Archiv für den 'Traum'-Themenbereich

Gegen das Eismeer gedacht

Mittwoch, 21. Dezember 2011

Gestern machte ich keinen Schritt vors Haus, da es ständig schneite und immer noch mehr Schnee im Indermühleweg anhäufte. Das Risiko war zu gross, trotz Anschaffung teuerster Schuhe mit Sohlen wie Seracs und Gletscherspalten, die Kantenschärfe wie die von Metzgermessern (die letzten, zweimal besohlten Schuhe waren nach einem halben Jahr so flach wie ein Eishockeyfeld). In der Frühe stand ich auf wie gewöhnlich, ziemlich happy, da das brave Wetterchen den Schnee zum Verschwinden gebracht hatte: keiner mehr auf den Ästen des grossen Baums, keiner mehr auf den Dächern. Was ich nach dem Aufstehen machte, wüsste ich nur allzu gerne. Tatsache ist, dass ich später nochmals erwachte, und ein Blick aus dem Bett durchs Fenster in die Nacht machte klar, dass die Schnee- und Eisverhältnisse dieselben geblieben sind seit 22 Uhr gestern Abend.

Für John Cage: Wilhem Latchoumia, piano

Montag, 10. Oktober 2011

Soeben live auf Radio France Musique Konzert vom 26. September in Paris im Théâtre Bouffes du Nord mit dem präparierten Klavier von Wilhem Latchoumia.

John Cage (1912-1992)
Daughters of the Lonesome Isle

Oscar Bianchi (né en 1975)
Schegge

John Cage
Radio Music

Karl Naegelen (né en 1979)
Piano guiro

Thierry Blondeau (né en 1961)
Redshift

John Cage
Radio Music

Francesco Filidei (né en 1973)
Filastrocca girardina

Pierre Jodlowski (né en 1971)
Série „C“

John Cage
Suite for toy piano

Alex Mincek (né en 1975)
Pendulum VIII : „TKS I“

Gérard Pesson (né en 1958)
Cage in my car

John Cage
Radio Music

Ich habe nach den Daughters of the Lonesome Isle nicht viel von diesem Konzert gehört, mehr aber von einem ganz anderen. Ich stehe mitten in einem Orchester, ziemlich direkt vor dem Dirigenten, Pierre Boulez. Mein Instrument ist die riesige Sitar, umgehenkt wie eine Gitarre – und vollkommen ungestimmt. Mir ist es äusserst peinlich, dass erstens das Instrument nur falsche Töne von sich gibt, ständig und dank den Resonanzsaiten selbständig, zweitens ich es nicht spielen kann und drittens ich demnächst unter seiner Last zusammen brechen werde. Ich komme auf die Idee, normal auf den Boden zu sitzen, weil ich so wenigstens das Instrument halten und ihm gleichzeitig sozusagen den Mund stopfen kann, ohne dass man dies, mit Ausnahme des Dirigenten, zu sehen bekäme. Man macht sich keine Vorstellung davon, wie ich mit dem riesen Instrument unter allen MusikerInnenbeinen durchkrieche, das böse Ding im Schlepptau, ständig durch Antippen darum bittend, den Stuhl ein wenig zur Seite zu schieben. Endlich plaziere ich mich wieder vor dem Dirigenten – keine Ahnung, wieso ich nicht auf der nämlichen Stelle mich niedergelassen hatte. Ich gebe mir Mühe, so zu tun, als wäre ich nicht nur ein dummer August, sondern in Wirklichkeit auch ein Musiker wie die anderen, und wache auf. Arnaud Merlin sagt gerade das erste Stück von CD nach dem Konzert an.

Massenumfrage aus der Westschweiz

Montag, 5. September 2011

Kurz vor dem Aufwachen war mir endlich sternenklar, wie ich die eine spezielle Frage einer Massenonlineumfrage aus der französischen Schweiz zu beantworten hätte, an der ich vor einer Woche schon mitgemacht hatte und deren Resultate ich nur fragmentarisch und unkomplett hatte abschicken können. Sie lautete, nicht deutsch sondern französisch: Auf welchen Weidstücken sämtlicher Walliser Alpen dürfen die Kühe nur exakt einmal weiden gehen, damit die Kräuter ihre Qualität beibehalten können? Deutsch hätte ich die Frage vor einer Woche schon beantwortet abschicken können, französisch war es mir schwieriger, alle topologischen Umstände richtig festzuhalten oder auf Karten angeben zu können – das Substantielle der Frage und die Menge der anzugebenden Plätze schien mir von untergeordneter Schwierigkeit. Endlich wachte ich auf, nur um mich noch mehr in dem Problem zu verfangen, wo im Computer ich den Fragebogen zu suchen hätte. Mich dünkt, ich hätte mehrere sehr ausgedehnte Minuten lang verzweifelt über das Ganze nachgedacht, längst physiologisch wach und doch immer noch der Dummheit und Blödheit des Traumbewusstseins gehorsamst folgend.

Traumland Graubünden

Donnerstag, 26. Mai 2011

Nicht die Länge des Traumes ist ungewohnt, sondern die Stabilität und Kohärenz in ihr, als hätte er die ganze sechsstündige Schlafenszeit gedauert, von der ich aber überzeugt bin, dass sie einmal kurz unterbrochen war, sei es am Anfang, in der Mitte oder gegen Ende der sechs Stunden. Ich bin im Bündnerland zu Besuch, in einem Haus in mittlerer Höhe eines grossen Hangs, ältere Generation aus der Verwandtschaft. Sehr gute, angenehme Atmosphäre mit intellektuellem Gedankenaustausch. Abends kommen noch andere zu Besuch, ein bisschen als ob mein eigener Besuch dadurch gewissermassen geehrt würde, wie nach alter Sitte. Es wird nach Wein gefragt, und statt Nein zu sagen sage ich Ja, mit der Gegenantwort, man hätte nicht vor, viel zu trinken, nicht als Warnung zu verstehen, sondern gegenteilig als ahnungslose Beruhigung. Nun beginnen interessante, anspruchsvolle Spiele, in denen nichts zu tun ist ausser zu sprechen für die einen, zuzuhören mit Kommentaren und Ergänzungen für die anderen. Ich bin in höchster Bewunderung dafür, was diese Leute alles von sich zu geben wissen. Bei einem Spiel wird es für mich etwas peinlich. Es geht darum, auf ein gegebenes Stichwort hin etwas zu schaffen, ich glaube, ich hätte ein Lied singen oder pfeifen müssen, vielleicht auch nur es beschreiben. Das Wort, das irgendjemand für mich in die Runde wirft, ist Bach. Meine Güte! Alle konnten mit ihren Worten etwas machen, nur bei mir stockt das Spiel. – Es wird Morgen, und ich gehe auf einen Spaziergang den Hang hinunter, in der Ebene irgendwo in ein Haus, darin in den ersten oder zweiten Stock, in einen Raum mit Sicht zurück gegen den Hang. Mich dünkt, das wäre nun die Gelegenheit, mich nützlich zu machen, denn der Hang sieht wunderschön aus, und ich bin überzeugt, die Gastgeber hätten ihre schöne Wohnlage noch nie so gesehen. Ich gehe zurück, um Fotoapparate und Einbeinstativ zu holen, komme tatsächlich in dasselbe Haus wieder zurück, gehen in den ersten oder zweiten Stock des vorhin stillen Hauses. Mittlerweile sind seine Bewohner aber erwacht. Als ich ins Zimmer schleiche, wo ich durchs Fenster hinaus fotografieren will, lässt man, physikalisch nicht nachvollziehbar, eine Sonnenstore herunter, die mir die Sicht nimmt. Ich sehe mich gezwungen, nach unten zu gehen, um in der Store ein Loch zum Fotografieren zu finden. Unter der Store ist ein grosser Raum mit Lebewesen, der Raum selbst mit einer Fensterwand abgeschlossen. Man ist am Frühstücken, aber ich bin nicht sicher, auf welcher Seite. Ich bekomme aber ohne weiteres die Erlaubnis, den Raum zu betreten, um die Foto machen zu können. Ich gehe durch die Glastüre ins Innere und werde gewahr, dass die Lebewesen Äffchen sind, mal etwas grösser, mal kleiner, mal deformierte Menschen, mal schön und herzig, mal weniger. Einige könnten bedrohlich sein, aber von der anderen Seite her ist man aufmerksam. Insgesamt wirkt der Raum mit den ungewohnten Lebewesen, der offen scheint wie in einer Gartenwirtschaft an einem sonnigen Morgen, nicht bedrohlich. Dennoch bin ich bald wieder draussen, denn von unten kann ich den Abhang wegen zu nahe stehender Häuser nicht gut fotografieren. Die Ebene hat eine Gegenhöhe, auf die eine Strasse mit Pappeln führt, zuoberst mit einer Kirche oder einem Schlossgebäude, eine Anlage, wie sie des öfteren in Europa zu sehen ist. Bis zuoberst will ich nicht gehen, weil der Morgenspaziergang nur kurz sein soll, und auf dem Weg nach oben hat es zuviele Bäume und Sträucher. In der Mitte gibt es eine Abzweigung in ein Wäldchen, das mit einer Mauer umgeben ist, auf der ich den Hang mit dem Haus der Gastgeber zu fotografieren gedenke, über die Ebene mit dem Haus der Äffchen hinweg. Ich mache dieses, auch mit einem Panorama, gehe auf der Mauer zurück zur Burg- oder Kirchenstrasse. Ich sehe schon, wo ich hinuntersteigen will, als eine Gruppe etwa zwanzigjähriger Frauen an dieser Stelle auftaucht, in gar nicht zurückhaltender Stimmung, als ob sie mich nicht wirklich sehen würden und partout meinen wollten, der Mann aus der Fremde könnte ihnen nur gefallen. Zwei von ihnen gefallen indes mir selbst ausserordentlich, und unversehens sind sie auf der Mauer, und eh der Tag wirklich beginnt, ist ein Liebesrausch ohne jede Hemmungen im Gange, nur mit der kleinen Verwunderung darüber, dass die heisse Haut der jungen Bündnerinnen nicht braungebräunt, sondern sehr weiss erscheint, wenn auch in der Heissblütigkeit und süssen Schweissesglätte nicht adelig.

Schäbig, lumpig: ich

Dienstag, 29. März 2011

Gestern in der Wirklichkeit eine sehr Schöne im Zug, N. N., die am Handy eine Sprache sprach, die zuerst wie Finnisch klang, dann Isländisch, dann wie eine aus dem Baltikum, schliesslich dann aber wie eine, die mir in den Genen liegt, die ich aber ebenso wenig verstehe wie die anderen. Nach dem Aussteigen ging sie hundert Meter weit geradewegs vor mir, wo ich ihre hellbraunen und sehr langen Haare genoss, übers Röckchen herab, bis sie abzweigte. Im Traum war sie nun bei D., die in Wirklichkeit das Haus vor ein paar Jahren verliess, in der Nachbarwohnung zu Besuch. Es war abgemacht, dass sie beide bei mir vorbeikämen. Ich hörte sie in der Wohnung ihre Sprache sprechen, und eh ich’s versah, gingen sie nach draussen, fort auf einen Spaziergang. Die geographische Umgebung war nicht die der Wirklichkeit, sondern ein Dorf in den Bergen – und es war ein sonniger Sonntag Nachmittag. Ich öffnete das Fenster, hielt eine dunkle Weinflasche in die Höhe und rief ihnen etwas zu, deutsch, wie D. es versteht und spricht. Ich rannte zum Haus hinaus und fand sie sogleich in einer Kurve unter einem Baum, wo N.N. auf dem Boden sass und D., nicht minder schön, daneben stand. D., die immer kurze Haare trug, war wütend, um so entzückter N.N., versonnen in ihren langen Haaren. D. sprach Deutsch und ihre Sprache von zu Hause aus, N.N. fast nichts, weil sie so auf die Flasche fixiert war, aus der es stank wie es stinkt, wenn eine angebrochene Weinflasche mehrer Tage lange offen stehenbleibt. Ich hatte gewonnen, und wir gingen zu dritt Richtung Haus zurück. Dieser Sonntag wird schön.

Oberhofers Wimmis-Niesentour

Dienstag, 22. März 2011

In einem Wettbewerb habe ich den Preis gewonnen, mit Polo Hofer von Wimmis aus auf den Niesen zu wandern. Das war von Anfang an lustig, weil auch viel anderes Volk dasselbe tat. Weil er von vielen Konzerten her, von denen ich keines jemals besucht hatte, ausser die Solovokalisen in Pyri & Falken, viele kannte, witzelte er ab und zu mit einigen. Bei einer ging es ein bisschen länger, und sie versorgte ihn mit einem Stück Roten. Da wurde er noch lustiger und das Wandern peu à peu zögerlicher. Glücklicherweise hat die Niesen Nordseite eine Seilbahn, und wir waren sehr begeistert, bei ihr oben angekommen zu sein, am einen Ende der Warteschlange ihrer Talstation.

Zusammenkünfte

Freitag, 4. März 2011

Gewisse Gruppierungen organisieren für sich ab und zu Zusammenkünfte, wie die Fasnachtszünfte. Soeben ein paar altbekannte Gesichter nächtens in der stillen und verschneiten Stadt getroffen, im Verband, wir hätten ein Treffen. Okay dann, schnell ein paar Esswaren organisiert, Restbestände und Endstücke von italienischen Schinkensorten, um die hervorzuholen die Ladenbesitzerin viel Zeit vertrödelte, so dass es nicht verwunderte, dass auf dem Weg nach oben eine, die mich gar nicht dünkte, zu diesem Troupeau zu gehören, maulend fand, das sei es wohl gewesen und sie mache sich auf den Heimweg, dann aber doch mitkam. Oben plazierten sich alle in irgendwelche Ecken, und ich zog es vor, vor dem Essen aufzuwachen. Wenn auch die anderen das Date im Traum erledigen, wird es gut geklappt haben.

Traumzensur

Samstag, 26. Februar 2011

Ich bin an einer Bar am Rande eines Anlasses, stehe in einer kleinen Schlange, vor mir jemand, der bedient wird und weg geht mit seinem Kaffee in einer Wegwerftasse. Dann bin ich an der Reihe, und links von mir steht unverhofft im weissen Hemd einer der grössten Schweinehunde der Schweiz – da es momentan so viele gibt, besteht keine Gefahr, dass seine Identität geleakt wird und ich gehenkt. Der Volksraser ist freundlich und nimmt seine ihm eigene joviale Aufdringlichkeit geringfügig aber spürbar zurück. Kein Problem, dass ich selbst und nicht er den nächsten Kaffee bekomme – auch wenn die Kaffeemaschine inzwischen kaputt gegangen ist. Die interne Traumzensur arbeitet so stark, dass ich den weiteren Verlauf vergessen habe. So spektakulär zu notieren, für mich, wie der Auftritt des Immernurschweizers in meiner Leibesnähe, wäre er nicht.

Zusatz: Ich benötigte fast 24 Stunden, um die Motivierung zu erkennen. In der Tat ist das Unbewusste zuweilen ein Witzbold, der mit derben Sprüchen das philosophische Bewusstsein vom hohen Ross zu werfen weiss. In Donna Quijota wurde eben erst versucht, dem Denken der Existenz Raum zu verschaffen, um es auf Gehalte zu lenken, die von der Kulturindustrie nicht in Beschlag genommen werden können (und hat Heidegger in lichten Momenten nicht behauptet, die Fundamentalontologie sei nicht metaphysisch und sei also das Einzige, das sich der Metaphysik zu entziehen vermöchte?) Solches Denken wird schnell hochtrabend, wenn es vom Leben tel quel und, natürlich, vom Tod spricht. Entscheidender ist aber, dass es auch eine alltagspraktische Seite hat, und zwar in der Form der Alltagspraxis überhaupt: das existentielle Denken ist nicht nur ein Denken, das jeder Mensch kann und von sich aus immer schon tut, sondern zeigt sich im Alltag unaufhörlich, denn es ist der Alltag des Einkaufens selbst, des Kochens, Essens, Spazierengehens, Sexträumens, Mädchen und Vögelchen Nachschauens, Wetterschwatzens etc. In diesem Bereich, der, und zur Sprache steht der Alltag, zur Gesellschaft gehört und sich von all ihren anderen wie der Politik, der Wissenschaft und der Kunst abhebt, sind alle gleich, gleichwie es ein Leichtes ist, unterwegs, in der Ferienferne oder rund ums Haus herum, sich mit Unbekannten bestens zu unterhalten und gar zu verstehen, die einem, wenn man über sie ins Bild gesetzt wird, ein Gräuel sind. Das sophistische und kleinliche Unbewusste holte im Traum einen alten Spruch aus der Trickkiste des Argumentierens hervor, nachdem es ein Monster instruierte, für einen Moment Federn zu lassen und, was mich am meistens ärgerte, ein klein wenig weniger den Widerling zu spielen: „Da hast du deinen existentiell neutralisierten Mitmenschteufel, gegen den man nicht mit Schwert und Lanze kämpfen soll!“

KomponistInnentreffen

Montag, 14. Februar 2011

Quietschfideler Traum an einem Tisch mit vielen Leuten im Raum, links von mir eine schöne, vertraute aber doch unbekannte Komponistin, rechts von mir Elliott Carter, ihm vis-à-vis ein Unbekannter, der leicht eifersüchtig wirkt. Die Komponistin erklärt mir ihr neues Stück, von dem sie schon eine Art Logo hergestellt hat, eine zehn Zentimeter breite und fünf Zentimeter hohe schwarze, sehr leichte Eisenplastik, die aus verschieden hohen auseinandernehmbaren Einzelstücken besteht, die zusammen eine nicht leicht erkennbare Vogelgruppe oder ein Vogelnest ergeben. Während die Komponistin neben mir zu komponieren beginnt, zeige ich die Figur herum und mache unböse Spässchen darüber, dass die Werbung schon vor dem Stück fertig sei. Der Typ gegenüber von Carter ist sauer auf mich, aber die schöne Komponistin vertraut mir weiterhin. Dann zeigt mir Carter, wie er am Schreiben ist, aber er verdeckt es mit dem linken Arm, aus Ungeschicklichkeit. Mich dünkt, er kritzelt nur einen Titel aufs Linienpapier. Er gibt mir etwas, und ich will es der ganzen Meute zeigen. Dem Hundertjährigen ist es gleich, weil er gleichmütig wirkt. Ich bin offenbar auf einem Rollstuhl und fahre rückwärts, mitten hinein in einen schönen Essenssaal mit vielen Tischen an hellen Fensterwänden – wo ich vorher mit der Komponistin und Carter sass, war es künstlich beleuchtet & fensterlos – und an allen Tischen sitzen vergnügt plaudernd viele Komponistinnen und Komponisten. Ich will auf dem Stuhl wieder vorwärts zurück zu meiner Nachbarkomponistin, weiss aber nicht wie mich bewegen und wache nicht unzufrieden auf.

Schreiben oder nicht

Freitag, 28. Januar 2011

Wer selten über Musik schreibt, macht es dann, wenn sie selbst oder ein Moment in ihr besonders gut und eben erwähnenswert erscheint. Schreibt man eine Zeitlang möglichst regelmässig, entstehen auch bei guter Musik Schreibdilemmata, deren allgemeinste Form darin besteht, das Schreiben zu unterlassen und die Musik zu ignorieren oder mindestens über einen Moment des Erlebten auch dann negativ zu schreiben, wenn man es gar nicht will, die Redlichkeit es aber verlangt und sodann die ganze Musik in ein schiefes Licht gerät, völlig unbeabsichtigt, aber durch keine Versicherungen mehr korrigierbar. Die Korrektur müsste gesellschaftlich geschehen, indem andere über dasselbe Ereignis schreiben und in ihrer eigenen Redlichkeit – das würde das erste Schreiben vom Dilemma befreien, und es würde die objektiv realisierte Musik aus dem unverdienten Ghettoleben herausführen. Trotz Computer und Internet in jedem Haus und trotz Gratismöglichkeiten für Blogs geschieht das immer noch nicht.

1) Gestern Abend auf France Musique, Concert donné le 6 novembre 2010 à Besançon: Michaël Jarrell, a) Eco III pour voix et harpe, b) Aus Bebung pour clarinette et violoncelle, c) Assonance VII pour percussions mit dem Ensemble Accroche-Note: Françoise Kubler, Soprano – Armand Angster, Clarinette – Christophe Beau, Violoncelle – Philippe Cornus, Percussions – musicienne invitée : Hélène Breschand, Harpe.

Die Ästhetik dieser Musik zielt darauf, dem Molaren und Identischen einen Dreh zu versetzen und die Ränder ausfransen zu lassen, nicht ohne im Innern die Linien feingliedrig zu entfalten, in vielartig gefalteten Netzen, ganz nah der Idee der Rhizome. In der Aufführung wird sie unterstützt durch die Praxis der Improvisation, in der quasi ein Prä- und diverse Interludien die komponierten Stücke umgarnen. In der Feinheit solcherart aufgedröselter Struktur ist es mitunter schwierig zu entscheiden, ob man einer improvisierten oder komponierten Passage folgt. Das Verständnis moderner Musik, dass man in ihr hofft, auf das Neue hofft, wird dadurch unterlaufen, dass sie jede Richtungsangabe verweigert ausser derjenigen aufs Individuum in der Improvisation, das dann auch, und das erscheint mir immer mehr als das Negative der Improvisation überhaupt, aufdringlich wirken kann.

Nach diesem Konzert erfolgte auf France Musique ein überlanger Ausschnitt aus einer CD mit drei Klarinetten, der in einer Jazzabteilung gut aufgehoben wäre, mich hier aber wegen musikalischer Dürftigkeit zur Verzweiflung und hinein in eine immer grössere Müdigkeit trieb, so dass fürs zweite Konzert die Aufnahmefähigkeit Schaden genommen hat und ich es in der Mitte abbrechen musste, unverzeihlicherweise:

2) Fritz Hauser, percussions, Concert donné le 2 octobre 2010 à Radio France

Vor fünfunddreissig Jahren öffnete Pierre Favre in Solokonzerten auch in Luzern nicht wenigen die Ohren – sein Schlagzeug war nicht die Küche eines Trommlers, sondern das vielfältige und farbige Orchester eines modernen Komponisten. Die Vorstellung, dass Musikinstrumente neutrale Werkzeuge mit eingeschränkten, bestimmten Funktionen seien, hat er einem tüchtig ausgetrieben. Das ist auch bei Fritz Hauser so. Allerdings geht er über die Erfahrungen Favres hinaus, indem er durch Anheftung an andere Bereiche wie Hörspiel, Architektur und Video, die eine thematische Gebundenheit aufweisen, der Musik Schranken auferlegt: die Erweiterung der Idee des musikalischen Instruments muss sich auch dann bewähren, wenn eine konkrete Auswahl, die sich an etwas Aussermusikalischem ausrichtet, nicht überschritten werden darf. Trotzdem bleibt die Improvisation dominant. Und wiederum ist sie es, die Schwierigkeiten macht: trotz äusserster Musikalität und Intensität erscheint die Musik wie eine Tapete, ein Ambiente, in dem man auch anderes machen kann als nur zuhören.

Darauf ein peinlich langer Traum, mit sehr vielen Personen, die alle sprechen und mir Tipps geben wollen, auch wenn ich die Leute nicht kenne. Ich bin zuhause (1), in einem unbestimmten Alter, mit einem Kinderwagen, so alt und hässlich, wie ich vor über fünfzig Jahren in einem kutschiert worden war. Ich muss unbedingt in die Stadt (2) und dort etwas holen gehen für das, was im Kinderwagen ist. Ich wohne nicht zuhause, sondern östlich davon in der Nähe (3) oder weiter weg (4), wohin ich nachher mit dem Bus fahren will (dorthin gibt es keine Busse). Das Problem besteht darin, dass Samstag ist, da die Busse seltener fahren, die Geschäfte aber früher schliessen. Nun geht ein grosses Keifen in der Meute los, wie das zu bewerkstelligen wäre, weil zusätzlich nicht klar ist, wo ich das Produkt kaufen muss. Sehr lange Zeit dreht sich alles um dieses Produkt – bis meinem leerlaufenden Traumhirn doch noch klar wird, dass es sich um etwas Einfaches handelt, das in jedem Geschäft gekauft werden kann, und keineswegs ausschliesslich in der Stadt. – Rot ist in den Bildern der Bereich des letzten Traumes vom 21. Januar.

http://www.swiss-host.ch/cms15/index.php/swiss-host-webcam

Luzern als Venedig im Flug

Freitag, 21. Januar 2011

Ich mache mich von Emmen aus auf den Weg nach Luzern. In der Gegend Reusszopf-Fluehmühle verändert sich die Landschaft, sie erscheint mir neu und wie westlich von Champéry im Champ de Barme, allerdings anders als in Wirklichkeit, weniger tief und extrem interessant: die Strasse und alle Bauten sind nirgends, alles eine weite Schlucht quasi auf einem versteinerten Wald aufsitzend, in dem sich eine Spur auftut, etwa einen Meter tief, in die festen Baumwipfel eingelassen, wie auf einem verasteten Waldboden. Links die Reuss, die entgegenfliesst. Ich spurte und geniesse die Landschaft. Es erscheinen die Wohnhäuser links, in der Mitte und rechts – morgen bin ich auf der orografisch rechten Seite eingeladen, aber das kommt mir im Traum nicht in den Sinn. Ich bin auf einer Art Insel, links und rechts die Reuss, verschiedene Quartiere. Ein grosser Häuserblock mit Innenhof erscheint, und ich freue mich, diesen aus der Nähe zu sehen und nicht nur von oben via Google – aber das ist Lüge, selbstverständlich habe ich kein solches Quartier bei Google angeschaut (vor dem Einschlafen oder schon im Schlaf dachte ich an Nietzsches Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinn). Nun sind nicht nur die Häuser auf einer Insel in der Reuss, sondern alle mit Wasser umspült, ja zumeist und späterhin alle unterspült. Schon der erste Schritt auf die Insel (die nördlich des Zentrums liegt, nicht am See beim KKL, beim wirklichen Ort Inseli) war kein Sprung, sondern ein kurzer Flug. Jetzt ist meine ganze Bewegung ein regelrechtes Fliegen, den Hausmauern entlang auf- und abwärts. Obwohl niemand zu sehen ist, erscheinen die Häuser normal bewohnt, eher arm als reich, wie ein belebtes Venedig, wenn auch das Flusswasser tief ist und stark fliesst. Ein Haus schaue ich mir genauer an: Der Gartensitzplatz enthält ein oder zwei Steintische mit Steinbänken, alles ein Meter tief unter Wasser, wie es aber beruhigend scheint saisonbedingt, für die Örtlichkeiten also normal. Möchte ich da wohnen? Weiterschauen! Ich finde ein Treppenhaus (ich will ja nicht in eine bewohnte Wohnung eindringen), etwa im ersten Stock, gehe oder fliege hinein, bewege mich aufwärts, auf den steinigen Treppenstufen und doch immer noch fliegend, schaue mich um, gehe in keine Wohnung, sondern wieder abwärts – und finde zuunterst nun keine Türe. Fenster gibt es in diesem Treppenhaus nach wie vor, doch erscheinen sie mir plötzlich zu klein, um hinaus zu geraten, und in der Tat werden sie auch spürbar immer kleiner. Das Ganze ist eine Art Vogelkäfig aus Ton oder ein etwas gross geratenes orientalisches Lichtgefäss. Einen Weg hinaus gibt es von da nicht mehr, ich habe aber überhaupt keine Angstgefühle und wache – besser – auf.

UFO

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Langer Traum, schliesslich an einem Meeresstrand in einem Strandbad, schaut aus wie am Moossee oder Gerzensee, wie in Eich am Sempachersee, wo ich bis etwa 15 ab und zu war, hier im Traum aber eine kleine Badi eindeutig in Brasilien, wo ich nie war, da niemals ausserhalb Europas. Kein Wort zu verstehen, aber der Sound des Portugiesischen. Viele Leute auf engem Platz, ein Teil am Baden im Wasser, schöne Frauen, eine kommt, quasi von ausserhalb der Badi, eindeutig meine brasilianische Nachbarin vor 15 Jahren, geht ans Wasser, wirft einen Sack mit Getränkeflaschen ins Uferwasser, schwimmt, sieht, wie eine andere knapp bei ihrem Sack darüber hinwegtaucht, ruft ihr drohend oder mahnend etwas zu, dann eine Stimme im Gemenge im Trockenen, nichts Einheimisches, sondern Österreichisch. Die Stimme erzählt etwas, nicht rufend, unaufgeregt, aber deutlich. Was sie erzählt, ist unbedeutend, aber eben auffällig, und nur deswegen verzieht es mir die Lachmuskeln. Ich habe das Gefühl, der einzige zu sein, der das Erzählte versteht. Da es mir peinlich ist, dass ich lächeln muss und mich nicht als Ausländer zu erkennen geben will, der einen Ausländer versteht, drehe ich mich ab, gegen den Himmel, und sehe dort, weit oben, von einer eher kleinen Wolke zur Hälfte verdeckt, ein Gebilde wie eine Spielzeugspinne aus Keramik mit nur kurzen Beinen. Eindeutig ein Flugobjekt, allerdings ruhend. Ich bin nur schwach beunruhigt, weise jemanden, der mir bekannt sein muss, mit dem Finger daraufhin nach oben, wache auf, bevor Unruhe oder Angst sich hätten bemerkbar machen können. Gleich beim Aufwachen dünkt es mich, den Strand am Vortag im Internet gesehen zu haben, es kommt mir aber nichts in den Sinn. (Traum nach Aufwachen notiert, Bildcollage eine halbe Stunde später hinzugefügt.)

Zusatz: Die Spinne könnte ich selbst sein, da ich am Tag mit Schattenbildern experimentierte.

Fiktionale Destruktivität real

Mittwoch, 3. November 2010

Ich gehe nicht ins Kino und schaue nicht Fernseher, kann keine Sympathien für diese Medien aufbringen. Im Traum lese ich den Buchrücken eines bekanntermassen brutalen Romans mit rotem Buchumschlag. Ein paar Zeilen geht es gut, dann dämmert mir, dass ich in eine Realität hineingezogen werde, aus der es kein Entrinnen geben wird. Ich halte einen Arm vor die Augen und überfliege den Text, der eine Seite nicht überschreitet. Es entsteht eine ungeheure Spannung, die sich entäussert und ausserhalb meiner Existenz zuerst wie ein Wetterleuchten, dann in unmittelbarer Umgebung eine laute Welt der passierenden Zerstörung Wirklichkeit werden lässt. Es geht jetzt ums Entscheidende: was geschieht, wenn ich den nächsten Satz lese? Nochmals, es ist nicht das Buch selbst, in dem ich am Lesen bin, nur seinen Umschlagstext will ich zur Kenntnis nehmen. Ich bin überzeugt, getötet zu werden, wenn ich den nächsten Satz lese, der nicht der letzte des Buchumschlags ist, sondern einer aus der Mitte dieses grauenhaften Werbetextes. Es scheint jemand in der Nähe zu sein, mit dem ich das Problem besprechen will. Es herrscht ein ungeheurer Lärm in einem riesengrossen Bombenhagel. Soll ich lesen? Was für eine Gefahr! Aufwachen ist besser. An mir ist etwas blöd.

„Experimentelles“ Traumdispositiv

Sonntag, 31. Oktober 2010

Vorbemerkung: Diese Notiz geschieht allein wegen der Art des unterbrochenen Träumens, wo wache Phasen mit träumenden über einen längeren, ausgedehnten Zeitraum alternieren, ohne dass ein bestimmtes Thema verlassen würde – nicht wegen den Trauminhalten selbst.

Ich fahre nach einer Tour im Postauto zurück, wahrscheinlich vom Grimsel, zuhinterst im Bus. Noch weit oben, nach weniger als zwanzig Minuten, schaue ich in einer Kurve zurück und sehe, wie man an dieser Stelle, in der Kurve, einen Grat zu sehen bekommt wie unmöglicherweise in solcher Eindrücklichkeit an einem anderen Ort – sowohl die Perspektive wie die Distanz und die Blickhöhe könnten besser nicht sein. Da es nicht in Frage kommt, den Bus anzuhalten, einmal wenden zu lassen, zurückzufahren, dann wieder wenden und an der besagten Stellen stoppen zu lassen, damit ich mehrere Bilder machen könnte, knapp vor, genau an und knapp nach der optimalen Stelle, fahre ich im Bus nach Hause. Das ist nicht Bern, sondern wie in vielen noch gar nicht so viel früheren Träumen der alte Busbahnhof von Luzern. Ich überlege, was zu tun ist, mache mich parat zum Duschen, weiss aber nicht recht, wo ich den Rucksack mit den Kleidern, in denen auch noch fünfzig Franken drinstecken, deponieren soll, ohne dass er geklaut wird. Nun wache ich zum ersten von nicht wenigen Malen auf, sage mir, dass zu duschen gar nicht nötig sei, und suche, nun wieder träumend, einen Platz zum Telefonieren – ob mit einem Handy oder in einer Telefonkabine, ist nicht klar (ich habe am Tag via Zeitung auf Youtube die Sequenz in einem Charly Chaplinfilm gesehen, in der eine Frau mit einem Handy am Ohr eindeutig telefonierend durchs Originalbild aus den Zwanzigerjahren läuft). Ich überlege Verschiedenes und telefoniere mit Verschiedenen, nicht wenige Mal mich auch fragend, ob ich aufstehen solle, ich würde ja doch nicht mehr träumen sondern nur willkürlich traumphantasieren. Durchführbar ist die Idee, dass U.R.d.Ä., der allerdings wie ich selbst kein Fahrpatent hat (was im Traum nicht thematisiert wird), mit einem Lastwagen aufkreuzt. Wir fahren vom Inseli los und sind sehr schnell auf der Grimselpassstrasse in der Kurve, wo die Bildaufnahme auf dem Dach des Lastwagens mit einem Dreibeinstativ, woher es auch kommen mag, tadellos gelingt – es ist nach diesem langen, unterbrochenen Träumen derselbe unwirkliche lange und messerscharfe Grat geblieben, den man unmöglicherweise an einer anderen Stelle auf so beeindruckende Weise hätte fotografieren können.

Das „Experimentelle“ im Titel bezieht sich auf den Traumvorgang und steht in Anführungszeichen, weil es fürs Träumen keine Planung gibt. Fürs Fotografieren der Animation wurde ein grosses Messer auf ein Badtuch geklebt, das über einem Stativ liegt. Im Büchergestell blitzt der externe Flash in der genauen Position der Sonne im Traum. Das Ganze geschieht vor der weissen Stubentür, dem einzigen Fleck in der Wohnung ohne Bild oder sonstige störende Struktur. – Die ersten Bilder wurden äusserst kompliziert sitzend am Tisch mit kleinen Messern durchgeführt; was im Traum besonders erschien, das Bild direkt in der Gratlinie, war dort noch weniger sichtbar als mit dem grossen Messer stehend fingiert.

Totsein nach Mahlers Neunter

Mittwoch, 16. Juni 2010

Gestern Diskothek im Zwei Mahlers Neunte, heute nach angestrengter Zusammenstellung der Alpen im Bezirk Entremont um acht Uhr plötzlich das Verlangen, diese Symphonie ganz zu hören. Ich habe sie mit Abbado, Live 1988. Da die Diskussion vorgestern äusserst ergiebig und aufschlussreich verlief, geschah das Zuhören heute entsprechend intensiv, im Anschluss daran ständiges Nachfragen, wie weit man im rein existenziellen Rahmen verharren dürfe. Lösung: mit dem Alter verliert sich das Bedürfnis, Kunstwerke gegeneinander auszuspielen. Ob man es nun darf oder nicht – dieses Werk ergreift einen tief, und man soll gegen den Genuss des Erlebens nicht anrempeln. Gleich danach zufrieden, aber äusserst müde Schlafen gegangen, mit viermal hintereinander demselben Alptraum, sehr kompliziert. Ich bin am Bildschirm, navigiere auf meiner Website, auf den Alpen im Val des Bagnes. Man muss irgendein Bild verschieben, dann irgendwo hin klicken. Dann bin ich – viermal geschieht dasselbe, nach kurzem Aufwachen – in einer Art Disko, dunkel, mehrstöckig, vielräumig (ich war nie an solchen Orten, kenne nur Bilder aus der Unterhosenpresse). Ich mache etwas Ähnliches wie die Anderen, nur zum Teil bin ich auch mit Bekannten zusammen, an einem Tisch oder nicht. Im Verlauf wird klar, dass alle schon gestorben sind und sich in einer Art Warteschlaufe befinden. Ich finde es grauenhaft und wehre mich mit aller Kraft gegen diese Tatsächlichkeit, wonach ich aufwache, sehr bald aber wieder eindämmere und dasselbe nochmals erlebe. Nach drei, vier oder fünf Malen frage ich mich, ob das alles in einem einzigen Traum geschehen sei oder tatsächlich in so vielen einzelnen, schlafe aber richtig für zwei Stunden ein, traumlos.

Eyjafjalla

Montag, 19. April 2010

Eine Serie von Träumen in überfüllten Zügen, in denen immer etwas von der Funktionsweise eines Rasierapparates entweder jemandem klargemacht oder in einem Video als Werbung oder Gebrauchsanweisung gezeigt werden soll. Immer geht etwas schief, und immer wird jemand beschuldigt, irgendetwas nicht begriffen zu haben. Ich bin einmal auf der Seite der Beschuldiger, einmal selbst der Beschuldigte. Das Ganze verläuft surreal wie Alice in Wonderland, ohne dass ich weder das Buch noch eine Filmfassung von ihm je gesehen hätte. Beim Aufwachen stelle ich mir vor, wie ich nach Island wandere, ungebeten bei Björk ins Haus trete und ihr die vergessene Kochplatte abdrehe. – Eine Sekunde nach dem Aufwachen, also immer noch halbwegs im Traum selbst, überlege ich mir, wovor man sich mehr zu fürchten hätte, vor der lotterigen, aus dem Lot geratenen Logik, in die die Psyche nach dem Ableben stürzt, wenigstens allem Anschein nach die meinige, oder vor derjenigen, in die die Menschheit schon heute zu stürzen droht.

http://picasaweb.google.com/102175391233488315229

http://languagelog.ldc.upenn.edu/nll/?p=2257

Sinneswahrnehmung im Traum

Donnerstag, 8. April 2010

Ich höre, auf dem Bett liegend, stark erkältet und etwas fiebrig, laut unter Kopfhörern den Concentus Musicus Wien unter Nikolaus Harnoncourt mit Beethovens Christus am Ölberge op. 85, Konzert vom 21. März 2010 im KKL Luzern, jetzt gesendet auf DRS2. Dann, dieselbe Musik weiterhörend, lese ich Zeitung, blättere ein paar Seiten um. Das geht eine gewisse Zeit, bis ich mir sage, wie blöd ich bin, Beethoven zu hören und Zeitung zu lesen. Ich lege sie zur Seite. Ich höre weiter dem Beethovenkonzert zu wie vorhin, ohne Unterbruch und ohne Bruchstelle, sehe durchs Fenster und realisiere, dass es stockdunkel geworden ist. Im Zimmer gibt es nirgends eine Zeitung.

Drei Tote in der Grube

Samstag, 13. Februar 2010

Beim Aufwachen weiss ich, dass drei Tode geschahen, alle durch Unfälle mit Fahrzeugen – auch wenn es keine eigentlichen Verkehrsunfälle waren, handelt es sich möglicherweise doch alles nur um gelesene Tagesreste, mit Ausnahme des dritten. Vom ersten habe ich keine Ahnung mehr, vom zweiten nur, dass einer durch ein Fahrzeug plattgewalzt wurde. Ich stehe am Ausgang einer Sandstein- oder Lehmgrube wie ich eine an unvereisten Winterspaziergängen passiere, spreche mit jemandem Einzelnen oder in einer Gruppe, mit Bestimmtheit über den zweiten Toten. Man sieht mitten in der Grube auf der bewaldeten Anrisskante, knapp 100 Meter hoch, ein Fahrzeug wie einen Laster, der die Ladung kippen will. Aber es ist ein kleines Fahrzeug, ein winziger offener Vierradantrieb, ein Töff eher auf halbmeterdicken Rädern, wie man sie neuerdings nicht nur an Touristenorten sondern auch abgelegen wie auf Tatz oder Salanfe zum Kotzen gruusig bewundern kann, und er fährt über die Kante, stürzt waagrecht auf den Grund. Der Fahrer ist flach, aber Helfer sind sofort zur Stelle. Ungleich meinen Gesprächspartnern wende ich den Kopf dorthin und sehe, dass der Abgestürzte entgegen allen Erwartungen, in den Armen der Helfer hängend, sich hin zu uns, Richtung Ausgang der Grube schleppt.

Kein Taschenlampenlicht im Haus

Mittwoch, 10. Februar 2010

Ich wundere mich darüber, wieso andere Leute im Haus einen Prozess, der an Strom gebunden ist, nicht zu Ende führen, und merke etwas später, als ich im Keller meine gewaschene Wäsche aus der Maschine nehmen will, dass diese blockiert ist und sich nicht öffnen lässt, weil sie noch nicht hat zu Ende waschen können: der Strom ist ausgefallen, und zwar im ganzen Haus. Es ist Nacht geworden, und ich bin nur deshalb im Keller, weil ich mich daran gewöhnt habe, mich auch ohne Licht sowohl in den Räumen meiner Wohnung wie im Treppenhaus zu orientieren (im eigentlichen Kellerraum und in meinem Schlafraum hat es auch in Wirklichkeit schon lange kein Licht mehr). Nun will ich die Sicherung auswechseln und merke erst jetzt, dass diese Präzisionsarbeit ohne Hilfslicht nicht zu tätigen ist. Im Haus (des Seins: der Sprache) wird bis am nächsten Morgen nichts zu machen sein, das auf Strom angewiesen ist; die Wäsche wird bis dann in der Maschine bleiben müssen. Ich erwache ohne Gefühle des Missmuts.

(Ich bin seit fünf Tagen an einem Text, dessen Intention mir immer klar zu sein schien, der sich aber trotzdem nicht zu Ende schreiben lässt, weil eine entscheidende Deutungskategorie, die Adorno und Derrida parallel führen liesse, dem Ganzen widerspricht und es unsinnig werden lässt. Es mangelt an einem zusätzlichen Erkenntnisinteresse zum theoretischen, praktischen, therapeutischen und ästhetischen, das die individuelle existentielle Bedrohtheit mit den aufgezwungenen Mustern der Kommunikation, die die Regression fördern, diskutierbar macht, ohne dass das Lamento, das offene Jammern, alles verfärben müsste.)

Traumnacht der Fehler auf Fotobildern

Dienstag, 2. Februar 2010

Ich sitze am Computer und bearbeite Bilder. Eines hat einen grossen, hellblauen Himmel, in dem sich ein Fehler befindet wie die Spiegelung in einem Comicsfenster, ein mit einem weissen Strich nur halb ausgemaltes gedelltes Viereck. Ich entferne es, nicht ohne mich zu fragen, wie dieser unbekannte Fehler wohl entstanden sei. Ich gehe auf den Balkon. Die Wohnung und diese Dachterrasse habe ich im wirklichen Leben noch nie gesehen, äusserst grosszügig und gefühlsmässig doch so, als hätte ich immer hier gewohnt, bedeckt und doch zuoberst auf einem hohen Haus über einer eher grossen Stadt. Ich sehe mit Verwunderung im Himmel das Objekt, das ich fälschlicherweise als einen technischen Bildfehler taxiert hatte. Dieses Objekt wächst nun schnell zu einer Windhose aus, dann zum riesigen Schlauch eines Tornados (ich hatte noch nie einen gesehen). Er bewegt sich schnell über die Stadt hin auf mein Gebäude zu, und ich sehe, dass er allein aus unendlich vielen beschriebenen Seiten besteht, möglicherweise aus allen je von Menschen beschriebenen Seiten. Er braust zunächst als normaler Wind auf mich zu, dann merke ich, dass es zu spät ist, um die Balkontüre wieder zu erreichen und in die Sicherheit der Wohnung wieder zurückzukehren. Ob ich vom Tornado mitgerissen werde, liegt schon im Phantasieren des Traumaufwachens.

Kurz nach dem Aufwachen heftige Bauchattacke, um Mitternacht, sechs Stunden nach dem Essen, aber nicht wie die Koliken der Laktoseunverträglichkeit zuunterst im Bauch (von 2003 bis Februar 2009 hatten sich diese in der Kadenz gesteigert, um nach dem Aufhören des Konsums von Milchprodukten schlagartig zu verschwinden), sondern wie die der im November 2009 ebenfalls selbstdiagnostizierten Fruktoseunverträglichkeit in der oberen Bauchmitte (diese Attacken setzten nach drei Monaten Ruhe ein und konnten im November 2009 mit dem Verzicht auf Produkte mit Fruchtzucker gestoppt werden – aber ein hundertprozentiger Verzicht auf diesen Zucker scheint unmöglich). Doch diese Attacke dauert nicht wie diejenigen der Fruktoseintoleranz sechs Stunden, bis nämlich das Material den ganzen Darm passiert hat: sie ist nach zwanzig Minuten glücklich überstanden.

Nach drei Stunden Schlaf Erwachen aus einer Serie von Träumen, die alle mit Fehlern auf Fotobildern zu tun hatten. Am Schluss ging es um eine Entdeckung in denselben, die ich just in dieser Notiz festgehalten haben wollte, während des hastigen Aufschreibens der drei bis vier Stunden alten anderen aber vergessen gingen. Diese Entdeckung schien mir beim Aufwachen wichtiger als das Vorangegangene, mit dem sie, wie mir schien, konkurrierte. (Ich kann mich im gegenwärtigen Wachleben nicht entscheiden, welche Arten des Vogelfotografierens, die ich während eines Monats testete, gegenüber anderen zu empfehlen wären.)