Archiv für den 'Musik'-Themenbereich

Schönberg, Verklärte Nacht

Dienstag, 7. März 2017

Soeben direkt live auf BBC 3 Rafael Payare conducts the BBC Philharmonic at the Bridgewater Hall, Manchester.

Arnold Schönberg, Verklärte Nacht.

Eine zerrissene, nicht homogene Interpretation, die mir sehr gut gefällt. Am Schluss spielen drei Orchester gegeneinander und finden sich doch durch die Aufmerksamkeit gegenüber den feinen Verläufen.

Strawinsky, Sacre du Printemps

Samstag, 4. März 2017

Soeben live auf France Musique concert donné le 8 avril 2016 à la Grande salle de la Philharmonie 1 à Paris, Orchestre National d’Ile de France, Enrique Mazzola Direction.

Igor Stravinsky (1882 – 1971), Le Sacre du Printemps.

Leider schlafe ich des öfteren abends in den Konzerten ein, manchmal vorübergehend und kurz, manchmal für ganze Stücke, auch allerbeste; ich erlebe von einigen nur die Ansage und den Applaus. Es kommt auch vor, dass ich dabei in einen Traum verfalle. So auch jetzt. Und was geschieht ebenda? Ich bin in Paris, in diesem Konzert jetzt, in dem der Sacre gespielt wird. Ich bin ein Musiker im Orchester. Es ist riesengross. Jeder Musiker und jede Musikerin spielen nur einen einzigen Ton. Als das Stück fertig ist, gehen alle an einer Tonne vorbei, in die sie ihr Instrument zurückgeben, alles mehr oder weniger kleine Pfeifen. Es entsteht ein grosser Umzug, der durch die Gänge des Konzerthauses den Ausgang finden muss, damit alle Nachfolgenden noch rechtzeitig ihr Instrument abgeben können. Als ich aufwache, staune ich darüber, dass der Sacre noch gar nicht zuende ist und noch eine Minute dauert. Manchmal hasse ich mein Traumbewusstsein, ich bin die reine Blödheit.

Das beste Konzert des Abends? – Vor vier Stunden Chick Korea* und John McLaughlin in Wien 1991. Als McLaughlin auftritt, schlafe ich ein…

Das zweitbeste? – Vor drei Stunden Leïla Martial & Baa Box à Saint-Denis in Paris, eine Entdeckung.

* Antiscientologyschreibweise: dass ein so guter Musiker so grossem Scheiss nachträumt, betrübt.

Saariaho, Hurel, Lunsqui, Fagin, Naon

Mittwoch, 22. Februar 2017

Soeben live auf France Musique Concert donné le 11 février 2017 mit Ingrid Schoenlaub Violoncelle, Manuel Poletti réalisateur sonore (musique), Ensemble Cairn Ensemble instrumental, Guillaume Bourgogne Direction, Nathalie Shaw Violon.

Kaija Saariaho (1952 – ), Spins and Spells pour violoncelle (1997). – Eine bescheidene Skizze.

Philippe Hurel (1955 – ), Localized corrosion pour saxophone, guitare électrique, percussion et piano (2009). – Noize Jazz zum Abstellen.

Kaija Saariaho, Nocturne pour violon (1994). – Schöne verträumte Musik.

Alexandre Lunsqui, Telluris. Desert rose pour ensemble (2016 ?). – Eine Attacke-Studie.

Lucas Fagin, Psychedelic pour septuor électrique (2015). – Elektronische Spielzeuge gehören nicht in die Hände verwöhnter Möchtegernkomponisten.

Luis Naon (1961 – ), Pajaro contra el borde de la noche pour violoncelle, ensemble et électronique (2016 – 2017). – Nichts Neues.

Grisey, Saariaho, Lazkano

Sonntag, 19. Februar 2017

Gestern Abend direkt live auf France Musique Xavier de Maistre harpe, Olivier Latry orgue, Orchestre Philharmonique de Radio France, Ernest Martinez-Izquierdo direction.

Gérard Grisey (1946-1998), Modulations 1976. – Hektischer Beginn mit schnellem Wechsel zu einer Präsentation von Klängen in einer Art „Abgeklärtheit“. Die Spannung zwischen den Klängen und der Art ihrer Vorführung ist ziemlich aufregend, musikalisch gelungen. Ich finde beim Zuhören, dass die Generation von Grisey interessanter komponierte als die nachfolgende heutige. Auch wenn man zu einem einzelnen Stück kritisch Stellung nimmt, macht man es deswegen, um das Substantielle und Positive besser artikulieren zu können. – Die Hammondorgel im Stück überrascht. Zum Titel: natürlich werden nicht Tonarten moduliert, sondern Einstellungsebenen, die man sich wie im Photoshop vorstellen muss. Keine Ahnung aber, was Grisey hier modulierte. Seine Kompositionsweise war mir nie wirklich redlich vorgekommen. Trotzdem finde ich das Stück in Absehung des Schlusses grossartig.

Kaija Saariaho, Trans, concerto pour harpe et orchestre 2015-2016. – Problem- und tadellos, wenn man sich die Harfe wegdenkt. Man kann das Stück als Einführung in die Musik tel quel im Kindergarten werwenden.

Ramon Lazkano, Mugarri 2009-2010. – *

Kaija Saariaho, Maan Varjot [= L’ombre de la terre] In memoriam Henri Dutilleux 2013. – *

* War leider in der Pause eingeschlafen…

Henry Purcell, Kaija Saariaho inspirés par Shakespeare

Freitag, 17. Februar 2017

Soeben direkt live auf France Musique Pia Freund Soprano, Gabriel Suovanen Baryton (voix), Suomalainen Barokkiorkesteri
(Orchestre Baroque de Finlande), Antti Tikkanen Direction et Violon.

Kaija Saariaho (1952 – ), The Tempest Songbook (1992 – 2004) version pour instruments anciens und Henry Purcell (1659 – 1695), The Tempest Z 631 (1695).

Sechs Stücke von Saariaho (alles Geburtstagsgeschenke) und zehn von Purcell werden gemischt nacheinander aber mit demselben Instrumentarium vorgetragen, so dass es auch zu Momenten kommt, in denen man sich dabei ertappt zu überlegen, von wem dieses Stück gerade sei. Das erlaubt einem nicht wenig die Einsicht darein, dass auch die alten Komponisten immer schon den Drang verspürten, über das hinauszugehen, was ihnen zu komponieren die Möglichkeiten verschuf wie eben auch als Grenzen oder Unmöglichkeiten dastand. Es braucht nur wenig, um darüber hinaus zu kommen – aber die Zeit muss da sein.

Saariaho, Adamek, Tulve

Donnerstag, 16. Februar 2017

Soeben direkt live auf France Musique Choeur de Radio France, Martina Batic Direction, Orchestre National de France, Olari Elts Direction, Davone Tines Baryton (voix).

Ondrej Adamek, Polednice pour choeur et orchestre (2013, rév. 2016). – Kindisch, in der Mitte erträglich.

Kaija Saariaho, True Fire pour baryton et orchestre (2014). – Eine weiche Musik mit grosser Fülle. Anstelle einer Entwicklung oder einer musikalischen Provokation wird man mit eigenartig schönen Zwischenklängen zusätzlich verwöhnt.

Helena Tulve, Extinction des choses vues (2007). – Ein einziger Klang, der subkutan durch Impulse unterschiedlicher Instrumente voranbewegt wird. Eine ziemlich interessante Kompositionsweise, wie eine zielgerichtet bewegte Statik, weit entfernt von Ligeti. Im zweiten Teil eine Umkehrung, als ob der dunkle Mantel gewendet worden wäre. Das stärkste Stück des Abends.

Kaija Saariaho, Orion (2002). – Gezähmte Meisterhaftigkeit, aber schön allemal.

Lopez, Gervasoni, d’Adamo, Ishida, Lanza, Murail

Mittwoch, 15. Februar 2017

Soeben direkt live auf France Musique l’ensemble Accroche Note.

Jose Manuel Lopez Lopez (1956), Homing (2016 – 2017). – Ein düsteres Stück übers Flüchten heute und übers Scheitern nicht vor sondern in ihr.

Stefano Gervasoni (1962), Ansioso quasi con gioia, pour clarinette basse (2015). – Ein zahnloses Solostück.

Daniel d’Adamo (1965), Two English Poems by Borges (2010, rév. 2015). – Eine Anhäufung von Floskeln statt Motiven, die Luft draussen im Ganzen.

Sanae Ishida (1979), Poèmes enchaînés, pour voix et ensemble (2015). – Japanische Schreckpoesie, dramatisiert. Möglicherweise geht es der Sängerin an den Kragen, aber sie überlebt, und das Stück erscheint lebendig; die Instrumentalisten zielen oft knapp aneinander vorbei.

Mauro Lanza (1975 ), Tutto ciò che è solido si dissolve nell’aria (2016). – Waldorfschulemusig.

Tristan Murail (1947 ), La Vallée close, sur des sonnets de Pétrarque (2016). – Mikrotonale Instrumentalisten gegen eine natürliche Sängerin … ergibt eine schöne Musik.

Saariao, Vincze, Motsch, Koskinen

Dienstag, 14. Februar 2017

Soeben direkt live auf France Musique Thomas Kellner comédien, Marisol Montalvo soprano, Vladimir Percevic alto, Secession Orchestra, Clément Mao-Takacs direction.

Davor Branimir Vincze, Beasts (Création française et mondiale). – Schöne Erzählmusik, mir rollenden Augen.

Kaija Saariaho, Quatre instants (Création mondiale). – Gesungene Dramatik nie ausserhalb des Horizonts von L’Amour de Loin.

Florent Motsch, Litanies nocturnes (Création française et mondiale). – Eine simple Dramatik ohne viel musikalisches Federlesen. Eine Ostinatomusik, wie man sie in der Metallindustrie erwartet. Man musste beim Billetkauf das Versprechen abgeben, nicht zu buhen.

Juha T. Koskinen, Ophelia/Tiefsee (Création française et mondiale). – Das wäre sie dann endlich, die befürchtete lärmige Gymnasiastendramatik.

Saariaho, Mochizuki, Berio, Lazkano

Montag, 13. Februar 2017

Soeben direkt live auf France Musique Kari Kriikku clarinette, Tuija Hakkila piano, Quatuor Diotima.

Kaija Saariaho, Terra memoria (2006). – Weiche Linien, nicht überaus avanciert (siehe nächstes Stück die Klammer).

Misato Mochizuki, Brains (2016). – Ziemlich avanciert und konkret, vielleicht die musikalische Schönheit etwas aussen vor lassend. (Ich hörte vor dem Konzert auf WDR 3 „Mein prähistorisches Hirn“ von Andreas Liebmann, ein spannendes Hörstück über einen Neurologen, der an Parkinson erkrankt war und nun nach vielen monströsen Operationen im Sterben liegt. Trotz der Anspannung schlief ich ein, und als ich unter Trommelschlägen wieder aufwachte und endlich den Sender gewechselt hatte, erwischte ich nur noch die letzten fünf Minuten von Saariahos Terra memoria. – Den Sender France Musique hört man in Bern an der TV-Box von Swisscom nach dem Anwählen immer zuerst nur in Mono, bis man ihn fast zehn Male jeweils von einem anderen Sender her neu angewählt hat, stereo frühestens also nach ein bis zwei Minuten: merde la Swisscom, Glasfasertechnologie aus den Zeiten von Game of thrones!)

Luciano Berio, Lied pour clarinette (1983). – Erinnerung an Messiaens Quatuor pour la fin du temps.

Ramon Lazkano, Etze – Quatuor à cordes (2016). – Fein ziseliert und fragil in der Horizontalen, harmonisch ohne wirkliche Spannung. Musik wie eine Brache (möglicherweise ganz die Intention des baskischen Komponisten).

Kaija Saariaho, Figura (2016). – Streichquartett mit Klavier und Klarinette. Der Beginn ist ziemlich wild mit der Klarinette solo und ganz gegen Gershwin gerichtet, dann eigenständig, immer noch wild und ohne Anspielungen. Die Musik ist zuweilen so nahe an der Tonalität, dass man dann auch meint, man müsse sich an etwas erinnern. Klar, L’amour de Loin liegt schnell in der Luft.

Saariaho, Combier, Dusapin, Gimenez

Sonntag, 12. Februar 2017

Gestern Abend direkt live auf France Musique Jennifer Koh Violon, Anssi Karttunen Violoncelle, Nicolas Hodges Piano.

Kaija Saariaho (1952 – ), Frises pour violon et électronique (2011). – Ein Bordun mit umspielenden sowohl natürlichen wie elektronischen Flageolettes, nach fünf Minuten eine stetige Erweiterung des melodischen Materials und der Arten der Umspielungen. Im dritten Teil haben dieselben und die Zusätze nur noch eine marginale Funktion, die im vierten Teil durch das Hinzutreten eines Cellos abgelöst wird: es spielt dieselbe weiche exotische Melodie, die von der Geige sowohl gezupft wie gestrichen wird.

Jerôme Combier (1971 – ), Freezing Fields, pour violoncelle et piano (2016 – 2017). – Sowohl das rhythmische System wie das der Tonhöhen sind stark angegriffen und stehen in einem Zerfallsprozess. Die Musik ist nicht wenig widerständig. Man hat keine Ahnung, was daraus werden könnte – und spitzt also die Ohren. Hört man die Mikrotöne ausnivelliert, erscheint die Kompositionsweise eher jazzig als raffiniert; man sieht sich unverbindlichen, stereotypischen Mustern ausgesetzt.

Pascal Dusapin (1955 – ), Slackline pour violoncelle et piano (2015). – Ein musikantisches Kleinod ohne grosse Ansprüche, nach Oscar Peterson riechend. Ist Dusapin nun ein verlorenen Jazzkonvertit?

Núria Gimenez-Comas (1980 – ). „…et j’ai perçu ce vol étrange…“ pour violoncelle seul (2016 – 2017). – Gute Musik einer Komponistin, die vorwärts schaut, wenn auch nicht gar sehr weit. Es mangelt an konstruktiver Dichte.

Kaija Saariaho, „Light and Matter“, pour violoncelle, violon et piano (2014). – Vom ersten bis zum letzten Ton eine Musik, die sitzt.

Kaija Saariaho, Raphaël Cendo

Samstag, 11. Februar 2017

Gestern Abend direkt live auf France Musique l’Orchestre Philharmonique de Radio France, Dima Slobodeniouk Direction, Nora Gubisch Mezzo-soprano.

Kaija Saariaho (1952 – ), Graal Théâtre pour violon et orchestre (1994). – Ganz am Anfang klaut die Komponistin aus Berios Folksongs. Zielt sie aufs Mittelalter, oder an einen fremden Ort heute? Mit dem Gong nach fünf Minuten wird die Musik konkret und komplex – und schön. Es entwickelt sich eine, wie man sie sich gerne in den Games of thrones vorstellen möchte. Vielleicht bin ich als Fan befangen, aber ich finde das Stück grossartig. 30 Minuten schönes Wohlsein ohne weitere Zusätze.

Raphaël Cendo (1975 – ), Denkklänge pour orchestre (2016 – 2017). – Ständig werden Konfettis musikalisch in die Luft geworfen, unter ihnen erscheinen interessante orchestrale Einsprengsel. Ganz ohne Polemik lässt sich von einer bunten, vielleicht etwas zu lange geratenen Fasnachtsmusik sprechen. Und doch ist es vielleicht weniger eine Fasnachts- als vielmehr eine ernste Flagellantenmusik. Wirklich gut dünkt sie mich nicht – als ob ein Mensch nur noch ironisch, sarkastisch oder polemisch zu sprechen imstande wäre: man hört zu – und will nichts davon glauben. Woher kommt der Titel? Folgt man dem Pausengespräch des Komponisten mit Zustimmung, habe ich seine Musik arg missverstanden. Cendo möchte einen Raum der Erfahrung schaffen, in dem die Katastrophe des Realen zu denken wäre.

Kaija Saariaho, Adriana Songs pour mezzo-soprano et orchestre (2006). – Ich höre wie ein kleines Kind gebannt zu, als ob alles in der dargestellten, vorgeführten Weise auch in der Wirklichkeit erscheinen könnte. Und wenn das Schwert der Tonalität zu tief über dem Altern der Komponistin hinge, als dass sie es ignorieren könnte?

Giya Kancheli, Mourned by the Wind

Mittwoch, 8. Februar 2017

Soeben live auf BBC 3 at the Royal Festival Hall, London on 25th January 2017, Vladimir Jurowski and the London Philharmonic Orchestra.

Giya Kancheli, Mourned by the Wind – Liturgy for solo viola and orchestra, 1989.

Man muss aus den Fugen und down sein, um auf diese zwar farbige und warme, indes komplett leere Musik positiv anzusprechen. Mir haben die 50 Minuten unverhofft ausserordentlich gut gefallen. Das Stück erinnert an die dunklen Bilder von Paul Klee, in denen die Ereignisse wie in Konstellationen dastehen und vorüberziehen, mal durchsichtig, vereinzelt und klein, des öfteren auch in Masse und solcherart blockartig festgemacht oder in einem Feuerwerk oder in Staub explodierend. Nicht die Leere im Werk wäre zu bemängeln, sondern dass es ab und zu in tonalen Gebilden sich absichern zu müssen vermeint: Kancheli behauptet, nur für sich zu schreiben, gibt sich aber unverholen die schlechte Mühe, die er von der musikalischen Arbeit an den Filmen übernommen hat, das Publikum nicht zu vergraulen. Vielleicht kommt heute eine Schlafnacht, die mit dem halluzinogenartigen Einheitsalptraum, der einen mehrmals aufwachen lässt, um in der Fortsetzung derselben Handlung die Bedrohung nur immer dreister auszuüben, zurückhält, weil die Musik ihn verzaubert – und bannt.

Glass 80

Dienstag, 31. Januar 2017

Soeben direkt live auf BBC 3 at the Barbican Katia & Marielle Labèque (piano), BBC Symphony Chorus, BBC Symphony Orchestra, Marin Alsop (conductor).

Philip Glass: Itaipu.

Bei aller Hochachtung gegenüber Katia und Marielle Labèque: diese Musik könnte schlechter nicht sein (sie spielen den Graus nicht zum ersten Mal). Vielleicht ist es eine Art türkischer Confiseriemusik aus der Domäne 185.85.239.156, die wie Trump und seine Ermächtiger wie Glass nichts anderes vorhat als Destruktion.

Zusatz: Auch Schweizers Radio SRF 2 Kultur Kultur machte heute Morgen eine Art Geburtstagsfeier. Allerdings stolperte man schon über die Aussprache des Namens des missratenen Geburtstagskindes.

Boulez in Südamerika

Montag, 30. Januar 2017

Gestern Abend um 18.30 Uhr Robert Worbys Sendung „Rumble in the Jungle“ auf BBC 3 über die fetten Spuren der drei Reisen Anfang der 50er Jahre von Boulez mit der Schauspieltruppe Renaud-Barrault in Südamerika (letzte Reise 1956). Dass Boulez die ethnomusikologischen Funde in den Pariser Museen studiert hatte, war bekannt. Neu erscheint, dass er in den 40er Jahren ernsthaft vorhatte, Musikethnologe zu werden. Im Besonderen machen die gesendeten Aufnahmebeispiele klar, dass die rhythmische Anlage und die isolierten, solistischen Schlagzeugpassagen des Marteau sans Maître ohne das Studium des musikalisch rumpelnden Candomblé in Brasilien selbst undenkbar sind: man spielte eine Zeitlang Candomblémusik und blendete dann in eine Schlagzeugpassage des Marteau hinein – ein äusserst beeindruckendes Schauspiel. Das Aufsaugen des Fremden im Marteau und das avantgardistische, soll heissen voreilige Festlegen des reinen Seriellen im Livre 1a von den Structures geschehen im selben Zeitraum, 1952-1956. – Betont man im Marteau sans Maître weniger den Charakter der Katzenmusik (Ligeti) und also die feingliedrigen Höhenschichten als vielmehr das Rumpeln in den unteren Rinnen, Gräben und Tiefen, hat man plötzlich ein neues Stück vor sich, das endlich sein Geheimnis zu lüften bereit scheint.

Zusatz 1: Vielleicht liessen sich die neu enthüllten Wundersamkeiten auch mit der Frage umkehren, ob Boulez im Engagement für Wagners Ring nicht auch eine Antwort aufs Riesenwerk der Mythologica von Lévi-Strauss geben wollte, die musikalisch im ersten Band bekanntlich in einer Invektive gegen Boulez gipfeln und ihn als orientierungslos Umhertreibenden auf den Weltmeeren beschreiben. Die Realisierung des Rings mit dem kleinen Finger anstelle der diskursiven Argumentation gegen eine anmassende Behauptung? Im Übrigen wurde nie klar, wieso man den genialen Lévi-Strauss mit Ignoranz bestrafte und dem Schwafler Barthes so viel Vorzug gab. Jean Ziegler donnerte mehrmals in den 70er Jahren, man sähe an den Assistenten des Strukturalisten – ich weiss bis heute nicht, wen er namentlich im Auge hatte – wohin der Ästhetizismus der Ethnologie führe, aber man verzweifelte unmittelbar und tiefer am Irrationalismus und an der zunehmenden Bigoterie seines eigenen.

Zusatz 2: Metzger polemisierte ohne Rückhalt oder Scham gegen den grossen Bumm im Pli selon Pli als einer narzisstischen Extravaganz, auf die Boulez in Demut zu verzichten gehabt hätte. Besser scheint mir heute die Deutung der ethnomusikalischen Besonderheiten im Marteau und im Pli, zu denen der grosse Bumm gehört, als Notbremsen und systematische, bewusst eingesetzte Widerstände gegen die innere Bedrohung, mit der Serie durchzustarten. Boulez bewegte sich Anfang der 50er Jahre auf beiden Beinen vorwärts, auf dem fafnerschen der seriellen Idee und dem fasoltschen der ethnomusikologischen Erfahrungen.

Zusatz 3: Das Verhältnis zu Bartók ist weniger eines der Wertschätzung seiner Komponiertechnik als eines in Solidarität mit einem, der sowohl die Praxis der Musikethnologie wie ihre geraubten Gehalte als Werkmomente zu schätzen wusste.

Birtwistle’s The Last Supper

Samstag, 28. Januar 2017

Soeben direkt live auf BBC 3 aus Glasgow BBC Singers, BBC Scottish Symphony Orchestra with Martyn Brabbins (conductor), Roderick Williams, Daniel Norman, Susan Bickley and soloists.

Sir Harrison Birtwistle, The Last Supper (2000).

Die Musik ist eher leicht und gefällig im guten Sinn, der Gehalt der Texte zu schwer lastend. Man muss das Ganze als Farbenspiel betrachten, wie ein neuer – und besserer – Skrjabin. Am besten sind die Chöre und das streicherlose, nur vom Akkordeon unterstützte Orchester, mal wie in Lüften nah und fern umherbrausend, mal hin und her wogend. Man müsste der Musik – den Mündern – den Text austreiben. Ganz am Schluss singt der Ghost eine Zappatonfolge aus 200 Motels (dann eine Männerstimme und der Güggel). Birtwistle könnte der erste Komponist sein, der ein ernsthaftes Stück fürs Schwyzerörgeli zgrechtem zu schreiben versteht.

Schostakowitsch, 4. Symphonie

Freitag, 20. Januar 2017

Soeben live auf Ö1, Konzert vom 19. Januar 2017 in Wien mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Dirigent Cornelius Meister.

Dmitri Schostakowitsch: Symphonie Nr. 4 c-Moll op. 43.

Eine bessere Musik, als man auch schon mal gemeint hat.

Huelgas in Eton um 1500

Dienstag, 17. Januar 2017

Soeben live auf France Musique L’ensemble Huelgas chante le Livre de choeur d’Eton, concert donné le 06 octobre 2016 au Temple de Pentemont à Paris.

Wer wilde, ausbrechende alte Musik sucht, findet sie um 1500, in allen europäischen Himmelsrichtungen leicht unterschiedlich. Hier ein fantastisches Konzert englischer Musik, gesungen von BelgierInnen. Es gibt im Chorbuch von Eton Komponisten, die herausragen wie Boulez und Stockhausen in der Musik um 2000. Was macht das Besondere aus? – Man will zuhören, und dann immer weiter zuhören.

Christian Muthspiel, Cellokonzert

Sonntag, 15. Januar 2017

Soeben live auf Ö1 vom 30. Juni 2016 im Theaterhaus in Stuttgart: Stuttgarter Kammerorchester, Leitung Christian Muthspiel, Gautier Capuçon Violoncello.

Christian Muthspiel: „A Serious Game“ Konzert für Violoncello und Kammerorchester (UA).

Lauwarme Luft um Bach herum gesetzt, ziemlich überflüssig.

Yann Robin, Cellokonzert

Samstag, 14. Januar 2017

Soeben live auf France Musique concert donné le 13 octobre 2016 à l’Auditorium du Nouveau Siècle à Lille. Avec l’Orchestre National de Lille dirigé par Peter Rundel et le violoncelliste Eric-Maria Couturier.

Yann Robin, Concerto pour violoncelle et orchestre (UA).

Man braucht eine Weile, um sich hineinzuhören, weil das Stück anfänglich zwar laut, nichtsdestotrotz konservativ, ja tonal komponiert daher kommt, nicht weit entfernt vom simplen Noise Jazz. Später entfalten sich aber so viele Anreicherungen, und zwar gleichzeitig im Soloinstrument wie im pointiert akzentuierten Orchester, dass sich ein schönes, andauerndes Feuerwerk ergibt. Die singenden und die gepressten Flageolettetöne wirken peu à peu weniger als jazzige Fassade, die nichts zu enthüllen vermöchte, denn als durchdachtes virtuoses Material.

Zusatz anderntags: Da die Kompositionsweise der Dialektik von der Horizontalen und Vertikalen aus dem Weg geht, wirkt die Musik eigentümlich unverbindlich – es bleibt nicht viel im Gedächtnis haften.

Berio, Konzert für zwei Klaviere und Orchester

Donnerstag, 15. Dezember 2016

Soeben live auf France Musique Concert donné le 10 mars 2004 à la Cité de la Musique à Paris. Katia Labèque & Marielle Labèque, Piano, The Swingle Singers, Orchestre National de France, Ingo Metzmacher, Chef d’orchestre.

Luciano Berio, Concerto pour deux pianos et orchestre.

Was für ein Meisterwerk, welche Musikalität! Berio hat mehrere Gesichter. Dieses Werk kommt in vergleichbare Nähe zu Répons von Boulez.