Archiv für den 'Kleine Medizin'-Themenbereich

In Stein gemeisselt

Dienstag, 5. März 2013

Wie in Stein gemeisselt erscheint einem der Leib, von dem unverschämt man wie der Fünfjährige Weihnachten nicht erwarten kann erhoffte, er würde aus einem alten Gips, der, wohl wahr, einst und auf längere Zeit hin gute Dienste leistete, befreit werden – und dies am abgemachten Tag nicht wird. Merde again, die Knochenenden wachsen nicht zusammen, der Beckenknochen mit der Fibula unten, mit dem Schulterblatt oben. Für vier Wochen sind die guten Phantasien wie auf Nebelbänke abgeschoben; aus ihnen wird knapp weniger als nichts. Die Zeit scheint nun & nur zu nutzen da, um ungedachte in die Welt zu setzen. So geht die Wahrheit weiter wie sich die Grenzen der Hölle weitern.

Dekonstruktion 2012-2013

Freitag, 7. Dezember 2012

Am 11. Januar 2013 wird der grosse Marterpfahl paratgestellt und das grosse Kino aufgezogen, das den Malignen vorbehalten ist. Wie seit jeher im Kino, werde ich ein Nickerchen machen. Wäre Bianca nachher wieder im Aufwachraum, würde ich mich freuen und in kürzester Zeit wieder gesunden – aber auch mit jedem anderen Mädchen, das nur scheint, ein Engel zu sein. Zu hoffen ist, dass die beiden Maîtres Medicins Zurückhaltung üben und bei Schwierigkeiten nicht dem Wahn des ganz grossen Kinos verfallen. Zwischen dem grossen und ganz grossen liegt die Nuance im Programmvokabular, die über Sein oder Nichtsein entscheidet; von der dekonstruktiven Absicht bliebe nur die reine Destruktion, ohne explizit versprochene Rekonstruktion.

Wenn Leben heisst, ob den täglichen Signalen des Hau ab! nicht die Nerven zu verlieren, erfährt es am Marterpfahl seine höchste Verdichtung, wo jede Regung der Akteure dadurch zur bewunderungswürdigen wird, dass durch sie auch nicht ein einziger Nerv verloren geht, geschweige denn die Arterie. Die Situation ist nicht nur durch Ängste geprägt, denen durch die Benennung und Beschwörung begegnet wird wie Don Quijote den Windmühlen, sondern auch durch Hoffnungen. Nicht die letzte scheint mir, dass dem mehr Leben zustehen als der gewöhnlichen Hauskatze, der den Tigersprung täglich übte.

Eines ist es, die Gehalte der Ängste mimetisch vorauszuleben. Ein Anderes, denen des gewöhnlichen Horrortrips zu begegnen. Vor zehn Jahren hatte ich es, allerdings erst nach mehr als einer Woche, zu einer gewissen Virtuosität gebracht. Man male sich, trotz lädierter Geistesverfassung, eine Szene mit Handlungscharakter aus so lange wie es eben geht, beim nächsten Einschlafen, und es gibt tausende pro Tag und Nacht, wird der Trip genau das Phantasierte wiederholen und es dann verdoppeln. Erst nach dieser Verdoppelung, die ungeahnt Schönes und Interessantes als Kino präsentiert, zerfällt der Traum in die Welt der Monster von Hieronymus Bosch. Man kann auch abstrakt, wenn man bei Kräften ist, theoretische Fragen exponieren – vor zehn Jahren hatte ich nicht selten Freude über die Ergebnisse, die Weiteres zutage fördern müssen als die Wiederholung der Frage.

In Momenten schwieriger Empfindungen werde ich an das Buch von Walter Freudmann denken: Tschi-Lai! – Erhebet Euch! – Erlebnisse eines Arztes in China und Burma 1939-45, Linz 1947, Neuauflage o.O., o.J. (Wien 2008) – er ist einer der Brüder der Frau, deren Fluchtweg August-September 1942 von Samoëns über den Col de Bretolet und den Col de Cou via Barme, Dent de Valerette und St-Maurice nach Lausanne ich dieses Jahr zu rekonstruieren mithalf. Der Spanienkämpfer Freudmann ging mit einer Gruppe anderer Ärzte als Freiwilliger nach China, wo er ungewohnte Einblicke in das durch Korruption stillgelegte Lazarett-Unleben des chinesischen Roten Kreuzes und seiner untersten, schutzlosesten Kämpfer erfährt, die nur aus Zufall nicht bei Mao sondern Tschiang Kai Schek gegen die Japaner ohne jede Hoffnung zu agitieren hatten. Das Buch zeigt einem heute vielleicht wie in einer Soziopsie, warum ein grosser Teil der chinesischen Bevölkerung lieber das Negative der Partei in Kauf nimmt als von vorsozialistischen Verhältnissen positiv zu träumen.

Nach ungefähr zwei Wochen in der Insel geht es zu einer der Auferstehungsstätten Heiligenschwendi, Gunten oder Montana (die Bernerklinik in Montana habe ich in äusserst guter Erinnerung, für Besuche aus der Innerschweiz ist sie jetzt aber entschieden zu weit entfernt). Die Dauer des Aufenthaltes an einem solchen Ort ist beschränkt sowohl positiv durch den Heilungszustand wie auch die Regelung der Krankenkasse. – Vorgesehen ist, nach dieser Zeit des Umsorgtseins das Leben am Indermühleweg wieder aufzunehmen, mit den vielen Helferinnen der Spitex, von denen ich einige, für die medizinische Versorgung Zuständige, in der Woche nach der Biopsie schon kennenlernen durfte.

Gut, dass ich die zwei Dantes jetzt schon habe und die grosszügige Vorbereitungszeit sich an konkreten Phantasien und Fragestellung ausrichten kann.

In preparation: die Ahnen helfen

Mittwoch, 5. Dezember 2012

Ein Handwerksutensil wird für eine anstehende Zweckentfremdung bearbeitete. Den Schraubstock erbte ich vom Basler Grossvater, wohl gut hundertjährig, den Stuhl als Werkbank vom Walliser Grossvater, nur wenig jünger, mit der Säge fällte ich schon fast ganze Tannen für die Vogelfotografie, brüllend, klar..

Devise Dantes

Freitag, 30. November 2012

Der Biopsiebericht ist eingetroffen, wenn auch nach drei Wochen immer noch nicht ganz definitiv: Grad 1.

Hatte ich nicht vor dem grossen Tor des Jahres ein Dantebild übersehen, weil ich die Kraft seiner Allgemeinheit unterschätzte und die Seele als Floss-Segel partout nicht als gültig auch in der Gletscherlyrik begreifen wollte? Merda!

Bei diesem Abkratzen dünkt mich einiges schief gehen zu wollen, und doch freut mich gerade dieses: jede Möglichkeit des Scheiterns ist als Hoffnungszeichen zu nehmen.

(1/1250 s, F 7.1, zwei externe Blitze FFP)

Vipern

Mittwoch, 10. Oktober 2012

Gestern Nachmittag mit dem Inselarzt am Computer Szintigrafie- und CT-Bilder von 2002, 2006 und von diesen Tagen angeschaut und darüber gestaunt, wie viele Nester von Chondromen es gibt. Eines steht fest, dass von allen diesen nur das eine im linken Acromion wächst und dass die Verwachsung vom Schulterblatt nicht getrennt ist (im gesunden Zustand ist das Acromion zwar mit dem Schlüsselbein verbunden, pseudogelenksmässig, nicht aber mit dem Schulterblatt). Ob das Wachstum ungebremst weiter geht und ob das Gebilde bereits mutiert ist oder früher oder später mutiert, wird erst noch untersucht. Wie auch immer der Zustand in dieser Nachäffung von Tschernobyl und Fukushima zu deuten ist – die vergangene Nacht hatte ich ununterbrochen von Vipern geträumt, auf eine so bösartige Weise, wie man sie sich nicht zu träumen wagt. Beim letzten Aufwachen schien mir endlich klar, dass ich die ganzen Jahre die Vipern nicht aus dem Grunde der Herausforderung eines kleinen Abenteuers fotografierte, sondern aus verborgenen Gründen der reinen Mimesis des eigenen Körpers selbst, in alter Sprache des Leibes. Im Moment des Aufwachens tat mir dieser Missbrauch der Tiere leid.

Laktose, Fruktose, Gluten

Mittwoch, 5. September 2012

Vor einer Woche passierte eine zwölfstündige Bauchattacke mit dem bösen Gefühl, als wäre ein Tumor in der Bauchspeicheldrüse oder sonstwo freistehend in der Magengegend – heute geniesse ich ein Lebensgefühl mit einer Verdauung, die nicht besser sein könnte.

Dass ich Laktose, also Milchzucker nicht vertrage, habe ich spätestens im März 2009 kapiert, und dass mein Magen-Darm-System gleichwie den Fruchtzucker nicht zu verarbeiten vermag im Herbst desselben Jahres (vgl. Blogeintrag 28. 7. 2010). Seither ist es nur in Ausnahmefällen zu Bauchattacken gekommen, sei es durch Unvorsichtigkeit, sei es durch eine oder mehrere Substanzen, deren Schädlichkeit für mich noch nicht bekannt wären. Spätestens seit drei Wochen ist es aber mehrmals zu kolikartigen Ereignissen im Oberbauch gekommen, in deren Verlauf heftige Kotzanfälle geschahen, ohne dass dazu sich das typische Unwohlsein eingefunden hätte. Vor einer Woche waren die Bauchschmerzen so gross und so lange andauernd, von abends sechs bis morgens sechs Uhr, dass alles noch so wohlwollende Deuten auf eine geschundene Bauchspeicheldrüse hinauslief. Einen letzten Strohhalm fand ich unter den vielen nützlichen Internetdiagnosehilfen, dass die Glutenunverträglichkeit zumindest sehr ähnliche Symptome wie eine geschädigte Pankreasdrüse zeigen würde. Sofort also wird der Entschluss gefasst, alle glutenhaltigen Esswaren auszukundschaften, um sie künftig möglichst ausnahmslos beim Essen links liegen zu lassen. Nach zwei Tagen hatte ich das Gefühl, dem Übel auf der Spur zu sein und den richtigen Entschluss gefasst zu haben. Offenbar sind Allergiker (ich habe seit Kindheit eine gegen Früchte und Gemüse, die sehr viel Vitamin C enthalten) stark dem Risiko ausgesetzt, im Verlauf des Lebens nicht nur eine Intoleranz gegenüber Laktose oder Fruktose zu entwickeln, sondern sowohl gegen den einen wie den anderen Zucker und zusätzlich gegen Gluten, eine Substanz, die sämtliche Kornarten enthalten und folglich in allen Bäckerei- und Teigwarenprodukten ihre Wirkung entfalten können, als harmloser Effekt Durchfall, in akkumulierten Mengenverhältnissen Bauchschmerzen, Koliken und kolikartige Krämpfe.

Was wäre zu tun?

– Die Gesundheitspolitik muss den Gesundheitsdiskurs so steuern, dass nicht nur von der Güte der Milch-, Früchte-, Gemüse- und Getreideprodukte geredet wird, sondern auch von den Ausnahmeereignissen, die sie auslösen können, eine zeitlich längere oder kurz befristete Intoleranz ihnen gegenüber, der sich die betroffenen Menschen zu stellen haben. Das wäre keine grosse Sache, wenn die Ausweich- oder Ersatzprodukte leicht zu finden wären. Wer aber glutenfreie Back- und Teigwaren sucht, wird das Gefühl nicht los, solche Produkte könnten sträflicherweise nur in den Schmuddelecken der dunklen Seitengassen aufgestöbert werden.

– Es muss ein Diagnosegerät entwickelt werden, das wie ein Fiebermesser jederzeit im Haushalt eingesetzt werden kann. Das Instrument müsste imstande sein, innerhalb von Minuten Auskunft zu geben über den momentanen Toleranzgrat gegenüber Laktose, Fruktose und Gluten. Es wäre für jeden dann eine Leichtigkeit, selbst zu entscheiden, ob gegenüber einer spezifischen Substanz nun die Diät eingehalten werden müsse oder in welchem Umfang sie genossen werden könne.

In meinem Fall würde die Aufzeichnung der Toleranzwerte gegenüber Laktose, Fruktose und Gluten von 2008 bis heute ungefähr so aussehen. (Würde man mehrere Aufzeichnungen an einem einzigen Tag machen, gäbe es auch Toleranzverlustwerte, die nahe bei Null wären, wenn auch keineswegs an jedem Tag.)

(Zur Verlässlichkeit der Grafik: Die Daten der Koliken hatte ich in früheren Blogeinträgen festgehalten; die erste war 2003. Für die Grafik wurde eine Excel-Tabelle gemacht, eine Datenreihe für jede Intoleranz beziehungsweise Unverträglichkeit. Beginnend am 1. Januar 2008 gibt es für jeden Monat einen Wert, manchmal den Spitzenwert, sonst eine Art Durchschnittswert. Die Spitzenwerte sind genau, entweder auf der 100%-Linie der Unverträglichkeit und des Toleranzverlustes oder in den Zeiten kurz davor sehr nahe bei 100%. Da man nichts spürt, wenn die Intoleranz nicht gross ist, sind die anderen Werte gänzlich fiktiv und nur deshalb in unterschiedlichen Höhen festgehalten, damit sich der Eindruck festsetzt, dass die Intoleranzen im Verlauf der Zeit schwanken. Nur bei denjenigen Personen schwanken sie nicht, deren Intoleranzen genetisch bedingt und von Geburt an wirksam sind – ihr Wert würde in dieser Grafik wie eine horizontale Linie für jede Intoleranz bei 100% liegen.)

Zusatz 25. Mai 2014: Es war immer klar, dass die glutenfreie Ernährung nur vorübergehend und befristet dauern soll. Nach gut eineinhalb Jahren habe ich vor zwei Wochen wieder auf Normalkost umgestellt, weil ich endlich einen Artikel zu lesen gefunden habe, der die Unterscheidung zwischen angeborener Zöliakie und vorübergehender Glutenunverträglichkeit ohne Verschwommenheit darstellt – nota bene auf der Webseite eines Herstellers glutenfreier Produkte, Schär. Sowohl die Magenregion wie der Darm funktionieren mit der neu eroberten normalen Ernährung optimal, als ob es nie Kolik-Probleme gegeben hätte (die zwei Ganzkörper-CTs vom Dezember 2012 und vom Mai 2014 bezeugen in Nebendiagnosen Gallensteine und Sigmadivertikulose, von denen nur die zweite im Zusammenhang der Schmerzen von Februar bis Juni 2013 eine Rolle gespielt haben dürfte – eine vom Assistenzarzt in der Insel am 8.4.2013 unbemerkte Aktennotiz (nicht vollständig auszuschliessen ist immerhin, dass der Anlass zum obigen Text einem singulären Aufmucken der Gallesteine geschuldet ist, nicht dem Zuviel an Gluten…)). Laktose konsumiere ich nur in der Form von Glacé, Fruktose im leicht zurückhaltenden Genuss auch von stark fruktosehaltigen Früchten und Gemüsen, in etwa auf normale Weise, und Gluten wieder süchtig wie früher in allen Formaten. Brot und Teigwaren setzen Duft- und Geschmacksstoffe frei, auf die man nicht ohne Not verzichten sollte.

Schamanismus

Dienstag, 21. August 2012

Es kann vorkommen, dass sich einem ein eigener Körperteil verändert und es einem lange Zeit verborgen bleibt, in was für eine Zielgerade der eigenmächtige Prozess schon eingespurt ist. Und es kann vorkommen, dass einem dabei Titanstäbe zu erscheinen beginnen wie Brennstäbe in Tschernobyl oder Fukushima, nicht mehr als Materialien, die für einen geschaffen wurden und da zur eigenen Energieumsetzung sein sollten, sondern als eigentliche Momente einer Logik des Zerfalls. Gestern betrat ich spontan eine Apotheke und kaufte mir anstelle einer flüssigen Droge aus dem Wallis eine Tube Crème, nach einer guten Beratung Hemeran von Novartis. Schnell nach Hause, der Arm wie seit langem ein Mal mit dem Handgriff am Hosengurt arretiert, ein anderes aufs Einbeinstativ gelegt, das durch die Riemenhalterung gestossen ein Tragen des Rucksacks ohne jede Schulterauflage erlaubt. Nicht nur klappt der Aufstrich auf das monströse, verfärbte Gebilde, das kein uneingeweihter Arzt ohne Schock zu beäugen vermöchte – nein, nach zwei Sekunden ist der Vulkanausstoss ausgebremst. Das Mittel wirkt, und zwar wie ein unverhofftes Zaubermittel, an dessen Existenz keiner je gedacht hätte, ein scheinbar vernünftiges Ich wie meines seit Beginn des Verfallganzen auf dem Säntis vor einem halben Jahr jedenfalls nie. Doch wo liegt der Zauber verborgen? In einer Substanz, in einem exzentrischen, schamanistisch überbegabten Menschen der Forschung oder in der Logik der Forschung insgesamt, die man nur lange genug ihrem Treiben überlassen muss, um alle Erfindungen und Entdeckungen geniessen zu können, die die Menschheit sich wünscht? Der Name Novartis, den man wegen der schieren Grösse dahinter nur in kritischem Sinne auszusprechen gewillt ist, bekommt in einer solchen Situation des Glücks eine eigentümliche Färbung, die auch auf die Gesellschaft im ganzen von ihrem Glanz verschenkt: dem gewöhnlichen Bürger ist es nicht durchschaubar, wie die Finanztransaktionen der grossen Wirtschaftskomplexe funktionieren, aber nur sie schaffen sporadisch und als Zusätze Bedingungen, in denen neue medizinische Materialien aufgespürt werden können, auf die heute viele mit trüber Sehnsucht nur zu schielen wagen.

Zusatz nach vier Tagen: Die Wirkung der Salbe besteht weniger im Dämpfen der Schmerzen als im Erzeugen eines wüsten Ausschlages.

Zusatz vier Wochen später

Der Tennisarm des Lahmen

Sonntag, 3. Juni 2012

Das Fotografieren im Winter ist deswegen unmöglich, weil die Schulterpartien keine Balance auf Eispartien erlauben, wo unverhoffte Rutscher auch ohne Stürze die Konstruktion im linken Oberarm aus den Fugen zu bringen drohen, wenigstens vom Körpergefühl her, und weil der Rucksack über den zusätzlichen Kleidungsstücken der leichten und dünnen Jacke und des fadenscheinigen Schals einen Zug aufs Gewebe ausübt, dessen Folgeschmerzen auch nicht über kurze Zeiträume hinweg auszuhalten sind. Diese saisonbedingten Umstände liessen über die Jahre die Vogelfotografie an den zwei Fenstern desto stärker, für Unbedarfte wohl bereits überstark ausbauen, sowohl materiell durch sporadisches Changieren und Ergänzen der Aststücke wie praktisch durch Intensivierung der Fotozeiten und Erprobung neuer Auslöseverfahren, die die Zeiten des Lauerns erst verlängern liessen; in keinem Moment muss eine Hand oder ein Arm eine Kraft ausüben, und niemals wird auf sie eine solche ausgeübt.

Im zehn Jahre alten Arm waren Schmerzen, die durch Fehlverhalten entstanden waren, jeweils so intensiv und urplötzlich, wie sie sich auch schnell wieder verzogen. Erst dieses Jahr nach dem Besuch des Säntis am 10. März zeigten sie sich anders, indem sie erst nach einer Woche zu verschwinden begannen. Obwohl nicht extrem belastend, blieb seitdem dieses Neue, dass einmal eingesetzte Schmerzen mehrere Tage brauchten, um wieder abzuklingen. Vor zwei Wochen schien es eindeutig und klar, dass in der Konstruktion eine Veränderung stattgefunden hat, sei es in den fast parallelen, vergabelten Knochenteilen selbst oder an einer Verankerung der Titanteile. Indes dünkte es mich ausgeschlossen, dass irgendeinmal irgendwo, auch nicht im Schlaf, ein Schlag auf den Arm geschehen wäre. Aber ebenso eindeutig schien es, dass der Schmerz aus dem Knochen käme. Um so grösser das Staunen, dass er alsbald nicht nur in der Schulter, sondern auch im Unterarm und in den mittleren Rückenpartien sich zu melden begann. Also hörte ich mit dem Fotografieren auf und beobachtete bei der letzten Fotobearbeitung vor einer Woche am Computer, wie sowohl das Sitzen einen Druck auf die Schulter und einige Schmerzpunkte ausübt wie auch der Einsatz der linken Hand Drehungen im Unterarm auslöst, die wiederum Wirkungen auf die angehäuften Schmerzpunkte ausüben (aber das Schreiben der linken Hand auf der Tastatur war auch vorher nur immer vorübergehend möglich).

Eine Armschlinge in der Wohnung zu tragen ist kein Problem, und sie hilft, nicht zuletzt beim Schreiben, weil sie den linken Arm dann gänzlich von jeder Aktivität abhält. Doch beim Liegen hilft sie nicht, und in dieser Körperhaltung sind die Schmerzen gleich stark wie beim Sitzen, Gehen und sonstigen Hantieren in der Wohnung. Es findet sich eine Tennisarmbandage, die vor zehn bis zwölf Jahren im Einsatz war: siehe da, mit Mühe dem Unterarm verpasst, löst sie sofort eine wohlige Linderung aus, im ganzen Arm und in der ganzen weiteren Schulterumgebung. Das macht stutzig, so dass alle Seiten des Internets nach dem Phänomen des Tennisarms abgegrast werden, auch wenn niemals vergleichbare Bewegungen wie bei einer sportlichen Aktivität im Spiele waren. Immerhin, scheinbare Knochenschmerzen können auch aus dem Gewebe stammen, durch Degenerierung der Muskeln und altersbedingte Verkürzung der Sehnen, nur in Extremfällen ergänzt durch lokale Entzündungen. Da man therapeutische Empfehlungen bekanntlich auf die eigenen Verhältnisse anpassen kann, suche ich nach Möglichkeiten, die grossen Sehnen zu dehnen und die Muskulatur aus einer Verkrampfung zu lösen. Ich nehme eine leere Dose zur Vogelfutterausschüttung, 12 cm hoch mit 9 cm Durchmesser, drücke so fest wie möglich, hebe leicht durch Beugung des Ellenbogens den ganzen Unterarm – und habe die therapeutische Lösung sofort gefunden! Diese Praktik lässt sich nicht nur sitzend, sondern auch stehend, gehend und im Liegen durchführen, ohne Hektik und trotzdem mit ständig spürbarer Wirkung. Nach einem halben Tag zeigt sich die Wirkung nachhaltig, also beständig über den Zeitraum der eigentlichen Übung hinaus. Ob sie nun nach jedem Fotografieren oder Schreiben an der Tastatur angereizt werden muss, wird sich zeigen. Stressige medizinische Untersuchungen scheinen jedenfalls wieder einmal glücklich umgangen worden zu sein.

Unbekannte Kopfbewegung

Samstag, 29. Januar 2011

Gestern Morgen machte ich beim Aufstehen, noch unter der Decke liegend, eine unbedachte Bewegung, so dass mit einem leichten Knacken im Hals sich ein Schmerz einstellte, nicht unähnlich einer Nacken- oder Halsstarre: geradeausgeschaut kein Schmerz, ebensowenig einer nach rechts geschaut, aber den Kopf nach links drehen ging nicht mehr. Im Tagesablauf stellten sich keine weiteren Probleme ein, und so machte ich mit Hals und Kopf Trainings, wie sie einem spontan einfallen mögen. Erst nachts unter der Bettdecke meldete sich wieder ein starker Schmerz in der linken Halshälfte, wenn ich mich auf die rechte Seite legen wollte. Uff, da wird es nicht viel Schlaf geben, denke ich mir – und schlafe sechs Stunden lang ohne Unterbruch. Das Gefühl am Morgen ist wunderbar, die Halsstarre überwunden. Doch dann beim Rasieren mit einem Apparat dasselbe Problem wie gestern: es gelingt nicht, die rechte untere Hälfte sauber zu rasieren, weil dafür eine spezifische Kopf- und Halsbewegung nötig ist, die bei dieser Starre, auch wenn sie überwunden scheint, nicht möglich ist. Diese Kopfbewegung dünkt mich beachtenswert, die den ganzen gewöhnlichen Tag nie getätigt wird ausser beim unscheinbaren Vorgang einer Rasur. Männer haben Frauen in der Beweglichkeit etwas voraus, wenn sie nicht gerade wegen einer Auseinandersetzung mit der Bettdecke vorübergehend flachgelegt sind.

Möglicherweise macht eine Frau die Bewegung des Kopfes, die fast jeder Mann fast jeden Tag macht, nicht ein einziges Mal im Leben.

Fernpsychiatrie in naher Zukunft

Dienstag, 11. Januar 2011

Die Kulturindustrie hat die Menschheit so stark im Griff, dass es keine Schwierigkeiten macht, sich einen Typus der psychatrischen Diagnostik auszumalen, der mit ihrer Blödheit rechnet. Alles was der Patient zu machen hat, wenn er aus den Fugen gerät, ist eine Zusammenstellung derjenigen Fernsehsendungen, die er liket. Der Spezialist, dessen Ausbildung hauptsächlich darin besteht, Fernsehsendungen reflexiv zu betrachten, ohne verrückt zu werden, stellt diejenigen Momente zusammen, die in den am meisten geliketen Filmen die Realitätsverkennung strukturieren und übersetzt sie in die diagnostische Sprache der Psychiatrie. Er wird dem Patienten Filme empfehlen, in denen die erlittenen & eingebrannten Stereotypien durch andere ersetzt werden. Die Welt soll so entspannter und ausgeglichener werden. Ika ika bäh bäh.

Hausballet

Freitag, 19. November 2010

Ich schaffe es inzwischen, zwanzig Minuten lang auf den Zehenspitzen durch die Wohnung zu kurven, ohne ein einziges Mal mit den Fersen den Boden zu berühren – im Gegenteil wird zeitweilig angestrebt, sie nur bis knapp über ihn zu senken, um noch mehr Kraft oder Geschicklichkeit an den Tag legen zu können. Bei diesem Laufen gehe ich oft halbwegs in die Knie und schwanke auf groteske Weise, nicht selten in verlangsamten Drehungen eines Derwischs, seitwärts, vor- und rückwärts. Die Absicht ist, auch in wanderunfreundlichen Zeiten wie winters bei unerwünschten Magensymptomen einen Beweis leisten zu können, dass Bewegungsmangel als Ursache nicht in Frage kommt. (Die beschleunigten Attackenfolgen vor zwei Wochen wurden mit einer Diät ohne Fett und Zucker abgefangen, wenigstens diese zwei Wochen lang mit Erfolg.)

Hemdriss

Donnerstag, 23. September 2010

Vor kurzem, an Hendrix‘ Todestag, ein altes Hemd weggeworfen. Ich traute meinen Augen nicht, gegenüber dem Badzimmerspiegel, wie der überstehende Wadenbeinknochen zur Schulter herausschaute, weil just an dieser Stelle drei bis vier Zentimeter im Durchmesser der Stoff gerissen war, immer schon in Spannung durchs Rucksacktragen auf dem unbeschädigten Schlüsselbeinknochen. Wie wäre ich in einem leeren Zugwagen gereist, bei übervollen Zügen, wenn das unterwegs passiert gewesen wäre, in der Hitze der letzten Zeit, wo nichts überm Hemd zu tragen war und ich nie die Gelegenheit gehabt hätte, in einem Spiegel das Malheur zu erkennen?! – Kein Wanderer braucht es mir übelzunehmen, wenn ich mich ausser Grussweite wegbewege.

Drei Varianten von Bauchattacken

Mittwoch, 28. Juli 2010

1) Die erste Bauchattacke geschah am Abend eines sehr heissen Sommertages 2003, tief unten im Bauch, fünf bis sechs Stunden lang eine Darmkolik, die zum Unwerfen war. Eine Wiederholung gab es erst ein halbes Jahr später, ohne Tageshitze, ohne anzeigbare Ursache. In den nächsten drei Jahr passierten jeweils ungefähr vier mit denselben Eigenschaften. Nur einmal war die Ursache eindeutig: Raclette. Sofort nach der Hämorrhoidenoperation 2006 setzte ein unendlicher Durchfall ein, der fälschlicherweise auf diese Operation und äusserst lange nicht auf die Essgewohnheiten zurückgeführt wurde. Erst im Frühjahr 2009, nachdem sich die Kadenz der Darmkoliken seit einem Jahr so stark beschleunigte, dass innerhalb eines Monats mehr als fünf zu erleiden waren, entschied ich, dass sie mit dem Konsum von Milchprodukten zusammenhängen und bei mir eine Laktoseunverträglichkeit vorliegen muss. Von einem Tag auf den anderen verzichtete ich auf alle Esswaren, von denen es klar ist, dass sie Laktose oder Milchzucker enthalten – und von diesem einen Tag an sind die Darmkoliken nicht wieder erschienen, bis heute nicht mehr.

2) Im Spätsommer desselben Jahres 2009 stellten sich von neuem heftige Bauchschmerzen ein, allerdings nicht tief unten im Bauch, sondern ungefähr in der Mitte. Jede der nicht sehr häufigen Attacken passierte ziemlich genau sechs Stunden nach dem Essen. Dieses bestand immer schon aus viel Gemüse und vielen Früchten, insbesondere Äpfeln. Einige Schmerzattacken waren diffus, als ob der Schmerz aus der Mitte in alle Richtungen ausstrahlte, einige hatten einen kuriosen, aber sehr präzisen Weg, auf dem sie ihr Unwesen trieben: sie begannen im Rücken sehr weit oben, fast unter der Schulter, gingen peu à peu tiefer und wechselten mehrmals die Seite, wie bei einem Murmelspiel. Wenn das Essensstück ganz unten war, hatte sich auch der Schmerz verzogen. Innerhalb von sechs Stunden wiederholte sich das vier- bis sechsmal: nicht das ganze Menü trieb sein Unwesen auf einen Schlag, sondern einige seiner Teile der Reihe nach. Nach langer Lektüre am Internet beschloss ich im Oktober 2009, dass es sich bei diesem Gebrechen um eine Fruktoseunverträglichkeit handele und hörte auf, Gemüse und Früchte mit bekanntem Fruchtzuckeranteil sowie weitere verarbeitete Esswaren zu konsumieren, die diesen besonderen Zucker, der mit dem gewöhnlichen nicht zu verwechseln ist, enthalten. Gemüse gibt es nur noch entkernte Gurken und Zugetti, zusätzlich Kohlrabis, von den Früchten keine ausser manchmal Bananen (weil sie Traubenzucker enthalten, der den Fruchtzucker neutralisiert), im Sommer Himbeeren. Der Hauptteil des Essens besteht neben dem wenigen genannten Gemüse noch aus Reis, Teigwaren, Fleisch, Brot, seltener Ziegenkäse, gewisse Kuchen und dunkle Schokolode. Nach einer verschwitzten langen Wanderung trinke ich nach wie vor einen halben oder einen ganzen Liter Coca Cola, das auf den leeren Magen keine negativen Auswirkungen hat.

3) Dieses Jahr 2010 stellten sich neue Bauchschmerzen ein, die man noch mehr als diejenigen wegen der Fruchtzuckerunverträglichkeit als Attacken beschreiben muss. Sie entstehen später als sechs Stunden nach dem Essen, kommen direkt aus der Bauchmitte und strahlen in alle Richtungen. Wie die Darmkoliken werfen sie einen erbarmungslos um, und man sucht verzweifelt nach einer Stellung, die den Schmerz erträglicher machen würde: zusammengekrümmt in der Hocke, liegend auf dem Rücken, auf der Seite, auf den Zehenspitzen stehend und das rechte Ärmchen die Wand hinauf greifen lassend. Nichts gibt Ruhe, und ich meinte schon aus der Internetlektüre, der ganze Pankraz sei im Eimer. Da ich einen leisen Verdacht hegte, erzwang ich gestern drei Stunden nach dem Nachtessen ein Erbrechen, das kein Ende nehmen wollte, abends um Zehn aber das Übel ans Licht brachte: der frische Blattspinat vom Mittagessen lag immer noch in ganzen Stücken im Magen. Heute Morgen um Sechs ass ich zur Kontrolle genau dasselbe wie gestern Abend, Weissbrot, Salami, Gurke und ein gekochtes Ei. (Normalerweise esse ich um diese Zeit nichts, auch nie am Morgen Fleisch, aber da der Magen über die Nacht nichts mehr zu verdauen hatte und ich diese Kontrolle für sinnvoll hielt, fiel mir die Essenseinnahme nicht schwer.) Siehe da: kein Durchfall stellt sich ein und nicht das Geringste von Bauchschmerzen. Der dritte Feind des Magendarmgebildes scheint in die Falle gegangen zu sein, es ist der Spinat, versteckt hinter den bekannteren Übeltätern des Milchzuckers und des Fruchtzuckers.

Poes Pendel und Glutwände zwischen 3 und 4

Dienstag, 16. Februar 2010

Edgar Allan Poe ist ein Autor, mit dem man früh in Kontakt gerät. Seine Geschichten enthalten viel der existentiellen Spannungen, die das Leben in der Pubertät ausfüllen. An die erste Lektüre kann ich mich nicht mehr erinnern, die zweite war ein antiquarisch erstandenes Buch, die letzte folgte 1980 der Gesamtausgabe der Übersetzer Arno Schmidt und Hans Wollschläger. Obwohl das Initialverhältnis nie verschwunden war, in dem dieser Autor nur zwecks Entkrampfung durch Spannung und als veritable Unterhaltung konsumiert worden war, erfahren seine Texte sporadisch neue Schübe der Bewunderung, und die Lektüre des Vierzigjährigen von Zettels Traum machte es zum sträflichen Widersinn, ihn als blossen frühen Zulieferer der Kulturindustrie abzuwehren. Dieses Zusätzliche indes, das uns Schmidt durch den physischen Gewaltakt von Zettels Traum einprügelte, den ich als Buch heutzutage nicht einmal aus einem ebenerdigen Regal mehr herausnehmen und auf dem Boden aufschlagen könnte, hat in der objektiven Geschichte der Theorie keine Entsprechungen, die über Derridas in der Postkarte* veröffentlichte kühne, aber um nichts weniger sorgfältige (und mit voller Wucht einer gesellschaftlichen Institution ignorierte) Auseinandersetzung mit Lacans 1955 verfassten Spielereien über den Entwendeten Brief hinausgingen, in denen Poes Text und die Geschichte seiner Lektüre so entstellt worden waren, bis Lacan an der Spitze eines philosophischen Rechtfertigungssystems zu stehen kam. Die historische Achtung, die Poe geniesst, hat etwas Anrüchiges wie der Achtungserfolg, der einem einmal gezollt wird und von dem in Erinnerung bleibt, dass er nur ein einziges Mal geschehen war. Auf diese Weise dünkt es mich, könne der Geschichte mit dem Titel Das Pendel von heute aus ein Sinn untergeschoben werden, der in gewisser anrüchiger Beschränktheit, die zu bestimmen ist, Allgemeinheit und sogar eine gewisse theoretische Kraft beanspruchen dürfe.

Poes Geschichte Der Entwendete Brief wurde vor Lacan schon von Marie Bonaparte in ihrer 1933 veröffentlichten Poe-Studie wertgeschätzt, die nicht ohne Stolz einen Brief von Freud an sie selbst und über sie wiedergibt, wo er die Wichtigkeit der Lebensereignisse fürs Verständnis der Texte Poes hervorhebt. Der erdichtete Brief an die französische Königin gilt sowohl als Faktor der Macht wie als ihr Stolperstein; unter ihren Augen und denen des Königs wird er von einem Minister entwendet, um ihn per Gelegenheit als Druckmittel einzusetzen. Die Polizei untersucht dessen Haus, ohne den Brief zu finden. Nur der Psychoanalytiker-Detektiv Dupin stöbert ihn auf, ersetzt ihn, den offen daliegenden, durch einen anderen, der seinerseits später den Minister in Verlegenheit setzen wird, und bringt ihn der Königin als deren Wahrheit zurück. Derrida, ohne Lehranalyse, aber bei Abfassung des Textes schon knapp zwanzig Jahre mit einer praktizierenden Psychoanalytikerin verheiratet, zeigt, wie Lacan nicht nur Poes materiell geschichtlichen und individuellen Arbeits- und Lebenszusammenhang gleichwie die Rezeption verschweigt, sondern auch die Geschichte selbst entstellen muss, um dorthin zu kommen, wo er von allem Anfang an hingelangen will: Der Detektiv-Analytiker hat immer schon die Wahrheit, wenn der Patient in die Analyse kommt, er bringt ihm oder ihr auf jeden Fall und mit Garantie die Wahrheit, sie kommt immer an. Indem Derrida das von Lacan Ausgeklammerte, die effektiven Gegebenheiten, neu ins Spiel bringt, verliert das Konzept von Wahrheit jede Möglichkeit, in einem Begriff wie dem des Phallus oder der Kastration verdinglicht zu werden. Der ontologische Status des Briefs in Poes Geschichte mag der der Kastration sein, die Lacan hypostasiert; Derrida hält ihn so offen wie möglich, um dank ihm von der Wahrheit weiterhin sprechen zu können, ohne ihr einen seienden Wert unterstellen zu müssen. Sie steht nun da als Ambiguität ohne fixen Inhalt, und sei er noch so formal ausgedünnt. Wie die Meute sich zur Phantasterei aufpeitscht und es in ihren Augen niemals geschehen sollte, dass sich die Philosophie als immer schon von jedem im Alltag vollzogenes Leben zeigte – dem Ambiguen gegenüber offen oder verbiestert – hat dieser grosse Text nicht nur kein Verständnis gefunden, sondern Derrida als Philosophen der Ambiguität in den Institutionen der Psychoanalyse anzuerkennen a forteriori misskreditiert.

Als ein anderes Sinnbild erscheint mir jeden Morgen zwischen drei und vier Uhr Poes Geschichte Die Grube und das Pendel, die ich das letzte Mal vor dreissig Jahren gelesen hatte. Es ist nichts im Ablauf der Geschichte, das, vermittelt durch Theorie, zu denken gäbe, sondern es sind unvermittelt zwei ihrer mehreren Bilder, die das körperliche Liegen kurz nach dem Erwachen widerspiegeln, ohne dass etwas Weiteres im Kopf geschehen würde als ihre ständige punktuelle Erinnerung, seit drei Monaten ungefähr, als gewisse Symptome sich im Gastgebilde zwischen linkem Bein und Rücken, das medizinisch erst 2006 aktenkundig gemacht wurde (aber gemäss Indizien immer schon da war), vom Gewebe und dessen Nervenbahnen in den Knochenbau zu verschieben begannen, wo sie das ganze Gerüst nun vom Oberschenkel links bis – je nach Lage – zur Schulter rechts spürbar machen, einerseits als die Wände selbst, die in der Geschichte glühend auf den Erzählenden von allen Seiten her langsam heranrücken, andererseits, in einer Art Deutung oder wenigstens Verdeutlichung, als das Pendel, das von oben hin- und herschwingend langsam herabgelassen wird und irgendeinmal den Körper hart aufschneiden wird: die näherrückenden Wände als die eigentlichen, eigenen Körperteile nach langem Liegen, das Pendel als zusätzliche, verschobene Vorstellung und allgemeines Bild der Drohung, das jeder körperlich Gemarterte vom Geschehen machen kann und das den empirischen Vorgängen immer widerspricht, indem es anders ist als sie in ihrer wirklichen Gegebenheit. In meinem individuellen Erleben erfahre ich es als Deutung des ersten, das ich notiere, ohne dass es von diesem sagen könnte, wie es beschaffen sei, wirklich gefährlich – maligne – oder bloss phantasiert gefährlich. Das Schauerliche und Phantasierte ist einmal in der Geschichte, einmal, ohne festgelegten Vorrang, im Phantasierenden. Dass die ganze Geschichte aus einer Serie besteht, deren Teile und Zuordnungen im Gedächtnis verworren erinnert werden, scheint nicht wenig typisch für Alpträume als Echo wirklich erlebter traumatischer Ereignisse, deren Negativität stetig wiederkehrt. Das Lebensgefühl des Kindes nach Operationen war nie anders als dasjenige des Alten vor ihnen, die es doch bessern sollten.

Das Gebilde, das zu denken gibt, ist weder die Geschichte Poes noch das feste als Zusätzliches im Körper, sondern dank diesem der Zwang, an jene zu denken, als ob sie etwas übers Allgemeine heute auszusprechen imstande wäre, als ob sie, analog des Briefes für die Epoche der Metaphysik, ein exemplarisches Stück für die Epoche der Kulturindustrie wäre – als ob ihrer zu gedenken schon bedeuten würde, das Makelhafte der kulturindustriellen Ungebilde in ihr bestimmen zu können. Die Notwendigkeit in diesem Zwanghaften wird kaum genügen, um von einem theoretischen Erkenntnisinteresse sprechen zu können, das eine Deutung des Bildes vom Pendel und von den stetig heranrückenden glühenden Wänden verständlich machen würde. Von einem medizinisch-therapeutischen, das die Ängste beruhigen sollte, kann gleichwenig gesprochen werden wie tel quel von einem praktischen oder emanzipatorischen, das die Voraussetzungen ausser Kraft setzen sollte. Trotzdem lässt sich die Kritik der Deutung einer Geschichte von Poe, gleichzeitig die Motivierung dieser Notiz nur begreifen, wenn ein Erkenntnisinteresse deutlich gemacht wird. Der Interpret einer Schauergeschichte, die er auf eigene Gegebenheiten bezieht, tut gut daran, jedes Lamento radikal infrage zu stellen und als schlechte Selbststilisierung auf Distanz zu halten. Moralisch-praktische Gebote lassen es als tunlich erscheinen, dass einer die Besonderheit von fehlbaren Gegebenheiten in ihrer Intention prüft und so ihr alsdann eine Wendung verpasst, damit sie vom Individuellen absieht und das gänzlich gesellschaftlich Aktuelle in ihr zum Thema zu machen beginnt. Die Besonderheit liegt im Privileg, das, was der Gesellschaft nur abstrakt droht, konkret zu erfahren. In solcher Erfahrung muss es zur Norm werden, das Schauerliche zu bejahen, um seinen Gehalt, empirisch getrennt von der individuellen Existenz, in den gesamtgesellschaftlichen Tendenzen deutlich zu machen. Das wird dann möglich, wenn die Brutalovideos so in einem Diskurs gedeutet werden, bis ihr Wahres kenntlich wird: dass sie die Lebenssicht der Behinderten und der Invaliden zum Ausdruck bringen und nichts anderes sind als deren eigene und eigentliche Repräsentationen. Auch wenn ich zwischen Computergames und Videos nicht unterscheiden kann (das letzte Computergame, das ich selbst gespielt hatte, war vor zwanzig Jahren ein sogenannter Flugsimulator auf einem Ataricomputer), dünkt es mich eindeutig, dass ihre Hersteller die reale Utopie verfolgen, die ganze Welt zu einer von Behinderten zu machen. Es gehört zur Aufgabe dieser Gruppe, den Status der Helden und Heldinnen, der sich in ihnen artikuliert, für sich in Anspruch zu nehmen und der Allgemeinheit, die aus den reinen und absoluten Konsumenten nicht nur dieser Spiele, sondern der Kulturindustrie überhaupt besteht, deutlich zu machen, dass ihr Ideal immer schon real war und von jenen, den Invaliden, gelebt worden war. Möglicherweise ist da, im Lamentoverbot, ein kleiner Murks, ein Dreh zuviel, und von Wahrheit sprechen kann man im Kaputten nicht. Aber der moralischen Lüge, die in den Spielen steckt, lässt sich immerhin, praktisch, eine Irritation verpassen; auf sie sich zu berufen wird letztlich widersinnig werden. Der Mist, in dem die unglücklichen Bewusstseine, die schwachen Iche der Spielenden, ihre Ideale bewundern, wird auf solche Weise in einem gesellschaftlichen Diskurs ausgekarrt, dass die phantasierten Ideale als das dastehen, was verdrängt wird, das real Kaputte und Gescheiterte.

Derridas Auslöser sind Textdeutungen, die sich darin verstiegen haben, durch falsche Tricks metaphysische Legitimation in Anspruch zu nehmen, um die Vorgehen in ihren Objekten, allgemein und absolut, zu verstehen. Adornos Auslöser sind Gebilde, in denen die Reste ihrer Unwahrheit begrifflich zu explizieren versucht werden, damit sie in neueren, von neuem wahren Zusammensetzungen zu neuen Gebilden führen mögen, letztlich zu neuen ästhetischen Werken oder neuen gesellschaftlichen Verhältnissen. Der Zwang zur Pendelphantasie scheint mir präzise ein solches zu sein, empirisch und roh, das tagtäglich zwischen drei und vier Uhr zum Auslöser an die Erinnerung an Poes Geschichte wird. Wir haben sie alle in uns, die Auslöser, die uns zu denken geben. Dass sie in Texten wären oder in Gebilden der Kunst oder Gesellschaftsphantasien, ist nur eine ihrer Besonderheit: alle Wahrheitsphantasien haben auch zu allen einzelnen Körpern Bezüge, in denen sie geschehen. In den Tod abgedrängt zu werden, ohne dass das schuldige Subjekt sich zeigen müsste (die Henker in Poes Pendelgeschichte machen zwar Arrangements, vollziehen aber nicht wirklich eigenhändig das Todesurteil: der Gemarterte soll selbst in die Grube, in den endlos tiefen Schacht hinunterspringen), ist ein Bild, das Allgemeinheit beansprucht. Wir alle sind, in einer anrüchigen Allgemeinheit, die das effektiv Kranke nicht vom Gesunden mehr zu trennen braucht, weil sie mit dieser Unsicherheit umgehen kann, in dieser Situation und erwarten den Tod, aber immer wieder stehen wir ausserhalb dieser Szene, ausserhalb der Anordnung des Pendels und der glühenden Schiebewände, wohlwissend, dass wir nicht in der Distanz zum Unrecht ausserhalb bleiben können, sondern zurück wieder müssen auf den Tisch, angebunden, voller Angst und trotzdem genau wissend, dass wir – immer – auch ausserhalb sein können und – denkend – davon und zu Besserem rennen könnten. Wie etwa zur Musik.

* Zur Abfassung dieser intimen Notiz wurde nur Derridas Aufsatz Der Facteur der Wahrheit in der Zweiten Lieferung der Postkarte (von Sokrates bis an Freud und jenseits), Berlin 1987 wiedergelesen (Übersetzung Hans-Joachim Metzger; Originaltext 1975) sowie der Inhalt der Poegeschichte Das Pendel nachgegoogelt gleichwie Stellen, die Neueres zu Poe-Schmidt-Lacan-Derrida beitragen könnten.

Handschlag mit den ganz Anderen

Mittwoch, 15. Juli 2009

(Traum vorgestern abends um 22 Uhr kurz nach dem Einschlafen, den ich bis gestern Abend nicht aufschreiben und bis heute um 4 Uhr der Scribble’s Disco nicht hinzufügen wollte, weil mich dünkt, er zeige ein erstes Anzeichen von Schizophrenie. Da sich gestern aber eine medizinische Besonderheit zum Guten wendete, soll er als weiteres gewöhnliches Beispiel für die Konfusion der Traumtätigkeit dastehen, ohne jede Bedeutung: als ich gestern um 15 Uhr in Les Haudères das Sonnenkäppi vom Kopf nahm und die Frisur zurechtmachen wollte, den zweiwöchigen Zehnmilimeterschnitt, erspürte ich Mitte links auf der Schädeldecke eine daumenspitzgrosse Beule, an einem Ort, den ich seit 2003 ab und zu als Zentrum einer gewissen Oberflächenspannung empfinde. Beim Einschlafen war sie noch da, ebenso beim ersten Erwachen um 1 Uhr. Da sie um 4 Uhr indes zu 90% abgeflaut erscheint, deute ich sie als unbedeutende Störung, entstanden durch den Druck des Käppis, das wegen des Windes straffer gebunden war als gewöhnlich.)

In einem Raum etwa zehn Meter von mir entfernt sehe ich durch die offene Tür, wie ein Mensch einem anderen droht und eigentlich schon daran ist, ihn zu schlagen oder gar zu erschlagen. Ich nehme etwas wie einen Stein in die rechte Hand und ziehe sie rückwärts über die Schulter, um gleichfalls dem Drohenden zu drohen, im Bewusstsein, dass ich den Stein mangels Kraft gar nicht werfen werden kann. Die zwei Personen, etwa gleich alte wie ich oder geringfügig älter, verziehen sich noch weiter in den Hintergrund. Vor der offenen Türe sind nun mehrere andere Personen, eindeutig keine Europäer, eher Asiaten, wenn auch selbst dieses nicht eindeutig. Sie haben den Vorfall und insbesondere meinen Eingriff beobachtet, und es entsteht nun so etwas wie ein Verhör, wenn zunächst auch völlig ohne offiziellen Charakter. Man spricht eher freundlich mit mir, macht mir aber doch klar, dass mein Eingriff völlig inakzeptabel sei. Es könne doch einer aus Distanz gar nicht beurteilen, ob da jemand einen anderen bedroht hat oder umgekehrt ihm gerade Gutes hat tun wollen – das nota bene ich nun eben verhindert hätte. Wenn ich meinen Fehler einsehen würde, lasse das Ganze sich aber verzeihen und quasi ungeschehen machen. Es würde niemand mir grollen oder weiterhin Konsequenzen fordern. Der Sprechende erschien mir immer weniger als Mensch denn regelrecht als Ausserirdischer, wie wenn er zwar in einer Menschengestalt stecken würde, das Äussere aber doch mit Kandinskys oder Marcs Ölfarbe hätte übermalt werden müssen, um halbwegs menschlich zu erscheinen. Mit einem Handschlag wird der Friedensschluss besiegelt. Ich merke, wie mit einer Nadel etwas aus seiner Hand in meine einfliesst, merke wie ich zu sterben beginne und immer mehr wie in einer Waschmaschine gedreht und gewendet werde. Ich akzeptiere die Tötung, fühle mich aber erschlagen beim Gedanken, dass ich durch diesen speziellen Tod unwiderruflich in ein neues Leben hinein geboren werde, aufwachend als willenlose Maschine unter dem Diktat jener Ausserirdischen.

Dr. med Jost Zemp

Montag, 5. Januar 2009

Ein grosser und grossartiger Helfer ist gegangen.

Bann

Freitag, 25. Mai 2007

Vor 16 Jahren nötigte meine Personal-Hexe im fensterlosen Kopierer-Raum mir das Versprechen ab, niemals mich im Bereich der nichtregressiven Soziologie ernsthaft beruflich interessiert zu zeigen. Heute Spuren nachgegangen, die zutagefördern, dass sie mittlerweile unter dem Unstern einer gemeinsamen Bedrohlichkeit um 100 Tage überlebt worden ist. – Erstaunlich die Beobachtung, dass trotz massivem Feindschaftsdienst der Nachhauseweg durch die Stadt mit gesenktem Blick erfolgte, nicht befreit und ausserhalb des Katastrophischen, nicht ohne Trauer. Es scheint nichts vorbeigehen zu wollen auf dieser Welt, sondern wäre es immer nur.

… wie komponiert

Donnerstag, 24. Mai 2007

Schmerzgebilde in Gelenken zu beschreiben, deren Malignität noch nicht bestimmt ist und die also auch aus bloss frühalterndem Chondrom-Material bestehen können, führt einen tief hinein ins prekäre Vokabularium und die unabschliessbaren Vorstellungswelten der neuen Musik. Über einen langen Zeitraum, in einem Gebilde jetzt schon seit vier Monaten, in einem anderen seit drei Jahren, verändern sich die Schmerzempfindungen permanent, ohne je schon unerträglich geworden zu sein, ohne je sich abgeschwächt zu haben, ohne Wiederholung in ihren Erscheinungsweisen – jeden Tag. Was für eine neue Erlebniswelt von Nuancen! Das linke Sakralgelenk begann – nach einem wilden Jahr 2006 mit blinden Schüssen in die Umgebung – vor vier Monaten als kleiner schrumpliger Holzapfel und zuckt schon mal in den Oberschenkel wie ein Frühsommergewitter, die rechte Schulter begann 2003 als sanft wärmendes Kerzenlicht, das heute zuweilen kracht wie ein mit der Axt nicht zur Gänze durchgehauener Brennholzklotz. Ist das zu erfahrene Körperspiel Maurice Ravels’s Bolero, mit der Aufführung noch im ersten Zehntel, oder Morton Feldman’s Crippled Symmetry, oder Luigi Nono’s Prometeo? Mit John Cage liess ich mich noch so gerne ein – dennoch ist es eines bestimmt nicht, sein vor vier Jahren in Halberstadt angesetztes und doch eben erst begonnenes Stück Organ2 – As Slow As Possible … ich wäre auf dem Weg, ein über 600jähriger Bozu zu werden.

Malum Optimum

Mittwoch, 18. April 2007

Offenbar ist Wandern nicht tel quel ein Gutes, und auf die Spitze getrieben, als das Beste was immer in jeder Situation zu tun wäre, kann es ins Schlechte kippen. Die Schönwettertage wurden bis in die letzten Reste genutzt und es wurde auch dann fotografiert, wenn ein dicker fetter Dunst dagegen wetterte. Also gab es auch nach dem beeindruckenden Erlebnis im Lötschentaler Vipern Kindergarten vorgestern am 21. April keine Ruhepause auf dem Plan, sondern schon abends am Computer beim Bilderverarbeiten wurde die nächste Tour vorbereitet, trotz häufigen Versicherungen dagegen ein erneuter Besuch auf dem Mägisserhorn ob Frutigen. Wie üblich also seit 18 Uhr am Mäusedrücken, entgegen alle heftigste Müdigkeit, aber in Freude aufs baldige Schlafen, dann unvermittelt um 21 Uhr Schmerzen zuunterst im Rückgrat aufwärts auf beiden Seiten. Schnell noch die zwei letzten Bilder angepasst, dann weg von der Maschine. Ah, zum Teufel, schon wieder eine Kolik! Schmerzen mitten im Bauch unter dem Nabel und Schmerzen links und rechts in der unteren Hälfte des Rückens. Die letzte ähnliche Attacke war vor knapp zwei Wochen, allerdings nur schwach ausgeprägt. Diese neue wird die heftigste: unmöglich zu sitzen, unmöglich zu stehen, unmöglich zu gehen, unmöglich zu liegen, weder seitwärts (sowieso nur rechts möglich) noch auf dem Rücken – Bauchlage seit 2002 auch ausgeschlossen. Nur eines geht: Schneidersitz und Körper vornübergebeugt. Immer wieder Schlafversuche, erfolglose. Dann zweimal mit Salz und wenig Wasser erzwungenes Erbrechen, Linderung nur kurzfristig. Erst nach ein Uhr morgens Erschöpfungsschlaf. – Seltsam dann der andere, gestrige Tag, wie mit einer Patina des Depressiven überzogen: obwohl körperlich schmerzfrei, keinen einzigen Schritt vors Haus gewagt. Heute Morgen endlich ein Aufwachen wieder in gewohnter Frische.

Pein

Freitag, 8. Dezember 2006

Frei aller Geschichtspessimismen gehört es zur Logik des Zerfalls, das alte Theologumenon von der Schöpfung des einen Sinnes, aus dem die Begriffe entspringen, so ernst zu nehmen, dass sie sie aus den neuesten gruppiert, die der Wissenschaftsprozess freigibt, wie sie dieselben auf die historisch ältesten zurückbezieht, um dem Gehalt, der vor aller Reflexion in ihnen steckt, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Erfahrung vor genau zwei Wochen an jenem Platz, der sich schön aber in der ersten unvorbereiteten Begegnung wie Lambarene gezeigt hatte, mit einer steilen und abschüssigen Treppe durchs Buschwerk, die einen mit Blick auf die Verfallserscheinung einzelner Stufen die Liane zu suchen drängte, mit Backdoorsounds aus einem Bushrecorder ohne Forellenmaske und mit Einstein hinter dem Schweizer Kreuz wie einem soldatischen Abwehrschild, zwingt, den fachmedizinischen Begriff des Schmerzes um den Zusatz zu erweitern, der gemeinhin als historisch überlebt von ihm ferngehalten wird, dem der Pein. Der einstmals die Weihen des Perfekten Patienten genoss und sie stillschweigend verwandelte ins gesundheitsförderliche Hören von Zappas Perfect Stranger, erfuhr sich selbst in der doppelten Unbeweglichkeit der mittleren Leibespartie gleichzeitig mit den oberen Extremitäten als hilflos in allen Belangen, zurzeit möglicherweise in einer nur schwachen Form, die aber angesichts des Falles, das neu entdeckte Alien müsste herausgenommen werden, immense phantasieren liess. Die Erfahrung der Pein hier, in einem Umfeld nota bene mit optimaler medizinischer und pflegerischer Betreuung, war weniger die gegebene selbst als die der exakt phantasierten, die um nichts weniger Realität schufen. Anders als der Schmerz, der in seiner radikalen Ausgestaltung das Bewusstsein löscht, treibt einen die Pein in einen Zustand des Fragens an einem Ort, wo nur eines zählt, nicht das Vergehen ins Nichts sondern das Hinübergehen an einen anderen. Man fragt sich wie in der ersten Frage der Philosophie, die sich im Spruch des Anaximander gleich lebensverachtend und die einzelnen Akte der sozialen Ungerechtigkeiten überspielend zeigt wie in allen Kulturen, wieso Strafe sein muss nach dem Verfliessen der Zeit überhaupt, wieso sie immer schon Schuld anhäufte aus sich selbst heraus. Wie in einer Pforte zeigt sich das Andere der Zeit, und man spürt das Falsche im Satz, Furcht und Schrecken würden den Tod als absoluten Meister erscheinen lassen: es ist die Pein mit ihrer Peinlichkeit des gestraft Werdens, die einen Blick auf ihn freigibt, und in der Tat auch ohne das Schreckmoment, dass er nächstens zugreifen würde. Es bedarf wohl einer gewissen Dämpfung der Vertrauensseligkeit gegenüber der Aufklärung und einer gewissen Durchbrechung der Departementalisierung des Wissens, um die Tabuisierung des Irrationalen im Schmerz auszusetzen und die uralte böse Strafe in ihm als Phänomen der Pein zu erkennen. Man fällt indes damit solange nicht hinter die Aufklärung zurück, als es getrennt vom Schmerz begriffen wird. Ist die Pein als eigener Begriff rekonstruiert, lassen sich die Anschauungen füglich und endlos phantasieren, die ihm zugrunde liegen und die durch die Tabuisierung des Todes vergessen gingen.
Die reinste und massivste Erfahrung der Pein geschieht in der Folter, wo sich das Verhältnis des Wesens zum Supplement umkehrt und sich alle Vorgänge auf die Pein ausrichten. Aber auch die Gefolterten können nichts über den Tod sagen, weil selbst diese absolut substantielle Erfahrung eine bloss ästhetische bleibt. Im Verstummen gegenüber uns schweigen sie, von allen und allem abgeschnitten, über ihn. Eine verwunderliche Hoffnung wächst hieraus, die sich an den Glauben klammert, das Monstruöse wachse aus uns selbst, nicht uns entgegen aus dem Tod.