Mantovani, Murail, Messiaen

24. Oktober 2018 um 20:22 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique Concert donné le 28 juillet 2018 à l’Eglise de La Grave dans le cadre du festival Messiaen au pays de la Meije. Hae-Sun Kang (violon), Martin Adamek (clarinette), Marc Coppey (violoncelle), Marie Vermeulin (piano).

Bruno Mantovani (1974-), All’ungarese, für Klavier und Geige. – Ein freies, sehr dynamisches Stück, das einen nicht selten an John McLaughlin und seine Geiger denken lässt.

Tristan Murail (1947-), Stalag VIIIA pour violon, clarinette, violoncelle et piano. [Commande du Festival Messiaen au pays de la Meije et du Meetingpoint Music Messiaen à Gorlitz].

Direkt daran angeschlossen, ohne Applausunterbruch: Olivier Messiaen (1908-1992), Quatuor pour la fin du Temps pour violon, clarinette, violoncelle et piano.

Eine gute Idee mit einer gelungenen Realisation: Murails Stück enthält durchs Band Elemente des Quatuor, aber auf eine Weise, als ob Messiaens Stück hinter kleinem, kaum durchsichtigem Fensterglas gehalten würde, mit der Gelegenheit, seine geschichtliche Verortung zu bedenken – um dann im direkten Anschluss daran endlich wieder einmal zu ihm selbst gelangen zu können.

Peter Ruzicka 70

23. Oktober 2018 um 21:10 Uhr von ur

Soeben live auf Bayern 4 Konzert vom 5. Oktober 2018 in München mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und dem Vocalconsort Berlin, Leitung: Peter Ruzicka, Solisten: Carolin Widmann, Violine; Giuliano Sommerhalder, Piccolotrompete; Sergei Nakariakov, Trompete.

Peter Ruzicka: „Fünf Bruchstücke“; „Loop“ (Uraufführung); „… Inseln, randlos …“; „Flucht“, Sechs Passagen

Eine farbige Musik, die mit ein bisschen Unterstützung ein breites Publikum finden wird, nie eindeutig ausserhalb der Tonalität, ständig dramatisierend oder erzählend wie Filmmusik und in den harmonischen Ruhe- und Fluchtpunkten durchwegs leicht zu fassen.

Bergabstieg

22. Oktober 2018 um 3:57 Uhr von ur

Äusserst langer Traum, in einer Fünfergruppe den Berg hinunter, nicht aber einem Weg entlang, sondern immer durch Gebäude hinunter, teilweise luxuriöse Chalets, teilweise durchs Gemäuer oder sonstwie durch die Infrastruktur von Mehrfamilienhäusern. In der Hand halte ich einen Stapel von fünf bis zehn handtellergrossen Blättern, jedes enthält eine Skizze der Häuser, durch die wir ziehen. Mindestens einmal geht es durch die Wasserleitungen hinab. Am Schluss stehe ich mit den Blättern vor Polizisten, die entweder uns verhaften wollen oder bereits zum Gericht gehören, das sich mit uns befasst.

200 Motels down in France

27. September 2018 um 3:57 Uhr von ur

Gestern Abend live auf France Musique concert du 21 septembre 2018 au festival Musica, Strasbourg, Zénith. Lionel Peintre, L’Animateur TV (Cowboy Burt), Marina Ruiz, Janet (La Journaliste), Aliénor Feix, Lucy (Donovan), Dominic Gould, Frank (Larry the Dwarf, Jeff), Zachary Wilder, Mark, Nicholas Scott, Howard, Mélanie Boisvert, La Soprano solo, Nicholas Isherwood, Rance (Ginger), The HeadShakers, Les Percussions de Strasbourg (gutes Spiel von Ionisation!), Les Métaboles, Orchestre philharmonique de Strasbourg, Frank Zappa, musique et texte, Antoine Gindt, mise en scène, Philippe Béziat, réalisation vidéo live, Léo Warynski, direction.

200 Motels – The Suites (1971) (nouvelle production, création française)

Die Spiesserinstanzen der oberen Schicht der Kulturindustrie reissen sich ein Meisterwerk des Undergrounds unter den Nagel: diese langsamen Tempi, die Unsicherheit der Subjektivität im Gesang… Ich könnte heute ohne weiteres das Doppelalbum wiederhören, nicht aber diese Neuproduktion eines Bernstein-Gershwin Musicals. Viel Fleiss dahinter – aber der Geist Zappas weht woanders.

Der Traum als Resteverwerter der Tages

18. September 2018 um 21:29 Uhr von ur

Vor einer Stunde der Versuch, ein Gif auf Facebook zu posten mit dem Kommentar: Wenn ich ein Schnürchen wär, würde ich mich weigern, einen Knoten zu werden.

Ich fand es dann aber unpassend, sexistisch (hier weniger, weil keine Personen via „Friends“ direkt angesprochen werden). – Jetzt eben ein Traum mit vielen Leuten, wo ich auf einer Treppe bei fast derselben Frau mit dem Kopf auf dem Bauch lande, sie aber in neuen Jeans… Derselbe Traum geht weiter, wir in dunkler Nacht, darüber die Milchstrasse so schön wie noch nie gesehen, „zum Greifen nah“. Erschien sie nicht gerade schon im letzten Post an diesem Ort hier, die Milchstrasse mit ihrem lesegehemmten Sennenvolk? Leider kamen dann viele Leute vorbeigezogen mit vielen wuselnden Hunden, von denen einige nur schnupperten, der grösste aber an mir fressend kleben blieb.

Word 2003 auf Windows 10 mit .docx

16. September 2018 um 17:45 Uhr von ur

Zuweilen öffnet Word 2003 in Windows 10 die neuen Wordformate docx nicht mehr, obwohl das Kompatibilitätspack installiert worden war. Will man das Paket erneut installieren, heruntergeladen von CHIP o.ä., erscheint die Meldung, es sei doch bereits da und man müsse es nur reparieren. Hier der Vorgang:

Erst nach der Reparatur (dauert 2 Sekunden) ist dieses Programm zuoberst in der Tabelle, vorher muss man es weit unten suchen.

Zusatz: Wie wurde das installierte Compatibility Pack für 2007 Office System zerstört?

Ich teste Serif Affinity Publisher Beta, und zwar mit dem Import einer komplexen PDF-Datei, derjenigen der Sieben Zehnden, die 2008 mit MS-Publisher von Office 2003 in Windows XP erstellt worden war [ich spekuliere darauf, dass das Buch im AF-Publisher-Format raketentauglich wird und in einer baldigen Mission mitreisen kann – in der hiesigen Galaxis ist die Chance gering, einen Leser oder eine Leserin zu finden]. Viele Bilder darin sind nicht einheitliche Gebilde, sondern aufgeteilte, zerstückelte. Im Druck und beim Betrachten am Bildschirm spielt das keine Rolle, im Affinity Publisher sind das aber zusammengesetzte Bilderrahmen, die man unbedingt als Einheit haben will.

Eine neu hergestellte PDF-Datei mit MS-Publisher 2003 auf Windows 10 produziert denselben Fehler immer noch. Also wollte ich probieren, ob der werkseitig vorinstallierte Publisher 2016 vielleicht besser arbeitet. Ahhhhhhhhhh, diese Microsoftleute: die Kunst des Schröpfens & Plünderns beherrschen sie, derjenigen des Programmeschreibens stehen sie fern! Nun ging gar nichts mehr… Der neue MS-Publisher zertörte die Datei, verlangte sofort die Autobiographie inklusive freien Zugang zum Bankkonto und verweigerte jede weitere Aktivität mit dem Programm. Ist das Kompatibilitätspack installiert, funktioniert Office 2007 und neuer nicht korrekt (was einem natürlich nicht gesagt wird). Was tun? Das nicht bestellte, vorinstallierte Office 2016 wird gelöscht und nach langem Herumgoogeln versucht, das Kompatibilitätspack neu zu installieren. Gemacht wurde dann das, was oben beschrieben wird.

Carlos Grätzer, Albâtre

5. September 2018 um 20:27 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique Concert donné le 20 mars 2018 à l’Auditorium Marcel Landowski du Conservatoire à Rayonnement Régional de Paris, Ensemble 2e2m, Pierre Roullier, direction.

Carlos Grätzer (né en 1956 -), Albâtre (création mondiale).

Eine ziemlich actionreiche, kurvige und bunte Musik – mitreissend.

Paul Dukas, Yuja Wang, —

31. August 2018 um 3:27 Uhr von ur

Gestern Abend direkt live auf Bayern 4 aus dem Kunst- und Kongresshaus Luzern die Berliner Philharmoniker, Leitung: Kirill Petrenko.

Paul Dukas, La Péri, 1912. – Mindestens dieses Werk von Dukas muss man ernster nehmen als bis jetzt: es ist eine Wucht. Kein grossformatiges Gemälde, sondern ein zügiger Strom, der einen andauernd verblüfft, insbesondere was seine Dichte betrifft. Die Band spielt aber so präzis, dass es fraglich ist, ob diese Musik mit anderen Orchestern auch so stark einfährt.

Sergej Prokofjew, Klavierkonzert Nr. 3 C-Dur, 1921, Solistin Yuja Wang. – Das Klavierkonzert ist ein alter Renner, die Pianistin endlich bekannt. Die Techniker des KKL berichteten, die Künstlerin hätte sich fünf Stunden lang fast ohne Unterbruch eingespielt – da wäre ich gerne dabei gewesen. Wer wird ihr die Spielzeuge für Klavier von Boulez unterjubeln?

Franz Schmidt, Symphonie Nr. 4 C-Dur, 1933. – Am 18. Januar 2018 hörte ich auf RAI 5 zum ersten Mal Franz Schmidt, Das Buch mit sieben Siegeln. Ich las den Wikipediaeintrag und blieb unschlüssig (Facebook Post). Bei der 4. Symphonie aus dem Jahr 1933 gestern Abend dachte ich die ganze Zeit an Wien 1938 und daran, wie Schmidt mitbrüllen wird. Nein, diese Musik wird keinen Zugang zu mir finden, sie erscheint mir verlogen, keine Trauermusik, sondern bös.

Orlando die Lassus, Madrigale

28. August 2018 um 20:20 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique concert donné le 15 juin 2018 à l’Oratoire du Louvre, Paris. Ensemble instrumental Hathor Consort, Solistes du Collegium Vocale Gent, Philippe Herreweghe, direction.

Orlando di Lassus, Sublimes madrigaux du 16e siècle, mariage heureux de poésie et de musique.

Eine dieser besten Musiken, bei deren Anhören man in Trance hoffen möchte, dass sie nie mehr aufhören würden, dass sie einen nie mehr verlassen würden und man immer weiterhin in ihnen wundersame Wendungen entdecken dürfte.

M. Gluteus

25. August 2018 um 15:28 Uhr von ur

Profisportler kennen das Phänomen und Gebrechen nicht, da sie unter ärztlicher Kontrolle sind und regelmässige Massagen geniessen. Hochleistungssportler ausserhalb des Kommerzes kennen es umso besser: wegen zu grossen Leistungen ist man plötzlich in der Zone des Oberschenkels, des Gelenks und des Beckens diversen Schmerzen ausgesetzt und wird mit der Diagnose und dem folgerichtigen Rezept konfrontiert, einen schwächelnden Musculus Gluteus wiederaufzubauen zu müssen, das, was den Menschen im innersten seines Wesens zusammenhält, den grossen Arschbackenmuskel. Ich genoss während dreier Monate die Physio und mache auch seither täglich die Übungen, die ich lernte. An einer Maschine fühlte ich mich nicht schlecht im Erstarken und fragte die Physio, welche sportliche Leistungsstufe ich schon erreicht hätte. Die Kraftmaschine sei bei mir immer eingestellt für Rehapatienten, die vor wenigen Stunden erst aus dem Aufwachraum geschoben worden wären… Item, ich sah das etwas anders, weil mein Training doch gut fruchtete und zeitweise die disparaten, auch den Kopf konfus machenden Schmerzen nicht mehr erschienen: mal auf der Innenseite, mal aussen, mal vorne, mal hinten, mal eher oben, mal eher in der Mitte etc.

Nach dem Ablauf der Physiotherapie machte ich die bekannten Übungen weiter, aber der Zustand verschlechterte sich allmählich. Bei richtigen Schmerzen half nur die Massage direkt auf der Haut von unten über die Gelenkkopfkante nach oben – allerdings nur für knapp eine Stunde. Mich dünkte, es gebe einen Punkt nahe beim Rückgrat, so etwas wie das Zentrum des Gluteus Maximus. Was tun, wenn man nicht vom Affen abstammt und also weder mit der linken noch mit der rechten Hand an dieser Stelle massieren kann? Ich suchte an den düstersten Plätzen des Internets nach den verruchtesten Massageutensilien. In einer fernen Galaxie wurde ich fündig und kaufte ohne weitere Probleme bei Galaxus das Togu Dinair Ballkissen XL Senso mit dem Durchmesser 36 cm.

Was für ein Wunderding! Man kann das Kissen auf den Arbeitsstuhl legen, auf einen besonderen Sessel oder auf den Boden. Man kann gewöhnlich darauf sitzen, beiläufig das Becken betätigen oder bewusst die dynamischen Eigenschaften des Objekts ausreizen, einmal die Füsse eher hochgestellt, einmal tiefer. Es ist in der Tat ein grosses Vergnügen! Und die gebrechliche Körperzone fühlt sich an wie frisch ausgelüftet! Doch Achtung: die Wirkung ist bis jetzt – erst ein Tag nach dem Kauf (sorry…) – wie bei den Übungen in der Physio nur vorübergehend (die Stärkung des M. Gluteus wird in keiner Beschreibung erwähnt, nur die Verbesserung der allgemeinen Körperhaltung und des Rückgrates). Das Gefühl aber sagt, dass dank des Kissens der M. Gluteus mit Sicherheit früher oder später seine Normalform und -kraft wieder zurückgewinnen wird. – Solange hier kein Zusatz zu lesen ist, wird an der Prognose festgehalten; sie gilt als erfüllt.


Auf der gesattelten Rosinante lässt sich gut träumend durch die Gegend reiten. Hi-ho, Silver! Away!

Quora manipuliert Autorentexte

23. August 2018 um 5:15 Uhr von ur

Quora ist eine Plattform für Fragen und Antworten. Wikipedia präsentiert Namen, Begriffe und Ereignisse wie die herkömmlichen Lexikonartikel, so objektiv wie möglich, aber auch bündig und ohne Abschweifungen. Die formulierten Aussagen und Fakten werden ständig auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft. Der Ausgangspunkt bei Quora sind Fragen, die jeder Mensch, der bei der Plattform angemeldet ist, stellen kann. Sie erscheinen dann anonym. Auf diese Fragen können alle anderen antworten, die einen mit Kompetenz, die anderen mit Humor, und diese Antworten erscheinen mit ihrem Namen, verlinkt auf ihr Profil mit den anderen Atworten, die sie schon getätigt haben – und ihren Fragen (hier sind sie nicht anonym).

Wie bei allen sozialen Medien im Internet trifft man auf viel Unsinn. Zum Mitmachen ist der Spielgrund aber anregend. Der besondere Reiz entsteht dadurch, dass jedermensch jede Frage stellen kann. Klar, dass dann einige Fragen etwas verquer in der Landschaft stehen und man nicht immer exakt ausmachen kann, was denn wirklich gefragt wird. Aber der Impuls dahinter ist doch manchmal eine Provokation, auf die man gerne antwortet.

Doch Achtung! Die Einschätzung ist falsch, dass es immer die AutorInnen sind, die die Fragen auf suboptimale Weise stellen. Entweder haben die Verantwortlichen einen Algorithmus installiert, der sich idiotisch benimmt, oder es gibt eine wirkliche Redaktion, die unbedacht und ohne sprachliches Rüstzeug in die Fragen eingreift, bevor sie dem Publikum serviert werden. Jedenfalls sind die Fragen, die man zu lesen bekommt, nicht immer die, die ein einzelner Mensch am Computer formuliert hat und auf der Plattform Quora posten will.

Ich stellte am 8. August folgende Frage: „Warum werden in fast allen Bäckereien die Brote nicht mehr ganz zuende gebacken, sodass man beispielsweise ein halbes Pfund Halbweissbrot noch im eigenen Backofen mit 250° C zehn Minuten lang selbst fertig backen muss?“

In Quora ist die Frage aber wie folgt zu lesen (am 23. 8. 2018): „Warum werden, in fast allen Bäckereien, die Brote nicht mehr ganz zu Ende gebacken, so dass man beispielsweise ein halbes Pfund Mischbrot noch im eigenen Backofen, bei 250° C, zehn Minuten lang, selbst fertig backen muss?“

Das ist nicht meine Frage, sondern Idiotendeutsch. Wenn Quora so bleibt, bleibt es nicht lange.

Wahrheit

22. August 2018 um 8:49 Uhr von ur

[Weil Quora noch nicht bekannt ist, poste ich hier einen frischen eigenen Text. Die Frage steht anonym im „Forum“, die Antworten werden mit Autorennamen daruntergestellt. Die Frage hier lautete (und stammt also nicht von mir): „Existiert so etwas wie die absolute Wahrheit, und falls es so etwas wie die absolute Wahrheit nicht gibt, was ist dann die „Wahrheit“?“]

Von der Wahrheit sagen, dass es sie gibt, heisst die menschliche Vernunft rechtfertigen. Bevor man die Rechtfertigung durchführt und also Philosophie betreibt, innerhalb der Institution der Universität, in der Obhut einer Gruppe oder allein, muss man sich klarmachen, dass die Vernunft, die zur Wahrheit fähig ist und Wahrheit garantiert, jedem Menschen an jedem Ort und jederzeit zugeschrieben werden muss. Die philosophische Wahrheit, die Wahrheit in der Vernunft oder die Vernunft selbst kann nur als universelle begriffen werden – oder sie wäre nichts. Auch wenn Kulturen an verschiedenen Orten und zu verschiedenen historischen Zeiten sich völlig unterschiedlich entfalten und nicht auf ein einziges Modell der menschlichen Vergesellschaftung zurückgeführt werden können, ist die Vernunft in jedem weiblichen oder männlichen Neugeborenen, Varianten inklusive, auf identische Weise angelegt. Die Identität der Vernunft betrifft nicht nur die Verschiedenheit von Gesellschaften, sondern selbst der Individuen in ihren Vielfältigkeiten. Die Geschichte der Philosophie hat schon früh das Wahre mit dem Guten zusammengedacht; trotzdem ist ohne Umstand den Bösen und Asozialen Vernünftigkeit zuzusprechen. Auch Menschen, die nicht fähig sind, sich selbst ohne Beistand am Leben zu erhalten, verkörpern die Vernunft. Am schwierigsten ist vielleicht die Frage nach dem Wahnsinn, den man spontan immer noch als das Andere der Vernunft versteht: ist es nicht schon ein befriedigender Fortschritt einer Gesellschaft, wenn sie die Wahnsinnigen fürsorglich behandelt statt vom Gesellschaftsleben auszuschliessen? Nein. Selbst der Wahnsinn muss als Moment der Vernunft gerechtfertigt werden, wenn Vernunft tel quel und also überhaupt gerechtfertigt werden soll. Sein Einschluss muss deswegen im Auge behalten werden, damit das philosophische Subjekt, das die Rechtfertigung durchführt, den eigenen Wahrheitsanspruch nicht verabsolutiert. Wenn der Wahnsinn ausgeschlossen bliebe, wie in aller traditioneller Philosophie, würde die philosophische Vernunft, die sich rechtfertigen soll, eine Art Selbstermächtigung durchführen: sie wäre die alleinige Instanz zur Beurteilung der Gültigkeit ihrer Behauptungen, weder durch Tatsachen noch durch Argumentationszusammenhänge in Frage zu stellen.

Man sieht leicht, dass die Anforderungen an die Theorie durch die Erfahrungen der Geschichte heute heikler sind als vor 2500 Jahren. Trotzdem muss man sich auch auf die alte Philosophie beziehen, wenn man nicht triviale Fehler wiederholen will. So bewegt man sich also, wenn die Wahrheit das Ziel ist, in einer Art Flickwerk, in dem kein glatter Optimismus zu erwarten wäre und keine Lehre in der Theorie, die die Praxis erlösen würde. Aber es ist nichts anderes als ein Zeichen der Lebendigkeit der Vernunft, wenn sie nicht perfekt ist oder sich nicht perfekt darstellen lässt. Denn schlimmer als die blosse Vorläufigkeit oder Unvollkommenheit in der Darstellung ist die explizite Verleugnung der Wahrheit im scheinbar so offenherzigen, quasi bescheidenen Skeptizismus. Er ist schlaff da, wo Menschen es nicht mehr sein dürften: wenn Scharlatane sich formieren und ein Gaukelspiel vom Zaun brechen, das ohne Scham die Wahrheit, und damit die Menschen, mit Füssen tritt.

Das Verhältnis zur Idee der Wahrheit ist weniger das eines Wissens als das des Vertrauens: in die Natur, in den Gesellschaftsprozess, in sich selbst. Vertrauen ist nicht Glauben und stellt sich gegen die Verführung, Wahrheit absolut zu denken; solche Wahrheit war schon in der traditionellen Philosophie eine blosse Unterkategorie, ein Eindringling aus der Domäne der Theologie, der in der Theorie zu Fehlschlüssen führte.

Keine Heimatdichtung im Hinterland

20. August 2018 um 6:24 Uhr von ur


Wer vom Simeliberg redet, darf von Hinterfultiger Bildern nicht schweigen: hinter dem Guggershörnli Vrenelis Guggisberg, vorne irgendwo Simes Hansis Loch, rechts ausserhalb Schwarzenburg, hinter dem Rücken in einer Autostunde Bern.

Gestern Abend auf SWR 2 das Hörspiel Simeliberg von Michael Fehr (Produktion: BR/RB 2018), dem Äusseren nach seit vorgestern gerade noch einmal eines aus der Welt der Heimatdichtung. Die Musik des Hörspiels (SCHNEIDER TM = Dirk Dresselhaus / Gesang: MUTTIS KINDER = Claudia Graue, Marcus Melzwig, Christopher Nell) besteht aus Varianten des Liedes „s’Vreneli ab em Guggisberg“. Das Dorf hinter dem Guggershörnli leiht seinen Namen noch heute vielen BewohnerInnen des Berner Hinterlandes (deutsche Rezensenten verwechseln topologisch gerne Guggisberg und Bern, die beide im Stück namenlos vorkommen, in ihren Distanzen aber klar erkennbar bleiben). Das Lied selbst ist eines, das den langen Weg aus der alten Geschichte bis in die Popmusik hat gehen können – mit Fug der Inbegriff von Heimat. Trotzdem ist das Stück gänzlich anders als das vorgestrige aus dem Südtirol von Platzgumer. Erscheint Heimat beim Österreicher als Klotz im Hals, so beim Berner Autor als gewöhnliche, leicht abseitige Landschaft, in der ein marktgerechter Krimi auf sprachlich unkonventionelle, die Spannung steigernde Art geboten wird. Man folgt den Figuren hier gelöster als in der effektiven Heimatdichtung, die einem den Klotz schonungslos so transferiert, wie man ihn sich ablehnend in Bezug auf Forderungen nach Heimatgefühlen auch vorstellt. Fehrs Stück bleibt durchs Band leicht. Die Gewalttaten sind zwar nicht weniger schockierend als bei Dürrenmatt, wo schon mal einer ohne Narkose den Hals aufgeschlitzt bekommt, um überleben zu können. Fehr führt diese Tradition weiter. Sie gehört aber nicht in ein Altes, sondern zu uns, wo mit der Landschaft und der Sprache mehr als bei Dürrenmatt gespielt wird, um sie des weiteren ruhen zu lassen.

Heimatdichtung jodelfrei

19. August 2018 um 8:23 Uhr von ur

Für einen, der die ersten 19 Jahre in einem Vorort von Luzern verbrachte und die nächsten 42 Jahre in Bern, ist der Begriff der Heimat widersinnig, weil an diesen Plätzen genügend Infrastruktur dafür sorgt, dass man mit dem allgemeinen Prozess des Weltgeschehens ohne besondere Anstrengung in Kontakt steht. Die Vorstellung, vom Begriff der Heimat Gebrauch machen zu wollen, wäre regressiv. Dass der Begriff überhaupt nicht aufscheinen dürfe, ist damit aber nicht ausgemacht. Gestern Abend auf SRF 2 ein Hörspiel, wie mich schon lange keines mehr berührt hat: «Am Rand» von Hans Platzgumer (Produktion SWR 2016). Trotz des Hörens unter Kopfhörern ist es ausserordentlich diffizil, dem Südtiroler Dialekt zu folgen. Doch die Anstrengung lohnt sich. Denn das Ganze reisst den Horizont in eine Gegend auf, die mir komplett unbekannt ist und nur vom Hörensagen einer Sandwichposition zwischen dem Nationalsozialismus vom Norden und dem Faschismus vom Süden her – und den Widerständen dagegen – an die Geschichte angebunden scheint. Solches Abgeschiedene wird Heimat, wenn in einer Geschichte Gegebenheiten innerhalb dieses kleinen Ganzen zirkulieren – ohne kitschige Unterdrückung der empirischen Objekte der Gesamtgesellschaft in ihm und umgekehrt ohne Schielen aufs Vokabular einer irgendwie idealisierten (oder verteufelten) Aussenwelt. Beeindruckend, was für eine Spannung in der Enge der topologischen Immanenz erzeugt werden kann. Wie ein Putzmittel gegen Heimatverliebte allerorten.

Statt schwarz Bilder rot und blau

17. August 2018 um 10:19 Uhr von ur

Seit einem Update (Windows 10 oder Google Chrome…) sind gewisse Bilder im Browser Google Chrome in den dunklen Bereichen nicht einfach schwarz, sondern leuchtend rot und leuchtend blau:

In den anderen Browsern sind die Bilder okay, ebenso wenn man sie speichert und in einem anderen Programm betrachtet. Der Fehler liegt bei Google Chrome.

Abhilfe durch: Google Chrome Einstellungen / Erweiterte Einstellungen / System / Hardwarebeschleunigung aus. Das Bild wird normal wiedergegeben:

Bildquelle Zeitung Bund

Two Rich Asian Girls

16. August 2018 um 23:41 Uhr von ur

Es ist schwarze Nacht, ich schwimme in einem langsamen Fluss in einer Stadt wie Luzern, vor mir, nur wenig näher zum Ufer, zwei junge Asiatinnen in Panik. Ich treibe sie, als einzige hell im ganzen Dunkel, langsam ans Ufer, nach langer Zeit kann die erste von Leuten aufgefangen werden. Weitertreiben mit der zweiten in really dark night, der Fluss wirkt tief, nur ihr verschreckter, aber schöner Kopf hell. Endlich erscheint ein Steg zum Fluss heraus, an den wir herangespült werden. Leider schon Aufwachen…

Staud, Im Lichte II

9. August 2018 um 20:16 Uhr von ur

Soeben live auf WDR 3 von den Wittener Tage für Neue Musik, 28. April 2018:

Johannes Maria Staud, Im Lichte II für 2 Klaviere, GrauSchumacher Piano Duo.

Ich höre die Aufnahme jetzt zum zweiten Mal und bin wieder begeistert (letztes Mal, vor ca. drei Monaten zu faul zum Notieren…). Wie viel die blosse, scheinbar abstrakte Idee doch ausmacht, zwei Leute nicht als Duo spielen zu lassen, sondern quasi als Akteure an einem einzigen Instrument, das in Tat und Wahrheit aus zwei Klavieren besteht. Das Naheliegende wird gestrichen – das Duettieren – und was entsteht, ist trotz des Weglassens oder Vermeidens von Überkomplexität gar nicht so einfach zu beschreiben: destillierte Boulezsche Structures?

Zwei Artikel zum Morbus Ollier

22. Juli 2018 um 14:26 Uhr von ur

SUZAN H.M. VERDEGAAL, JUDITH V.M.G. BOVÉE, TWINKAL C. PANSURIYA, ROBERT J. GRIMER, HARZEM OZGER, PAUL C. JUTTE, MIKEL SAN JULIAN, DAVID J. BIAU, INGRID C.M. VAN DER GEEST, ANDREAS LEITHNER, ARNE STREITBÜRGER, FRANK M. KLENKE, FRANCOIS G. GOUIN, DOMENICO A. CAMPANACCI, PERRINE MAREC-BERARD, PANCRAS C.W. HOGENDOORN, RONALD BRAND, ANTONIE H.M. TAMINIAU
Incidence, Predictive Factors, and Prognosis of Chondrosarcoma in Patients with Ollier Disease and Maffucci Syndrome: An International, Multicenter Study of 161 Patients, The Oncologist 2011;16:1771–1779

G. W. HERGET, P. STROHM, C. ROTTENBURGER, U. KONTNY, T. KRAUSS, J. BOHM, N. SUDKAMP, M. UHL
Insights into Enchondroma, Enchondromatosis and the risk of secondary Chondrosarcoma. Review of the literature with an emphasis on the clinical behaviour, radiology, malignant transformation and the follow up, Neoplasma 61, 4, 2014

English: https://www.ueliraz.ch/fb-files/ollier-maffucci.htm

1 Chondrom, Enchondrom, Chondrosarkom

In der Diskussion über die Krankheit Ollier-Maffucci ist das Wort Chondrom nicht mehr in Gebrauch, in beiden oben genannten Artikeln erscheint es nur in zitierten Texten (Herget et al.) oder sogar nur im Titel erwähnter Arbeiten (in den sechziger Jahren kannte ich die Krankheit nicht als Enchondromatose, sondern nur als Chondromatose – oder dann als „Morbus Ollier“, wenn ich meinem Arzt zuhörte, während er beim Kürettieren=Ausschaben von Knorpeln in der rechten Hand seiner schönen Sekretärin über den Patienten hinweg diktierte, die ich zwecks Ablenkung die ganze Zeit im Auge haben durfte, ihr Blatt über den Augen am Türrahmen haltend, gleichzeitig so aufmunternd wie möglich zum Opfer herüberlächend). Der Begriff der Chondromatose bezieht sich jetzt, herausgelesen aus den zwei Artikeln, auf ein Phänomen ohne apriorische medizinische Bedeutung, weil es überall erscheinen kann und, wo es erscheint, kein tieferes Problem verursacht, zumindest kein Problem hinsichtlich Krebs. Gibt es ein Stück des Körpers als Chondrom, ist diese Knorpelpartie zwar übermässig gross (man kennt den Namen Überbein), aber das Chondrom umkreist den Knochen nur, bleibt an seiner Oberfläche und hält sich aussenrum still.

Die Vorsilbe En- des Wortes Enchondrom bedeutet, dass die kranken Teile von Knochen und Knorpel nicht nur den Knochen bedecken, sondern in ihn hineingehen, darin inselhaft existieren oder aus ihm herauskommen: anstatt neuen Knochen wachsen zu lassen, frisst der kranke Knorpel den Knochen und lässt sich selbst wachsen. (Wenn es möglich wird, pharmaindustriell Knorpel wachsen zu lassen, indem man den ihm innewohnenden Prozess, Knochenmaterial aus sich selbst entstehen zu lassen, ausschaltet, wird es möglich sein, diesen Trigger so zu isolieren, dass später der Prozess der Überproduktion von Knorpel bei Olliers gestoppt werden kann – klar, das ist keine Hilfe für junge PatientInnen, die sich einer Beinverlängerung unterziehen müssen, aber trotzdem ein mögliches Einfallstor zur Erforschung von Ollier-Maffucci.)

Wann immer ein Teil des Skeletts Enchondrom genannt wird, handelt es sich um keinen bösartigen Tumor. Aber ein Enchondrom kann zu einem bösartigen, malignen Tumor mutieren, degenerieren oder sich entdifferenzieren. Dann heisst es neu Chondrosarkom. Heute gibt es das Chondrosarkom in drei Abstufungen mit den Werten oder Entdifferenzierungsgraden 1, 2 und 3. Die Werte 2 und 3 sind gefährlich: die Chondrosarkome 2 und 3 sind beide bösartig und erzeugen Metastasen, Nummer 3 rabiat schneller als 2. Ein Chondrosarkom im Entdifferenzierungsgrad 1 ist genau das gleiche wie ein Enchondrom. Aber es ist ein wachsendes, raumforderndes und deswegen schmerzauslösendes Enchondrom, das unbehandelt sowohl innere Organteile wie auch die Körperoberfläche durchbrechen wird. – Es ist leicht einzusehen: Da die Enchondrome bei einem Kind mit Ollier-Krankheit parallel zum normalen biologischen Aufwachsen bis ins Erreichen des Erwachsenenalters sich ausdehnen, benötigen sie eine ständige und spezielle Überwachung. Ein junger Mensch mit Ollier (und sowieso mit dem Maffuccisyndrom) muss eine Art persönlichen Arzt haben, der oder die eine ständige Kontrolle organisiert, um rechtzeitig reagieren zu können, wenn ein Enchondrom schneller als normal wächst und zu einem Chondrosarkom mutiert. In globaler Hinsicht ist diese lebensgefährliche Schwachstelle im Gesundheitssystem alles andere als optimal organisiert. Die Krankheit Ollier-Maffucci ist im Gesundheitssystem falsch eingeordnet, wenn die PatientInnen selbst oder ihre Eltern einen kompetenten Arzt suchen müssen. (Ich kann nicht sagen, dass dieses Problem in der Schweiz oder in den deutschsprachigen Nachbarländern dringlich wäre: bis zum zwanzigsten Lebensjahr hatte ich mindestens einmal im Jahr meinen Arzt gesehen, und es gab ständige Bluttests – mit dem späteren Zugeständnis, dass es im Jahr 14 oder 16 eine akute Krise gegeben hätte. Ich kenne die Art der Testwerte nicht, aber der Arzt sagte mir, dass sie dreimal so hoch wie normal waren, über zwanzig statt unter sieben. – Gut möglich, dass das der Grund für das Fehlen einer deutschsprachigen Ollier-Gruppe ist, dass in den betreffenden Ländern Ollier-PatientInnen medizinisch sehr gut betreut werden, in Luzern bei Dr. med. Jost Zemp von 1962 bis 1984 und in der Berner Insel seit 2002 jedenfalls geradezu optimal.)

2 Malignitätsrisiko

Das Feld der Prognose bleibt bei Ollier PatientInnen in den Krankheitsakten leer. Trotzdem hat man ständig einen Sound wie in einem Bienenschwarm in den Ohren, wenn man wegen der Krankheit sich in Spitalbereichen aufhält. Das medizinische Personal steht wie unter Druck, Aussagen über die Zukunft eines Patienten machen zu müssen, als wäre das Fortune Telling ein Bestandteil der Therapie. Die Zahlen aber, die einem serviert werden sind durchs Band: Nonsens.

Der Text von Verdegaal et al. zeigt sich im Kleid einer statistischen Analyse, ist aber im ganzen eine Präsentation von Ereigniszahlen in Form statistischer Grafiken oder Tabellen. Das wäre legitim, wenn man die schlimmsten Peinlichkeiten wie eine Todesgrafik auf Grund einer Auswahl von Einzelfällen und die Angabe des statistischen Mittelwertes der Mutation bei Kindern und älteren Erwachsenen unterlassen hätte – solche Mutationen haben miteinander soviel zu tun wie der berühmte Vergleich von Äpfel und Birnen, wo ein Mittelwert auch nicht aus Orangen besteht.

Spricht man in der veralteten Sprache der Chondromatose, ist das Risiko der Mutation äusserst gering. Ärzte, die sich auf diesem Diskursniveau bewegen, sagen dann den Eltern von OllierpatientInnen, die Krankheit sei, abgesehen von Beinverlängerungen und Kürettierungen, absolut unproblematisch und der Alltag immer schmerzlos. Das ist eine medizinische Fahrlässigkeit. Denn in der Prognose der Malignität hat das Chondrom nichts zu suchen. Beschränkt man sich ordnungsgemäss auf die Enchondromatose, bleibt eine globale statistische Risikoanalyse auch weiterhin heikel, wenn die Daten über die Krankheitsfälle nicht endlich global gesammelt und publiziert werden können. Im Moment sehen die Zahlen düster aus. Bei 100% der Kinder, die mit Ollier und Ollier-Maffucci (bzw. den noch selteneren Spezialvarianten) diagnostiziert worden sind, ist die Möglichkeit nicht auszuschliessen, dass mindestens eines der Enchondrome zu einem Chondrosarkom mutiert. Wegen der Schwierigkeit, von aussen die Normalität des Wachstums zu bestimmen (sowohl visuell wie durch fahrendes Abtasten mit den äusseren Faustfingerknochen), benötigt jedes Kind ein Überwachungsprogramm, in dem es und seine Eltern gewiss sein dürfen, dass jede Anomalie ernst genommen wird. Eine Limite der Untersuchungswiederholungen ist nur durch die Festlegung der Obergrenze radiologischer und nuklearer Expositionen gerechtfertigt (teilweise ökonomisch, meistens aber durch medizinische Standards motiviert).

Auch bei mir sagte der Arzt Ende der sechziger Jahre: „Wenn du das 16. Lebensjahr ohne Mutation überlebst, wirst du bis zum 45. Lebensjahr mit der Krankheit nichts mehr zu schaffen haben.“ Allerdings vergass ich mit der Zeit, dass er hinzugefügt hatte, dann möglicherweise mit einem Tumor konfrontiert zu werden: als mit 44 Jahren die Schulter zu schmerzen begann, war ich überzeugt, ein Patient der Arthrose geworden zu sein… – Wie wir in der Gruppe erfahren haben, gibt es auch Patienten, die die Kindheit zwar mit diversen Operationen, aber doch ohne Verwandlung eines Enchondroms in ein Chondrosarkom überleben und schon vor 45 von einer Mutation angegriffen werden. Die alte statistische Prognose muss also revidiert werden: Nicht erst ab 40 oder 50 Jahren besteht ein erhöhtes Risiko der Entdifferenzierung eine Enchondroms, sondern immer auch schon früher. Auch wenn die Patientenüberwachung keineswegs so durchgängig sein muss wie während der Kinder- und Jugendzeit, benötigen Ollier PatientInnen die Möglichkeit, eine schmerzende Körperstelle – die sie vielleicht gar nicht als ein Enchondrom kennen – untersuchen zu lassen.

Soll man überhaupt noch von einer Risikogrösse sprechen, also von einem definierten Risiko? – Ja. Die Menschen können nicht anders übers Glück und übers Gelingen des Lebens sprechen als den Tot in den Blick nehmend, aber es muss so geschehen, dass er möglichst nur aus der Ferne herüberscheint. Jede Formulierung muss überlegt getätigt werden, und es muss im Auge behalten werden, wer zu wem spricht. Ein Kind und seine Eltern sind schnell verängstigt und empfinden die vom Arzt mitgeteilte Prognose als Bedrohung, dass die Todesgefahr jederzeit eintreten kann; umgekehrt soll es sie in ihrem Lebensalltag entlasten, wenn sie erfahren, dass alle Begegnungen nur gewöhnliche Kontrollen sind ohne Vermutung auf eine versteckte Gefahr. Dasselbe Problem bei erwachsenen Olliers: wenn ein Mensch zu verstehen bekommt, jederzeit sich melden zu dürfen, und wenn er auch weiss wo und bei wem, hat er ein anderes, vernünftigeres Bild von seiner Krankheit und auf sein Leben als wenn ihm in falschem Vertrauen auf herrschende wissenschaftliche Standards gesagt wird, nach statistischer Wahrscheinlichkeit würde bei ihm keine Mutation zu erwarten sein, weil an diesem Ort in diesem Zeitraum schon zu viele Mutationen geschehen seien, inklusive möglicherweise bei ihm selbst. Was der Arzt zum Patienten sagt, ist nicht Beiwerk und sind nicht schöne Worte, sondern gehört zu seinen Aufgaben und darf mit positivistischen, wissenschaftlichen Gehalten durchsetzt sein, hier also statistischen Werten; seine Aussagen dürfen aber den existentiellen Widerspruch nicht unterschlagen, dass der Patient und die Patientin gleichwie ihr familiäres Umfeld einerseits nicht zuviel emotionale Aufmerksamkeit und Energie der Krankheit widmen, andererseits aber das Vertrauen geniessen sollen, medizinisch niemals fallen gelassen zu werden. Nach der Erzählung der Eltern hatte der frisch niedergelassene Luzerner Chirurg 1962 bei meinem ersten Besuch keine Abschiedsworte über die Lippen gebracht; wir verliessen die neue Praxis mit dem Arzt gebeugt über die ersten Röntgenbilder und ein dickes Werk der Schulmedizin – er musste seine Sprache erst noch lernen, die wissenschaftliche, die medizinisch-therapeutische und die kommunikativ-beratende.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3248776/pdf/onc1771.pdf

http://www.elis.sk/download_file.php?product_id=3792&session_id=tfee54n5n30tnmauq3vdorsr34

ur I und III gratulieren ur II

15. Juli 2018 um 2:32 Uhr von ur

Herzliche Gratulation zum Sechzehnten! Mit den besten Dankesgrüssen an Ralph Hertel und Uli Seidel mit den Teams 2002 zuerst in der Insel, dann in Montana! Immer noch keine Selbstverständlichkeit…

Der Schultergürtel ist gut, der des Beckens morsch. Ich machte drei Monate Physio mit ständigen Aufs und Abs. Aber ich kenne nun einige praktikable Übungen, darunter auch eine Massage, die den Gluteus sofort beruhigt – wenn auch nur kurzzeitig. Eine richtige Bergtour habe ich dieses Jahr noch nicht gemacht, immerhin Streifzüge durchs unbekannte Berner Hinterland.

Ein Geschenk an ur II gibt es hier: https://www.ueliraz.ch/2018/ur-ii.htm

Adámek, SEVEN STONES

10. Juli 2018 um 19:33 Uhr von ur

Soeben direkt live auf France Musique concert au Théâtre du Jeu de Paume, Direction musicale Ondřej Adámek / Léo Warynski,Chœur accentus / axe 21.

Ondřej Adámek, Livret de Sjón, SEVEN STONES.

Adamek: der langweiligste und blödeste Musiker des bekannten Universums.