst starken Kohärenz durchsetzt. Ein Freudenstück!

Hanspeter Kyburz, ptyx (2015), deux pianos solos, création mondiale. – Der Kern des Stückes erscheint nur wenig zwingend; an manchen Stellen könnte es auch anders weitergehen. Eine schöne, aber nicht recht verbindliche Musik – man könnte zuweilen von den Noten abstrahieren und das Stück freihändig als eine Jazznummer spielen, ohne dass etwas verloren ginge.

Tristan Murail, Reflections / Reflets (2013), I. Spleen / Quand le ciel bas et lourd… II. High Voltage / Haute tension. – Ein klebriger Tonsirup, eine vom Computer harmonisierte einstimmige Etudenmusik.

Luca Francesconi, MACCHINE IN ECHO (2015), concerto pour deux pianos et orchestre, création française. – Der Komponist benutzt das Orchester als grosse Mamma, an deren Hand die Noten gehen sollen. Das Orchester ist in Wirklichkeit überflüssig, und wo es spielt, löst sich die spärliche Kohärenz auf. Der lange Schluss ist infantiler Bernstein. Der grosse Komponist Berio war wie Ligeti ein schlechter Lehrer.