Naturlaut als Ware

28. Mai 2019 um 12:13 Uhr von ur

Man zeigt Eifer auf der Jagd gegen Copyrightverstösse bei Google und YouTube. Ich habe ein paare Videoversuche gemacht mit Vögeln, auch sehr früh am Morgen. Man hört fast nur die Zwitschermaschine der Natur, die anderen Lärminstanzen des Tages ruhen noch. Nichts am Ton wird in diesen Videos manipuliert, vielleicht mal eine Tonspur verdoppelt, eine rückwärts, eine langsamer, eine mit Echo gesetzt. Man glaubt es nicht, aber eines dieser Videos wird mit einem deutschen DJ in Verbindung gebracht. So wie es formuliert ist, hat nicht ein Algorhitmus ein Problem entdeckt, sondern ein Leibhaftiger Anzeige erstattet. Merde, wohin soll das führen? In jedem Winkel des Internets finde ich geklaute Materialien von mir, und einem Video mit reinen Naturlauten wird der Vorwurf erhoben, das Copyright eines kommerziellen „Kunstwerks“ verletzt zu haben. Tschiiissses!

Agata Zubel, Aphorisms on Milosz

22. Mai 2019 um 20:09 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique concert enregistré le 15 janvier 2019 à l’Auditorium Marcel Landowski du Conservatoire à Rayonnement Régional de Paris. Agata Zubel, soprano, Ensemble 2e2m, Pierre Roullier, direction.

Agata Zubel (née en 1978), Aphorisms on Milosz, pour soprano et ensemble (2011). – Endlich wieder einmal eine Musik, die einem wie in alten Zeiten nahelegt, es gebe immer noch Neues aufzuspüren.

Für die Bilder, gegen den Film

4. Mai 2019 um 17:12 Uhr von ur

Der allgegenwärtige Dunst durch die Feuchtigkeit in der Luft zwingt dazu, einen Ausweg aus dem Fotografieren zu suchen. GoPro ist eine gute Lösung: der hurtige Spaziergang verlangt keine detaillierte Landschaft. Beim Erproben kam ich auch auf den Geschmack, die Videomöglichkeiten der Olympus Kamera zu nutzen. Schliesslich nahm ich auch Videos aus dem Archiv hervor, die vor zwanzig Jahren hergestellt wurden. Nach einer gewissen Euphorie machte sich indes schnell eine Katerstimmung breit. Die Domäne des Films wird zu einem Platz, der Unwohlsein hervorruft. Natürlich sind meine eigenen Videos dilettantisch und schlecht. Aber die Wahrnehmung stützt sich auf die konsumierten Filme allgemein, die Masse der Videos auf Facebook, die Unmengen an klassischen Kinofilmen, die ich auf Youtube zu gaffen nachholte. Die Einsicht nun scheint mir eindeutig. Das Bild kommt nicht mit einem Versprechen auf einen los, sondern sagt als erstes distanziert: ich bin etwas Anderes. Willst du etwas in mir sehen, musst du dich anstrengen. In der Anstrengung, die dem Oberflächenreiz nachspürt und seinen Rand, das Allgemeine, sehnsüchtig beäugt, ist nicht nur Genuss, sondern entschlüsselt und öffnet auch sich erst das Bild. Umgekehrt die bewegte Bilderreihe, das Video, der Film. Der Film biedert sich an und sagt einem ständig, wie lebendig das Gezeigte ist. Er lässt einen kaum frei aus seinem Konkretismus und wird schnell persönlich, auf die aufdringliche Weise. Und er flüstert einem vom Lebendigen auch dann, wenn er Tote porträtiert. Mit ihm wird die Erinnerung schlecht, die das Allgemeine nötig hat. In ihm wird es mir schlecht. Der Film macht das Gezeigte schlecht. Man muss Filme machen wie Bilder, wenn man die Bilder über die Dunstkrise hinweg retten will.

Im Traum Schenkelklopfenlacher

24. März 2019 um 23:09 Uhr von ur

Zwist mit dem UBW auf dem Morgenspaziergang. Kein Mensch hätte ein so fieses Unbewusstes. Ich müsse mich ja schämen, würde mich am liebsten ein neues suchen. – Soeben im Schlaf mit drei Frauen in einer Kneippe, in eine verliebt, bisschen wie Hazel Brugger, von der ich frühabends den miserablen Film übers Scharfessen schaute (sie ist in gefährlich dämliche Kreise abgerutscht). Wir diskutierten ein gewöhnliches Problem. Ich sagte der erwähnten, ich könne sie doch in ihrer Wohnung besuchen, sie würde an einem Tisch sitzen wie in einem Kassenhäuschen und ich würde ihr sagen: „Ich muss heute 14 Franken 50 bezahlen.“ Ich würde ihr das Geld aber nicht ausbezahlen. Dann lautes, übertriebenes Lachen, von mir ausgehend, die drei Frauen einschliessend, dann in der ganzen Kneippe.

Mit dem Zauberstab gegen frühalte Muskeln

15. März 2019 um 15:02 Uhr von ur

Wer schon mit 60 wie ein Achtzigjähriger durch die Lande schlurft, weil ein Beckenteil keine weiten und schnellen Schritte mehr erlaubt, tut gut daran, keine Strohhalme zu verschmähen, die einen aus diesem Zustand herauszuführen versprechen. Wenigstens dann, wenn abgeklärt worden ist, dass keine Gelenksarthrose und auch kein böses Ungewächs die Behinderung auslöst, sollte man sich so schnell und entschieden wie möglich daran machen, mit zusätzlichen, von aussen herangetragenen Bewegungsvorgängen die blockierte Bewegung vor dem absoluten Zerfall zu schützen und wieder in Schwung zu bringen. Immerhin zwanzig Jahre sind einem in diesem Fall versprochen, die sich von einer besseren Seite zeigen könnten als man zurzeit befürchtet.

Hier eine Serie von Übungen und Utensilien, die einer teils schon lange, teils erst vor kurzem praktiziert und einsetzt. Ein Jungbrunnen wird nicht versprochen. Aber ein andauernder Aufschub von zwanzig Jahren im Blick ist immer noch besser als ein mürrisches, dunkles Nichts vor Augen im Mastkorb eines dümpelnden Living Wracks.

https://ueliraz.ch/musculus-gluteus.pdf

Zusatz 25. 3. 2019: Eine der mehreren Stellen, die in der Gegend der Hüfte schmerzen, befindet sich auf der Innenseite des Oberschenkels weit oben und heisst Pectineus. Das Malheur hier ist rechts, und die Stretchübung dagegen geht wie folgt: sehr breitbeinig dastehen, rechtes Bein bleibt gestreckt, den Körper nach links biegen und das linke Bein knicken.

Zusatz 28. 3. 2019: Soeben neue Übung entdeckt, Variante von „Kapitän Sandmeier“ (in der Übungssammlung Nr. 5). Der Stuhl ist 45 cm hoch. Wenn ich ihn mit dem linken Fuss besteige, funktioniert das Vorgehen problemlos, ohne Schwanken oder Unsicherheit. Mit dem rechten Fuss sticht ein Schmerz im Innern des Hüftgelenks, das Bein wackelt regelrecht, das Knie kippt nach innen. Um nicht abzustürzen, halte ich mich sofort ganz oben an der Kante der linken Vitrine. Wenn ich beim Aufsteigen mit der rechten Hand vom Knie bis über die Hüfte herauf ziehe, geht es besser … stetig besser. Nach fünf bis sieben Male wird die Übung leichter und fast schmerzlos.

Zusatz 15. 4. 2019: Gestern neue Übung entdeckt, Variante von „Dumeng Giovanoli“. Es gibt nicht nur die Hocke beim Skifahren, sondern auch eine der Ruhelage, das geduldige Sitzen der Indianer beim Beobachten. „Intschu tschuna“ sollte man beliebig lang machen können, auf den Zehen beider Füsse oder auch nur des einen (ideal wäre allerdings, nicht auf den Zehen sondern auf den flachen Fusssohlen zu ruhen). In dieser Hocke geht man extrem tief und spreizt die Knie. Die Auswirkung aufs Hüftgelenk ist phantastisch. Ohne Kleider gelingt mir das Ruhen auf den flachen Fusssohlen gut; nach einer Minute entstehen Signale, dass das rechte Hüftgelenk ausrenken könnte.

Hans Zender, Winterreise

9. März 2019 um 5:56 Uhr von ur

Gestern Abend direkt live auf WDR 3 aus Köln Daniel Behle, Tenor, WDR Sinfonieorchester, Leitung: Brad Lubman.

Hans Zender, Schuberts Winterreise – eine komponierte Interpretation (1993).

Ein poetischer Hochgenuss!

Berio, Chauris, Sauders, Gagneux, Rihm

27. Februar 2019 um 21:13 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique Concert donné le 14 février 2019 au Studio 104 de la Maison de la Radio dans la cadre du Festival Présences 2019 : Wolfgang Rihm, un portrait, avec Nicolas Hodges, Piano.

Luciano Berio (1925 – 2003), Sequenza IV . – Musik von zuhause, als die Welt noch weniger fremd erschien.

Yves Chauris (1980-), Circonstances de la nuit (Sonate n°2). – Antirhythmische, umso poetischere Repetitionen mit viel Luft, scharfen Akzenten und wundersamen Aufpfropfungen.

Rebecca Saunders (1967 – ), Crimson. – Schon Besseres gehört von ihr, kaum eine Kraft sichtbar, die sich entfalten möchte.

Renaud Gagneux, Six Haikus de Issa (1 Temple de montagne Un son de cloche venu Du fond de la neige ! 2 Calmes, calmes Les nuages de l’été Au fond du grand Lac… 3 Avec le plectre Du shamisen, je ramasse Les perles de grêle éparses. 4 Elle est la première A pénétrer dans le sanctuaire L’hirondelle ! 5 Le cheval roux D’un coup de gueule, chasse en soufflant la luciole. 6 Imperturbable Elle regarde la montagne La grenouille.). – Kindisch, senil, ärgerlich.

Wolfgang Rihm (1952 – ), Zwei Linien [ Composé pour Nicolas Hodges]. – Kann man mit tonalen Materialien, hier ausgeliehen bei Bach, seriell komponieren? Nein.

Diana Soh

21. Februar 2019 um 4:23 Uhr von ur

Gestern Abend live auf France Musique concert donné le 13 février 2019 dans le cadre du Festival Présences 2019 : Wolfgang Rihm, un portrait.

Dabei eine Komponistin kennengelernt, die man besser nicht aus den Augen lässt: Diana Soh. Insbesondere das nachstehende Stück ist sehr gut angekommen, in der Pause gesendet.

Diana Soh, Arboretum : of myth and trees. Elise Chauvin, soprano, Ensemble Court-Circuit, Enr. 19 juin 2013 (Ircam, festival Manifeste), Document privé.

Ctrl z bei Wacom und Photoshop CC 2019

15. Februar 2019 um 11:09 Uhr von ur

Die Undo-Tastenkombination ctrl z wurde im neuen Photoshop stillschweigend abgeändert: statt nur einen Schritt zurückzugehen und beim zweiten Betätigen wieder den vorherigen Zustand wiederherzustellen, geht die Funktion kontinuierlich im Protokoll rückwärts. Das alleine könnte einem schon zum Problem werden. Wer aber mit einem Wacom Tablet zeichnet, hat wohl immer eine Taste mit ctrl z belegt. Bis anhin führte ein Tastendruck beliebig weit zurück: mit der einen Hand zeichnete man, mit der anderen korrigierte man unaufhörlich, so weit im Zeichnungsprozess zurückgehend wie nötig. Und neuerdings? Der Tastendruck geht exakt einen Schritt zurück – der erneute Tastendruck bewirkt eine Wiederherstellung… Was für ein Blödsinn!

Die Lösung ist einfach. Photoshop/Bearbeiten/Tastatur/Bearbeiten. Hier den Haken setzen für die alte Funktionsweise von ctrl z.

György Kurtág, Endspiel – 3. Hören

7. Februar 2019 um 5:12 Uhr von ur

Gestern Abend live auf France Musique Uraufführung vom 15. November 2018 in der Mailänder Scala mit Hamm: Frode Olsen, Clov: Leigh Melrose, Nell: Hilary Summers, Nagg: Leonardo Cortellazzi, Chor und Orchester der Mailänder Scala, Leitung: Markus Stenz.

György Kurtág: „Fin de partie“ (Endspiel), Oper in einem Akt nach Samuel Beckett

Beim dritten Mal Hören im Zeitraum von zwei Monaten erscheint mir das ganze Stück vorbehaltlos als Meisterwerk. Es lohnt sich wohl immer, ein Werk schon gut in den Ohren zu haben, wenn man in ihm Entdeckungen machen will – und dieses Hören bestand aus einem Fluss ununterbrochener, begeisternder Entdeckungen. Denn die löcherigen, zerfallenen Partien – und es gibt nur solche – werden im quasi informierten, vorgespurten Hören gehaltvoll, plastisch und diskursiv wie die alten Körperpartien, die kraftlos die Bewegungen aufhalten, durch geduldige Physiotherapien wiedererstarken. Ich vertraue endlich der Kurtágschen Konstruktion und darauf, dass sie das im Zerfall Erscheinende in einem virtuosen Band zusammenhält, souverän, nicht nur sporadisch. Ich habe lange gebraucht, um die ästhetische Intention im Trümmerhaufen wahrzunehmen – rekonstruierend verstehen tue ich sie noch nicht – dass das Neue dann zu packen wäre, wenn das Herkömmliche nicht nach einem Prozess des Zerfalls, sondern im Prozess selbst aufgegriffen wird. Erst jetzt will mir das Progressive in Kurtágs Musik wie Schuppen von den Augen fallen.

Soh, Davies, Kjelstrup Ratkje, Mochizuki, Šenk, Morciano

23. Januar 2019 um 21:10 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique concert donné le 14 décembre 2018 à l’Amphithéâtre de la Cité de la musique à Paris, avec des solistes de l’Ensemble intercontemporain: Alain Billard, clarinette, Philippe Grauvogel, hautbois, cor anglais, Hae-Sun Kang, violon, Emmanuelle Ophèle, flûte, piccolo, Pierre Strauch, violoncelle, Sébastien Vichard, piano, José Miguel Fernandez, Diana Soh, réalisation informatique musicale Ircam.

Diana Soh (1984-), [p][k][t] pour piccolo et électronique.

Tansy Davies (1973-), Arabescos, pour hautbois et piano.

Maja Solveig Kjelstrup Ratkje (1973-), Breaking the News, pour flûte, piano et violoncelle.

Misato Mochizuki, Au bleu bois, pour hautbois solo.

Nina Senk (1982-), Movimento fluido III, pour flûte, cor anglais, clarinette et piano.

Lara Morciano (1968-), Raggi di stringhe, pour violon et électronique.

Sechs starke Stücke. Ein Bestes? Zwei: [p][k][t] und Raggi di stringhe.

ur I und II gratulieren ur III

11. Januar 2019 um 4:28 Uhr von ur

Viel Glück zum sechsten Geburtstag, mit den besten Dankeswünschen an die Teams von Matthias Zumstein und Charles Dumont an der Insel 2013! – Die Schulter ist gut, die rechte Beckenregion nur dann, wenn knapp zuvor 15 Minuten Booty Training und Massage gemacht wurden.

Alexander Raskatov, GerMANIA

2. Januar 2019 um 21:46 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique Oper vom 19. Mai 2018 à l’Opéra de Lyon. Sophie Desmars, Elena Vassilieva, Mairam Sokolova, Andrew Watts, Karl Laquit, James Kryshak, Alexandre Pradier, Michael Gniffke, Boram Kim, Ville Rusanen, Piotr Micinski, Timothy Murphy, Gennady Bezzubenkov, Gaetan Guilmin, Didier Roussel, Brian Bruce, Chœurs et Orchestre de l’Opéra de Lyon, Alejo Pérez, direction.

Alexander Raskatov (né en 1953), GerMANIA.

Eine opulente Grossoper, sehr gut gespielt und gesungen. Das Ganze, das zwei Totalitarismen umfasst, beeindruckt. Aber es vergnügt im Hören, statt zu berühren. Denn die Musiksprache ist zwar vielschichtig und auftürmend, aber doch nur wenig avanciert, hinter Ligetis Grand Macabre zurückfallend. Wenn das Stück an den richtigen Orten aufgeführt wird, ist es zugänglich allerdings für ein grosses Publikum.

Zusatz anderntags: Wenn es stimmt, dass heutige Jugendliche Mühe zeigen, ein angemessenes Verhältnis zum Grauen des Faschismus an den Tag zu legen, sollte man die These ins Spiel bringen, dass jede überlebte gesellschaftliche Notwendigkeit zum ästhetischen Gegenstand wird und eher auf dem Feld der Ästhetik als dem der empirischen Wirklichkeit – der analytischen Historie – kritisch wiederangeeignet wird. GerMANIA könnte so als pädagogisches Stück in den mittleren Schulen gezeigt und so diskutiert werden, dass auch andere künstlerische oder kulturindustrielle Produkte, die den Faschismus des 20. Jahrhunderts zum Gegenstand haben, damit verglichen werden, der Fernsefilm Berlin Babylon bzw. als Hörspiel Der nasse Fisch beispielsweise.

Ezra Pound, Cantos

1. Januar 2019 um 19:51 Uhr von ur

Soeben auf SWR 2 Cantos, Hörspiel von Christian Bertram. Nach den Cantos von Ezra Pound. Aus dem Amerikanischen von Eva Hesse, Manfred Pfister, Rainer G. Schmidt. Mit: Michael Rotschopf, Jürgen Holtz, Friedhelm Ptok, Imogen Kogge, Patrick Güldenberg, Christopher Nell, Lisa Hrdina, Elena Schmidt u. a. Musik: Gebrüder Teichmann, Hörspielbearbeitung und Regie: Christian Bertram

Vor 40 Jahren ab und zu einige Cantos auf dem Lesetisch, laut gelesen, kaum etwas verstanden – aber die üppige Form bewundert. Immerhin wandte er sich gegen die Waffenproduktion. „Mensch sein, nicht Zerstörer.“

Glutenvergessen den Gluteus im Aug

31. Dezember 2018 um 16:32 Uhr von ur

Der Musculus Gluteus macht den Jungfrauen und den alten Männern gleichermassen Kopfzerbrechen. Man & frau sucht nach Übungen, die ihn stärken, damit er einerseits dem Gefallen aller Augen, andererseits dem weiten und schnellen Schritt besser diene. Vor über einem Jahr begann der rechte, mir übel mitzuspielen. Ab April 2018 wurde ein dreimonatiges Programm der Physiotherapie absolviert, in dem diverse Übungen gute Ziele erreichten. Obwohl alle Stretchübungen auch nach diesen drei Monaten täglich weitergeführt wurden, nahm ihre Wirkung stetig ab; von einer Nachhaltigkeit konnte von Anfang an nicht die Rede sein. Das einzige, was klar wurde, ist der Auslöser, der sich aber nicht füglich umgehen lässt: das Sitzen. Nach einem erfolgreichen einstündigen Spaziergang musste jeweils für zehn Minuten Zug und Tram gefahren werden. Die ersten fünfzig Schritte nach dem Verlassen dieser Fahrzeuge wurden ausnahmslos zur Qual (Arthrose im Gelenk gibt es keine, aber ein zweimal in der Frühkindheit gehakter Beckenkamm mit unruhiger Knochen- und Knorpelsubstanz im ganzen umliegenden Raum). Erst beim Güxlen in die Boudoirs der Jungfrauenübungen, ausgelöst durch einen Blogartikel im Tagesanzeiger, fand ich eine Übung, deren Resultat begeistert. Pamela ist die bewundernswerte Youtube-Lehrerin fürs Booty-Training (eigentlich hätte mich Father Zappa schon auf die Spur bringen können, mit Sheik Yerbouty, aber ich stolperte über meine Ignoranz). Da ich nicht so gebaut bin wie sie selbst und ihre Elèven, musste ich die einzige Übung, die in Frage kommt, leicht abändern. Entstanden ist „Rechtes Schaufelrad eines Dampfers auf dem Vierwaldstättersee unter dem Kommando des alten, einbeinigen Kapitäns Sandmeier“: Linkes Bein vorne, aufs rechte Knie gehen, den rechten Fuss ausstrecken (Fusssohle schaut nach oben). Auf beide Knie gehen. Rechten Fuss nach vorne ziehen. Auf rechtem Bein aufstehen. – Eine Gluteusübung ist dann erfolgreich, wenn im Anschluss an sie selbst das Hochziehen des Knies zum Kinn nicht mehr schmerzt (ich habe mir sagen lassen, das sei die Fussballerübung vor der Profischlacht). Leider führt selbst Pamelas Geniestreich nur halb zu diesem Ziel; auch nach dem Schaufelrad bedarf es anderer Übungen, inklusive der Massage vom Knie über den Schenkelhalskopf bis zum Rücken (Massagen haben bekanntlich nicht die geringste Langzeitwirkung und müssen komplett durch Stretching ersetzt werden, wenn ernsthafte Schmerzen vertrieben werden sollen). Endlich stellte sich die Lösung ein, die Übung mit dem Titel „Dumeng Giovanoli“: Ohne Schuhe in die Hocke gehen und das Lauberhorn bis nach Wengen runtuntersausen. Siehe da: nach dieser Übung lässt sich auch das Knie des Beines mit dem deformierten Becken wieder bis unters Kinn reissen (nicht viel mehr als zehnmal, aber immerhin ohne Massagezusatz). Man darf wieder darauf hoffen, das man als früher Sechziger nicht definitiv wie ein später Achtziger herumschlurfen muss.

György Kurtág, Endspiel

9. Dezember 2018 um 22:33 Uhr von ur

Soeben live auf SWR 2 Uraufführung vom 15. November 2018 in der Mailänder Scala mit Hamm: Frode Olsen, Clov: Leigh Melrose, Nell: Hilary Summers, Nagg: Leonardo Cortellazzi, Chor und Orchester der Mailänder Scala, Leitung: Markus Stenz.

György Kurtág: „Fin de partie“ (Endspiel), Oper in einem Akt nach Samuel Beckett

Zweifellos eine der besten Opern überhaupt – in ausgefeilter Tonsprache.

Zusatz: Ein zweites Hören derselben Aufnahme eine Woche später, gestern Abend 16. 12. 2018 auf WDR 3. Kurtágs Musik versteckt allgemein das Progressive – also den den künstlerischen Drang zu einem Neuen – wie in einem Vexierbild. Beim zweiten Hören dominierten die konservativen kompositorischen Momente, und was mich beim ersten Hören faszinierte, erschien fast nur im zweiten Teil. Ein herausragendes Werk nichtsdestotrotz!

Heinz Holliger, Lunea

29. November 2018 um 4:31 Uhr von ur

Gestern Abend live auf SRF 2 Aufnahmen vom 18./23./25.03.18, Opernhaus Zürich, Christian Gerhaher Lenau, Juliane Banse Sophie von Löwenthal, Sarah Maria Sun Marie Behrends / Karoline Unger, Ivan Ludlow Anton Schurz, Annette Schönmüller Therese Schurz, Philharmonia Zürich, Basler Madrigalisten, Heinz Holliger, Leitung.

Heinz Holliger, Lunea, Lenau-Szenen in 23 Lebensblättern, Libretto von Händl Klaus (2018, UA).

Zwei Reisestunden von hier verbrachte ich gestern dieselbe Zeit, der auch die Oper folgt, in einem Raum, in dem sich eine unbekannte Sterbende befand, wo ich selbst aber zu sprechen hatte – notgedrungen zu laut. Von dieser falschen Befindlichkeit verkörpert das Werk Momente, zuweilen naturalistisch den Bogen so weit überspannend, dass ich beim Zuhören in einen Alptraum verfiel, der mit der Musik harmonierte, ja aus ihr erwachsen schien. Auch ohne dem Text wörtlich zu folgen, erzeugt die Musik eine Atmosphäre, zu der man als Lebender vielleicht lieber auf Distanz geht.

MacMillan, Concerto pour trombone

27. November 2018 um 21:09 Uhr von ur

Soeben direkt live auf France Musique Concert donné en direct du Victoria Hall de Genève dans le cadre de la semaine anniversaire des 100 ans de l’Orchestre de la Suisse Romande, Jörgen van Rijen, trombone, Orchestre de la Suisse Romande, Jonathan Nott, dir.

James MacMillan, Concerto pour trombone et orchestre.

Warum komponiert Mac Millan einen solch reaktionären Kabis und setzt seine Fähigkeiten nicht für das ein, was nottut, für eine aufklärerische Ästhetik? Eine Verschleuderung von Talenten, die ihm zweifellos gegeben sind, eine Verführung wie vom Teufel.

Bruno Mantovani, Waiting

10. November 2018 um 20:50 Uhr von ur

Soeben live auf France Musique concert donné le 8 septembre 2018 à l’Orangerie de Bagatelle à Paris. François Chaplin, Piano, Romain Guyot, Clarinette.

Bruno Mantovani (1974 – ), Waiting (CM).

Ein Wurf, das Stück, ohne Zaudern vorwärts treibend! Ja, das mögen wir, das schöne Unbekannte, auch wenn wir nur noch wenige sind.

Transzendentale Digitalwelt, ersehnt

30. Oktober 2018 um 10:19 Uhr von ur

Unsere Zeit hat etwas von derjenigen in der Geschichte der Philosophie, die Kant vorausgeht. Sie ähnelt dem absoluten Rationalismus. Wie in diesem alles, was sich in sprachlicher Form denken lässt, auch ernstzunehmender, begrifflicher Bestandteil eines Argumentationszusammenhangs und also tel quel Moment der Theorie ist, befeuert jedes Statement heute – selbst der allerschlimmsten Dummköpfe – die öffentlichen, politischen Diskurse, letztlich die Art und Weise jedes sprachlich verfassten Artikels; die Entäusserungen der Wirren sind materieller Bestandteil des globalisierten Alltags. Kants Kritik oder Reduktion des Rationalismus fragt nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis- oder Theoriemomente und wie dieselben auch zur Voraussetzung ihrer Wirklichkeit gehören. Wir sehnen uns vergeblich heute nach solchen transzendentalen Wegweisern und phantasieren sie uns am liebsten allsogleich materiell eingepflockt in die digitalen Kommunikationswelten. Wir scheitern und werden uns weiterhin gegen die Windmühlen in schlechten Lüften wehren müssen.