Keine Heimatdichtung im Hinterland


Wer vom Simeliberg redet, darf von Hinterfultiger Bildern nicht schweigen: hinter dem Guggershörnli Vrenelis Guggisberg, vorne irgendwo Simes Hansis Loch, rechts ausserhalb Schwarzenburg, hinter dem Rücken in einer Autostunde Bern.

Gestern Abend auf SWR 2 das Hörspiel Simeliberg von Michael Fehr (Produktion: BR/RB 2018), dem Äusseren nach seit vorgestern gerade noch einmal eines aus der Welt der Heimatdichtung. Die Musik des Hörspiels (SCHNEIDER TM = Dirk Dresselhaus / Gesang: MUTTIS KINDER = Claudia Graue, Marcus Melzwig, Christopher Nell) besteht aus Varianten des Liedes „s’Vreneli ab em Guggisberg“. Das Dorf hinter dem Guggershörnli leiht seinen Namen noch heute vielen BewohnerInnen des Berner Hinterlandes (deutsche Rezensenten verwechseln topologisch gerne Guggisberg und Bern, die beide im Stück namenlos vorkommen, in ihren Distanzen aber klar erkennbar bleiben). Das Lied selbst ist eines, das den langen Weg aus der alten Geschichte bis in die Popmusik hat gehen können – mit Fug der Inbegriff von Heimat. Trotzdem ist das Stück gänzlich anders als das vorgestrige aus dem Südtirol von Platzgumer. Erscheint Heimat beim Österreicher als Klotz im Hals, so beim Berner Autor als gewöhnliche, leicht abseitige Landschaft, in der ein marktgerechter Krimi auf sprachlich unkonventionelle, die Spannung steigernde Art geboten wird. Man folgt den Figuren hier gelöster als in der effektiven Heimatdichtung, die einem den Klotz schonungslos so transferiert, wie man ihn sich ablehnend in Bezug auf Forderungen nach Heimatgefühlen auch vorstellt. Fehrs Stück bleibt durchs Band leicht. Die Gewalttaten sind zwar nicht weniger schockierend als bei Dürrenmatt, wo schon mal einer ohne Narkose den Hals aufgeschlitzt bekommt, um überleben zu können. Fehr führt diese Tradition weiter. Sie gehört aber nicht in ein Altes, sondern zu uns, wo mit der Landschaft und der Sprache mehr als bei Dürrenmatt gespielt wird, um sie des weiteren ruhen zu lassen.

Montag, 20. August 2018 um 6:24 am Themenbereich: Musik                 RSS 2.0 Both comments and pings are currently closed.

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